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Keine Einigung beim Preis

Roche nimmt Krebsmedikament vom Markt

Die harte Preispolitik des Bundesamts für Gesundheit hat Folgen. Doch das Drama um Lunsumio verweist auf tiefer liegende Probleme.

Seraina Gross Handelszeitung

Seraina Gross

Ein Labor, fotografiert bei der Eroeffnungsfeier des neuen Roche Forschungs- und Entwicklungszentrums (pRED-Center) in Basel, am Dienstag, 10. September 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Labor von Roche: Die Schweiz honoriere innovative Medikamente nicht mehr ausreichend, sagt das Unternehmen. 

Keystone

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Zwischen Roche und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist Feuer im Dach. Ende Juni hat der Basler Pharmakonzern ein Medikament gegen eine seltene Form von Blutkrebs von der Spezialitätenliste genommen. Der Grund für den drastischen Schritt: Roche hat sich nicht mit dem BAG auf einen Preis einigen können. Nun wird die Therapie nicht mehr von den Krankenkassen vergütet – bei einem potenziell lebensrettenden Medikament ist das ein Vorgang, der in der Schweiz seinesgleichen sucht.

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Dem Rückzug waren monatelange Verhandlungen vorangegangen. Sie seien daran gescheitert, dass das BAG auf einem Preisnachlass von 50 bis 60 Prozent des Fabrikabgabepreises bestanden habe, heisst es aus Branchenkreisen.

Konkret: Das Unternehmen hätte das Medikament nach den Vorstellungen des BAG für 50’000 bis 60’000 Franken abgeben sollen statt für 100’000 – deutlich günstiger als etwa im Nachbarland Deutschland. Der Betrag bezieht sich auf einen Zyklus von acht Behandlungen; ein solcher führt bei 80 Prozent der Patientinnen und Patientinnen zum Erfolg, bei 20 Prozent sind zehn Zyklen notwendig.

Roche offerierte hohe zweistellige Rabatte

Das Bundesamt für Gesundheit macht auf Anfrage keine Angaben dazu, welchen Preis für das Krebsmittel das Amt für angemessen hält. Das BAG hält fest, dass es bereit gewesen sei, «Roche entgegenzukommen und Lunsumio weiter vergüten zu lassen». In Branchenkreisen ist davon die Rede, dass der Pharmakonzern Rabatte in hoher zweistelliger Höhe offeriert habe. Roche selbst spricht von einem «Entgegenkommen unsererseits in Form von hohen Rabatten». Trotzdem sei eine Einigung auf eine Vergütung des Medikaments «entsprechend seinem medizinischen Nutzen» nicht möglich gewesen, schreibt der Pharmakonzern auf Anfrage. 

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Zudem nennt das Amt als Begründung für das Scheitern der Verhandlungen, dass eine ordentliche, definitive Zulassung durch die Swissmedic «mangels zusätzlicher Evidenz, entgegen den Erwartungen und Ankündigungen von Roche zu Beginn des Jahres» bislang nicht habe erfolgen können.

Dazu muss man wissen: Lunsumio wurde von Swissmedic auf der Basis von klinischen Daten der ersten und zweiten Studie zugelassen und nicht wie üblich auf Basis einer klinischen Studie der dritten Phase mit mehr Patienten und Patientinnen – eben weil die frühen Daten so vielversprechend waren. Zudem: Die Studie für die dritte klinische Phase läuft noch, der Pharmakonzern ist also daran, die Voraussetzungen für eine ordentliche Zulassung zu schaffen.

«Die Haltung des BAG ist für uns nicht nachvollziehbar», schreibt Roche dazu. Das Medikament habe «vollständige Ansprechsraten» und «eine anhaltende Wirkung über mindestens 18 Monate bei einer Mehrheit der Patienten und Patientinnen gezeigt – sowie eine gute Verträglichkeit».

Klar ist, dass Lunsumio bei der Behandlung follikulärer Lymphome grosse Fortschritte gebracht hat. Das Medikament ist ein sogenannter bispezifischer monoklonaler Antikörper. Das heisst, es setzt beim Immunsystem an zwei Stellen an – das Immunsyste spielt bei der Bekämpfung von Krebs die entscheidende Rolle. Es handelt sich dabei um eine Technologie, bei der Roche führend ist und von der man sich gerade bei der Behandlung von Blutkrebs viel verspricht.

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Es geht um wenige Patienten, aber ...

Im konkreten Fall geht es um zwei Dutzend Patientinnen und Patienten pro Jahr, follikuläre Lymphome sind eher selten. Zudem wird das Medikament für den Moment erst als sogenannte Drittlinientherapie eingesetzt. Das heisst, der Behandlung mit Lunsumio müssen zwei erfolglose Behandlungen mit anderen Medikamenten vorangegangen sein.

Entsprechend gering sind die Umsätze, die Roche mit dem Mittel macht. Weltweit lagen sie im ersten Quartal bei 21 Millionen Franken, für die Schweiz ist von Verkäufen im Umfang von eningen Hunderttausend Franken auszugehen. Bei Pharmaumsätzen von rund 46 Milliarden Franken ist Lunsumio deshalb ein kleiner Fisch im Roche-Portfolio. Zu einem Milliardenprojekt dürfte Lunsumio werden, sollte es dereinst auch für Erst- und Zweitbehandlungen zugelassen werden. Doch das wird noch eine Weile dauern, die entsprechenden Studien laufen erst. 

Die unmittelbaren Auswirkungen des Rückzugs halten sich deshalb in Grenzen, zumal der Pharmakonzern die Kosten für Lunsumio bis auf weiteres übernehmen wird. Zu Therapieabbrüchen wird es deshalb nicht kommen, zudem werden Patienten und Patientinnen, die für eine Behandlung mit dem Medikament infrage kommen, dieses auch weiterhin bekommen. Roche gehört zu einer kleinen Gruppe von Pharmafirmen, die sich im Rahmen des Swiss Access Program dazu verpflichtet haben, medizinisch dringend notwendige Behandlungen zu finanzieren, wenn alle anderen Vergütungsmechanismen nicht greifen. 

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Wie geht es nun weiter?

Doch der Eklat zwischen Bern und Basel geht tiefer. Lunsumio wurde als Pilotprojekt im Rahmen eines «Early Access»-Verfahrens auf Initiative der Basler zur Zulassung durch die Swissmedic gebracht und in die Spezialitätenliste aufgenommen. Und das bereits Anfang 2023, also bevor das Verfahren in der Verordnung über die Krankenversicherung und in der Krankenpflegeleistungsverordnung aufgenommen wurde.

Ziel des Modells ist, Medikamente mit grossem therapeutischen Nutzen und grossem medizinischem Bedarf vorzeitig zuzulassen und vergüten zu lassen. Man sei dafür bereit gewesen, «substanzielle Abschläge bei der Vergütung hinzunehmen», schreibt Roche. Zu befürchten ist deshalb, dass das Fiasko um Lunsumio andere Pharmafirmen davon abhalten wird, frühzeitige Zulassungen im Rahmen des «Early Access»-Verfahrens zu beantragen.

Die Schweiz gerät immer mehr ins Hintertreffen

Hintergrund des «Early Access»-Verfahrens ist, dass Patientinnen und Patienten in der Schweiz immer länger auf vielversprechende neue Therapien warten müssen. Die 60 Tage, die die Preisverhandlungen zwischen den Pharmafirmen und dem BAG gemäss maximal dauern sollten, kann man längst nur noch in einer Minderheit der Fälle einhalten. Die Verhandlungen dauern immer länger, inzwischen ist man bei 189 Tagen. Oder anders: Nur bei sechs Prozent der neuen Therapien kann die gesetzliche Frist eingehalten werden. Die provisorische Vergütung, wie sie gemäss KVG vorgesehen ist, ist deshalb längst nicht mehr die Ausnahme, als die sie konzipiert wurde, sondern die Regel. Mit all dem Zusatzaufwand, der damit verbunden ist, insbesondere für die Ärzte und Ärztinnen, die den Einsatz neuer Medikamente im Einzelfall bei den Krankenkassen beantragen müssen. 

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Die Schweiz entwickelt sich immer mehr zur Medikamentenbrache. Das zeigt auch ein Blick auf die anderen Ländern. Beim Thema «Time to access» – also der Zeit, die zwischen der Marktzulassung durch die Swissmedic und der faktischen Verfügbarkeit für die Patientinnen und Patienten infolge der Festlegung eines Vergütungspreises durch das BAG  verstreicht – rangiert die Schweiz auf Platz sieben in Europa, knapp vor Bulgarien.

Selbst der britische NHS ist besser

Besonders dramatisch ist die Situation in der Onkologie, ausgerechnet, dem Feld, wo die Therapiefortschritte in den vergangenen Jahren besonders gross waren. 278 Tage verstreichen, bis ein neues Krebsmedikament den Schweizer Patientinnen und Patientinnen faktisch zur Verfügung steht. Bei innovativen Medikamenten, die oft in lebensbedrohlichen Situationen zum Einsatz kommen, entspricht das nicht dem, was man von einem Gesundheitswesen wie dem schweizerischen wünscht. Zumal mit 100 Milliarden Franken  kostenmässig in der Kategorie Rolls-Royce spielt.

Selbst der steuerfinanzierte und deshalb notorisch unterfinanzierte britische NHS (National Health Service) kriegt das besser hin. Am besten steht Deutschland da, mit 45 Tagen. Besonders beunruhigend ist die Situation bei den seltenen Krankheiten. Hier sind in der Schweiz gerade mal 32 Prozent aller in der EU zugelassenen Therapien zugänglich, in Deutschland sind es 89 und in Italien 71 Prozent. Für die Betroffenen, die oft mit schwersten gesundheitlichen Problemen kämpfen, ist das ein Drama.

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