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Serie: Die Kleinsten

Personal Banking im Dorf

Knappe zwei Vollzeitstellen und 79 Millionen Franken auf der Bilanz: Bei der Ersparniskasse Speicher ist alles etwas überschaubarer.

Michael Heim Handelszeitung

<p>Sie sind die Bank: Sarah Neuburger übernimmt von Daniel Müller, wenn dieser 2026 die Leitung der Ersparniskasse abgibt. Foto im kleinen Tresorraum mit den Kundensafes.</p>

Sie sind die Bank: Sarah Neuburger übernimmt von Daniel Müller, wenn dieser 2026 die Leitung der Ersparniskasse abgibt. Foto im kleinen Tresorraum mit den Kundensafes.

Kim Niederhauser

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Eine Kasse mit Glasfront, ein Diskret-Schalter, auf der Ablage ein Prospekt für Jass-Pauschalreisen. Auf den ersten Blick sieht das Bankgebäude in Speicher AR aus wie viele Bankfilialen. Oder zumindest so, wie viele Bankfilialen lange ausgesehen haben. Doch die Ersparniskasse Speicher (EKS) ist nicht einfach die Filiale einer Bank. Sie ist die Bank. Denn weitere Zweigstellen gibt es nicht. Gemessen an ihrer Bilanzsumme von zuletzt 79 Millionen Franken ist sie die kleinste Bank der Schweiz. Drei Personen teilen sich zwei Vollzeitstellen, rund 1500 Kundinnen und Kunden haben ein Konto. Mit knapp 187’000 Franken verbuchte die Bank 2024 einen Rekordgewinn.

Wie Minifirmen den Giganten trotzen

Big is beautiful. Der Satz gilt in der Wirtschaft im Allgemeinen: Grosse, wirtschaftlich potente Staaten können kleineren Ländern ihren Willen aufzwingen, wie die Schweiz in diesen Tagen leidvoll erfahren musste. Und auch bei Unternehmen gilt die Formel «gross = gut». Etwa bei Banken und Versicherungen. Wenn die Firmen hier eine gewisse Grösse haben, gerne verbunden mit Geschäften im Ausland, können sie ihre Risiken besser und breiter diversifizieren – zum Beispiel im Kreditgeschäft. Und Versicherer können Verluste in einem Land – etwa wegen einer Naturkatastrophe – mit Gewinnen aus einer anderen Region ausgleichen.

Wer gross ist, hat zudem Vorteile beim Einkauf und profitiert von Skaleneffekten. Ein Paradebeispiel dafür ist die Strombranche, vor allem Anbieter mit einer eigenen Produktion. Hohe Fixkosten, beispielsweise für eigene Kraftwerke oder die Netzsteuerung, verlangen nach einer grossen Kundenbasis. Und erst recht gilt «Gross ist gut» im Bahnverkehr. Denn der Schienenstrang behauptet sich gar als natürliches Monopol – was bedeutet: Es ist für einen Anbieter nicht sinnvoll, neben den Schienen des Konkurrenten sein eigenes Bahnnetz zu bauen.

Und doch gibt es gerade in den oben genannten Branchen Firmen, die diesen ökonomischen Grundsätzen trotzen, und das mit Erfolg. Die Handelszeitung hat sich für diese Serie auf die Suche gemacht und die kleinste Bank, den kleinsten Versicherer, den kleinsten Stromanbieter mit vollem Angebot aus eigener Hand sowie jenen Bahnbetreiber, der über das kürzeste eigene Netz verfügt, ausfindig gemacht. Diese Unternehmen gibt es teilweise schon seit über hundert Jahren, und sie halten sich erfolgreich in einem Markt, der sonst eigentlich Grösse belohnt.

Wie schaffen sie das? Warum gibt es diese Firmen überhaupt noch? Wie funktioniert ihr Geschäftsmodell? Und womit haben sie zu kämpfen? Die Recherche zeigt: Selbst in Branchen mit Grössenvorteilen kann es zuweilen ein Pluspunkt sein, klein und flexibel zu sein.

Anders als eine Raiffeisen-Bank oder ein kleiner Vermögensverwalter ist die EKS eine eigenständige, voll lizenzierte Bank. Sie vergibt Hypothekarkredite, führt Sparkonten und wickelt Zahlungen für ihre Kundschaft ab. Alle drei Jahre gebe es eine ausführliche Revision zuhanden der Finanzmarktaufsicht, erzählt Daniel Müller, der die Bank seit 1991 leitet und das Geschäft demnächst an seine Kollegin Sarah Neuburger übergeben wird. Für viele Kunden ist Müller die Bank. Er kennt sie alle, kennt ihre Geschäfte. In Speicher läuft vieles noch persönlich. So gibt es keinen Geldautomaten; wer Bargeld braucht, kommt an den Schalter. Dieser hat bis 18 Uhr geöffnet – und samstags bis am Mittag.

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Natürlich unterscheidet sich die EKS von anderen Banken. Zwar hat auch sie einen schmucken, kleinen Tresorraum mit Kundensafes. Doch Börsengeschäfte gibt es hier nicht. Das Kreditgeschäft ist auf Hypotheken beschränkt. Auch eigene Bankomatkarten gibt die Bank nicht aus. Das wäre zu aufwendig, erklärt Müller. Wer eine Kreditkarte braucht, muss sie sich bei der Konkurrenz besorgen. «Wir sind in klar definierten Nischen unterwegs und müssen die Kosten im Griff haben, damit die Rechnung aufgeht.» Die Hypothekarmarge hat Müller immer klar im Blick: Er weiss genau, bis wann ein Kredit noch seine Kosten deckt. Und noch etwas unterscheidet die Bank von anderen: Sie ist als Stiftung aufgesetzt. Wichtige Themen muss Müller mit dem Stiftungsrat besprechen.

Die 1819 von Industriellen gegründete Ersparniskasse ist seit Jahren etwa gleich gross. Das einst gesteckte Ziel, die Bilanzsumme auf 80 Millionen Franken zu bringen, sei 2024 erreicht worden, derzeit liegt sie wieder etwas darunter. Mittelfristig brauche es wohl 100 Millionen, um die steigenden Fixkosten der Bank zu decken. Vor- und Nachteile der eigenen Grösse kann Müller gut benennen. Der Vorteil sei die Nähe zur Kundschaft, der persönliche Kontakt. Interessiere sich jemand für einen Hypothekarkredit, könne die Bank ihm meist am gleichen Tag noch ein verbindliches Angebot machen.

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Das ist es auch, was Sarah Neuburger vor zwei Jahren zur EKS brachte. Die 36-Jährige stammt aus Deutschland, aus der Nähe von Ulm. Kleine Banken hätten ihr schon immer besser gefallen, erzählt sie. Dass man hier nicht in Foulard und Blazer arbeiten muss, sei ein Pluspunkt. «Kann ich mich so für die Zeitung fotografieren lassen?», fragt sie ihren Chef. Klar. Müller selbst steht im Kurzarmhemd am Schalter. Nach Speicher kam die Schwäbin über die Familie. Als die Stelle ausgeschrieben war, sei sie von ihrer Schwiegermutter darauf angesprochen worden, die in Speicher lebt. Neuburger sei für ihn die Ideallösung, sagt Müller. Und tatsächlich scheint diese perfekt nach Speicher zu passen. Sie liebe den direkten Kundenkontakt und die Arbeit als Allrounderin. Auch stehe sie voll hinter der Philosophie der Bank. Und sie outet sich als Anhängerin des Bargeldgeschäfts. «Ich besitze keine einzige Bankkarte. Ich lebe jetzt seit drei Jahren in der Schweiz und komme gut damit durch.» Und zur Not habe ihr Partner immer noch eine Kreditkarte, erklärt sie.

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Gemäss Noch-Chef Müller braucht rund ein Drittel der Kundschaft die Bankbeziehung für tägliche Zahlungen. E-Banking und eine App bietet die EKS seit ein paar Jahren an. Sie operiert mit dem Finstar-Kernbankensystem der Hypothekarbank «Hypi» Lenzburg, man ist in regelmässigem Austausch mit der Hypi oder mit anderen Banken, die mit dem gleichen System arbeiten. Doch die Bank stosse auch schnell an Grenzen. Am Rechnungssystem E-Bill etwa könne man nicht teilnehmen, weil die Fixkosten für eine so kleine Bank zu hoch seien, sagt Müller. Das werde zu einem Problem, wenn in ein paar Jahren das Lastschriftverfahren (LSV) eingestellt wird.

Und wie fühlt es sich an, eine Bank zu übernehmen, die seit 1991 von der gleichen Person geführt wird? Das scheint Neuburger kein Bauchweh zu machen. Sie freue sich auf die Aufgabe. Natürlich werde sie das eine oder andere anders machen als ihr Vorgänger, sagt sie. Und erwähnt etwa die Dokumentation. Müller notiere sich kaum je etwas, er könne sich alles merken, sagt sie. «Da werden wir sicher etwas mehr festhalten als bisher.» Weniger einfach sei es, das Angebot der Bank zu verändern. Wollte die EKS in die Anlageberatung einsteigen, bräuchte es dazu erst mal eine Statutenänderung. Und da habe es bisher noch immer Nein geheissen.

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Michael Heim Handelszeitung

Michael Heim

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