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Schweizer Unternehmen

Unsere Industrie ist dem Zollhammer gewachsen

Die US-Zölle und der schwache Dollar sind für einzelne Firmen verheerend. Aber der Werkplatz Schweiz hat schon ganz andere Krisen gemeistert.

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<p>Rund 640’000 Vollzeitstellen sind im produzierenden Gewerbe angesiedelt. Die Zahl ist seit Jahren recht stabil.</p>

Rund 640’000 Vollzeitstellen sind im produzierenden Gewerbe angesiedelt. Die Zahl ist seit Jahren recht stabil.

Keystone

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Die 39 Prozent stehen nach wie vor. Allzu viel Hoffnung auf eine baldige signifikante Reduktion der US-Importzölle auf Schweizer Waren sollte man sich nicht machen. Über die Hälfte aller Ausfuhren in die USA sind seit dem 8. August von den Zusatzzöllen betroffen, und das schlägt sich bereits in der Zollstatistik nieder: Im August sind die Warenexporte in die USA gegenüber dem Vormonat und dem Vorjahr um fast einen Drittel eingebrochen. Und so wird eine Frage immer akuter: Welchen Schaden hinterlässt Trumps Zollhammer auf dem Schweizer Werkplatz? Kann dieser die Zölle meistern, oder blutet die Exportindustrie aus?

Erschwerend für Schweizer Firmen kommt die Abwertung des Dollar hinzu. Zum Franken hat er seit Trumps Amtsantritt 12 Prozent an Wert verloren. Die UBS spricht deshalb von einem Preisschock in der Höhe von 50 Prozent. Er ist um ein Vielfaches grösser als der Preisnachteil nach dem Franken-Schock 2015. Doch im Unterschied zu damals sind weniger Firmen betroffen. Litt unter dem Franken-Schock die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Exportbranche, verteuern nun die Zölle nur die Ausfuhren in die USA. Die Pharmaexporte dürften von den neu angekündigten Extrazöllen nur am Rande betroffen sein. «Der Zollschock ist konzentrierter und weniger breit als der Franken-Schock», sagt auch Daniel Kalt, Chefökonom bei der UBS Schweiz. Stand jetzt gilt daher: Die Gesamtwirtschaft kann die US-Zölle und den Rückgang der US-Exporte gut wegstecken: Die Prognosen gehen für das ganze Jahr 2025 von rund 1 Prozent Wirtschaftswachstum aus, mit nur einem geringen Anstieg der Arbeitslosenquote. Aber für einzelne Unternehmen können die Zölle verheerend sein. Im Fokus stehen die Uhrenbranche sowie die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM), die nach der Pharmabranche wichtigsten Exportbranchen mit Zielort USA. Sie werden wegen der höheren Preise Kunden verlieren oder weniger Gewinn machen.

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Die Grossen haben es einfacher

Doch nicht bei allen Produkten reagieren die Kunden gleich sensibel auf Preisveränderungen. Auf diesen Punkt weist die Raiffeisen in einer Analyse zu den Zöllen hin. Bei den Luxusgütern etwa ist die Nachfrage unelastisch: Wer eine Rolex will, kauft sie auch, wenn ihr Preis ansteigt. Auch bei Produkten, bei denen Schweizer Unternehmen Marktführer sind, ist von einer geringeren Elastizität auszugehen, da die Kunden nicht so leicht auf gleichwertige Alternativen ausweichen können. Das ermöglicht den Unternehmen, die Preise auf die Kunden zu überwälzen.

Bei den Uhren haben die Schweizer Hersteller einen Marktanteil von 60 Prozent. Bei den künstlichen Gelenken und Herzschrittmachern kommt fast jedes fünfte Produkt aus der Schweiz. Auch in der MEM-Branche gibt es sogenannte Hidden Champions, deren Spitzenprodukte nur schwer zu ersetzen sind. Von den gesamten Schweizer Exporten in die USA sei damit lediglich etwa ein Viertel stark gegenüber den hohen Zöllen exponiert, folgert die Raiffeisen.

Die betroffenen Firmen müssen reagieren. Die grossen Konzerne sind dabei im Vorteil: Durch geschickte Verlagerung und optimierte Einkaufsstrategien können sie ihre Margen verteidigen. Das Medizintechnikunternehmen Ypsomed zum Beispiel hat angekündigt, den US-Markt aus Werken in der EU zu beliefern und die freie Kapazität auf den Schweizer Anlagen für die Produktion für die EU zu nutzen. Viele KMU haben diese Möglichkeiten nicht. Laut Swissmechanic, dem Branchenverband der KMU der MEM-Branche, ist zum Glück aber nur ein kleiner Teil direkt auf dem US-Markt aktiv. Ein Problem sei eher ein zweiter, indirekter Effekt. «Besonders besorgniserregend ist die Situation für KMU, die in der Lieferkette grösserer Exportunternehmen stehen – sei es in der Schweiz oder im EU-Raum», wird Swissmechanic-Präsident Nicola Tettamanti im Blick zitiert. Es gebe Anzeichen, dass Produktionsketten überdacht und vereinzelt auch neu aufgestellt würden. Es bestehe die Gefahr, dass kleinere Schweizer Industrieunternehmen mittelfristig aus den Lieferketten fallen würden.

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Das könnte für viele existenzbedrohend werden. Denn der Zollhammer und die Neuordnung der Lieferketten trifft sie in einer Schwächephase, die schon seit dem Post-Corona-Boom anhält. Die Unternehmen hatten nach der Pandemie als Reaktion auf die Lieferkettenprobleme und die drohende Energieknappheit ihre Lager aufgefüllt, dann gingen die Bestellungen zurück. Das spürte vor allem die Uhrenindustrie, die noch immer auf eine Erholung der chinesischen Nachfrage wartet. Wegen der deutschen Stagnation und der Krise der Automobilindustrie brachen auch in der Schweizer Zulieferindustrie die Aufträge weg. Insgesamt stagniert die Industrieproduktion seit 2022, wenn man die Pharma ausklammert. In den letzten vier Quartalen wurden über achttausend Stellen abgebaut, und besonders in der Uhrenbranche wurden die Mitarbeitenden in Kurzarbeit geschickt.

Kurzarbeit lindert den Schaden vorübergehend

Die Kurzarbeitsentschädigung ist ein geeignetes Instrument, um solche Schocks abzufedern. Deshalb hat der Bundesrat als Reaktion auf die US-Zölle die Höchstbezugsdauer in zwei Schritten von 12 auf 18 Monate und schliesslich auf zwei Jahre erhöht. Besonders gross ist der Andrang aber nicht. Im August haben fünfhundert Betriebe eine Bewilligung für Kurzarbeit von 14’100 Angestellten erhalten. Zuletzt wurde für 25’000 Arbeitsplätze eine Kurzarbeitsentschädigung angemeldet, das sind 40 Prozent weniger als im vergangenen Herbst.

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Erfahrungsgemäss kommt rund die Hälfte der Anmeldung zur Umsetzung. Deshalb erwartet das Seco nur einen leichten Anstieg auf 15’000. Das wären aber weniger als Anfang Jahr, als über 20’000 Arbeitnehmende in Kurzarbeit waren – ein Grossteil davon aus der Uhrenindustrie. In einer ausgewachsenen Rezession wie nach der Finanzkrise 2008/09 kann die Zahl gegen 100’000 hochschnellen. Während Corona waren phasenweise mehr als eine Million Arbeitnehmende auf Kurzarbeitsentschädigung angewiesen.

Auf einem anderen Blatt steht, ob die Zölle die Schweizer Industrie nachhaltig schwächen. Denn Kurzarbeit nützt nur bei einer vorübergehenden Flaute. Wenn Produktion und Jobs ins Ausland verlagert werden, ist das Instrument nutzlos. Eine steigende Arbeitslosigkeit ist die Folge – oder die nicht mehr gebrauchten Arbeitskräfte finden eine Anstellung in einer anderen Branche. Der Werkplatz Schweiz leidet, Fabriken schliessen für immer. Ob dieses Szenario eintritt, lässt sich schwer abschätzen. Es hängt auch stark davon ab, wie lange und in welcher Höhe die Zölle bestehen bleiben. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass die Industrie solche Schocks jeweils gut gemeistert hat.

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Der Franken-Schock von 2015 etwa traf die gesamte Exportbranche ins Mark. Rund 25’000 Stellen fielen als Folge der starken Aufwertung nach der Aufgabe des Euro-Mindestkurses weg. Die Gewinne der Unternehmen brachen ein, in der MEM-Branche geriet jede dritte Firma in die Verlustzone. Doch eine tiefe Rezession blieb aus – und das Fabriksterben ebenfalls. Innerhalb von wenigen Jahren konnte die Industrie den Stellenverlust in der Folge wettmachen.

Auch mit Zöllen hat die Schweizer Industrie schon Erfahrungen gemacht und ist daran nicht zerbrochen. «Das ist nicht neu, was wir hier erleben», sagt Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann von der Universität Zürich. Er verweist auf die hohen Zölle, die Frankreich und Deutschland in den 1880er-Jahren erhoben hatten. «Die USA waren ebenfalls lange sehr protektionistisch.» Aber das habe die Industrie nicht nachhaltig geschwächt. Einen vergleichbaren Zollhammer überlebte die Uhrenbranche vor siebzig Jahren: 1954 erhöhten die USA den Zoll auf Schweizer Uhren. Er blieb 13 Jahre in Kraft. Das hatte laut Straumann massive Auswirkungen: «Die Exporte in die USA brachen um einen Drittel ein, die Arbeitslosigkeit stieg an.» Aber auch davon habe sich die Uhrenindustrie erholt, und sie erschloss neue Absatzmärkte. Straumann ist überzeugt: Es wird wegen der US-Zölle keinen Strukturbruch geben. Die Industrie als Ganzes sei gut aufgestellt und anpassungsfähig. Bleibt zu hoffen, dass er recht hat und sich die Geschichte auch diesmal zumindest reimt.

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Die Deindustrialisierung von Pharma gestoppt

Berge, Schokolade und Banken prägen das Bild der Schweiz im Ausland. Wenn sie mit industriell gefertigten Produkten in Verbindung gebracht wird, dann am ehesten noch mit Uhren. Doch verglichen mit anderen reichen Ländern ist die Schweiz immer noch eine stolze Industrienation. Neben grossen Konzernen wie ABB, Schindler und Liebherr bilden viele KMU das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Die hergestellten Produkte sind Exportschlager: Die Maschinen- und Elektronikexporte belaufen sich auf rund 30 Milliarden Franken. Bei den Uhren betrug der Gesamtwert der über die Grenzen verkauften Produkte letztes Jahr 25 Milliarden Franken.

Zwar hat auch hierzulande die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes für die Gesamtwirtschaft mit der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft abgenommen. Eine Deindustrialisierung wie in vielen reichen Volkswirtschaften hat jedoch nicht stattgefunden. Während in den USA, in Frankreich oder Grossbritannien der Anteil der Industrie unterdessen auf 10 Prozent oder tiefer gefallen ist, liegt er hierzulande bei 18 Prozent des BIP und ist damit etwa vergleichbar mit jenem in Deutschland. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten ist der Industrieanteil mit 15 Prozent etwas kleiner. Rund 640’000 Vollzeitstellen sind im produzierenden Gewerbe angesiedelt. Seit Jahren ist die Zahl stabil.

Einen Grund für den anhaltend hohen Industrialisierungsgrad sehen Experten im dualen Bildungssystem. Die Berufslehre, wie sie in der Schweiz und auch in Deutschland verbreitet ist, sorgt für hohe Qualität und Planbarkeit aufseiten der Betriebe wie auch der Lehrlinge. Eine wichtige Stütze ist auch die chemisch-pharmazeutische Industrie, vor allem wertschöpfungsmässig: Ihr Anteil am BIP hat sich seit 1990 von 3 auf über 6 Prozent verdoppelt. Ohne Pharma wäre der Wertschöpfungsbeitrag der Industrie in den letzten dreissig Jahren von 16 auf 12 Prozent gesunken. Das liegt allerdings hauptsächlich daran, dass die Pharmabranche so produktiv ist und höhere Löhne bezahlt. Die pharmazeutische Industrie beschäftigt gemäss BFS lediglich rund 53’000 Personen, auf Vollzeitbasis gerechnet. Sie machen damit nur etwas mehr als 1 Prozent der Beschäftigten aus, sorgen aber für fünfmal so viel Wertschöpfung und für die Hälfte aller Warenexporte.

Das heisst: Die wirtschaftliche Bedeutung der Industrie ist dank der hochproduktiven Pharmabranche etwa gleich gross wie vor dreissig Jahren. Auch ausserhalb der chemisch-pharmazeutischen Industrie sind seit den Neunzigerjahren nur wenige Stellen verloren gegangen. Da aber im Dienstleistungssektor die Beschäftigung über 40 Prozent zugenommen hat, ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtbeschäftigung seit 1990 von 23 auf 15 Prozent gesunken.

Über die Autoren
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Peter Rohner

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