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Die SVP-Politikerin Martullo-Blocher warnt vor EU-Kontrollen in Schweizer Betrieben, während Experten dies als unbegründet abtun.
«Die Debatte um das Abkommen Bilaterale III zeigt, wie Emotionen Fakten überlagern» sagt Chefredaktor Dirk Schütz.
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Es ist beeindruckend, über welche hellseherischen Fähigkeiten manche Menschen verfügen. Das Abkommen mit der EU zu den Bilateralen III ist noch weit von der Abstimmung und viel weiter von einer möglichen Umsetzung entfernt. Dennoch verkündet die EMS-Chefin und SVP-Nationalrätin Martullo-Blocher bereits via NZZ, was passieren wird: Die EU «schickt Heere von Kontrolleuren in unsere Betriebe», sie überprüfen «Restaurants, Dorfläden oder Bauernhöfe», sogar «die Feldküche der Armee». Und natürlich führen «diese Leute ein angenehmes Leben auf Spesen», beziehen steuerfrei «jeden Feiertag der EU-Länder» und das «Niederlassungsrecht und Familiennachzug» - eine «neue Art von fremden Vögten» (ohne sie geht es nicht). Nun ja: Der Bauernverband hat nichts gegen das Abkommen, und die Interessensvertretung IG Agrarstandort Schweiz (IGAS) stellt nüchtern fest, dass die EU-Kommission keine direkten Kontrollen auf Schweizer Höfen oder in Verarbeitungsbetrieben durchführen dürfe, die Verantwortung für derartige Checks liege bei der heimischen Kontrollbehörde (die oft strengere Vorgaben anwendet als die EU). Aber ist das im postfaktischen Zeitalter wichtig? Eher nicht. Könnte es anders kommen? Ausschliessen lässt sich doch gar nichts mehr. Und überhaupt: Der bösen EU ist alles zuzutrauen. Emotionen statt Fakten: Es ist ein Vorgeschmack auf die grosse Schlacht. Entscheidend sind bei diesem hochkomplexen Dossier die Wähler in der politischen Mitte. Um sie zu gewinnen, braucht es jedoch eine etwas differenziertere Argumentation als Martullos wenig feingliedrige Klientelpolitik mit ritualisiertem Brüssel-Bashing. Die sollte eine HSG-Absolventin und erfolgreiche Firmenlenkerin doch liefern können. Ach ja: Gerade drei Prozent ihres Umsatzes holt sie in der Schweiz, mehr als die Hälfte aber in Europa – den Grossteil in der verhassten EU.
Normalerweise kommentieren Grosskonzerne Abwerbeversuche für ihre Chefs nicht. Da war es schon ungewöhnlich, dass ein Sprecher der «Zürich»-Versicherung der Financial Times anvertraute, dass Langzeit-Chef «Iron Mario» Greco als Chairman der Grossbank HSBC «abgesagt» habe. Muss man sich leisten können: Die britisch-asiatische Bankenriese ist mit 180 Milliarden Pfund die höchst bewertete Bank Europas, fast doppelt so viel wert wie die UBS. Dort wurde Greco vor vier Jahren auch schon nach dem Abgang Axel Webers als Präsident gehandelt, und als an dem schicksalshaften CS-Untergangs-Samstag vom 18. März 2023 für ein Verstaatlichungs-Szenario ein Chairman gesucht wurde, erhielt auch Greco neben Sergio Ermotti einen Anruf von der Finma. Leistung lohnt sich. Doch sich in die explosive Bankenwelt zu begeben? Nicht sein Ding. Da lebt der Versicherungs-Veteran die Weisheit des grossen Warren Buffett: Wenn man einen Manager mit guter Reputation in ein Geschäft mit schlechter Reputation steckt, bleibt nur die Reputation des Geschäfts intakt. 66 Jahre wurde Greco im Mai alt, den «Zürich»-Kurs hat er in den letzten Jahren fast verdoppelt. Der zähe Velo-Kämpfer fährt weiter und weiter – schweigsam und hoch erfolgreich. Stille A-Liga der Konzernwelt.
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Wer hätte das gedacht: Trump macht die Schweizer Pharmamultis happy. Die Börsenschwergewichte Roche (+10 Prozent) und Novartis (+7 Prozent) legen seit Mittwoch kräftig zu, nachdem der Don einen Deal mit dem grossen US-Rivalen Pfizer verkündet hat. Danach sollen Medikamente im Rahmen des staatlichen Gesundheitsprogramms Medicaid günstiger abgegeben werden – aber erstmal eben nur dort. Und weil die Ausgaben über dieses Programm nur zehn Prozent der gesamten US-Gesundheitskosten ausmachen, schnaufen die Börsianer erleichtert auf. Allerdings: Wie lange das hält? Keiner weiss es. Und wen betreffen die hundert Prozent Strafzölle auf ausländische Pharma-Produkte? Unklar. Sicher ist nur: Für den Chef muss es sich lohnen. Dass Trump über eine neue Plattform «TrumpRx» gleich selbst als Zwischenhändler für verbilligte Medikamente einsteigen will, gibt der Vereinbarung eine charmante kommerzielle Note. Jetzt ist Biegsamkeit gefragt, notfalls in Kombination mit hauseigenen Anti-Depressiva: Wir warten auf die Ankündigung von Roche und Novartis, ihre Medikamente über diese Plattform anzubieten. Könnte die Kurse weiter treiben.
Es könnte ein erstes Signal sein: Am Dienstag meldet die Nationalbank den Bestand ihrer Devisenreserven für den Monat September und damit Angaben zu jüngsten Interventionen. Auch hier mehren sich die Zeichen, dass die Trump-Regierung fast schon auf Schmusekurs geht. Wurde die SNB 2020 noch als Währungs-Manipulator gescholten, so hat Vormann Schlegel jetzt die Erlaubnis erhalten, weiter im Devisenmarkt intervenieren zu dürfen, ohne von den USA bestraft zu werden. Hoffen wir also, dass der gute Trump-Lauf mit der Schweizer Wirtschaft anhält. Das Ende des Zollhammers bleibt das grosse Finale.
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