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MeisterMacher

Venture Capital: In Wirklichkeit ein Wertvernichter?

VC steht in der Kritik. Eine Analyse zeigt die Vor- und Nachteile dieser Finanzierungsform für Start-ups und die Gesellschaft.

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Max Meister

Die Kolumne «MeisterMacher» von Max Meister, General Partner von Koyo Capital, beleuchtet internationale Entwicklungen in der VC/Startup-Szene und deren Auswirkungen auf die Schweiz.

Die Kolumne «MeisterMacher» von Max Meister, General Partner von Koyo Capital, beleuchtet internationale Entwicklungen in der VC/Startup-Szene und deren Auswirkungen auf die Schweiz.

Daniel Karrer

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In der Welt der Start-ups gilt Venture Capital (VC) oft als Königsweg zu schnellem Wachstum. Doch eine neue Perspektive wirft einen Schatten auf diese Annahme: Hat VC mehr Wert vernichtet als geschaffen?

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Neulich, bei einem vertraulichen Gespräch mit einem erfahrenen Gründer, fiel ein Satz, der hängen blieb: «Ich frage mich manchmal, ob wir ohne unsere Investoren nicht ein besseres Unternehmen gebaut hätten.» Diese Aussage war kein Groll – sie war reflektiert, nüchtern, fast analytisch. Und sie erinnerte mich an ein Buch, das ich kurz zuvor über Pfingsten gelesen hatte: «World Eaters» von Catherine Bracy. Darin formuliert die Autorin eine steile These: Venture Capital – also jenes Kapital, das seit Jahrzehnten als Motor des Fortschritts gefeiert wird – vernichtet mehr Wert, als es schafft.

Eine provokante Behauptung, gerade für jemanden wie mich, der sich seit Jahren im Herzen des Schweizer VC-Ökosystems bewegt. Aber sie verdient eine ernsthafte Auseinandersetzung.

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Die Argumente von Bracy: Zwischen Analyse und Anklage

In «World Eaters» thematisiert Catherine Bracy einen fundamentalen Zweifel: dass Venture Capital per Definition gut für Fortschritt, Wohlstand und Gesellschaft sei. Aus ihrer Sicht ist genau das Gegenteil der Fall. Bracy argumentiert, dass das vorherrschende VC-Modell – getrieben vom Power Law, also dem Prinzip, dass ein kleiner Teil der Investments den Grossteil der Rendite eines Fonds ausmacht, während die meisten Beteiligungen wenig bis gar nichts zurückzahlen, und fokussiert auf maximale Rendite in minimaler Zeit – die Unternehmen systematisch dazu zwingt, sich gegen langfristige Stabilität und für kurzfristiges Wachstum zu entscheiden. Start-ups würden, so Bracy, nicht danach gebaut, ein Problem nachhaltig zu lösen, sondern um möglichst schnell «investierbar» und später «verkaufsfähig» zu sein, damit man den Investoren den maximalen Gewinn bescheren kann.

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Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.

Besonders kritisch beleuchtet sie die Folgen für das Umfeld, das diese Firmen prägen: prekäre Arbeitsverhältnisse in der Plattformökonomie, algorithmisch gesteuerte Mietpreissteigerungen in der Wohnungswirtschaft, aggressive Marktverdrängung ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen. Die Verantwortung dafür sieht sie nicht bei einzelnen Gründern, sondern im System selbst, bei einer Finanzierungslogik, die keine inkrementellen Entwicklungen duldet, sondern Skalierung um jeden Preis fordert. Ihr Urteil ist hart: VC, so Bracy, sei nicht der Motor des Fortschritts, sondern ein Katalysator für Marktverzerrung und sozialen Schaden.

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Bracys Buch ist dabei weniger Polemik als ein Weckruf: fundiert, gut recherchiert und gestützt auf viele Gespräche mit Gründern und Investoren. Es zwingt dazu, die Mechanik hinter den Erfolgsstorys der Tech-Industrie zu hinterfragen und zu überlegen, ob Risikokapital in Wahrheit nicht gerade das grösste Risiko für ein nachhaltiges Unternehmertum ist.

Die Kraft gezielten Kapitals – zwischen Ideologie und Realität

Bracys Diagnose trifft einen wunden Punkt, kratzt aber nur an der Oberfläche. Ja, Venture Capital erzeugt Wachstum unter enormem Druck. Ja, das System belohnt Exzesse, gnadenlose Selektion und einseitige Erfolgserzählungen. Aber daraus zu schliessen, dass VC strukturell mehr Wert vernichtet als schafft, ist falsch und blendet aus, wie Innovation in der Realität finanziert wird.

Philippe Bubb, Schweizer Investor und Gründer von VC Session, sagte mir: «VC ist ein Werkzeug. Richtig eingesetzt kann es Ideen gross machen, die sonst nie entstanden wären. Falsch eingesetzt zerstört der Skalierungsdruck nachhaltiges Unternehmertum.»

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Die meisten Ideen funktionieren nicht, einige funktionieren solide – und wenige verändern alles.

Ich gebe ihm absolut recht, denn der Ursprung des Problems liegt nicht im Kapital selbst, sondern in der falschen Vorstellung, dass Fortschritt planbar, heterogen und risikofrei sei. Innovation ist nie gerecht verteilt, nie effizient im klassischen Sinn, sie ist ein statistisches Extrem. Und genau dafür ist Venture Capital gebaut: Es akzeptiert Verluste, um die wenigen Ausreisser zu ermöglichen, die ganze Märkte bewegen. Das Power Law, das Bracy kritisiert, ist keine Fehlsteuerung, es ist die notwendige Grundlage für technologiegetriebene Transformation. Venture Capital funktioniert nicht nach der Logik gleichmässiger Verteilung, sondern nach dem Prinzip des Ausnahmeerfolgs: 1 Prozent der investierten Start-ups erzeugt oft über 99 Prozent der Renditen. Das wirkt auf den ersten Blick ungerecht, ist aber die logische Folge eines Systems, das bewusst in Unsicherheit investiert.

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Denn in der Frühphase ist nicht vorhersehbar, welches Unternehmen sich durchsetzen, welcher Markt sich formen, welche Technologie gesellschaftliche Akzeptanz finden wird. Darum braucht es ein Portfolio, das Breite erlaubt, nicht weil Risikokapital irrational wäre, sondern weil technologische Revolutionen sich nicht planen lassen. Das Power Law ist Ausdruck dieser Realität: Die meisten Ideen funktionieren nicht, einige funktionieren solide – und wenige verändern alles.

Bracy sieht darin ein strukturelles Problem. Tatsächlich ist es das Gegenteil: Ohne diese «asymmetrische» Logik gäbe es kein Kapital für radikale Ideen. Wer Rendite linear verteilen will, investiert nicht in Deeptech, nicht in Biotech, nicht in Robotics, sondern in SaaS-Produkte oder E-Commerce-Plattformen mit planbarem Wachstum. Das ist legitim, aber es bringt uns als Gesellschaft nicht weiter. Die Kraft des Venture-Modells liegt gerade darin, dass es bereit ist, zehnmal zu scheitern, um einmal einen neuen Standard zu setzen. Das ist keine Schwäche, es ist der Preis für echten Fortschritt.

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Ohne VC kein Google – und auch keine GlycoEra oder Anybotics

Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der heutigen Tech-Giganten zeigt: Ohne Venture Capital wären viele dieser Unternehmen nicht existent. Google, Amazon, Meta, Apple, Microsoft, Nvidia, Tesla – sie alle wurden in ihren frühen Phasen durch Wagniskapital unterstützt. Diese Finanzierung ermöglichte es ihnen, innovative Ideen zu entwickeln und rasch zu skalieren.

Die Kolumne «MeisterMacher» von Max Meister, General Partner von Koyo Capital, beleuchtet internationale Entwicklungen in der VC/Startup-Szene und deren Auswirkungen auf die Schweiz.

«MeisterMacher»

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«Acht der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt wurden in ihrer frühen Entwicklungsphase durch Venture Capital finanziert. Durchbrüche in Feldern wie AI oder Biotech wären ohne Venture Capital nicht möglich gewesen» sagt Andreas Goeldi, Partner beim VC B2Venture, und ergänzt: «VC ist schlicht und ergreifend die erfolgreichste bekannte Methode, Innovation zu finanzieren und damit Wohlstand zu schaffen.» 

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Auch in der Schweiz zeigt sich die Bedeutung von Venture Capital. Im Jahr 2024 investierten VC-Fonds rund 2,4 Milliarden Franken in Schweizer Start-ups, verteilt auf 357 Finanzierungsrunden. Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist GlycoEra, eine ETH-Ausgründung, die neuartige Plattformen zur gezielten Eliminierung von krankheitsverursachenden Zellen entwickelt. Dank VC-Finanzierung konnte GlycoEra eine Series-B-Runde von 130 Millionen US-Dollar abschliessen und beschäftigt heute über 50 Mitarbeitende.

Diese Beispiele verdeutlichen: Venture Capital ist nicht nur ein Finanzierungsinstrument, sondern ein Katalysator für Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Es ermöglicht Unternehmen, aus visionären Ideen marktfähige Produkte zu entwickeln, und schafft dabei hochwertige Arbeitsplätze.

Natürlich scheitern viele Projekte. Aber selbst ein gescheitertes VC-finanziertes Start-up hinterlässt oft qualifizierte Talente, wichtige technologische Erkenntnisse und Anschlussprojekte. VC ist die Finanzierungsform, die das Unsichere möglich macht, wenn andere sich abwenden. Wer eine innovationsgetriebene Wirtschaft will, muss akzeptieren, dass Wertschöpfung nicht linear ist. Und dass Kapital, das bereit ist, mitzugehen, nicht nur erlaubt, sondern unverzichtbar ist.

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Mehr als Geld – was gutes Venture Capital wirklich leisten kann

Venture Capital ist nicht gleich Kapital. Wer es darauf reduziert, verkennt, wie komplex die Unterstützung ist, die Gründerinnen und Gründer heute von einem guten Fonds erhalten und wie entscheidend sie für die Entstehung wirklich starker Unternehmen ist. Was Venture Capital im Kern auszeichnet, ist die Kombination aus Geld, Vertrauen und strategischer Mitgestaltung, oft zu einem Zeitpunkt, da es sonst noch keine belastbaren Kennzahlen, keine etablierten Geschäftsmodelle und keinen funktionierenden Vertrieb gibt.

Besonders in fragmentierten Märkten wie der Schweiz oder Europa ist das relevant: Während US-Start-ups direkt in einem 300-Millionen-Markt starten, müssen Gründer hier erst Internationalisierung lernen. VC kann helfen, diesen Brückenschlag zu bewältigen, durch Netzwerk, Marktwissen und den Zugang zu internationalen Folgeinvestoren. Wer eine Series A bei einem US-Fund aufnimmt, wie das etwa Yokoy oder Ledgy taten (beide wurden von Sequoia Capital finanziert), erhält im besten Fall gleich einen CFO-Kandidaten, erste Kontakte zu strategischen Partnern in den USA und einen Reality Check für das Geschäftsmodell mitgeliefert.

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Ein gutes Beispiel dafür ist Anybotics, eine ETH-Ausgründung, die autonome vierbeinige Roboter für industrielle Anwendungen entwickelt. Das Zürcher Start-up konnte sich zuletzt über 60 Millionen US-Dollar an Wachstumskapital sichern, unter anderem von Qualcomm Ventures, Swisscom Ventures und Bessemer Venture Partners. Neben Kapital profitierte das Unternehmen von strategischem Sparring, globalem Branchenzugang und einem gezielten Go-to-Market-Support. Anybotics zeigt exemplarisch, wie Venture Capital nicht nur Wachstum finanziert, sondern es strukturell ermöglicht.

Péter Fankhauser, Mitgründer und CEO von Anybotics, bringt es auf den Punkt: «Für ein Deeptech-Unternehmen wie Anybotics braucht es jahrelange Forschung und die richtige Finanzierung. Der Aufbau ist teuer, komplex und verlangt viel Geduld – wir haben das Glück, mit Investoren zusammenzuarbeiten, die diese Realität verstehen, unsere Vision teilen und uns strategisch begleiten.»

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Das Bild vom «drängelnden Kapitalgeber», der nur auf einen schnellen Exit hinwirkt, mag in Einzelfällen zutreffen, es ist aber nicht repräsentativ für das professionelle Schweizer VC-Ökosystem. Wer heute als Gründer eine Runde mit einem erfahrenen VC-Fonds abschliesst, gewinnt weit mehr als Kapital. Und auch für Volkswirtschaften ist das entscheidend: Denn VC baut nicht nur Start-ups, es professionalisiert Unternehmertum, langfristig und strukturell.

«Venture Capital ist nicht perfekt», meint dazu Gründer und Investor Pascal Koenig, «aber es hat das Potenzial, die richtigen Ideen zur richtigen Zeit gross zu machen. Wenn wir es klüger, langfristiger und vielfältiger denken, kann es ein echter Hebel für nachhaltigen Fortschritt sein.»

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