Abo
Zur Lage der Uhrennation Schweiz

«Man darf nicht alles schwarz malen.»

«Aber man kann auch nicht erwarten, dass der Markt wächst wie wenn nichts wäre.» Branchenkenner und Inhaber von LuxeConsult, Oliver Müller, über Exportzahlen, einen frommen Wunsch und das Rezept zur Schadensbegrenzung.

Iris Kuhn Spogat

<p>Oliver Müller ist Branchenkenner und Inhaber von LuxeConsult.</p>

Oliver Müller ist Branchenkenner und Inhaber von LuxeConsult.

Guillaume Megevand

Werbung

Herr Müller, welche Zahlen stehen für Sie eigentlich im Fokus für qualitative Aussagen zum Zustand der Schweizer Uhrenbranche?

Angefangen wird mit den Exportzahlen von Neu-Uhren, die zwar nicht Verkäufe an Endkunden bedeuten, sondern an Grossisten und dann an Detailhändler. Die Schwierigkeit ist es, die Zahlen richtig zu interpretieren, denn sie sind logischerweise zeitverschoben gegenüber den realen Abverkäufen. Dann schaue ich mir immer die aktuellen Wiederkaufswerte auf dem sogenannten sekundären Markt an, denn das zeigt ganz klar, welche Marken nachgefragt sind. Wenn zum Beispiel eine Marke durchs Band mit Preisabschlägen um 40 Prozent bewertet wird, heisst das, dass die Abverkäufe an Neu-Uhren nicht eine steigende Tendenz aufweisen können.

Quod erat expectandum: Im September zeigen die Export-Zahlen in die USA einen steilen Sinkflug. Minus 55 Prozent, verglichen mit September 2024. Wie wird die Schlussrechnung am 31.12. im grössten Markt für die Schweizer Uhrenindustrie aussehen?

Im April wurde eine Rekordzahl mit +149 Prozent gegenüber dem Vorjahr registriert, und im Mai lag die Steigerung noch bei +45 Prozent. Ich schätze, dass die Zuwachsrate des amerikanischen Marktes sich bei einer einstelligen Zahl einpendeln wird, also wieder «normaler» wird. Momentan laufen die Abverkäufe auf einem hohen Niveau, weil viele Kunden noch von tieferen Preisen profitieren wollen. 

Partner-Inhalte

Die vollen Lager insbesondere in den USA sind ja bald einmal aufgebraucht - und dann? 

Die vollen Lager, die nach der ersten Ankündigung Trumps im April von den Marken aufgebaut wurden, waren natürlich nur ein Pflaster. Erhofft wurde ein rascher Abschluss neuer Verhandlungen, die aber weiterhin ein frommer Wunsch auf Schweizer Seite sind. Dann werden die wenigen Marken, die noch nicht an der Preisschraube gedreht hatten, gezwungen sein, ihre Preise anzupassen.

Nach China legten die Exporte um 17,8 Prozent zu. Gibt es wider Ihre Erwartungen doch ein Licht am Ende des Tunnels?

Ohne China sehen die September-Zahlen fantastisch aus, und mehrere CEOs bedeutender Marken haben mir auch bestätigt, dass der September ein sehr guter Monat geworden ist, für gewisse Marken sogar rekordverdächtig. Aber es ist gewagt, daraus eine Tendenz bis Jahresende herauszulesen. Ich hoffe, wir bleiben auf diesem Trend und schliessen das Jahr besser ab, als wir es angefangen haben. 

Ohne die USA hätte die Industrie ein Exportplus von knapp 8 Prozent erzielt - die Stimmung ist also nicht überall düster. Richtig?

Ja, absolut, es gibt Lichtblicke in Asien, im Mittleren Osten und auch in Europa. Wie gesagt, man darf nicht alles schwarzmalen, aber man kann auch nicht erwarten, dass der Markt wächst wie wenn nichts wäre. Die geopolitische Situation weltweit bringt Unsicherheit, und das ist Gift für die Konsumation. 

Werbung

Ist es überhaupt möglich, einigermassen unbeschadet durch die Krise zu kommen? Wenn ja, mit welchem Rezept?

Man kann den Schaden reduzieren, indem man rechtzeitig aufs Bremspedal tritt und seine Produktion früh genug reduziert, um zu vermeiden, dass sich plötzlich Lager aufbauen, die dann mit Discounts wieder abgebaut werden müssen. Eins darf man bei all den Zahlen, die Sie in den vorhergehenden Fragen erwähnt haben, nicht vergessen: Es sind keine Verkäufe an Endkunden. Man muss sie vorsichtig interpretieren und hoffen, dass die Tendenz an der Verkaufstheke dieselbe positive Richtung nimmt.

Wie entwickelt sich der Secondhandmarkt, und was für Schlüsse ziehen Sie daraus?

Sehr positiv, und ich hatte 2022 prognostiziert, dass dem so sein würde. Also bedeutend höhere Wachstumsraten beim sekundären Markt als beim primären Markt für Neu-Uhren. Aber man muss wiederum aufpassen, aus einer Tendenz nicht die falschen Schlüsse zu ziehen. Wenige Marken machen den Grossteil des Transaktionswertes aus. Drei Marken - Rolex, Patek Philippe und Audemars Piguet - machen wertmässig immer noch mehr als die Hälfte dieses Marktes aus, weil sie am meisten «Trophy-Uhren» haben. Man kann auch sagen, dass die GenZ und die Millennials leichter zu haben sind für eine Secondhanduhr als die vorhergehenden Generationen. Der Generationenwechsel und die Digitalisierung des Marktes, die mehr Transparenz bei der Preisgestaltung und Marktdynamik gebracht haben, sind die zwei Wachstumstreiber dieses Marktes. Und das CPO-Geschäft ist das dritte und positive Element, weil es Vertrauen geschaffen hat. 

Werbung

Zum Schluss: Die Preisvergabe am Grand Prix de l’Horlogerie de Genève steht bevor. Sie sind gegenüber dem Happening recht kritisch. Warum?

Weil es meines Erachtens zu wenig repräsentativ ist und zudem von Leuten animiert wird, die für Uhren null Passion haben. 

Keine Passion? Wie kommen Sie darauf?

Wenn der Präsident dieser Veranstaltung Interviews gibt und ein chinesisches Billigstprodukt am Handgelenk trägt, ist das eine Ohrfeige für die Branche, die ihn bezahlt. Es kann nicht sein, dass von den Top-10 der Schweizer Uhrenindustrie im besten Fall drei Marken dabei sind. Zudem gibt es meines Erachtens zu viele «serial winners», also Marken, die systematisch jedes Jahr eine oder mehrere Trophäen nach Hause tragen. Aber: Positiv ist, dass viele Reformen in die Wege geleitet wurden und die Roadshow, die aktuell auf mehreren Kontinenten stattfindet und bei der alle nominierten Uhren präsentiert werden, ein sehr positives Image unserer Industrie sendet. Der Name «Genève» im Namen der Veranstaltung ist ein ganz starkes Argument am anderen Ende der Welt - und als Marke sehr wertvoll wie das «Swiss» vor dem «Made».

 

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Werbung