Abo
Zur Lage der Uhrennation Schweiz

«Es gibt zu viele bedeutungslose Marken»

Uhrenexperte Oliver Müller, Inhaber von LuxeConsult, über Kreativität, taumelnde Zulieferer und das nächste grosse Ding.

Iris Kuhn Spogat

<p>Der Brancheninsider und Inhaber der Genfer LuxeConsult gibt einmal im Monat Kommentare und Einschätzungen zum Geschehen in der Uhrenbranche.</p>

Der Brancheninsider und Inhaber der Genfer LuxeConsult gibt einmal im Monat Kommentare und Einschätzungen zum Geschehen in der Uhrenbranche.

Guillaume Megevand

Werbung

Herr Müller, lassen Sie uns mit einer Good News starten! Haben Sie eine?

Partner-Inhalte

Ich sehe viel Positives, zum Beispiel, dass sich grosse und etablierte Marken viel Mühe geben, mit der jungen Generation anzuknüpfen. Es gibt auch neue, interessante Marken und Produkte. Man hat seit den Siebzigerjahren nie mehr so viel Kreativität erlebt wie zurzeit. Schauen Sie sich nur die vielen Farben an, die plötzlich aufpoppen, anstelle vom üblichen Schwarz, Silber und Braun. 

Das erste Halbjahr ist vorbei. Ihr Resümee als Industrie-Analyst?

Ein kurzes Aufflammen der Exportzahlen im April mit Rekordzahlen in den USA, weil alle Marken nach Trumps «Liberation Day» am 2. April massive Lieferungen dorthin gemacht haben. Aber der Effekt war dann natürlich im Mai schon vorbei. Demzufolge sehen die Zahlen per Ende Mai noch nicht allzu schlecht aus. Aber ab September wird es richtig ernst, und ich erwarte eine einstellige Minuszahl Ende Jahr – wohlgemerkt im Durchschnitt. Bei gewissen Marken wird der Vorjahresvergleich mit einem zweistelligen negativen Prozentsatz enden. 

Wie schätzen Sie die Dinge im zweiten Semester ein? 

Ich hoffe, dass in den USA ein wenig Normalität einkehrt und sie mit ihren wichtigsten Handelspartnern, vor allem China, über die Strafzölle einig werden. Damit kann die Konjunktur wieder Fahrt aufnehmen und Zuversicht in die Zukunft einen Stimmungsumschwung bei den Konsumenten bewirken. Ich hoffe auch, dass wir nicht mit den ursprünglich angekündigten 31 Prozent abgestraft werden, sondern bei 10 Prozent bleiben. Damit können wir bis zum nächsten Präsidentenwechsel 2029 leben.

Werbung

Ein Dollar ist jetzt gerade noch 80 Rappen wert. Auf Touristen, die sich hier eine Uhr kaufen, um den Strafzöllen zu entgehen, mag jetzt niemand mehr setzen. Müssen die USA als Wachstumstreiber der Branche abgeschrieben werden?

Es gibt zum Glück noch andere Märkte, die trotzdem Schweizer Uhren kaufen und Touristen, die im Ausland von günstigeren Preisen profitieren. Die USA bleiben unser wichtigster Exportmarkt, und ich erwarte, dass wir weiterhin wachsen werden, weil Uhren im Vergleich zu anderen Luxusgütern immer noch Aufholpotenzial haben. Aber man darf natürlich nicht erwarten, dass wir dieselben Wachstumsraten haben werden wie in den vier Jahren nach Covid.

«Wir erleben den perfekten Sturm» – war Ihr Urteil vor einigen Monaten. Sehen Sie das heute noch so? Oder nähert sich die Sturmstärke einem Orkan? 

Es ist ein Sturm, der für gewisse Marken, aber vor allem für Zulieferer existenzbedrohend wird. Deren Situation wird sich massiv verschlechtern, sobald die Kurzarbeitsentschädigungen wegfallen. Der Bundesrat hat am 14. Mai 2025 entschieden, die Dauer von 12 auf 18 Monate zu verlängern. Wenn die Stütze wegfällt, ist bei vielen Zulieferern im Jurabogen und in Genf die Luft draussen. 

<p>«Konkret sehe ich einige wenige Überflieger, einige Nischenplayer und ein Mittelfeld, das sich stark verkleinern wird.»</p>

«Konkret sehe ich einige wenige Überflieger, einige Nischenplayer und ein Mittelfeld, das sich stark verkleinern wird.»

Guillaume Megevand
<p>«Konkret sehe ich einige wenige Überflieger, einige Nischenplayer und ein Mittelfeld, das sich stark verkleinern wird.»</p>

«Konkret sehe ich einige wenige Überflieger, einige Nischenplayer und ein Mittelfeld, das sich stark verkleinern wird.»

Guillaume Megevand

Werbung

Als eines der grössten Probleme gelten Überkapazitäten. Warum hält man daran fest? 

Wir haben eine massive Überkapazität seit mindestens einem Jahrzehnt. Gewisse Unternehmen wie die Swatch Group glauben immer noch daran, dass die Volumen wieder anziehen werden. Und dann gibt es Produktionsbetriebe, die schon längst diversifizieren müssten – zum Beispiel in Medtech und andere Anwendungsgebiete, wo Präzision erforderlich ist –, es aber nicht können oder wollen. Zudem: Fabriken kann man nicht von einem Tag auf den anderen verschieben oder redimensionieren. Eine Fabrik und ihre Maschinen sind Investitionen mit einem 15- bis 25-jährigen Zeithorizont. 

Wie geht es den Uhrenmarken? 

Sehr unterschiedlich. Die, die solide finanziert sind und das Vertrauen einer treuen Kundschaft geniessen, haben nichts zu befürchten. Dort, wo es an Vision, Finanzen und an der Marken-  und Produktstrategie fehlt, wird die Zukunft kompliziert. Konkret sehe ich einige wenige Überflieger, einige Nischenplayer und ein Mittelfeld, das sich stark verkleinern wird. Denn ein Fakt ist auch: Es gibt viel zu viele bedeutungslose Marken. 

Wie bitte?

Bekanntlich braucht niemand eine Uhr, um die Zeit abzulesen. Um einen Zeitmesser – mechanisch oder quarzbetrieben –, der für den Alltag an sich unnötig ist, an die Frau oder den Mann zu bringen, muss das Marketing verdammt gut sein. Und Marketing erfordert nicht nur Kreativität, sondern auch finanzielle Mittel.

Werbung

Letzte Frage: Was wird das nächste grosse Ding in Sachen Zeitmesser – Uhren made in China? 

Chinesen werden früher oder später ihre erste Luxusuhrenmarke lancieren. Es gibt schon einige Marken, die im Premiumsegment mittun, und auch ein paar wenige Uhrmacher, die in China tolle Sachen machen. Aber das nächste grosse Ding werden Zeitmesser sein, die nicht am Handgelenk getragen, sondern als Kunstobjekte verkauft werden.

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Auch interessant

Werbung