Guten Tag,
Carsten Henkel war einer der mächtigsten Berater der Schweiz. Dann startete er das anspruchsvollste Projekt seines Lebens: seine Transition zu Christina.
«Ich habe zweifelsohne meine Rolle so extrem gelebt, weil ich mir beweisen wollte, dass ich ein Mann bin.»
Anne-Gabriel Jürgens für BILANZAls Christina Henkel am 3. Juni in Marbella abflog, war sie angekommen. Sechs Jahrzehnte lang hatte ihr Leidensweg gedauert, nun erlebte sie den «intensivsten, anstrengendsten und am Ende vielleicht auch schönsten Moment meines Lebens», so Henkel: «In diesem Moment realisierte ich, dass ich am Ziel war.» Als Carsten Bernd war er nach Marbella geflogen. Als Christina Heidi flog sie zurück. Dazwischen lagen zehn Tage, eine aufwendige Gesichtsoperation und lange therapeutische Gespräche.
Henkel (60), einst Schweiz-Chef der Unternehmensberatung Roland Berger und heute CEO ihrer eigenen Firma Skyadivsory, ist eine trans Frau. Henkel kam als Junge zur Welt, aber wegen einer Hormonstörung im Mutterleib wurde sein Gehirn während der Schwangerschaft weiblich programmiert. Ein Fall, der bei 3 von 1000 Babys auftritt. In einem männlichen Körper mit einem weiblichen Gehirn (oder andersherum) zu leben, ist für die Betroffenen eine ungeheure Last. Viele zerbrechen an ihr: 40 Prozent der trans Personen versuchen oder begehen Selbstmord vor dem 30. Lebensjahr. Wer sich für eine Transition entscheidet, also die physische und psychische Geschlechtsanpassung, hat einen jahrelangen Dornenweg vor sich. Letztes Jahr haben in der Schweiz 1171 Personen amtlich ihr Geschlecht geändert. 82 Prozent davon waren jünger als 35; dass jemand die Transition in so fortgeschrittenem Alter wie Henkel begeht, ist sehr selten. Dass es ein ehemaliger Topmanager und heute erfolgreicher Unternehmer tut, ist in der Schweiz einmalig.
Henkel, in Hannover geboren, weiss schon als Kind, das etwas mit ihm nicht stimmt. Permanent beschäftigen ihn ziellos kreisende Gedanken, Henkel spricht von «Brain Fog», Gehirnnebel, und einer «Grundauslastung meines Prozessors». Die Ursache bleibt trotz aller Bemühungen im Dunklen: In den 1980er, 1990er und 2000er Jahren ist das Wissen über Transidentität gering. Sein Handicap macht er wett «mit einer unglaublichen Willenskraft» (Henkel): Er verdrängt, was ihn im Unterbewusstsein permanent quält, arbeitet umso mehr, verfolgt und erreicht seine Ziele konsequent.
Werbung