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Aldi vs. Lidl

Die Swissness-Offensive der beiden Discount-Rivalen – und ihr Kampf um Marktanteile

Aldi und Lidl haben die Schweiz erobert und liefern sich mit unterschiedlichen Strategien ein Rennen um Expansion, Preise und Marktanteile.

Erich Bürgler, Redaktor BILANZ - fotografiert im September von Paul Seewer für BILANZ

<p>Jérôme Meyer (l.): Er steht seit gut fünf Jahren an der Spitze von Aldi Suisse und trimmt den Discounter auf Effizienz. Für Aufsehen sorgten tiefere Fleischpreise.</p><p>Nicholas Pennanen: Der Lidl-Schweiz-Chef setzt auf Wachstum. Jährlich sollen 10 bis 15 neue Filialen dazukommen. Das Ziel des Finnen: 300 Supermärkte in der Schweiz – viele davon in den Städten.</p>

Jérôme Meyer (l.): Er steht seit gut fünf Jahren an der Spitze von Aldi Suisse und trimmt den Discounter auf Effizienz. Für Aufsehen sorgten tiefere Fleischpreise.

Nicholas Pennanen: Der Lidl-Schweiz-Chef setzt auf Wachstum. Jährlich sollen 10 bis 15 neue Filialen dazukommen. Das Ziel des Finnen: 300 Supermärkte in der Schweiz – viele davon in den Städten.

Nathalie Taiana für BILANZ, Michel Canonica / BILANZ-Collage

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Die Discounter aus Deutschland sind in der Schweiz harte Konkurrenten – doch die Hauptsitze von Aldi und Lidl trennen nur eine kurze Fahrt durch die Ostschweiz. In Schwarzenbach SG ragt das markante blaue Logo von Aldi Suisse aus einer akkurat getrimmten Wiese vor dem Firmensitz. 30  Autominuten entfernt hat Lidl Schweiz im thurgauischen Weinfelden Quartier bezogen – in einem Glasbau im Industriegebiet. Der Lidl-Schriftzug davor ist in dezentem Grau gehalten. Beide betreiben neben ihren Hauptquartieren ein Verteilzentrum.

Diese Standorte sind kein Zufall. Vor über 20 Jahren sondierten beide deutschen Discounter die Schweiz – angelockt von zahlungskräftiger Kundschaft und einem Markt, den Migros und Coop praktisch unter sich aufgeteilt hatten. Die beiden Platzhirsche dominierten das Terrain und liessen sich gegenseitig meist in Ruhe. Ein mit sich zufriedenes Quasi-Duopol, das zum frischen Wettbewerb geradezu einlud. In der Ostschweiz fanden die Detailhändler, was sie suchten: ausreichend Fläche für Logistik, Verwaltung und Expansion. Aldi Süd war mit seinem Markteintritt 2005 schneller – obwohl Lidl bereits früher mit konkreten Plänen liebäugelte. Doch Aldi bekam Wind davon und trieb im Eiltempo den Start in der Schweiz voran.

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Vier Jahre später folgte Lidl. Doch der Vorsprung von Aldi hält bis heute – mit rund 60 Filialen mehr. Es herrscht in der Branche ein erbitterter Wettbewerb um geeignete Standorte für neue Läden. Zumal sich auch Coop und Migros auf die Fahnen geschrieben haben, ihr Filialnetz stark auszuweiten. Lidl bleibt klar auf Expansionskurs – und hat einen entsprechend hohen Verschleiss an blauen und gelben Ballons. Bei jeder Neueröffnung bilden sie den typischen Bogen in den Firmenfarben über dem Eingang – und das derzeit im Dauereinsatz: Lidl plant 10 bis 15 neue Standorte pro Jahr. «Ziel sind 300 Filialen», sagt Schweiz-Chef Nicholas Pennanen. Sein Kontrahent Jérôme Meyer von Aldi sieht das anders. Mit rund 260 Läden sei der Schweizer Markt abgedeckt – nun beginne die Phase der Konsolidierung, sagt er im Gespräch mit BILANZ.

Die Schweizer Länderchefs der beiden Discounter haben eines gemeinsam: Sie verbrachten ihre gesamte berufliche Laufbahn beim jeweiligen Unternehmen. Aldi und Lidl sind bekannt dafür, ihren Mitarbeitenden früh Verantwortung zu übertragen. Die internationale Präsenz der Händler ermöglicht es, Nachwuchs früh ins Management zu bringen – über Landesgrenzen hinweg. Der 46-jährige Elsässer Jérôme Meyer hatte mit 25  Jahren bei Aldi in Deutschland als Regionalverkaufsleiter bereits 70  Leute unter sich. Schweizer Länderchef ist er seit gut fünf Jahren. Der Finne Nicholas Pennanen trat 2023 in Weinfelden ursprünglich als Zwischenstation an. Vorgesehen war, dass der 40-Jährige danach die grössere Lidl Österreich übernimmt. Doch es kam anders: Der designierte Nachfolger, der Schweizer Alessandro Wolf, wurde in die Lidl-Zentrale in Neckarsulm befördert. Pennanen blieb somit in der Schweiz.

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Alphörner und Kuhglocken

Beide Länderchefs wollen mit Swissness punkten – nicht nur mit einem Sortiment, das verstärkt auf inländische Produkte setzt. Bei Aldi spricht sogar die Automatenstimme am Self-Checkout Schweizerdeutsch. Der Landwirt und Ex-Mister-Schweiz Renzo Blumenthal wirbt seit September für Aldi und lächelt dafür meist neben einer Kuh in die Kamera. Auch Moderatorin Linda Fäh steht als Markenbotschafterin für den Discounter im Einsatz. Lidl vertraut auf Schwingerkönig Christian Stucki, der als Testimonial auch mal Dreikönigskuchen backt oder zwischen Alphörnern und Glocken neue Produktlinien inszeniert. Im Thurgau sponsert Lidl die Wahl der Apfelkönigin, die als Botschafterin für Obst aus der Ostschweiz wirbt. Das Image der deutschen Billig-Harddiscounter will man abstreifen. Dafür haben beide in den vergangenen Jahren ihre Läden aufgehübscht. Sie inszenieren ihr frisches Gemüse, Obst und Brot und setzen auf helle Verkaufsflächen, breite Gänge und warme Beleuchtung. Alles soll einladend wirken – kein Vergleich zur ursprünglichen, von nüchterner Atmosphäre geprägten Discount-Ästhetik. Das setzt die Konkurrenz unter Druck. Die Migros, die gerade ihr 100-jähriges Bestehen feiert, hat unter der Führung von Mario Irminger eiligst beschlossen, ihre in die Jahre gekommenen Supermärkte zu erneuern.

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Die Rechnung der Discounter geht auf: Der Einkauf bei Aldi und Lidl gilt heute als salonfähig. Laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen kaufen 64 Prozent der Schweizer Haushalte bei Aldi ein – vor zehn Jahren waren es 53 Prozent. Lidl konnte seine Reichweite in dieser Zeit von rund 40 auf über 60 Prozent steigern.

Für viele Kundinnen und Kunden sind Aldi und Lidl damit längst Alltag. Doch ihr Auftritt im Markt ist alles andere als identisch. Vom Sortiment bis zur Expansionspolitik zeigen sich deutliche Unterschiede. Aldi setzt das Discount-Prinzip konsequenter um: Mit rund 1800 Artikeln kommt der Händler mit dem schlanksten Sortiment aus und setzt noch stärker als Lidl auf Eigenmarken. Sie machen 90  Prozent des Angebots aus. Auf Topseller wie Coca-Cola kann aber auch Aldi nicht verzichten. Doch selbst bei solchen Produkten gilt: Der Preis entscheidet. Weil der Schweizer Abfüller bei Verhandlungen nicht mitziehen wollte, kam das Marken-Cola zuletzt aus Polen. Am Geschmack merkt das wohl kaum jemand, aber auf der Flasche stehts: Eine laufende Marketingaktion druckt Vornamen aufs Etikett. Und statt «Peter» liest man jetzt eben «Piotr».

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Bei Preisvergleichen liefern sich Aldi und Lidl ein Kopf-an-Kopf-Rennen – und lassen Migros, Coop sowie den Schweizer Ur-Discounter Denner meist klar hinter sich. Lidl setzt seit vier Jahren auf ein Treueprogramm. Puristen unter den Discount-Fans rümpfen darüber die Nase. Ihnen gilt der Verzicht auf Rabattsysteme als Prinzip: günstig, schlicht und effizient – ohne aufgeblasene Kundenbindung. Doch die Lidl-Plus-App trifft den Nerv der Kundschaft, wie Spitzenplätze in den Download-Charts zeigen. Bei Aldi Süd, unter dessen Dach die Schweiz fällt, zeigt man wenig Interesse an einer ähnlichen Lösung. Allerdings beginnt der Widerstand im Aldi-Universum langsam zu bröckeln: Beim Schwesterunternehmen Aldi Nord laufen in Belgien bereits Tests mit einer Loyalty-App.

Einkaufen ohne Stress

<p>Die Schweizer Kundschaft verlangte mehr Platz zum Einpacken.</p>
<p>Aldi (im Bild) und Lidl passten den Kassenbereich an.</p>
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Die Schweizer Kundschaft verlangte mehr Platz zum Einpacken.

Nathalie Taiana für BILANZ

Lidl hat derweil sogar sein Bonusprogramm eingeschweizert. Die Kundschaft kann gesammelte Punkte gegen Einkaufsrabatte eintauschen. Was bei Migros und Coop längst üblich ist, war für Lidl eine Weltpremiere. In allen anderen Ländern gibt es lediglich Gratisprodukte als Belohnung. Während sich Lidl in Sachen Kundenbindung den lokalen Gepflogenheiten anpasst, probiert Aldi Suisse neue Ladenformate aus. Statt auf die landesweit einheitlichen Filialen in Standardgrösse setzt der Discounter auch auf kompaktere Standorte, die sich besser in dicht besiedelte Lagen einfügen. In einem Jahr will Aldi in Basel die erste Filiale in einem Bahnhof eröffnen – mit einem beschränkten Sortiment auf kleiner Fläche. In Zürich steht unmittelbar neben dem Bahnhofsgebäude in Stadelhofen bereits seit Längerem ein kleiner Aldi. Damit zielt der Händler auf Pendlerinnen und Pendler. Viele von ihnen waren zuvor noch nie in einer Filiale des Discounters. Die Standorte dienen somit auch als Marketinginstrument, um das Angebot bekannter zu machen und neue Kundengruppen zu erschliessen. Der Nachteil: Die Standorte sind teuer und das Sortiment stark eingeschränkt. Lidl macht bisher keine Anstalten, das Konzept zu kopieren. Beiden gemeinsam ist: Sie stossen in die Innenstädte vor. In Bern etwa hat Lidl eine Filiale in der Innenstadt im Untergeschoss des Warenhaus Loeb eröffnet. Nicht weit davon entfernt steht an der Spitalgasse ein Laden des Erzrivalen Aldi.

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Die deutschen Händler greifen so zunehmend das Territorium der Grossverteiler an. Aldi macht das noch in einem anderen Bereich: Wie bei Coop und Migros bietet man dort auch den Onlineversand von Lebensmitteln an. Lidl verzichtet darauf. Angesichts der hohen Lohnkosten gilt es in der Schweiz als schwierig, dieses Geschäft rentabel zu betreiben.

Beide Discounter haben ihre Eigentümer zu Milliardären gemacht. Lidl gehört zur Schwarz-Gruppe mit Sitz in Neckarsulm, die Unternehmer Dieter Schwarz kontrolliert. Mit einem Vermögen von über 40 Milliarden Euro ist er der reichste Deutsche. Aldi Süd zählt zur gleichnamigen Unternehmensgruppe und steht im Besitz der Nachkommen von Karl Albrecht. In den 1960er-Jahren teilten die Aldi-Brüder das Geschäft in Aldi Nord und Aldi Süd. Aldi Nord liegt seither im Eigentum der Familie von Theo Albrecht.

Aldi

«260 Filialen sind genug»

Aldi-Suisse-Chef Jérôme Meyer tritt bei der Expansion auf die Bremse. Statt vieler neuer Standorte gibt es tiefere Preise. Lesen Sie hier.

Migros verliert

Sosehr sich Aldi und Lidl auch in der Schweiz als Konkurrenten bekämpfen – und längst keine Newcomer mehr sind: Hierzulande bedrängen die beiden in erster Linie immer noch die etablierten Händler. Auch nach 20 Jahren wirbeln sie die Branche durcheinander. Die Billiganbieter gewinnen Marktanteile – andere verlieren. Die Migros spürte das in den vergangenen Jahren am stärksten. Der weiterhin grösste Player im Schweizer Detailhandel reagiert mit neuen Tiefpreisangeboten. Zu den Discountern abgewanderte Kundschaft will der orange Riese damit zurückgewinnen. Die Günstig-Konkurrenten zeigen sich gelassen. Sie sehen in der Reaktion des Marktführers eine Art Ritterschlag für ihr Geschäftsmodell. Auch Coop behält die zunehmend an Beliebtheit gewinnenden Billiganbieter genau im Auge. Die Basler haben ihre Günstig-Linie Prix Garantie auf 1500 Produkte ausgedehnt und vergrössern dieses Angebot kontinuierlich. Als Benchmark nimmt Coop-Chef Philipp Wyss dabei Lidl – nicht nur beim Preis, sondern auch bei der Zutatenliste. Der Schokoladen- und Butteranteil im Billig-Biscuit beispielsweise soll mindestens so hoch sein wie beim Discounter.

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Während sich die Grossverteiler an den deutschen Riesen abarbeiten, zeigt sich ein einheimischer Anbieter erstaunlich standhaft gegenüber dem Vormarsch dieser Konkurrenz: Der zur Migros gehörende Discounter Denner konnte seine Marktposition jahrelang ausbauen – und das mit einer etwas anderen Taktik. Statt radikal auf Eigenmarken zu setzen, stehen viele Markenartikel in den Regalen, darunter Lindt und Zweifel, Schweizer Ikonen, um die sich die Discount-Konkurrenz vergeblich bemüht. Mit einem dichten Filialnetz gilt Denner als Nahversorger, den man für ergänzende Besorgungen nutzt. Wobei sich der Händler bemüht, das Image als Wein- und Bierquelle der Migros-Kundschaft abzustreifen, und auf Frischware setzt. 2024 trübte sich das Bild des erfolgreichen Schweizer Discount-Modells: Der Umsatz der lange als Zugpferd im Migros-Stall geltenden Denner stagnierte bei 3,9 Milliarden Franken. Der neue CEO Torsten Friedrich soll es nun richten. Er war zuvor langjähriger Manager bei Lidl und verantwortete die Schweiz als Landeschef. Er kennt die Eigenheiten des hiesigen Markts. Nach seinem Antritt gab es personelle Veränderungen im Denner-Top-Management. CFO Adrian Bodmer ging frühzeitig in Pension. Einkaufschef Sascha Göbels hatte seinen Rücktritt bereits davor angekündigt. Friedrich will das Filialnetz von 880 auf 1000 ausbauen und das Image aufwerten.

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Taktgeber im Markt

Es geht dabei auch um die strategische Frage, wer im Discount-Segment die Agenda setzt und damit die Wahrnehmung der Kundinnen und Kunden prägt. In der Branche galt hier länger Lidl als der entscheidende Impulsgeber. Im vergangenen Jahr preschte allerdings Aldi vor und lancierte eine deutliche Preissenkung für Schweizer Fleisch. «Aldi hatte zuletzt einen guten Lauf», sagt der Top-Manager eines Grossverteilers, der das auf den Vorstoss bei Fleischwaren zurückführt. Zwar zog die Konkurrenz nach, das Signal im Markt hatte aber Aldi gesetzt – und das in einem Bereich, in dem die Preisunterschiede zum grenznahen Ausland besonders ausgeprägt sind.

Die Ausgangslage bleibt spannend. Der Wettbewerb zwischen Aldi und Lidl, gepaart mit den Abwehrreaktionen von Migros, Coop und Denner, sorgt für anhaltenden Preisdruck. Die nächste Runde im Kampf um Marktanteile wird jedoch nicht mehr nur über den Preis entschieden, sondern über die clevere Expansion in die Innenstädte, Kundenbindung und die Frage, wer die Schweizer Einkaufsgewohnheiten am besten versteht und bedient.

Über die Autoren
Erich Bürgler, Redaktor BILANZ - fotografiert im September von Paul Seewer für BILANZ

Erich Bürgler

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