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Gesucht: Sparringspartner statt Statisten

Der Verwaltungsrat ist nicht bloss Aufsicht – er ist strategischer Begleiter, Innovationsmotor und im Notfall auch Rettungsanker.

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Max Meister

<p>Die Kolumne «MeisterMacher» von Max Meister, General Partner von Koyo Capital, beleuchtet internationale Entwicklungen in der VC-/Start-up-Szene und deren Auswirkungen auf die Schweiz.</p>

Die Kolumne «MeisterMacher» von Max Meister, General Partner von Koyo Capital, beleuchtet internationale Entwicklungen in der VC-/Start-up-Szene und deren Auswirkungen auf die Schweiz.

Daniel Karrer

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Schweizer Start-up-Verwaltungsräte stehen 2025 unter enormem Druck. Die wirtschaftlichen Realitäten sind rau: Finanzierungslücken, verschärfte gesetzliche Auflagen und eine massive Zunahme operativer Risiken zwingen Führungsgremien weit über die formalen Kontrollaufgaben hinaus. Wer heute ein Mandat in einem Jungunternehmen übernimmt, weiss: Die Anforderungen reichen von strategischer Weichenstellung bis zu persönlichen Haftungsrisiken, und der Alltag ist geprägt von Unsicherheit.

Wer die Zusammensetzung und die Professionalität der Teams in konkursiten Jungunternehmen analysiert, stellt fest, dass das Problem weitverbreitet ist. Der Zusammenhang zwischen einem überforderten, einseitig zusammengesetzten Verwaltungsrat und Firmenkonkursen ist dabei evident. Tom Eisenmann ist BWL-Professor an der Harvard Business School und hat sich auf Entrepreneurship und die Ursachen des Scheiterns von Start-ups spezialisiert. Er meint, dass nicht nur Gründerteams Fehler machen: Oft sind es «bad bedfellows» – Investoren, Partner oder Verwaltungsräte –, die mit falscher Einflussnahme oder mangelnder Kontrolle entscheidend zum Misserfolg beitragen. Die Aufbereitung des Scheiterns des Schweizer Medtech-Start-ups Ava ist ein interessantes Beispiel hierfür. Der Fall zeigt eindrücklich, was passieren kann, wenn der Verwaltungsrat dysfunktional oder aufgrund von äusseren Faktoren paralysiert ist. 

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Claude Dütschler, Investor und Verwaltungsrat bei diversen Start-ups, bringt es auf den Punkt: «Viele Start-up-Verwaltungsräte sind heute zu schwach aufgestellt, es fehlt an Unabhängigkeit, an kritischer Distanz und oft auch an der nötigen Erfahrung. Zu oft sitzen dort die falschen Leute am Tisch», moniert er und ergänzt vielsagend: «Wir brauchen eine neue Generation von Verwaltungsräten, die Gründer nicht nur bewundern, sondern ihnen auch Grenzen setzen können. Nur mit unabhängigen, kompetenten Stimmen können Start-ups nachhaltig wachsen und Krisen überstehen.»

Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.

Die Governance-Lücke

Das Schweizer Obligationenrecht (OR) sieht vor, dass eine Gewaltentrennung zwischen der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat stattfindet. Letzterer hat unter anderem den Auftrag, die Geschäftsleitung zu überwachen und, falls nötig, entsprechende Massnahmen einzuleiten, damit der Fortbestand der Geschäftstätigkeit gesichert ist. Diese Teilung der Aufgaben ergibt sehr viel Sinn, sofern sie richtig umgesetzt wird.

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Bei einer börsennotierten Unternehmung funktioniert die Aufgabenteilung meistens gut. Die Aktionärinnen und Aktionäre von Publikumsgesellschaften können sich erfahrungsgemäss darauf verlassen, dass ihre Interessen durch den Verwaltungsrat auf eine zielführende Weise gewahrt sind. Bei Jungunternehmen ist die Ausgangslage in der Regel anders. Die Risiken als Aktionär beziehungsweise als Investor sind grundsätzlich viel höher, da statistisch gesehen viele Start-ups scheitern. Es wäre also gerade hier umso wichtiger, dass sich die externen Anteilseigner auf einen kompetenten Verwaltungsrat verlassen können.

Viele Verwaltungsräte von Schweizer Start-ups sind allerdings nicht professionell aufgestellt.

Meistens sitzen die Gründer oder ihnen nahestehende Personen ebenfalls im Verwaltungsrat, was zu einer gefährlichen Informationsasymmetrie sowie Interessenkonflikten zwischen Geschäftsleitung – oft den Gründern – und den externen Verwaltungsräten führt. Eine kritische und zwingend notwendige Auseinandersetzung zwischen Verwaltungsrat und der operativen Geschäftsführung findet zu selten statt.

Samuel Berger, Partner beim Executive-Search-Unternehmen Witena, meint: «Ein gut konstituierter Verwaltungsrat in einem Start-up sollte kein stiller Beisitzer sein, sondern ein unabhängiger, vertrauensvoller und konstruktiv unangenehmer Sparringspartner, gerade in Wachstumsphasen, da mutige Entscheidungen, ehrlicher Widerspruch und das inhaltliche Reiben für die unternehmerisch beste Lösung über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.»

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Dass selbst ein hochkarätig besetzter Verwaltungsrat nicht gegen interne Krisen gefeit ist, zeigt der Fall Klarna. Wie die «Financial Times» kürzlich treffend beschrieben hat, geriet der traditionsreiche Venture-Capital-Investor Sequoia Capital in einen offenen Machtkampf mit dem langjährigen Klarna-Chairman Michael Moritz, der pikanterweise zuvor selbst jahrzehntelang Partner bei Sequoia war. Der Konflikt drehte sich nicht nur um die Frage der Nachfolge im Board, sondern spiegelte auch tiefer liegende Spannungen wider: den Wettstreit zwischen dominanten Gründern, machtbewussten Investoren und einem Verwaltungsrat, der zwischen beiden Seiten vermitteln müsste. Beobachter sprachen von einem «kompletten Fiasko». Die «Financial Times» deutet den Vorfall als Symptom eines breiteren «governance gap»: Viele Technologiefirmen bleiben zu lange privat, ohne die disziplinierende Wirkung öffentlicher Märkte zu erfahren – und werden dadurch anfälliger für Machtspiele und Kontrollverluste im Verwaltungsrat.

Erfolg dank starkem Verwaltungsrat

Erfolgreiche Start-ups haben oft eines gemeinsam: einen Verwaltungsrat, der mehr ist als ein Pflichteintrag im Handelsregister. Der Verwaltungsrat überwacht die Geschäftsführung, stellt im Extremfall deren Ablösung sicher und hat eine Schlüsselrolle bei der Sicherung des Unternehmensfortbestands. Gerade diese Aufgaben werden in Jungunternehmen oft zu oberflächlich umgesetzt, da Gründer auf vertraute Mitstreiter setzen, die selten widersprechen oder eigene strategische Impulse setzen.

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Der Start-up-Gründer und CEO von MyBikePlan, Fabian Bollhalder, ist überzeugt, «Ein guter Sparringspartner im Verwaltungsrat ist für mich kein Luxus, sondern ein Wettbewerbsvorteil. Er hinterfragt, provoziert und denkt quer, genau das, was wir als Gründer brauchen, um nicht in unserer eigenen Blase stecken zu bleiben. Darum sollte man ihn von Anfang an dabeihaben, nicht erst, wenn es schwierig wird.»

Insbesondere die zunehmende Komplexität von Krisensituationen – von Finanzierungslücken bis hin zu IT-Risiken und regulatorischen Veränderungen – erfordert eine neue Generation von Verwaltungsräten. Die heutige Praxis ist oft geprägt von Zeitmangel, ungenügender Vergütung und fehlender Absicherung: Nur wenige Versicherungen bieten umfassenden Versicherungsschutz für Start-up-VR-Mandate, was die Bereitschaft kompetenter Persönlichkeiten, ein Mandat zu übernehmen, weiter senkt.

Seit der OR-Revision Anfang 2023 sind die Pflichten noch strikter: Überschuldung, drohende Illiquidität und die 90-Tage-Frist für Sanierungsmassnahmen verlangen fortlaufendes Monitoring und eine persönliche Verantwortungsübernahme durch den Verwaltungsrat. Viele Mandatsträger sind sich dieser Haftungsfallen nicht hinreichend bewusst, bis sie im Ernstfall mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen konfrontiert sind. Zudem verändern sich die strategischen Anforderungen rasant. Trends wie generative KI, Cybersecurity und Compliance-Themen stehen inzwischen auf jeder VR-Agenda. Für Start-ups bedeutet das: Die Gremien brauchen Expertise in den Bereichen Technologie, Regulierung und nachhaltige Geschäftsmodelle. 

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Praxisnahe Ausbildung als Schlüssel zu wirksamen Verwaltungsräten

Ebenso entscheidend wie die Zusammensetzung des Verwaltungsrats ist die Qualität seiner Ausbildung. Ein Verwaltungsratsmandat ist kein akademischer Titel, den man einmal erwirbt und dann verwaltet. Es ist ein praktischer Job, der ständiges Lernen, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit erfordert, in komplexen Situationen tragfähige Entscheidungen zu treffen.

Darum muss die Ausbildung von Verwaltungsräten praxisnah gestaltet sein. Reine Theorie oder abstrakte Modelle greifen zu kurz. Verwaltungsräte brauchen den direkten Bezug zu realen Situationen, sei es durch Fallstudien, konkrete Unternehmensbeispiele, Simulationen von Entscheidungsprozessen oder den Austausch mit erfahrenen Führungspersönlichkeiten. Nur wenn das Gelernte unmittelbar auf die Realität übertragbar ist, entsteht echter Mehrwert.

So wird aus der Ausbildung nicht bloss Wissensvermittlung, sondern ein Trainingsfeld, das Verwaltungsräte befähigt, die vielfältigen Herausforderungen moderner Unternehmensführung aktiv zu gestalten, statt passiv auf Entwicklungen zu reagieren.

Mitdenken statt nur beaufsichtigen: Verwaltungsrat neu gedacht

Die beste Lösung für Start- und Scale-ups? Verwaltungsräte müssen zu echten Antreibern und reflektierenden Begleitern werden: Sie fördern die Entwicklung kritisch und konstruktiv, sind bereit, unbequeme Fragen zu stellen, und investieren die nötige Zeit, sich mit operativen und strategischen Details auseinanderzusetzen. Sie brauchen Zugriff auf aktuelle und korrekte Informationen, eine faire Vergütung und müssen laufend weitergebildet werden, in Governance, Technologie und finanzieller Überwachung.

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Der Gründer von Blacksocks, Investor und Mehrfach-Verwaltungsrat Samy Liechti meint hierzu: «Die holistische Sicht auf das Unternehmen ist oft wichtiger als Expertenwissen. Regelmässige Begleitung ist effektiver als Detailreports. Verfügbarkeit schlägt Renommee. Erfahrende Unternehmer sind oft lösungsorientierter als ausgewiesene Manager.»

Moderne Board-Governance verlangt Offenheit, regelmässige Selbstevaluation und einen proaktiven Umgang mit Stakeholdern. Bestehende Verwaltungsräte sollten immer wieder hinterfragt und ersetzt werden, wenn Mitglieder den Anforderungen nicht mehr genügen. Klare Kommunikation und Transparenz gegenüber Kapitalgebern und Mitarbeitenden sind ein Muss.

Die Rahmenbedingungen für kompetente, engagierte Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte müssen deshalb dringend verbessert werden: weniger Risiko durch bessere Absicherung, attraktivere Vergütungsmodelle und gezielte Förderung von Diversität und Spezialkompetenzen. Denn der Verwaltungsrat ist nicht bloss Aufsicht – er ist strategischer Begleiter, Innovationsmotor und im Notfall auch Rettungsanker. Wer das in der Schweizer Start-up-Szene nicht erkennt, wird zum Spielball des Zufalls und droht an der Komplexität zu scheitern.

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Liechti ergänzt: «Wenn alles in Bewegung ist, braucht es wöchentlichen Austausch und weniger Reports. Schnelle, pragmatische Denker schlagen hier langsame Netzwerker. So schaffen Begleiter und Challenger eher Mehrwert und bringen das Unternehmen voran. Wer kann das besser als erfahrende Unternehmer?»

 

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