Guten Tag,
Aus einer klaren Ansage, mit Ehrgeiz und kreativem Genie ist aus etwas Schönem etwas Herausragendes geworden: eine Tour d’Horizon.
CEO Laurent Dordet (r.) und Kreativchef Philippe Delhotal halten bei La Montre Hermès die Zügel in der Hand – und treiben die Marke tritt sicher vorwärts.
Lea Melenberg, PR / Montage BilanzWerbung
Man muss den Weg kennen, um an dieses Ziel zu gelangen: Die Fabrik von La Montre Hermès liegt versteckt am Ende einer Sackgasse in Le Noirmont JU. Sie ist ein unscheinbarer, zweistöckiger Flachbau ohne Anschrift, und nur die Sicherheitsschranke vor der Einfahrt zum Parkplatz lässt darauf schliessen, dass hier etwas von Wert entsteht.
Und dem ist so: Hier stellt die französische Luxusfirma Hermès Zifferblätter und Gehäuse für ihre Uhren her. Das eine wie das andere wurde bis vor gut zehn Jahren von externen Anbietern zugeliefert. Dann wurde in der Zentrale in Paris entschieden, die beiden Spezialisten zu kaufen und das Know-how – sowie die Kontrolle – im eigenen Haus zu haben: Zuerst einigte man sich mit der Zifferblattmanufaktur Natéber, ein Jahr später mit dem Gehäusefabrikanten Joseph Erard. Seit 2017 firmieren die beiden als «Les Ateliers d’Hermès Horloger» unter dem Flachdach in Le Noirmont.
Zwei Abteilungen, zwei Welten: Im Gehäusebau riecht es nach Metall und Maschinenöl, es wird gestanzt, geprägt, gefräst, geschliffen und poliert, und es ist mitunter so laut, dass keine Konversation möglich ist. In den Ateliers, wo Zifferblätter aus Messing galvanisiert, lackiert, emailliert, graviert und mit Indexen, Mustern und Edelsteinen bestückt werden, ist es dagegen sehr still, denn feine Arbeit braucht Ruhe.
Gehäuse und Zifferblätter werden eine Autostunde entfernt, im Hauptsitz von La Montre Hermès in Brügg bei Biel, zu Uhren vollendet. Auch hier dominiert der Flüsterton. In einem Atelier, halb Sous- halb Parterre, werden Uhrenarmbänder aus Leder hergestellt, nach allen Regeln der Kunst, wie sie in den Werkstätten in Paris Standard sind: feinste Leder, traditionelles Savoir-faire – Handarbeit gilt Maschinen als haushoch überlegen. Das gilt auch zwei Etagen über dem Lederatelier, in der Endmontage der Uhren. Hier setzen Uhrmacher die Werke in die Gehäuse ein, montieren die Zeiger, regulieren, prüfen und testen mehrheitlich nach dem Prinzip, wie bei Hermès auch Kelly Bags hergestellt werden: ein Mensch, eine Uhr.

Das Headquarter von La Montre Hermès in Brügg bei Biel. Unter dem Dach mit dem stolzen Reiter arbeiten Management, Administration, Lederkunsthandwerker und Uhrmacher – 190 Menschen total.
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Das Headquarter von La Montre Hermès in Brügg bei Biel. Unter dem Dach mit dem stolzen Reiter arbeiten Management, Administration, Lederkunsthandwerker und Uhrmacher – 190 Menschen total.
PRDie Stimmung ist in Le Noirmont und in Brügg die gleiche: Besuch wird mit freundlichen Blicken gewürdigt, einige lassen die Arbeit ruhen und wollen gefragt werden, was und warum und seit wann sie hier arbeiten. Sie antworten ausführlich, auch mit Anekdoten und Vorgeschichten. Beim Fazit sind sie unisono: Sie lieben, was sie tun, und sind stolz, es für Hermès zu tun.
Das ist leicht nachzuvollziehen: La Montre Hermès ist im vergangenen Jahrzehnt in eine neue Sphäre aufgerückt, diese Zeitmesser gelten in der Welt der Luxusuhren inzwischen als Wunderkinder. Sie haben einen Vater und einen Paten.
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Der Vater ist Philippe Delhotal. Er ist 2008 nach Stationen bei Piaget, Jaeger-LeCoultre und zuletzt bei Patek Philippe als Kreativchef zu Hermès gewechselt mit dem Auftrag: «Seien Sie uhrmacherisch mit den Besten auf Augenhöhe, aber in allem anderen anders», erzählt er. Delhotals Dreh heisst, die Technik in den Dienst der Erzählkunst zu stellen. Seinen ersten grossen Wurf präsentierte er 2011 mit der Arceau Le Temps Suspendu: Sie macht den Traum, die Zeit auf Wunsch anhalten zu können, wahr, wenigstens äusserlich. Mit einem kleinen Drücker bei 9 Uhr lässt sich die Zeitanzeige auf dem Zifferblatt stoppen, während das Uhrwerk im Hintergrund weiterläuft. Nach erneutem Betätigen des Drückers sind die Zeiger wieder à jour.
Arceau Le Temps Suspendu
Bei dieser Uhr lässt sich per Knopfdruck bei 9 Uhr die Zeit anhalten, zumindest äusserlich.
PRArceau Le Temps Voyageur
Eine Weltzeituhr mit eigenem Konzept: Die zweite Zeitzone wird auf eine poetische und intuitive Weise dargestellt – auf einer stilisierten Weltkarte, die sich auf dem Zifferblatt dreht.
PRLe Temps Suspendu war der Anfang einer ganzen Reihe von Komplikationen, die technisch raffiniert und zugleich verspielt sind im Umgang mit dem Thema Zeitmessung. «In einer Welt mit grossen Mitspielern haben wir nur eine Chance, wenn wir sehr anders sind», lautet Delhotals Mantra.
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Die Kollektion «Arceau» – rundes Gehäuse mit asymmetrischen, an Steigbügel erinnernden Bandanstössen – hat er seither gross bespielt. 2019 mit der L’Heure de la Lune, einer Mondphasenkomplikation, die alles Bekannte auf den Kopf stellt. Zeit- und Datumsanzeige wandern auf je einem Hilfszifferblatt über das Zifferblatt, verdecken und enthüllen nicht einen, sondern zwei Monde – den der nördlichen und den der südlichen Hemisphäre. Damit schaffte es Hermès auf den Radar von Sammlern: Die Begeisterung war gross, die Uhr wurde bestellt, noch bevor sie in den Geschäften war.

Arceau L’Heure de la Lune
Eine Mondphasenkomplikation, die alles Bekannte auf den Kopf stellt: simultane Anzeige der Mondphasen für die nördliche und die südliche Hemisphäre.
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Arceau L’Heure de la Lune
Eine Mondphasenkomplikation, die alles Bekannte auf den Kopf stellt: simultane Anzeige der Mondphasen für die nördliche und die südliche Hemisphäre.
PRDass Sammler die Marke heute begehren, liegt vor allem daran, dass Hermès-Uhren im Wortsinn herausragend geworden sind. 2024 betrat Delhotal schliesslich die Königsklasse der Uhrmacherkunst: die Minutenrepetition. Diese komplexe Funktion, die grosse Spezialität von Patek Philippe, lässt auf Knopfdruck die Zeit – Stunden, Viertelstunden und Minuten – erklingen, indem winzige Hämmer auf fein gestimmte Tonfedern schlagen. Auch das löste Delhotal im Sinn seines Auftrags anders: Das mechanische Schlagwerk der Arceau Duc Attelé ist nicht wie üblich auf der Unterseite der Uhr montiert, sondern liegt offen auf dem Zifferblatt und wird zudem mit einem Dreifach-Tourbillon kombiniert. Die Hämmerchen haben als Hommage auf die Wurzeln des Hauses die Form von kleinen Pferdeköpfen. Und der Käfig des Tourbillons ist ein Gitter aus dem berühmten Doppel-H. Das Begehren ist gross, die Wartezeit lang: «Wir brauchen zwei Jahre, um diese Uhr herzustellen», sagt Delhotal.
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Arceau Duc Attelé
Mit der Uhr betrat Hermès 2024 die Königsklasse der Uhrmacherei: die Minutenrepetition, welche die Zeit – Stunden, Viertelstunden und Minuten – anzeigen kann.
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Arceau Duc Attelé
Mit der Uhr betrat Hermès 2024 die Königsklasse der Uhrmacherei: die Minutenrepetition, welche die Zeit – Stunden, Viertelstunden und Minuten – anzeigen kann.
PRIm Frühling 2025 schliesslich hat er Uhrenaficionados mit der Arceau Rocabar de Rire hingerissen. Deren Zifferblatt zeigt ein Pferd, das aussieht wie fotografiert. Der Hintergrund ist aus einzelnen aufgeklebten Rosshaaren gemacht und erinnert an die kultigen Rocabar-Decken von Hermès. Für das Pferd selbst kommen traditionelle Gravurwerkzeuge zum Einsatz, um die Form zu modellieren. Mit zahlreichen Schichten von Mikrobemalung entstehen dann eine Palette an Farben und Texturen und ein Pferd, das aussieht wie lebendig. Das Entzücken aber steckt im Drücker bei 9 Uhr: Wird er gedrückt, streckt das Pferd seine Zunge heraus. Diese Edition ist auf 12 Stück limitiert, jedes kostet 159’000 Franken – und alle sind bereits verkauft.

Arceau Rocabar de Rire
Eine augenzwinkernde Demonstration des Savoir-faire: Auf Knopfdruck streckt das schöne Pferd die Zunge heraus.
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Arceau Rocabar de Rire
Eine augenzwinkernde Demonstration des Savoir-faire: Auf Knopfdruck streckt das schöne Pferd die Zunge heraus.
PR«Wir haben viele Fortschritte gemacht und werden noch viele machen», ergreift nun Laurent Dordet das Wort. Er ist der Pate der Wunderkinder. Seit 2015 dirigiert er die Uhrensparte als CEO und ist schon seit 30 Jahren bei Hermès. Angefangen hatte er damals in der Finanzabteilung, zuletzt verantwortete er das Herzstück der Maison, das Lederwarengeschäft. Er und Delhotal arbeiten Hand in Hand, und sie gehen den Weg Schritt für Schritt. Ihr Ziel: «Wenn in zehn, zwanzig Jahren grosse Uhrensammler und Uhrensammlerinnen zehn Marken nennen müssen, von denen sie träumen, dann soll Hermès genannt werden.»
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Inzwischen hat er nahezu die ganze Wertschöpfungskette unter seiner Kontrolle. Er betont das «Nahezu», es ist Dordet sehr wichtig: «Wenn wir sagen, etwas ist in der Schweiz gemacht, ist es auch in der Schweiz gemacht, wenn wir sagen, es ist in Frankreich gemacht, ist es in Frankreich gemacht, und wenn wir mit einem Partner arbeiten, behaupten wir nicht, dass das alles von uns ist.» Dergleichen können längst nicht alle Mitspieler von sich behaupten.
Ein Blick auf die Analysen von LuxeConsult und Morgan Stanley gibt eine Vorstellung davon, was das Duo inzwischen bewegt hat: Der Output ist von 250’000 auf 70’000 Uhren reduziert worden, und der Durchschnittspreis ist von rund 2000 auf 8300 Franken gestiegen. Alle Modelle – «logischerweise mit Ausnahme der Faubourg» (Dordet) – entstehen in der Schweiz. Der Umsatz ist von 163 Millionen Franken 2008 auf 577 Millionen Franken im Jahr 2024 gestiegen. Damit liegt Hermés im Morgan-Stanley-Ranking der umsatzstärksten Uhrenhersteller auf Rang 13, vor Chanel, Bulgari und Jaeger-LeCoultre.
«Es ist sehr befriedigend, wenn die Welt sieht, was man erreicht hat», kommentiert Dordet die Statistik und relativiert sein Zutun im gleichen Atemzug, «wir haben aber ja auch vieles vorgefunden, um daraus etwas Kohärentes zu machen.» Tatsächlich reicht die Geschichte von Uhren bei Hermès weit zurück. 1928 schon verkaufte man Zeitmesser unter eigenem Namen und mit eigenen Lederarmbändern, im Innern Werke von Schweizer Herstellern wie Movado, Jaeger-LeCoultre und Vacheron Constantin. 1978 gründete Jean-Louis Dumas, bis 2006 Patron von Hermès und Mastermind der Transformation des traditionellen Lederwarenhauses in einen der weltweit führenden, diversifizierten Luxuskonzerne, die Tochtergesellschaft La Montre Hermès in Brügg. Lange war das Uhrenangebot des Hauses vor allem stilistisch geprägt. Der Fokus lag auf Quarzuhren mit eigenständigem Design und hat ein paar Klassiker hervorgebracht, wie die Cape Cod und die Heure H.
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Die Geschichte von Vaucher Manufacture Fleurier und La Montre Hermès ist eng mit den strategischen Ambitionen des Pariser Luxuskonzerns verbunden, im Uhrensegment vom Accessoire zu echter horologischer Kompetenz aufzusteigen. Vaucher, gegründet 2003, gehört der Sandoz Family Foundation, zusammen mit der Uhrenmarke Parmigiani Fleurier. Vaucher gilt als eine der feinsten Adressen für exklusive mechanische Werke und beliefert die Crème de la Crème der Schweizer Luxusuhrenhersteller. 2006 hat Hermès 25 Prozent an Vaucher übernommen. Die letzten Jahre waren von Unsicherheit geprägt. Immer wieder wurde spekuliert, dass die Stiftung ihren «Pôle Horloger» verkaufen wolle, als höchst interessiert galt unter anderen LVMH. Im Herbst 2025 wurden die Gerüchte mit dem Bekenntnis begraben, dass die Stiftung das Uhrengeschäft behalten wird. Vaucher bleibt damit ein unabhängiger, sehr exklusiver Motor im Hintergrund der Schweizer Luxusuhrenwelt – und Hermès einer der wenigen diversifizierten Luxusgüterkonzerne, die es geschafft haben, ihre Uhrensparte in die Liga der ernst zu nehmenden Manufakturen überzuführen.
Richtig ernsthaft betreiben die Franzosen die Uhrmacherei aber noch keine zwei Jahrzehnte. Das Selbstverständnis heute: «Unsere Obsession ist es, technisch exzellent zu sein und dabei etwas zu bringen, das ganz anders ist als das, was schon existiert» sagt Dordet. Eine wichtige Wegmarke hierfür war die Investition in den Werkebauer Vaucher, einen der besten Hersteller mechanischer Uhrwerke überhaupt. Hermès gehören 25 Prozent (siehe Seite 129). Noch stecken in rund der Hälfte aller Hermès-Zeitmesser Quarzwerke, Tendenz weiter abnehmend.
Nun steht ein neuerlicher Kraftakt bevor: Am Standort in Le Noirmont wird bis 2028 ein Neubau mit Platz für 100 weitere Mitarbeitende errichtet. Die Botschaft: Delhotal und Dordet erwarten viel von der Zukunft. Und offenbar spielt die Führungsriege im zwar börsenkotierten, aber nach wie vor familiendominierten Konzern mit und hält Kurs, auch wenn der Wind dreht, wie gerade. Mit Laisser-faire hat das aber nichts gemein: Dordet und Delhotal haben in Brügg und Le Noirmont zwar ihr eigenes Reich, und Delhotal betont, dass er in seiner Arbeit frei ist – jede Kollektion, jedes Detail, jede Innovation kann aus seiner Vorstellungskraft entstehen –, dass aber alles überwacht wird: Paris sieht alles, validiert alles und macht Vorgaben. Darauf verlässt er sich auch: «Ein Kreativer ohne Vorgaben funktioniert nicht.» Nicht für alle Vorschläge bekommt er grünes Licht: «Wenn eine Idee kommerziell zwar funktionieren würde, aber nicht ausreichend energetisierend ist, machen wir es nicht.»
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In Le Noirmont wird bis 2028 eine neue Manufaktur gebaut: Auf den 11’000 Quadratmetern haben zu den bestehenden 150 dann weitere 100 Mitarbeitende Platz.
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In Le Noirmont wird bis 2028 eine neue Manufaktur gebaut: Auf den 11’000 Quadratmetern haben zu den bestehenden 150 dann weitere 100 Mitarbeitende Platz.
PRDordet und Delhotal sind kein Gespann aus CEO und Kreativchef, die sich abwechseln. Sie treten gemeinsam auf, man spürt, dass hier kein Spannungsverhältnis herrscht, sondern geteilte Verantwortung. Dordet sorgt für Legitimität, für Strukturen, für die wirtschaftliche Basis. Delhotal verwandelt diese Basis in Zeitmesser, die überraschen. Sie haben viel erreicht und wollen noch viel mehr. «Es gibt immer noch Dinge, die wir nicht ausreichend beherrschen», sagt Dordet, «da müssen wir uns verbessern, Savoir-faire aufbauen und integrieren.» Zum Beispiel? «Wir haben einige konkrete Ideen technischer Natur, die wir noch nicht realisiert haben, und sind gerade an einem Projekt», sprudelt es aus ihm heraus. Er blickt zu Delhotal und beendet den Satz dann mit: «Ja, ein Projekt eben.» Man darf gespannt sein.
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