Guten Tag,
Der US-Sozialpsychologe Adam Alter und Autor hat das Gefühl erforscht, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Und er weiss, wie man wieder hinausfindet.
Adam Alter am Pool bei sich zu Hause. Er sagt, «ich lebe für den Sommer».
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Das Fotoshooting fand bei ihm zu Hause in Connecticut statt, wo Adam Alter entspannt durch Haus und Garten führte. Das Interview selbst führt er online. Alters Setting: kein Büro, sondern ein Schlafzimmer. Im Hintergrund ein Bett mit blau-weisser Tagesdecke, an der Wand lehnt ein Bild vom Meer, auf dem Fenstersims sind ein paar Bücher drapiert, zuoberst «Anatomy of a Breakthrough». Es ist Alters drittes Werk und verspricht nicht weniger als «How to Get Unstuck» – frei übersetzt: Wie man aus einer Sackgasse rausfindet.
Ich bin in meinem Leben immer wieder stecken geblieben. Einmal ganz krass, als mir mein Professor, bei dem ich im Fach Psychologie doktorierte, mitteilte, dass jemand gerade einen Artikel zu meinem Thema veröffentlicht habe. Ich war total niedergeschlagen. Daraufhin beschloss ich, dass ich nie mehr nur eine, sondern mehrere Sachen machen werde, und zwar lauter solche, die sich voneinander unterscheiden.
Habe ich auch schon gehört. Ich erlebe das anders. Mir gehts bei der Art von Diversifikation vor allem darum, dass ich, wenn etwas zusammenbricht wie einst meine Dissertation, weder finanziell, intellektuell noch emotional auch zusammenbreche.
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Adam Alter ist in Südafrika geboren und aufgewachsen, hat in Australien Psychologie und Jus studiert und an der Princeton University in Psychologie doktoriert. Heute ist er Professor für Marketing an der Stern School of Business der New York University, Unternehmensberater und juristischer Experte diverser Anwaltskanzleien. Über seine Forschung berichtet der Sozialpsychologe regelmässig in der «Washington Post», dem «New Yorker» und der «New York Times», bei der er als «Bestselling Author» gelistet ist, aktuell mit «Anatomy of a Breakthrough», seinem dritten Buch. Alter lebt mit Frau und zwei Kindern in New York.
Ich gehe in der Regel von mir selber aus, sage, okay, hier ist etwas, das ich erlebe. Bin ich der Einzige? Und dem gehe ich dann auf den Grund. Eines der grossartigen Dinge, die ich als Professor tun kann, ist, dass ich eine Umfrage an Tausende von Menschen auf der ganzen Welt verschicken und Daten sammeln kann. Das habe ich getan. Das Ergebnis? Jeder steckt mit oder in irgendetwas fest. Dann dachte ich, ja, aber das waren ja alles ganz gewöhnliche Leute. Was ist mit den Supererfolgreichen in Wirtschaft, Sport und Kultur?
Genau das Gleiche. Feststecken gehört zum Menschsein, ist universell. Und im Zug meiner Forschung, die ich in den letzten 20 Jahren betrieben habe, hat sich herausgestellt, dass es auch ziemlich formelhaft ist, sich aus dieser Klemme zu befreien. Das Buch ist eine Art Fahrplan, schlüsselt auf, was zu tun ist.
Ich habe nicht gesagt, dass es einfach ist. Das Buch hat fast 300 Seiten.
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Feststecken kommt von Untätigkeit und Trägheit. Der Titel des letzten Kapitels meines Buches lautet «Action Above All». Wer nicht handelt, kommt nicht aus der Sackgasse heraus.
Stimmt. Aber wie gesagt, es ist das letzte Kapitel. Typischerweise will jemand, der feststeckt, sofort etwas dagegen unternehmen. Das führt in der Regel aber nur in die nächste Sackgasse. Zuerst muss Mensch erkennen, was es überhaupt heisst festzustecken und wie es sich anfühlt, und das auch mal zulassen und dann Gegensteuer geben, indem man das Heft in die Hand nimmt.
Alters 24 Stunden: Arbeiten (11–16 Uhr), Meetings (9–11 Uhr), Restzeit für sich, Frau und Kids.
Dina Litovsky für BILANZAlters 24 Stunden: Arbeiten (11–16 Uhr), Meetings (9–11 Uhr), Restzeit für sich, Frau und Kids.
Dina Litovsky für BILANZFür mich war es eine Offenbarung herauszufinden: Es ist universell. Nur der Umgang damit ist verschieden. Im Westen fühlen wir uns überrumpelt, wenn etwas in unserem Leben plötzlich nicht mehr läuft. Das geht aus einer ganzen Reihe von Daten hervor, die ich gesammelt habe. Menschen in Ländern wie Japan, Südkorea und China reagieren da ganz anders. Da rauft man sich nicht die Haare im Stil von «Ich kann nicht verstehen, wie ich in diese Situation geraten bin». Sie sagen: «So ist das Leben.» Dieses Ergebnis fand ich ziemlich tiefgründig. Es hat mein Denken über Veränderungen verändert.
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Vor lauter Angst, dass es kein Zurück mehr gibt und man einen Entscheid bereut, wird nicht entschieden. Dabei: Menschen auf dem Sterbebett bereuen in der Regel nicht die Entscheidungen, die sie gefällt haben, sondern die, die sie nicht gefällt haben.
Man sollte sich alle paar Monate die Zeit nehmen, ein Audit über das eigene Leben durchzuführen. Und zwar so, wie es ein smarter Outsider tun würde. Wie verbringe ich meine Zeit? Wo wohne ich? Welche berufliche Laufbahn schlage ich ein? Tue ich Tag für Tag Dinge, von denen ich glaube, dass sie mich in einem Jahr, in fünf Jahren, in zehn Jahren glücklich machen werden? Und so weiter.
Ist man entweder noch sehr jung, ein Glückspilz oder steckt irgendwann total fest. Ich stellte mir solche Fragen erstmals mit 29. Der Gedanke, wie schnell die Zeit vergangen war, bis ich fast 30 war, und wie schnell der Rest meines Lebens vorbei sein würde, hat mich total geflasht und paralysiert. Daraufhin habe ich ein Fundraising gestartet für eine medizinische Einrichtung und auch angefangen, mich auf einen Marathon vorzubereiten.
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Stimmt. Unter denen, die erstmals einen Marathon laufen, sind Leute mit einer 9 in der Alterszahl übervertreten. Und die, die schon mehrere Marathons gelaufen sind, absolvieren den in dem Jahr, da sie eine 9 im Alter haben, schneller als die davor. Die Schwelle in ein neues Jahrzehnt rüttelt definitiv auf. Auch die Selbstmordrate steigt bei den sogenannten «nine-enders», und sie sind auf Datingplattformen für aussereheliche Beziehungen übervertreten.
Unternehmen, die in ihrem Bereich gross, dominant und alteingesessen sind, neigen schon aufgrund dieser Attribute dazu, reaktiv zu sein. Wenn man sich anschaut, wie viele verschiedene Branchen sich mit generativer KI auseinandergesetzt haben, gibt es ein paar wenige, die ganz zu Beginn sagten: «Hier ist ein Team, findet heraus, was die verschiedenen Implikationen für uns sind. Wie können wir das nutzen? Wie maximieren wir den Wert davon? Was sind die Kosten?» Traditionsreiche Branchen tendieren dazu, abzuwarten und erst einmal zu schauen, was bei denen passiert, die sich damit befassen.
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Durchaus. Aber nicht, wenn man erstarrt vor einer Entscheidung oder einem Task. Da hilft nur, sich den Worst Case auszumalen, der auf den ersten Schritt folgen könnte. Wenn die Möglichkeit besteht, das Rad zurückzudrehen, oder wenn man merkt, dass man mit den Folgen des Worst Case leben kann, sollte man einfach loslegen. Gerade wenn so tiefgreifende Dinge geschehen wie gerade mit KI, gibt es eigentlich nur eins: so schnell wie möglich das Beste und das Schlimmste daran für sich herauszufinden. Dafür braucht es smarte Köpfe. Leute, die den Kern des Unternehmens beäugen, alles in Frage stellen und auch zurechtweisen.
Ich spreche viel über den Mythos der radikalen Originalität, also die Vorstellung, dass es etwas von Grund auf Neues gibt und dass der, der es als Erster findet, den Erfolg auf sicher hat. Das ist eine Mär, gibt es in der Geschäftswelt nicht. Zeigen Sie mir ein Produkt, und ich zeige Ihnen die zehn Produkte, die davor waren, um es zu dem zu machen, was es ist. Jeder, der Ihnen erzählt, dass er radikal originell sei, redet nur heisse Luft.
★ USA oder Australien? Schwierig! Ich wähle Australien, bin immer noch Fan einiger Sportteams.
★ Sushi oder Steak? Sushi. Ich esse kein rotes Fleisch.
★ Biden oder Trump? Biden, aber ich werde das nicht ausführen.
★ Berge oder Meer? Meer. Ich bin am Meer aufgewachsen und lebe am Meer.
★ ChatGPT oder Google? Fragen Sie mich das bitte in fünf Jahren. Für jetzt: Google.
★ Smoking oder Trainer? Trainer. Ich renne pro Woche 50 bis 100 km, ein Smoking ist nicht auf meinem Menü.
★ Elon Musk oder Mark Zuckerberg? Keiner von beiden. Aber wenn ich einen wählen muss: Zuckerberg.
★ «Financial Times» oder «Washington Post»? «WaPo». Eine solide Zeitung mit einer starken Meinungsseite.
★ iPhone oder Samsung? iPhone, seit 2008.
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Nehmen wir die erfolgreichsten Unternehmen, die grossen Technologieunternehmen etwa: Keines von ihnen ist die erste Iteration. Google war die 23. Suchmaschine. Amazon war nicht der erste Onlinebuchhändler. Gleiches gilt für den Musikdienst Spotify. First Movers sind in der Regel nicht diejenigen, die den Durchbruch schaffen, sondern es sind die zweiten, dritten oder zwanzigsten, die sich mit einem Produkt oder Service befassen – notabene ohne etwas davon je erfunden zu haben.
Erstens: Etwas völlig Neues machen zu wollen, ist ein sicheres Rezept für Lähmung. Ich habe Dutzende Start-ups und Unternehmer beraten, die alle nach etwas Neuem und anderem gesucht haben. Eine ihrer wichtigsten Blockaden war, dass sie etwas von Grund auf Neues finden wollten. Statt nach einer Innovation zu suchen, die auf etwas aufbaut, das Kunden gerade brauchen, suchten sie nach radikalen Innovationen, die kein Mensch will. Zweitens: Timing ist wichtig. Es ist schlecht, wenn man zu spät kommt, aber auch, wenn man mit einer Idee der Zeit voraus ist. Drittens: Die grössten Erfolge gründen darauf, dass zwei oder mehr existierende Elemente neu kombiniert werden, oder auf einer besseren Version von etwas, das noch nicht perfektioniert ist.
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Gut oder nicht gut – es ist einfach so. Von nichts kommt nichts. Wo nichts ist, kann nichts entstehen. Alles baut auf etwas auf. Ich habe vor 20 Jahren damit angefangen, aufzuschreiben, wenn ich von einer interessanten Idee höre oder selber eine habe. Das sind inzwischen viele Hunderte in meinem Archiv.
Wenn Sie nun zu mir sagen würden: «Morgen musst du dir eine Geschäftsidee einfallen lassen», würde ich dieses Dokument zur Hand nehmen, drei dieser Ideen heraussuchen und mich fragen: Wie könnte ich diese drei Ideen auf eine Weise kombinieren, wie sie noch niemand zuvor kombiniert hat? Eine gute Geschäftsidee erfordert keine Originalität. Sie erfordert das Gegenteil.
Alle konzentrieren sich darauf, Produkten und Dienstleistungen Funktionen hinzuzufügen, um mehr Rendite herauszuholen. Ich fokussiere mich stattdessen auf Friction Audit, also darauf, herauszuschälen, wo Sand im Getriebe ist, wo die Ecken und Kanten sind, wo die Hindernisse. Und das dann auszubessern. Das bringt viel mehr, als sich darauf zu fokussieren, den Leuten ein besseres Angebot zu machen. Wenn man sich verbessern will, ist das Entscheidende nicht, Geld zu investieren, sondern Erkenntnisse zu gewinnen.
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La bella vita.
Dina Litovsky für BILANZLa bella vita.
Dina Litovsky für BILANZEs gibt zwei Ansätze, die besonders zielführend sind. Erstens: Man holt ein «gutes schwarzes Schaf» von aussen ins Team. Das bringt oft mehr als exzellente Inhouse-Experten, insbesondere wenn diese bereits den zweiten oder dritten Anlauf nehmen müssen. Oder zweitens: Man setzt auf Crowdsourcing. Man fragt Leute um Rat, die man nie zuvor gesehen hat, am besten Tausende. Crowdsourcing ist übrigens nichts Neues. 1714 schrieb die britische Regierung eine Geldsumme aus für den Menschen, der eine Idee finden würde, um die Position von Schiffen auf dem Meer zu tracken, je genauer, desto höher war die Belohnung. Zu so etwas war damals nur die Regierung in der Lage, eine der wenigen Institutionen, die im 18. Jahrhundert eine Crowd erreichen konnte.
Wenn Sie sich um ein Produkt oder um einen Service bemühen und feststecken, gibts nur eins: Sie müssen auf Quantität von Ideen setzen. Je mehr Sie davon generieren, desto besser wird das, was dabei herauskommt. Der erste Gedanke ist in der Regel nicht der beste. Das gilt generell: Je mehr man unternimmt, wenn man festsitzt, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Aktion dabei ist, die einen wirklich voranbringt. Qualität und Quantität bedingen sich gegenseitig. Sie hängen in hohem Mass von der Fähigkeit ab, seine eigenen Filter und Hemmungen zu reduzieren und den Horizont zu öffnen.
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Ohne Scheitern kein Wachstum. Nur: Wie viel Scheitern ist zuträglich? Das ist untersucht worden. Die Antwort: 15 bis 25 Prozent. Heisst, ganz gleich, für was für eine Handlung oder Aktion Sie sich entscheiden, idealerweise sollten Sie in etwa einem von vier Fällen zum Schluss kommen: «Das ist nicht das, wonach ich gesucht habe. Das war ein Fehlschlag. Das hat nicht geklappt.» Misserfolge sind ein Zeichen, dass man auf dem Weg zum Erfolg ist.
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