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Mit beachtlicher Konsequenz hat sich Italiens Anzug-Ikone von der Businessuniform emanzipiert. Doch nicht überall agiert die italienische Modegruppe so zukunftssicher.
Dirk Ruschmann
Glamorous Business: Modeschau der Gruppe am historischen Sitz in Trivero.
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Drei gekreuzte Elastikbänder sind die Superstars des Milliardenkonzerns. Denn was manchen Herstellern nie gelingt, hat die Zegna-Gruppe geschafft, und das ausgerechnet im nicht gerade unterversorgten Markt für Sneakers: Der Triple Stitch, ein Freizeit-Turnschuh für distinguierte bis grau melierte Stadtbewohner, ist Zegnas selbst ernannter «Rekrutierungs-König»: Mehr als jeder dritte Erstkunde des Unternehmens steigt mit dem Kauf des Triple Stitch in die Zegna-Markenwelt ein. Luxuriöses Understatement, das ohne Logo auskommt, weil Kenner den Schuh ohnehin sofort zuordnen können. Das Umsatzziel von 100 Millionen Euro, vor einigen Jahren halb verschämt und halb übermütig ausgegeben, dürfte der Schlüpfer längst überschritten haben. Und warum auch nicht: Zum Sommer gibt es den Sneaker als Espadrilles mit Jutesohle für besinnliche 1050 Franken. Immerhin inklusive Schuhbeutel.
Der Sneaker Triple Stitch: Riesenerfolg und Umsatzkanone. Gehört zur Casual-Herrenuniform.
PDDer Sneaker Triple Stitch: Riesenerfolg und Umsatzkanone. Gehört zur Casual-Herrenuniform.
PDDie Anzug-Ikone Zegna ist in Wahrheit längst eine Marke für Casual- oder Freizeitmode, mehr als die Hälfte des Geschäfts stammt inzwischen aus der sogenannten «Leisure Wear», klassische Büro-Outfits machen nur noch ein Viertel aus. Auch, weil Anzug, Krawatte und Oxford am Fuss nicht mehr Bürgerpflicht sind; Edoardo Zegna, Sohn des aktuellen Clanchefs Ermenegildo «Gildo» Zegna, hat am WEF in Davos beobachtet, dass immer «mindestens ein Redner den Triple Stitch trägt».
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Ein Insider der Herrenbekleidungsbranche lästert allerdings, Zegna habe ein Stück weit die frühere Begehrlichkeit verloren und bediene heute häufig «alte, reiche Männer, die in ihrem Cabrio-Bentley auf locker machen wollen». Auch das aktuelle Werbe-Testimonial, der dänische Hollywoodstar Mads Mikkelsen, passe zu diesem Kundentypus. «Oder», so die provokante Frage, «kennen Sie jemanden in Ihrem Bekanntenkreis, der Zegna trägt?» Demnach läuft die Marke Gefahr, mit ihrer Kundschaft aus dem Markt zu altern – eine Perspektive, die sie mit dem früher ebenfalls höchst nachgefragten Couturier Giorgio Armani teilt.
Kleidung für lockere Männer: Hollywoodstar Mads Mikkelsen ist das aktuelle Testimonial. Er steht für den Trend zur Casualwear.
PDKleidung für lockere Männer: Hollywoodstar Mads Mikkelsen ist das aktuelle Testimonial. Er steht für den Trend zur Casualwear.
PDImmerhin, die Zahlen geben derzeit keinen Anlass zur Sorge. Der allgewaltige Vormann Gildo Zegna konnte für 2023 satte 1,9 Milliarden Euro Umsatz bekannt machen, ein Plus von 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die Renditen legten zu, die Marge auf Gewinnstufe Ebit beträgt nun 11,6 Prozent, die Hauptmarke Zegna liegt sogar etwas höher; «another positive milestone», sagte Zegna und verwies stolz auf die mehr als hundertjährige Historie der Familienfirma, entstanden aus einer kleinen Wollmühle, die sein Grossvater in den Piemonteser Alpen gegründet hatte.
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«Die Gruppe zeigt relativ zu den Konkurrenten starkes Wachstum, auch die Margen werden besser», urteilt der Luxusexperte der Bank Vontobel, Jean-Philippe Bertschy. Allerdings, schränkt er ein, «sind die Margen noch meilenweit entfernt von den Vorbildern, insbesondere Hermès». Tatsächlich rentiert Zegna nur wenig besser als Hugo Boss und wirkt verglichen mit den angepeilten Peers nahezu mickrig. Hermès liegt bei überragenden 42 Prozent Ebit-Marge, die Modesparte von LVMH, zu der etwa Loro Piana gehört, mit 39,9 Prozent nur knapp darunter, selbst Gucci, die schwächelnde Topmarke von LVMH-Konkurrent Kering, immer noch oberhalb von 33 Prozent, die aufstrebende Moncler-Gruppe bei 30 Prozent.
Und selbst das Kaschmir-Kaiserreich Brunello Cucinelli, Stand-alone des gleichnamigen Gründers, der Werte wie ethisches Wirtschaften, Zügeln des Kapitalismus oder auch erstklassige Küche im Personalrestaurant hochhält und auf das Trimmen der Profite explizit verzichtet – selbst Cucinelli erwirtschaftet über 16 Prozent. Er gilt, zusammen mit Loro Piana, als inhaltlich passendster Vergleich für Zegna: Alle drei agieren im obersten Preissegment von «Quiet Luxury», edelsten Teilen ohne schreiende Logos oder Hang zu Auffälligkeiten, und solche Hersteller «leiden am wenigsten unter der aktuellen Kaufzurückhaltung – sie haben eine sehr loyale Kundenbasis», weiss Vontobel-Mann Bertschy. Zegna hat also viel Spielraum für Aufbesserungen in der Bottom Line.
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Mit dem klassischen Anzug wurde Zegna gross: edle Stoffe und klassischer Businesslook.
PDMit dem klassischen Anzug wurde Zegna gross: edle Stoffe und klassischer Businesslook.
PDImmerhin, bei Produkten und Markenführung ist schon einiges passiert. Im persönlichen Narrativ von Gildo Zegna befand er sich an einem Sonntagnachmittag, es muss in den ersten Wochen des Jahres 2020 gewesen sein, ganz versunken in seinem wachen Geist, als ihm klar geworden sei: das Geschäftsmodell zu komplex und zu teuer, die drei Zegna-Marken (Ermenegildo, ZZegna und Couture) schwach aufgestellt und bei der wachsenden Casual-Welle nicht dabei, die Läden zu gediegen und zu gross. Am folgenden Montag, so diktierte er dem Fachmagazin «Textilwirtschaft», habe er umgehend die Geschäftsleitung informiert, dass ein Richtungswechsel in der Strategie beschlossen sei: Vom Tailoring bewege man sich Richtung Luxus-Leisurewear, also Chinos, Polos, Sneakers und mehr Casual fürs Cabrio, während Anzug und Krawatte in den Hintergrund rücken sollten. Und nun würde auch das Zusammenlegen der drei Zegna-Brands stattfinden; das hatten ihm zwar sein Sohn Edoardo, der das Marketing leitet, und Oberdesigner Alessandro Sartori schon einmal vorgeschlagen, doch den richtigen Zeitpunkt dafür musste erst Gildo Zegna erkennen. Sagt Gildo Zegna.
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Nun gilt also: «one brand» für Zegna, Fokus auf edle Freizeitkleidung, Fertigungsschritte wurden zurückgeholt ins Heimatland, die Produktvielfalt hat abgenommen, dafür sind die Preise im Schnitt gestiegen. Schon 2018 war Thom Browne zur Gruppe gestossen, der New Yorker Designer mit den kurzen Hosen zum Anzug; sein Brand wächst sogar stärker und rentiert besser als die Kernmarke. Inzwischen spielt das Sortiment von Thom Browne, das Modeleute «avantgardistisch» bis «super-preppy» und Zegna selber «modern luxury tailoring» nennen, ein Fünftel des gesamten Umsatzes ein. Neu ist nun auch die Modesparte von Tom Ford Teil der Gruppe. Für den US-Designer, der um die Jahrtausendwende die verblasste Gucci wieder entzündet hatte, war Zegna schon lange Produktionspartner. Beim Verkauf seines Unternehmen an den Kosmetikriesen Estée Lauder (Parfum gilt im Luxussegment als margenstärkste Warengruppe) sicherte sich Zegna die Abteilung Bekleidung und bezeichnete sie hinfort als «luxury glamour». Tom Ford Fashion, seit rund einem Jahr bei Zegna, liegt punkto Umsatz wohl auf Augenhöhe mit Thom Browne. Inklusive dieser beiden Wachstumsbeschleuniger beschäftigt das Unternehmen inzwischen 7200 Menschen, vor zwei Jahren waren es erst 6050.
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Der Thom-Browne-Anzug: Sehr progressive Optik, also komplementär zur gediegenen Zegna.
Getty ImagesDer Thom-Browne-Anzug: Sehr progressive Optik, also komplementär zur gediegenen Zegna.
Getty ImagesMit den beiden Gross-Akquisitionen hat Gildo Zegna zugleich einen Schritt in die Frauenabteilung gesetzt; sowohl Thom Browne als auch Tom Ford catern für beide Geschlechter, bei Thom Browne beträgt der Damenanteil am Geschäft immerhin rund ein Drittel. Modeexperten bewerten die beiden Marken, etwa aufgrund ihrer «Aktualität», sogar als zugkräftiger als die Kernmarke Zegna. Die erinnere zwar, durch ihre Verwurzelung als Tuchhaus im Herstellen edler Stoffe und damit alter Handwerkskunst, durchaus an die Manufaktur-Ikone Hermès – aber erreiche deren Format bei Weitem nicht. Der Zürcher Markenberater Thomas Ramseier lobt die klare Positionierung der Gruppenmarken, hält aber die Wachstumsperspektiven infolge der «sehr eng gefassten Zielgruppensegmente» für eher begrenzt. Allerdings habe etwa die LVMH-Gruppe in der Vergangenheit auch gezeigt: «Durch gross angelegte Marketing- und Vertriebsoffensiven ist auch in der High-End-Luxusbranche einiges möglich.»
Exakt dieser Schablone folgt Zegna – die Marketingausgaben steigen überproportional zum ohnehin wachsenden Umsatz, und die Gruppe setzt vermehrt auf eigene Markenstores und schränkt den Verkauf über Dritte, das sogenannte Wholesale, immer weiter ein. Ziel ist, neun Zehntel aller Verkäufe via eigene Stores zu tätigen.
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Kleidung für Frauen: Dank Thom Browne und, wie im Bild, Tom Ford hat Zegna Womenswear im Angebot
Gamma-Rapho via Getty ImagesKleidung für Frauen: Dank Thom Browne und, wie im Bild, Tom Ford hat Zegna Womenswear im Angebot
Gamma-Rapho via Getty ImagesZegnas Verwandlung «vom Anzughersteller zur eleganten Casual-Wear-Marke hätte nicht mutiger, schneller und effektiver sein können», sagt Luca Solca, Analyst bei Bernstein Research. Er sehe viel Potenzial bei den zugekauften Marken und trifft sich dabei mit dem Kölner Design- und Markenprofessor Paolo Tumminelli, der darin Anziehungskraft für neue Kundenmilieus sieht, die «sich vom unauffälligen Zegna-Programm nicht angesprochen fühlen», zudem Bewegungsfreiheit für das «Corporate Storytelling» ortet – schliesslich ergänzten die beiden amerikanischen Brands das traditionelle «Made in Italy».
Auf dieses Label legt Zegna jedoch viel Wert. Im Verlauf der vergangenen 15 Jahre übernahm Zegna diverse Textilhersteller, die bekanntesten wohl Bonotto und Dondi, dazu den Hutmacher Cappellificio Cervo und den Kaschmir-Spezialisten Filati Biagioli Modesto, stieg zuletzt gemeinsam mit Prada bei der Strick-Ikone Fedeli ein. «Viel Sinn» machen diese Akquisitionen, sagt Jean-Philippe Bertschy, als vertikale Integration von Lieferanten «nach dem Vorbild von Hermès, LVMH oder Chanel».
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Solca lobt Zegna für die «Homeruns» ausserhalb ihrer Kernkategorien – insbesondere im Bereich Schuhe, und das Marketing rund um die Oasi Zegna «toppt noch einmal alles». Diese «Oasi», ein Naturschutzgebiet rund um den alten Stammsitz in Trivero, geht auf den Firmengründer zurück. Kräftig vorangetrieben hat sie Gildos Schwester Anna Zegna in den neunziger Jahren, und dass die vielfältigen Nachhaltigkeitsinitiativen der Gruppe bei der Kundschaft nicht vergessen gehen, darum kümmert sich Gildos Sohn Edoardo, dessen Ressort praktischerweise Marketing und Sustainability vereinigt.
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Doch so modern Strategie und Zukäufe, so höfisch-traditionell mutet Zegnas Führungskultur an. Nahestehende attestieren Gildo Zegna ein geradezu königliches Selbstverständnis. Von ihm kursiert ein Zitat, wonach er nicht glaube, dass eine Frau die Gruppe führen könne. Er selbst leitet sie seit 18 Jahren, wird im Herbst 69, das Regeln seiner Nachfolge soll aber noch kein Thema sein. Im Board, das CEO Gildo in Personalunion führt, hat die Mehrzahl der Mitglieder das Rentenalter erreicht. Wer wissen will, welche Personen das operative Business besorgen, muss den Geschäftsbericht wälzen – nicht einmal Kreativdirektor Alessandro Sartori erhält einen Auftritt auf der Website; sie schweigt sich aus über die «executive directors», mit Ausnahme des CEO natürlich. Der im Jahr 2023 übrigens bekömmliche 13,5 Millionen Euro für seine Dienste bezogen hat.
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Dass sich Zegnas Lead Independent Director Sergio Ermotti mit gut 180'000 Euro begnügen musste, dürfte er verschmerzen können; dank seines Hauptberufs als UBS-Chef leidet auch er keinen Hunger. Er fädelte mit Gildo Zegna den wichtigsten Vorwärtsschritt der Gruppe ein: den Börsengang Ende 2021 in New York mittels eines SPAC, also eines Börsenmantels, der Private-Equity-Gruppe Investindustrial, wo Ermotti nach seinem ersten Abgang als UBS-CEO zum Chairman avancierte. Firmengründer Andrea Bonomi sitzt nun neben Ermotti im Zegna-Board.
Auch nach dem IPO dominieren die Zegnas das Aktionariat: Die Familienholding Monterubello kontrolliert mit Stichtag Ende 2023 knapp 60 Prozent des Kapitals und nahezu 74 Prozent der Stimmrechte. In diese Holding wiederum ist ein Vertrauter Ermottis eingezogen: der Banker Riccardo Mulone, Chef der UBS Italien, der den Börsengang begleitet hatte. Die Anteile an Monterubello wiederum halten Vertreter der dritten und der vierten Generation, also die Erben der beiden Gründersöhne Aldo und Angelo Zegna.
Der Aldo-Zweig soll knapp 46 Prozent der Holding besitzen: Aldos vier Kinder Andrea, Laura, Paolo, Renata, dazu einige Enkel. Der Angelo-Zweig hält die Mehrheit; zu ihm gehören die Geschwister Anna, Benedetta, Elisabetta und Gildo, der aktuell starke Mann, sowie deren Kinder. Anna und Paolo vertreten ihre Familienzweige im Board.
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Das nächste Ziel, zwei Milliarden Euro Umsatz, dürfte im laufenden Jahr problemlos fallen. Parfums unter dem Brand Zegna und eine neue Schuhfabrik sollen Volumen und Margen weiter voranbringen, doch der Weg zur schicken Rendite wird ein weiter sein. Peers wie Prada mit ihrer Zweitmarke Miu Miu schreiben 22,5 Prozent Ebit-Marge, Kering-Brand Bottega Veneta fast 20 Prozent, Moncler mit Zweitmarke Stone Island 30 Prozent. Und selbst an dieser Schwelle grüsst Hermès noch von weit oben. Erstes Ziel sollte jedoch die Pflege der Geldgeber, sprich der externen Aktionäre, sein. Im Hauptsitz von Zegna in Mailand ist ein Papier aufgebahrt, das den allerersten Kurs festhält: 10.24 Dollar, 9.39 Uhr am 20. Dezember 2021. Aktuell notiert die Aktie unterhalb von 12 US-Dollar. Da sollte auch König Gildo Handlungsbedarf erkennen.
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