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Der Stararchitekt über seine wichtigsten Projekte, das neueste Gebäude in Genf und darüber, warum die Schweiz ein Ästhetikproblem hat.
Pierre de Meuron: «Schön ist nicht teurer als Mittelmässigkeit.»
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Pierre de Meuron: Das nervt nicht. Obwohl es richtig nervt. Wettbewerbe gehören zu unserem Berufsalltag und fordern uns Mal für Mal heraus, neue Ideen in höchster Qualität und Klarheit aufs Papier zu bringen. Aber es stimmt, Wettbewerbe sind mühsam, und schmerzliche Niederlagen gehören dazu. Und dies zu einem hohen finanziellen Preis, denn in kaum einer anderen Branche leistet man so viel Vorarbeit ohne Garantie auf Erfolg. Bei dem Projekt von Lombard Odier wurden acht Büros eingeladen, und sieben gingen leer aus.
Unser Auftritt und unser Projekt haben offenbar überzeugt. Überzeugt hat die klare und elegante architektonische Umsetzung des von der Bank aufgestellten «One Roof»-Imperativs. Es war ein eingeladener Wettbewerb, und wir haben gespürt, dass die Bank wirklich bereit war, mit Architektur ihre Unternehmenskultur weiterzuentwickeln und ihre Identität zu entfalten. Erfreulicherweise entschied sich die Bank für unseren Wettbewerbsbeitrag, der sich im Verlauf der weiteren Planung kaum veränderte. Das zeugt von einer grossen Entschlossenheit bei Lombard Odier, einer Entschlossenheit, die sich im Gebäude selbst widerspiegeln sollte.
Pierre de Meuron, geboren 1950 in Basel, gründete 1978 gemeinsam mit Jacques Herzog das Architekturbüro Herzog & de Meuron. Es zählt zu den einflussreichsten Architekturbüros der Gegenwart. Zu den bekanntesten Werken gehören die Tate Modern in London, die Elbphilharmonie in Hamburg und das Olympiastadion in Peking.


Das Spannende ist, dass Lombard Odier mit ihrem Gebäude eine radikal neue Offenheit nach aussen und innen einlösen will. Das ist die alles entscheidende Dimension. Die zweite betrifft den Standort: Die Bank wollte alle Mitarbeitenden an einem Ort vereinen. Das liess sich in der Stadt am alten Ort nicht realisieren, also fiel die Wahl ausserhalb des historischen Zentrums auf dieses Entwicklungsgebiet. Die Lage ist hervorragend – nah am Zentrum, mit der S-Bahn bestens erschlossen, aber mit völlig anderer, urbaner Atmosphäre und einem einzigartigen Blick Richtung Westen auf den Petit Lac und auf die Berge im Westen. Diese einzigartige Spannung zwischen Urbanität und Landschaft hat uns fasziniert. Die territoriale Dimension ist essenziell: Das Projekt liegt nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und fühlt sich dennoch wie eine andere Welt an.
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Natürlich gab es baurechtliche Vorgaben, allem voran den Perimeter der bebaubaren Fläche. Der vorgegebene Masterplan gab eine merkwürdige, zufällige Form vor, und die Bank wollte verständlicherweise für sich das Maximum an Nutzfläche realisieren. Diese Vorgaben waren nicht einfach, doch gerade daraus entwickelte sich die überraschende architektonische Lösung.

Lombard Odier eröffnete im September ihren neuen Hauptsitz in Genf. Der Entwurf für das avantgardistische Gebäude in Bellevue, Genf, stammt von Herzog & de Meuron. Am neuen Hauptsitz vereint Lombard Odier unter einem Dach mehr als zweitausend Mitarbeitende, die zuvor an sechs Genfer Standorten tätig waren.
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Lombard Odier eröffnete im September ihren neuen Hauptsitz in Genf. Der Entwurf für das avantgardistische Gebäude in Bellevue, Genf, stammt von Herzog & de Meuron. Am neuen Hauptsitz vereint Lombard Odier unter einem Dach mehr als zweitausend Mitarbeitende, die zuvor an sechs Genfer Standorten tätig waren.
PRKlar, das lichtdurchflutete Atrium ist drinnen ein ganz spezieller Blickfänger. Der zündende Funke war jedoch die auffallende Gebäudegeometrie mit ihren vier gekurvten Fassaden, die das von Lombard Odier aufgestellte «One Roof»-Postulat überzeugend einlöste. Zwei Prinzipien prägen den Entwurf: Transparenz und Flexibilität. An der breitesten Stelle im Grundriss bringt das besagte Atrium viel Tageslicht bis tief ins Innere des Gebäudes hinein. Im Inneren fühlt man sich nie in einem dunklen, geschlossenen Korridor, sondern erlebt auf allen Ebenen eine grosszügige horizontale Transparenz. Diese Grosszügigkeit und Offenheit sind ein wesentlicher Teil der räumlichen Qualitäten. Die auskragenden, geschwungenen Deckenplatten, die unzähligen Stützen, die raumhohen Verglasungen geben dem Bankgebäude zusammen mit dem tonangebenden Weiss seinen Schick und seine Eleganz.
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In diesem Fall kaum. Natürlich visualisieren wir alles am Computer, aber das wichtigste Werkzeug bleibt der Kopf – das räumliche Vorstellungsvermögen im eigenen Kopfkino. Wir arbeiten auch mit physischen Modellen und sogenannten Mock-ups, also Fassadenteilen im Massstab 1:1. Das hilft enorm, weil man Materialität und Lichtverhalten real erleben kann. Ein Modell bleibt immer ein Modell – die gebaute Wirklichkeit ist stets etwas anderes.
Mehrere. Natürlich die sehr frühe Begegnung mit Jacques Herzog. Wir gingen zusammen zur Schule, studierten zusammen und starteten unser Büro im Jahr 1978 – wohlgemerkt während der 1970er-Ölkrise! Rückblickend war das kein schlechter Zeitpunkt. In der Krise kann man wachsen. Ein weiterer Meilenstein war die Tate Modern in London – gleichbedeutend mit unserem Schritt in die internationale Weite. Das Projekt hat uns die Tür zur weiten Welt geöffnet. Heute beschäftigt die Herzog-&-de-Meuron-Gruppe global über fünfhundert Mitarbeitende in vielen Ländern – von Japan über Indien und den Nahen Osten bis Europa und die USA.
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Der Partner von Pierre de Meuron studierte an der ETH Zürich und war viele Jahre Visiting Professor an der Universität Harvard sowie Professor an der ETH Zürich. Gemeinsam mit de Meuron hat Jacques Herzog zahlreiche Ehrungen und Preise gewonnen. Unter anderem erhielten sie einen Ehrendoktor vom Royal College of Art, von der Technischen Universität in München sowie von der Universität Basel. 2001 wurden beide mit dem höchsten Architekturpreis, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnet. 2015 gründeten Herzog und de Meuron eine Non-Profit-Stiftung, das Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett.


Das Fundament unserer Zusammenarbeit ist Vertrauen. Obwohl wir unterschiedliche Charaktere haben, teilen wir dieselbe Haltung und dieselben Werte in Bezug auf Architektur und das Unternehmen. Diese Mischung aus Freundschaft, Respekt und der Fähigkeit, konstruktiv zu diskutieren, trägt uns seit Jahrzehnten.
Dispute gibt es, sie sind aber stets produktiv. Ich persönlich schätze den Widerspruch, da er mich dazu bringt, meine Haltung zu überdenken. In der Architektur gibt es kaum ein Richtig oder Falsch. Es geht um besser, weniger gut oder anders. Und dieses Bessere entsteht durch Diskussion und Argumente – und nicht durch Behauptungen.
Wir sind in der Schweiz sehr regel- und sicherheitsorientiert. Dies führt in der Regel dazu, dass viele Projekte formal glatt und inhaltlich mut- und belanglos sind. Zu viele Vorschriften gleich zu wenig Ansporn zu Kreativität. Hingabe zu Schönheit ist kein Luxus, sondern Teil der Lebensqualität – gerade bei Banken, in der Agglo, bei Verkehrsinfrastrukturen. Wenn man sich traut, auch gestalterisch eine dezidierte Haltung einzunehmen, gewinnt man kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Apropos Wirtschaftlichkeit: Schön ist nicht teurer als Mittelmässigkeit.
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Herzog & de Meuron beschäftigt weltweit über fünfhundert Mitarbeitende. Das Büro mit Hauptsitz in Basel arbeitet international, von den USA über Europa bis Asien. Zu den jüngsten Arbeiten gehört der neue Hauptsitz der Bank Lombard Odier in Genf, der im Herbst 2025 eröffnet wurde.
Das sind sehr sichtbare Projekte, aber vor allem solche, die Menschen anziehen und bewegen. Die Turbine Hall der Tate Modern wurde zu einem der beliebtesten öffentlichen Räume Londons. Dasselbe gilt für die Elbphilharmonie: Die Terrasse ist frei zugänglich, ein demokratischer Ort mitten in der Stadt. Und auch das Stadion in Peking ist ein beliebter öffentlicher Ort. Das ist für uns zentral: Architektur soll die Menschen positiv bewegen.
Zugegeben, Architektur ist nie unschuldig. Aber mit dem Birds Nest haben wir nachhaltige hohe Qualität im öffentlichen Raum geschaffen. Das Stadion ist nach wie vor sehr beliebt bei den Menschen in China und auch bei Touristen, ähnlich wie der Eiffelturm in Paris. Auf den ersten Blick «nutzlose» Architektur kann auf die Menschen grosse positive Anziehungskraft entfalten.
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Elbphilharmonie
Das auch Elphi genannte Konzerthaus im Hafen von Hamburg wurde 2017 eröffnet.
PRTitlis-Projekt
Noch im Bau ist die neue Bergstation auf dem Titlis.
KeystoneRoche-Türme
Die beiden Hochhäuser gelten als modernes Wahrzeichen von Basel.
PRDas Nest
Das Nationalstadion in Peking wurde 2008 für die Olympischen Sommerspiele erbaut.
Getty ImagesTate Modern
Das Museum in einem ehemaligen Kraftwerk in London war ein erster Meilenstein für Herzog und de Meuron.
PRFünf Höfe
Münchner Gesamtkunstwerk aus denkmalgeschützter und moderner Architektur.
PRJa, spontan kommen mir die Fünf Höfe in den Sinn. Es ist ein starkes städtebauliches Projekt, das augenfällig funktioniert – keine spektakuläre Ikone, aber ein gelungenes Stück lebendige Stadt im Herzen von München.
Es gibt kein Ritual im eigentlichen Sinn, aber ich gehe gerne immer wieder hin und beobachte, wie das Gebäude nach Jahren im Alltag funktioniert. Wenn Menschen sich darin wohlfühlen, ist dies das schönste Ergebnis, die grösste Belohnung – ähnlich wie bei einem guten Konzert oder einem sehenswerten Film: Es berührt freudig unmittelbar alle unsere sechs Sinne, das gefällt mir.
(lacht) Ja, das kommt vor. Ich finde das völlig in Ordnung. Architektur hat bei mir allemal einen hohen Stellenwert, zumeist in Verbindung mit Musik, Film, Sport oder Kunst. Das Spannende an Architektur: Sie umfasst alle Lebensbereiche.
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Ratschläge erteilen ist nicht so mein Ding. Nur so viel: einfach schauen, beobachten, zuhören, denken – und daraufhin machen. Und dies mit Leidenschaft. Leidenschaft ist entscheidend – in der Architektur wie in jedem anderen Beruf auch.
Dieser Artikel ist im Millionär, einem Magazin der Handelszeitung, erschienen (Dezember 2025).
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