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Wie es zum Niedergang der Airline kam. Der erste Teil der mehrteiligen Serie mit der Story des Scheiterns von Alcazar.
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Zum Autor: Der vorliegende Text ist Bestandteil eines Buchprojekts, das der BILANZ-Verlag zusammen mit dem Autor René Lüchinger realisieren will. Lüchinger ist ein ausgewiesener Kenner der Schweizer Luftfahrtindustrie, seit 15 Jahren verfolgt er publizistisch die Geschicke der Swissair. Lüchinger war stellvertretender Chefredaktor der BILANZ, gehörte zum Gründungsteam des Schweizer Nachrichtenmagazins «Facts» und war bis Ende 2000 dessen Chefredaktor. Ob das Buchprojekt in der vorgesehenen Form realisiert werden kann, ist derzeit offen.
Der Grund ist die äusserst restriktive Informationspolitik, welche die Swissair an den Tag legt, seit die GV der Airline die Durchführung einer Sonderprüfung beschlossen hat. Sämtliche Exponenten des Topmanagements wurden von Mario Corti persönlich angewiesen, sich für Gespräche mit dem Autor nicht zur Verfügung zu stellen.
Wir haben uns daher entschlossen, das Resultat der viermonatigen Recherche vorerst als mehrteilige BILANZ-Serie zu veröffentlichen.
Eigenhändig, wird zumindest kolportiert, habe sich der neue Konzernchef Mario Corti an den Computer gesetzt und den Zungenbrecher SAirGroup im elektronischen Papierkorb versenkt. Seit dem Frühsommer 2001 heisst der Konzern der nationalen Airline wieder Swissair Group. Ein Rückzug, der mehr bedeutet als ein abruptes Bremsmanöver in der Corporate Identity, der tiefer geht als die Schubumkehr einer verfehlten Hunter-Strategie: Die Swissair steht nach dem Rekordverlust von 2,9 Milliarden Franken im Jahre 2000 am Wendepunkt ihrer Geschichte, und es ist kein Zufall, dass sich der Konzernchef in dieser dramatischen Situation wieder auf die in siebzig Jahren aufgebaute Marke Swissair besinnt.
Dass Corti nun versucht, aus den Verlust bringenden und dem Image der Firma abträglichen Beteiligungen auszusteigen, und dafür bereit ist, die letzten Finanzreserven zu mobilisieren, ist nur konsequent. Im besten Falle erreicht er damit die Gesundung der Bilanz. Mehr nicht.
Der Kern des Problemfalls Swissair ist damit nicht gelöst. Er liegt tiefer.
1949 nahm die Swissair die USA in ihren Flugplan auf, 1948 Südamerika und 1957 Far East. Früher als jede andere Luftfahrtgesellschaft mit vergleichbar kleinem Heimmarkt schufen die Schweizer ein weltumspannendes Streckennetz. Die globale Optik ist in dieser Firma tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Und solange die Branche mit regulierenden Gesetzen und stabilen Preisgefügen geschäftete, konnte eine im Vergleich zum Heimmarkt überdimensionierte Swissair im Konzert der grossen Konkurrenten bestehen. 1988 jedoch, mit der schrittweisen Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs, gab es für die Swissair nur noch zwei strategische Optionen: zu einem dem Heimmarkt angemessenen Nischencarrier zu schrumpfen oder aber auch im deregulierten Markt in eine globale Position hineinzuwachsen. Auf die erste Option war die Firma mental nicht vor-bereitet. Wachstum um jeden Preis, dessen waren sich Topmanagement, Verwaltungsrat und weit gehend auch die Schweizer Öffentlichkeit einig, ist der Weg, um die globale Position zu behaupten.
Ein Denkmuster, das den Blick auf zwei mögliche Szenarien verengte: durch Partnerschaften mit Dritten in die im deregulierten Markt erforderliche Dimension hineinzuwachsen oder aber die Eigenständigkeit der Airline und deren schweizerischen Charakter zu verteidigen und Wege zu finden, sich auf eigene Faust zu behaupten. Das ist das kulturelle Dilemma, in dem das Swissair-Topmanagement in den vergangenen 15 Jahren agierte.
Otto Loepfe, Konzernchef bis 1996, setzte voll auf das Alcazar-Kooperationsmodell, das dem Charakter der europäischen Luftfahrt entsprach. Von jeher haben die Europäer auf Zusammenarbeit untereinander gesetzt. Philippe Bruggisser, Konzernchef bis Anfang 2001, setzte auf das aggressive amerikanische hunter-modell. In den Staaten waren während des Deregulierungsprozesses etliche Airlines von potenteren Konkurrenten geschluckt und vollständig integriert worden. Diese amerikanischen Methoden versuchte Bruggisser auf Europa zu übertragen. Loepfe wie Bruggisser sind – aus unterschiedlichen Gründen – gescheitert.
Mario Corti, der Neue auf der Kommandobrücke, ist heute in Europa isoliert. Er steht exakt vor dem gleichen Dilemma wie seine beiden Vorgänger. Insofern ist der derzeitige Zustand der nationalen Airline weniger die Folge einzelner Fehlentscheidungen als vielmehr Ausfluss einer tief in der Firma und ihren Aktionären verankerten kulturellen Disposition und das Resultat einer kollektiven mentalen Verfassung der handelnden Akteure in Verwaltungsrat und Topmanagement. Eine Bilanzsanierung allein, wie sie Corti derzeit versucht, kann deshalb nicht mehr sein als kurzfristige Symptombekämpfung.
In einer mehrteiligen Serie arbeitet BILANZ den «Fall Swissair» auf und bringt eine Milieustudie aus der Teppichetage der Schweizer Luftfahrtgesellschaft.
Teil 1: Alcazar – Grosser Anlauf, kleiner Sprung
Notgemeinschaft in den Dünen
Das Hotel lädt zum Verweilen ein: Das majestätische Gebäude, 1885 erbaut, liegt am höchsten Punkt der Dünen und gibt einen atemberaubenden Blick frei auf die Nordsee. Die vier Männer, die an diesem 7. Januar 1993 in das Grandhotel Huis ter Duin in Noordwijk aan Zee in der Nähe von Amsterdam streben, steigen jedoch nicht wegen der Naturschönheiten hier ab. Ihnen geht es um ein geheimes Projekt, das die Luftfahrtindustrie Europas umkrempeln soll. Das jedenfalls ist die erklärte Absicht der vier Airline-Manager, als sie sich an diesem ersten Donnerstag des Jahres freundschaftlich die Hände schütteln.
Aus Stockholm ist Jan Carlzon eingeflogen, Chef der Scandinavian Airlines System (SAS), ein jovialer Typ Anfang fünfzig, der sich rhetorisch brillant in Szene zu setzen weiss. Aus Zürich ist Otto Loepfe herbeigeeilt, Direktionspräsident der Swissair, ein Mann, der das Geschäft kennt wie kaum ein Zweiter und unter den Airlinern hohe Wertschätzung geniesst. Aus Wien ist Herbert Bammer angereist, der den Roten nahe stehende Vorstand der Austrian Airlines (AUA). Und gewissermassen als Hausherr fungiert Peter Bouw, Chef der KLM Royal Dutch Airlines, ein weltoffener Holländer, der jedem das Gefühl gibt, er sei ein guter Freund. Dieses Quartett hat ein gemeinsames Problem am Strand der Nordsee zusammengeführt. Alle vier verfügen im Unterschied zu Air France, Lufthansa und British Airways, den Airline-Giganten Europas, über einen kleinen Heimmarkt von ein paar Millionen Einwohnern. Und während die Franzosen, Deutschen und Engländer in ihren Heimbasen Paris, Frankfurt und London gewaltige Verkehrsströme zu bündeln im Stande sind, drohen die Kleinen an die Wand gedrängt zu werden. Vor allem deshalb, weil seit dem 1. Januar 1993 Preise und Sitzplatzangebot kaum mehr behördlichen Reglementierungen unterworfen sind, was einen mörderischen Preiskampf unter den Luftfahrtgesellschaften zur Folge hat. Was der so genannte deregulierte Markt bedeutet, haben die Europäer in Amerika gesehen. Dort sind in den Achtzigern einst stolze Airlines wie PanAm oder Eastern von der Bildfläche verschwunden, weil sie auf Grund der entfesselten Marktkräfte schlicht Pleite gingen.
So weit wollen es die vier nicht kommen lassen. Seit zwei Jahren schon herrscht ein heftiger Preiskampf in der Luft. Allein im Jahre 1992 haben die in der International Air Transport Association (IATA) zusammengeschlossenen Fluggesellschaften sieben Milliarden Franken Verluste gemacht. Mehr noch: Die addierten Finanzlöcher in den vergangenen drei Jahren haben sämtliche je erzielten Gewinne der Branche weggefressen. Die vier Airline-Chefs stehen also unter einem gewaltigen Druck, und sie entwickeln eine kühne Vision: Zusammen wollen sie den Grossen der Branche Paroli bieten; zusammen bringen sie 283 Flugzeuge, 15 Milliarden Dollar Umsatz und über 72 000 Mitarbeiter auf die Waage; zusammen befördern sie 30,6 Millionen Passagiere und verfügen mit Flughäfen in Oslo, Stockholm, Kopenhagen, Amsterdam, Genf, Zürich und Wien über Verkehrsdrehkreuze in allen Himmelsrichtungen Europas. Eine Heirat, darüber herrscht an diesem ersten gemeinsamen Meeting Einigkeit, bedeutet mittelfristig die Fusion der vier Airlines. Ein gewaltiges Unterfangen – und ein Plan, der mächtige Widersacher auf den Plan rufen wird. Peter Bouw, Jan Carlzon, Otto Loepfe und Herbert Bammer geloben sich deshalb, die Verhandlungen unter strengster Geheimhaltung weiterzuführen. Einige Monate früher, im Herbst 1992, landet ein Swissair-Manager im Flughafen Schiphol nahe Amsterdam, der Homebase der KLM. Der umtriebige Mann, ein passionierter Zigarrenraucher und Expilot, ist ebenfalls in geheimer Mission unterwegs: Er hat von seinem Vorgesetzten Otto Loepfe den Auftrag gefasst, bei den Holländern zu sondieren, ob sie an einer Zusammenarbeit mit der Swissair interessiert seien. Paul Maximilian Müller, der Swissair-Späher, seit kurzem Chef Aussenbeziehungen der Schweizer, hat seine Reise nach Holland wohl vorbereitet angetreten. Er weiss, dass die Holländer in den Wochen zuvor intensiv mit British Airways um ein Zusammengehen verhandelt haben. Müller weiss auch, dass das ebenfalls hochgeheime Projekt unter dem Codenamen «Sahara» gescheitert ist. Die Holländer wissen nicht, dass er Kenntnis davon hat, dass die «Sahara»-Gespräche geplatzt sind.
Das, hofft Müller, gibt ihm einen taktischen Informationsvorsprung. Dass die Holländer überhaupt in Gespräche mit den marktmächtigen Briten eingetreten sind, zeigt für Müller, dass sie die Lage ähnlich einschätzen wie er selbst, nämlich dass die Kleinen im deregulierten Markt allein keine Überlebenschance haben. Deshalb hat sich Müller bei Leo M. van Wijk, der Nummer zwei bei der KLM, zum Gespräch angemeldet. Müller kennt den Endvierziger nur flüchtig, aber er kennt den Ruf, der dem Holländer vorauseilt: ein «tough guy» zu sein, ein alter Airline-Fuchs, der es in einem knappen Vierteljahrhundert bei der KLM weit gebracht hat und es gewohnt ist, für seine Interessen zu fighten. Als Müller dem hoch gewachsenen Holländer gegenübersitzt, geht der Schweizer nach dem üblichen Small Talk forsch auf sein Anliegen zu. Die Swissair habe, sagt er, Allianzen mit dem US-Carrier Delta Airlines und Singapore, zusammen bildeten sie die Atlantic Excellence und mit SAS und AUA seien sie in der European Quality Alliance (EQA) verbunden. Das aber sei zu wenig. «Können wir mit euch weiter gehen?», fragt der Schweizer unverblümt.
Van Wjik hat aufmerksam zugehört. Aber er bleibt reserviert. Erst als sein Vorgesetzter, KLM-Chef Peter Bouw, dazustösst, kommt das Gespräch in Fahrt. Ähnliche Gespräche, erfährt Müller bei dieser Gelegenheit, seien kürzlich mit Jan Carlzon von der SAS geführt worden. Das Trio kommt überein, die Geheimgespräche gemeinsam mit der SAS zu intensivieren. Es dauert jedoch nicht lange, bis in der Branche Gerüchte kursieren, da sei etwas Grösseres im Gange. Am 20. November findet in Brüssel eine Sitzung der Association of European Airlines (AEA) statt, und AUA-Chef Herbert Bammer erfährt bei dieser Gelegenheit, dass der langjährige Partner Swissair die Fühler in alle Richtungen ausstreckt und nur Wien nicht informiert hat. Bammers Irritation weicht erst, als am 9. Dezember die offizielle Einladung aus Zürich eintrifft, bei den Verhandlungen mitzumachen. Und am 15. Dezember 1992 gibt Swissair-Verwaltungsrat Otto Loepfe grünes Licht für sondierende Verhandlungen mit den drei Partner-Airlines; am 27. Januar 1993 setzt Bundesrat Adolf Ogi die Landesregierung über die Pläne der Swissair-Crew ins Bild.
Nun, da alle vier Airlines an Bord sind und die Gespräche in Fahrt kommen, bekommt auch die Symbolik Sinn, die den Verhandlungen ihren Codenamen gibt: Alcazar, die Festung im spanischen Toledo, weist vier Türme auf. Der dazu passende Slogan, den Paul Maximilian Müller kreiert, ist schon fast Programm: «ALone CArriers Zigzac At Random», zu Deutsch: «Allein fliegen die Airlines hilflos im Zickzack herum.» Das gilt insbesondere für die Swissair, die seit dem EWR-Nein des Schweizervolkes in Europa isoliert zu werden droht. Mit diesem Abseitsstehen ist das bilaterale Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der EU blockiert, das der Swissair ungehinderten Zugang zum EU-Luftraum ermöglicht hätte.
Ein paar wenigen, vorab jüngeren Swissair-Managern dämmert es, dass die Isolation der Airline nach dem EWR-Nein nur mit einer neuen und kreativen Strategie zu durchbrechen ist. Zentraler Kopf ist Otto Loepfe, seit Mitte 1988 Präsident der Geschäftsleitung, Mechaniker und im zweiten Bildungsweg Ingenieur ETH, Oberstleutnant der Schweizer Armee und Hobbyflieger, der sich in knapp zwanzig Jahren mit viel Ehrgeiz und vor allem Härte gegen sich selbst vom einfachen Mitarbeiter im Departement Technik zum Airline-Chef emporgearbeitet hat. Ein Mann, der weiss, dass er draussen in der Airline-Welt grosses Ansehen geniesst bei den Kollegen der IATA und der AEA. Er ist befreundet mit Ron Allen, dem Chef der amerikanischen Delta Airlines, und verfügt über gute persönliche Kontakte zur Singapore Airlines. Dank diesem Netzwerk ist es Loepfe 1989 gelungen, eine interkontinentale Allianz Delta–Swissair–Singapore aufzubauen. Und auch die Alcazar-Partner sind keine Unbekannten: Mit der SAS arbeitet die Swissair seit 1958 zusammen, mit der KLM auf technischem Gebiet seit 1968, und die AUA ist seit 25 Jahren mit der Schweizer Airline verbandelt.
Otto Loepfe – im eigenen Haus umstritten
Doch Loepfe weiss, dass er vor allem im eigenen Unternehmen, im eigenen Land handicapiert ist. Er weiss, dass er nicht die unbestritten erste Wahl gewesen ist, als der Präsidentenposten 1988 neu besetzt werden musste. Armin Baltensweiler, damals als Verwaltungsratspräsident der Königsmacher, hatte einen anderen Favoriten ins Auge gefasst. Loepfe muss feststellen, dass der Schatten seines vollamtlichen Verwaltungsratspräsidenten Baltensweiler lang ist und sich dieser, ETH-Ingenieur wie er selber, immer wieder ins operative Geschäft einmischt, wenn es beispielsweise darum geht, neue Flugzeuge zu bestellen. Auch ist Loepfes erste grosse Reorganisation der Geschäftsleitung, die er zu seinem Amtsantritt am Nationalfeiertag des Jahres 1988 in Kraft setzt, kein grosser Wurf. Er bläht das oberste Leitungsorgan der Airline von sieben auf fünfzehn Personen auf. Alle Geschäftsleitungsmitglieder, ohne Ausnahme alte Swissair-Kämpen, die im Gleichschritt mit Loepfe aufgestiegen sind, bekommen schmucke Titel und formieren sich zu einem freudigen Debattierklub, der viel redet, aber kaum je entscheidet. Vier Jahre braucht es, bis Loepfe im Mai 1992 ein Einsehen hat, das Mammutgremium wieder zerschlägt und es auf einen siebenköpfigen Geschäftsleitungsausschuss zurückbuchstabiert.
Auch nicht gerade zur Stärkung von Loepfes Position an der Spitze der Airline tragen die Finanzergebnisse bei, die er in diesen Jahren vorlegt, auch wenn die Gründe dafür zu einem guten Teil kaum beeinflussbar sind. Die gedämpfte Konjunktur in wichtigen Märkten, die instabile Lage in der Golfregion sowie steigende Treibstoffpreise und Preiserosionen infolge eines mörderischen Verdrängungswettbewerbs in Europa machen den Flugbetrieb für zahlreiche Airlines zum Millionen-Defizitgeschäft. Als die Swissair für das erste Halbjahr 1990 einen Rekordverlust von 99 Millionen Franken ausweisen muss, geht ein Aufschrei durch das Land, die «Schweizer Illustrierte» diagnostiziert «Fehlentscheidungen und galoppierende Kosten», und der «SonntagsBlick» titelt mitfühlend: «Otto Loepfe, muss man als Swissair-Chef Masochist sein?» Möglicherweise hat sich das Otto Loepfe in diesen Monaten auch gefragt, als er für das Geschäftsjahr 1990 für die Swissair einen hauchdünnen Reingewinn von 4,3 Millionen ausweisen muss, der nur dank dem Verkauf von drei DC-10-Flugzeugen zu Stande kommt, «zur Aufpolierung des Abschlusses», wie die NZZ in selten salopper Manier schreibt.
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