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Selfmade-Unternehmerin Christine Stucki katapultiert sich mit der Übernahme von Juwelier Kurz in neue unternehmerische Sphären und drückt aufs Tempo.
Führungsduo: Christine Stucki (l.), die neue Inhaberin von Juwelier Kurz, und Kurz-CEO Doris Mancari.
Maya & Daniele Fototeam für BILANZWerbung
Im Mai verkündete Bucherer den Verkauf der Tochter Juwelier Kurz mit acht Filialen. Überrascht hat das nicht gross, denn die Luzerner sind intensiv mit sich selbst beschäftigt, seit sie 2018 den führenden US-Uhrenhändler Tourneau mit 24 sowie Baron & Leeds mit 5 Boutiquen geschluckt haben. Was aber sehr überrascht hat, war die Käuferschaft: Sie heisst Christine Stucki.
Der Name war bis dato kaum jemandem ein Begriff, auch Google nicht. «Ich war immer gern im Hintergrund», erklärt Stucki, «an der Front sind andere.» Die Front, das sind insgesamt 30 Carat-Filialen in Shoppingcentern von Agno über Spreitenbach bis Yverdon mit Modeuhren à la Daniel Wellington und vergleichsweise günstigem Schmuck, alles Stuckis. So weit zum Hintergrund.
Christine Stucki ist Selfmade-Schmuckunternehmerin. Hinter ihr liegt das ganze Panoptikum, das so eine Karriere mit sich bringt. Die einstige Primarlehrerin aus Flawil SG kann ein Lied singen von Erfolg und Misserfolg, Mut und Missmut, auch Wohlstand und Geldnot.
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Sie ist seit 1989 im Schmuckgeschäft selbstständig. Hat damals mit einem Geschäftspartner die IGS mit Sitz in Wollerau gegründet. Davor war sie ein paar Jahre als Einkäuferin von Carmen, der Schmucktochter von Mister Minit, in Fernost unterwegs gewesen. Mit dem gesammelten Bündel an Erfahrungen, Expertise und Kontakten wollte sie selbst ins Bijouteriegeschäft einsteigen. Der Anfang sei hart gewesen, sagt sie, «zu Beginn brauchte ich ein Darlehen von meinem Geschäftspartner, weil ich all mein Erspartes in die Firma investiert hatte».
Stucki rollte das Feld von unten auf, schaffte es in Kaufhäuser wie Epa und ABM und schliesslich mit ihrem Carat-Konzept – dunkles Mobiliar, ausgeleuchtete Vitrinen, edlerer Schmuck – in die Migros. «Ich wollte weiterwachsen», erklärt sie, warum sie 2015 20 Oro-Vivo-Boutiquen in der Schweiz übernommen hat. Zwei Jahre später löste sie zudem das Franchise-Verhältnis mit der Migros auf und holte neun Carat-Filialen unter das IGS-Dach zurück, machte ein Rebranding und lancierte die ganze Gruppe neu.
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Ende 2019 war Stucki, die ihren Kompagnon schon 2003 ausbezahlt hatte, Alleininhaberin eines Filialnetzes mit 29 Carat-Bijouterien und Patronne von 150 Angestellten. Seit dem 1. September 2020 ist der Kurz-Deal nun wirksam und ihr Reich um noch acht Boutiquen und 100 Mitarbeitende grösser. Damit ist Stucki nach Bucherer-Inhaber Jörg Bucherer die bedeutendste private Uhren- und Schmuckhändlerin im Land.
► Kurz ist Anbieter von Uhren und Schmuck im mittleren bis oberen Preissegment, gehörte ab 1989 der Luzerner Bucherer Gruppe. Seit dem 1. September 2020 sind acht von zehn Kurz-Boutiquen im Besitz der IGS. Die erst vor Kurzem eröffneten Kurz-Shops-in-Shop im Globus Zürich und im Globus Genf werden von Bucherer weitergeführt.
► Carat ist mit Uhren und Schmuck im unteren bis mittleren Preissegment positioniert. Die Marke und 29 Filialen in Shoppingcentern gehören ebenfalls der IGS.
► IGS wurde 1989 von Christine Stucki und einem Geschäftspartner gegründet. Seit 2003 besitzt Stucki das Unternehmen allein.
► Als Chefin von 250 Mitarbeitenden und Patronne über 39 Geschäfte ist sie hinter Bucherer-Inhaber Jörg E. Bucherer die bedeutendste private Uhrenund Schmuckhändlerin im Land.
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Im Mai, als der Deal bekannt gemacht wurde, kommentierte Stucki ihn als «einzigartige Gelegenheit». Im Gespräch wird rasch klar, dass für die 63-Jährige mit dieser Akquise etwas wahr wurde, von dem sie nicht zu träumen gewagt hätte: 21 renommierte Uhrenmarken von Chanel über IWC und Omega bis Zenith, eigene Schmucklinien und dazu Kollektionen von Chopard, Ole Lynggaard Copenhagen und Marco Bicego sowie ein Flaggschiff an der Zürcher Bahnhofstrasse. «Kurz ist klar anders positioniert als Carat, und das behalten wir bei», sagt sie mit Blick zu Doris Mancari.
Mancari ist vor sechseinhalb Jahren bei Kurz eingestiegen und hat dort die Uhrendivision aus- und aufgebaut. Seit Anfang 2019 ist sie CEO und will das auch weiterhin bleiben. «Als ich hörte, dass wir verkauft werden, war ich erst einmal baff, da ich es nicht erwartet hatte», erzählt sie, «als ich hörte, dass wir in Familienhand bleiben, war mit klar, dass ich bleibe, und nach dem ersten Treffen mit Christine wusste ich, dass es sich um einen Glücksfall handelt.»
Stucki war auch für Mancari ein No-Name. Das erste Treffen der beiden Frauen hat Ende April stattgefunden, Mitten im Lockdown. Seitens Bucherer wird betont, der Entscheid, Kurz zu verkaufen, habe mit der Corona-Krise nichts zu tun gehabt.
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Stucki sagt, sie habe es Anfang April vernommen. Erster Gedanke: «Zu gross für mich.» Dann nimmt sie Kontakt auf, beginnt zu verhandeln, hat dank Corona Zeit, sich «darauf einzulassen, sich auszutauschen und alles genau anzusehen», und kommt zum Schluss: «Das ist eine super Möglichkeit für mich, mein Geschäft weiterzuentwickeln.» Weiter im eigentlichen Wortsinn: Mit Kurz springt für die Schmuckunternehmerin die Tür auf zu einer zahlungskräftigeren Klientel, die gemäss Mancari zu 90 Prozent aus der Schweiz stammt.
Eine super Möglichkeit: Juwelier Kurz öffnet Carat-Inhaberin Christine Stucki die Tür zu einer neuen, zahlungskräftigeren Klientel.
Maya & Daniele Fototeam für BILANZEine super Möglichkeit: Juwelier Kurz öffnet Carat-Inhaberin Christine Stucki die Tür zu einer neuen, zahlungskräftigeren Klientel.
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Zwischen ihnen habe es sofort «gepasst», sagt Mancari, «wir sind in vielem einer Meinung und verfolgen das gleiche Ziel». Grosse Veränderungen wird es mindestens fürs Erste keine geben: «Es gefällt mir, wie es ist», sagt Stucki über Kurz. Die Stichwörter zur Strategie der nahen Zukunft liefert Mancari: Schmuck und Diamantkompetenz stärken, Weiterentwicklung des Luxussegments an A-Citylagen, E-Commerce aufbauen. Stucki wirft ein, «dynamisch weiterwachsen».
Wie viel sie Bucherer für Kurz bezahlt hat, sagt die Neo-Besitzerin nicht. Auf die Frage, wie sie finanziert habe, antwortet sie: «Mehrheitlich mit eigenem Geld und mit etwas Unterstützung von Banken.» Sie erzählt von Freunden, die ihr rieten, ihr Geld gescheiter für die Pensionierung zu sparen. Sie lacht nur. «Pensionierung? Steht nicht auf meinem Plan.»
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Und Corona? «Ich habe mit 30 Prozent weniger kalkuliert und bin zum Schluss gekommen, dass ich die Situation stemmen kann, auch wenn die Auswirkungen der Pandemie länger andauern sollten.» So viel zum «Feld von unten aufrollen».
Ein weiteres Stucki-Asset für Kurz: Connections. «Sie hat exzellente Beziehungen im Schmuckbereich», sagt Mancari, «da wollen wir Gas geben.» Ende Oktober kommt die erste eigene Schmuckkollektion in die Läden – designed by Stucki und Mancari.
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