Abo
Zur Lage der Uhrennation Schweiz

«Viele Marken waren unglaublich kreativ unterwegs»

Oliver Müller, Branchenexperte und Inhaber von LuxeConsult, spricht über die Herausforderungen und Hoffnungen der Uhrenindustrie.

Iris Kuhn Spogat

<p>«Wir leben in einer Welt, die sich seit einem Jahr stark  verändert hat, im Negativen, und wo Agilität täglich gefragt ist», hält Oliver Müller fest.</p>

«Wer Licht am Ende des Tunnels sieht, ist wahrscheinlich im falschen Tunnel unterwegs», sagt Oliver Müller.

Guillaume Megevand

Werbung

Wenn Sie ein Buch über 2025 schreiben würden, wie würde der Titel lauten?

«Besser ein Ende mit Leiden als ein Leiden ohne Ende!» Die ganze Unsicherheit, die Donald Trump mit seinen Strafzöllen ausgelöst hat, bedeutete einen enormen Stress für die gesamte Schweizer Wirtschaft. Doch die Aktion der «glorreichen Sechs», die angeführt von Fredy Gantner Trump besuchten, war zum Glück erfolgreich!

An wen würden Sie das Vorwort richten? 

An Fredy Gantner und alle, die geholfen haben, aus dieser schwierigen Situation herauszukommen. Die Besserwisser, die nichts getan und im Nachhinein noch kritisiert haben, wurden eines Besseren belehrt. Realpolitik war das Diktat der Stunde.

Was ist besser gekommen, als Sie dachten, und warum?

Das Gesamtresultat der Industrie für das abgelaufene Jahr sieht mit einem erwarteten Minus von drei Prozent weniger schlecht aus, als es in Wirklichkeit ist. Das rührt einerseits daher, dass die Big Four – Rolex, Audemars Piguet, Patek Philippe und Richard Mille – sowie Cartier das Jahr relativ gut abschliessen werden. Wir rechnen mit Morgan Stanley mit einem konsolidierten Plus von drei bis vier Prozent. Diese fünf Marken machen 55 Prozent der gesamten Abverkäufe der Schweizer Uhrenindustrie aus. Ihre positive Performance wirkt sich demzufolge überproportional aus. Die guten Zahlen dieser fünf Marken sowie einiger Nischenplayer resultieren allerdings vor allem aus Preiserhöhungen und sind nicht organisch bedingt. 

Partner-Inhalte

Was ist den anderen der insgesamt rund 450 Swiss-Made-Marken? 

Deren konsolidiertes Minus schätzen wir auf um die acht Prozent ein. 

Was kam genauso heraus, wie von Ihnen befürchtet? 

China startet nicht auf, und meiner Ansicht nach wird es das auch in naher Zukunft nicht tun. Ich bleibe also bei meiner Einschätzung, die ich an dieser Stelle vor einer Weile schon abgegeben habe: «Wer Licht am Ende des Tunnels sieht, ist wahrscheinlich im falschen Tunnel unterwegs». 

Wir haben 2025 oft über unbequeme Wahrheiten gesprochen, die die Branche nicht hören/sehen will. Welche werden uns auch 2026 plagen?

China wird leider nicht von heute auf morgen wieder auf Vor-Covid-Niveau kommen, und Indien wird nicht das neue China werden. Zweitens: Es gibt zu viele Marken, die um eine schrumpfende Zahl von potenziellen Käufern buhlen. Drittens: Es gibt zu viele Marken, die Trends folgen und zu wenige, die Trends kreieren. Kürzlich hat einer, der schon lange in dieser Industrie Erfolge feiert, Max Büsser von MB&F, gesagt, dass viele Marken behaupten, Kunstobjekte zu kreieren – aber nach Max‘ Meinung 99 Prozent die gleichen Uhren machen. Das mag übertrieben sein, aber im Kern hat er Recht: Zu viele Marken machen dasselbe Produkt.

Werbung

<p>«Ich würde sogar wagen zu sagen, dass wir uns in einer der kreativsten Perioden der Uhrmacherei befinden.» </p>

«Es gibt zu viele Marken, die Trends folgen und zu wenige, die Trends kreieren.» 

Guillaume Megevand
<p>«Ich würde sogar wagen zu sagen, dass wir uns in einer der kreativsten Perioden der Uhrmacherei befinden.» </p>

«Es gibt zu viele Marken, die Trends folgen und zu wenige, die Trends kreieren.» 

Guillaume Megevand

Von aussen entstand 2025 der Eindruck grosser Schaffenskraft bei vielen Marken. Sie blicken hinter zahlreiche Fassaden. Was sehen Sie?   

Genau, das ist für mich das absolute Highlight dieses Jahres. Viele Marken waren unglaublich kreativ unterwegs. Ich würde sogar wagen zu sagen, dass wir uns in einer der kreativsten Perioden der Uhrmacherei befinden. Gilt natürlich nicht für alle, es gibt viele Trittbrettfahrer. Generell und im Besonderen bei institutionellen Marken sieht man, dass Innovation beim Design und bei der Technik absolut angekommen sind. Nächstes Jahr wird es erneut eine Menge schöner, interessanter und innovativer neuer Produkte geben.

Ihr Kommentar zu den neuesten Zahlen der FHS?

Die am Donnerstag publizierten Zahlen unterstützen meine negativen Prognosen. Wie gesagt, China ist nicht gut drauf, wir verlieren weiterhin massiv an Volumen, und nur wenige Marken schaffen es zu wachsen. Indes: 2025 wird wertmässig mit 2022 vergleichbar sein und damit eines der besten Jahre überhaupt werden. Volumenmässig nähern wir uns leider dem Minusrekord des Covid-Jahrs 2020. 

Werbung

Ihre Prognose in Bezug auf die Uhrenkauflust/-kraft in China? 

Chinesen kaufen weiterhin Uhren, aber ihre Kauflust allgemein für Luxusgüter hat stark abgenommen aus einem einfachen Grund: Der Immobiliensektor in China leidet weiterhin stark. Man schätzt, dass zirka 70 Prozent der Ersparnisse der Chinesen in Immobilien investiert werden. Demzufolge ist es leicht nachvollziehbar, dass die Chinesen heute weniger konsumfreudig sind. Dazu kommt, dass es im Luxusgütersegment mehr und mehr Premiummarken gibt, die in China fabriziert werden. Wir sollten nicht den Fehler der Automobilindustrie wiederholen, die sich vor zehn bis fünfzehn Jahren über die chinesischen Fahrzeuge lustig gemacht hat und heute ganz klar nicht mehr marktführend ist. Ich sehe heute schon, wie kleine Player aus China lernen, die uhrmacherischen Codes für ihre Produkte anzuwenden, und ich wage zu behaupten, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft eine chinesische Luxusuhrenmarke sehen werden. Sie wird Rolex oder Patek Philippe nicht gleich aus dem Markt werfen, aber wir sollten aufpassen, dass wir unserer chinesischen Konkurrenz das Leben nicht zu leicht machen. Aus diesem Grund finde ich es auch geradezu stossend, dass am wichtigsten Anlass der Schweizer Uhrenindustrie, der Watches and Wonders in Genf, die Türe aufgesprungen ist für die chinesische Marke Behrens. 

Werbung

Die USA liefern robuste Zahlen – makroökonomische Indikatoren stehen eher auf Sturm. Wie beurteilen Sie die Aussichten für die Schweizer Uhrenhersteller? 

Ich bleibe bei meiner Prognose, die ich übrigens seit bald zehn Jahren wiederhole, dass unsere Industrie fokussierter auftreten muss, sprich mit weniger und stärkeren Marken. Für uns als gesamte Industrie ist der amerikanische Markt immer noch sehr interessant, weil er Wachstumspotenzial birgt und sehr dynamisch ist.

Wenn man weniger auf Exportstatistiken und mehr auf das reale Kaufverhalten schaut: Wo entstehen 2026 neue Begehrlichkeiten?

Für mich ist das Interesse der jüngeren Käufer an konventionellen Uhren die absolut beste Nachricht, die wir haben könnten. Es zeigt, dass trotz Technologie, trotz künstlicher Intelligenz Emotionen immer noch eine wichtige Rolle spielen. Da hat sich seit Jahrhunderten eigentlich wenig verändert, weil eine Uhr als emotionaler Wert und als kulturelles Objekt weiterhin fasziniert.

Zum Schluss: Wenn Sie Sammler wären – würden Sie nun erst einmal abwarten oder kaufen? 

Kaufen Sie Uhren, die Spass machen, und wenn sie auch noch an Wert zulegen, umso besser. Aber machen Sie kein Spekulationsobjekt daraus, sonst wird das Hobby zum Stress wie an der Börse, wenn man nie weiss, wann man wieder aussteigen muss. Und wenn Ihre Frage dahin zielt, ob man tiefere Preise abwarten sollte, würde ich sagen, es ist unwahrscheinlich, dass Topmarken ihre Preise senken werden. Ich hoffe sogar, dass jetzt endlich alle begriffen haben, dass andauernde Preiserhöhungen nicht sinnvoll sind und längerfristig Kunden vergraulen werden.

Werbung

Und ganz zum Schluss: Mit welchem Gefühl starten Sie ins Jahr 2026?

Ich will nicht als Miesmacher der Industrie dastehen, aber ich kann Ihnen versichern, dass hinter den Kulissen die Anspannung gross ist. Alle wissen, dass 2026 nicht die plötzliche und magische Trendumkehr kommen wird. Aber wenn wir weiterhin kreativ und innovativ unterwegs sind – das waren wir in den letzten vier, fünf Jahren ganz besonders – dann haben wir eine tolle Zukunft vor uns.

 

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Werbung