Guten Tag,
Der neue SBB-Chef Vincent Ducrot kommt von aussen, aber eigentlich ist er der wahre interne Kandidat. Diese Personen zählen zu seinem Machtnetz.
Florence Vuichard
Vincent Ducrot, künftiger SBB-Chef am Hauptsitz in Bern.
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Es gibt eine Zeit zum Aufbrechen und eine Zeit zum Innehalten – auch bei der Chefwahl. Als der langjährige SBB-Chef Benedikt Weibel abtrat, war ein externer Manager gefordert, einer, der frischen Wind in den etwas gar behäbigen Staatsbetrieb brachte. Doch nach rund zwölf Jahren Andreas Meyer braucht es nun wieder einen waschechten «Bähnler» oder «Cheminot», der für die Grundwerte des Service public einsteht und die SBB bestens kennt.
Einen wie Vincent Ducrot, der sich selbst als «bescheiden» und «transparent» beschreibt und der, anders als sein Vorgänger, kein Problem hat, beim Salär unter der magischen Grenze von einer Million Franken zu bleiben. Es ist kein Generationenwechsel, ist doch der 57-jährige Ducrot nur ein Jahr jünger als Meyer. Aber ein klarer Typenwechsel.
Und damit ein Wechsel, der auch der Politik gefallen dürfte. Denn selten stand die SBB so in der Kritik wie heute: Probleme mit der Pünktlichkeit und der Zuverlässigkeit, das nicht enden wollende Drama rund um die Dosto-Doppelstockzüge, der Lokführermangel und zuletzt der tödliche Unfall wegen defekter Türen haben arg am Lack des Schweizer Nationalheiligtums gekratzt. Ducrot verspricht Besserung. Wunder kann allerdings auch er nicht vollbringen.
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Er gratuliere «mit einem lachenden und einem weinenden Auge», sagte der Freiburger Regierungsrat Georges Godel, der die Freiburger Verkehrsbetriebe TPF präsidiert. Ducrots Nomination an die SBB-Spitze sei eine Chance, aber für die TPF ein Verlust. Denn darin sind sich alle Freiburger einig: Ducrot hat als TPF-Chef einen guten Job gemacht und die Unternehmung modernisiert.
KeystoneLob gibts etwa von den Regierungsräten Pierre-Olivier Nobs und …
Keystone… Jean-François Steiert, …
Keystone… ebenso wie vom FDP-Nationalrat und Bauernverbandsdirektor Jacques Bourgeois, der im TPF-Verwaltungsrat sitzt, und …
Keystone… vom SP-Chef Christian Levrat.
KeystoneVerkehrsministerin Simonetta Sommaruga (Bild), die während des Wahlprozesses «in regelmässigem Kontakt» mit SBB-Präsidentin Monika Ribar stand, liess Ducrot gleich wissen, dass die Bevölkerung erwarte, «dass die SBB sicher, pünktlich und zuverlässig» funktioniere. Ducrot selbst fügte als weitere Priorität die «Sauberkeit» hinzu.
KeystoneWährend seiner TPF-Jahre hatte Ducrot weiterhin Kontakt zu SBB-Leuten – etwa zu seinem früheren Chef Paul Blumenthal, zum langjährigen, mittlerweile verstorbenen Ombudsmann Peter Lehmann oder zu Philippe Gauderon (Bild), der vor seiner Pensionierung den Bereich Infrastruktur führte.
KeystoneDucrot outet sich zudem als «Fan» des Zugbauers Peter Spuhler, bei dem er als TPF-Chef Kunde war und mit dem er sich auch sonst gut verstehe.
Daniel WinklerVier Personen waren in der Endausmarchung um den SBB-Chefposten, interner Gegenspieler von Ducrot dürfte Infrastruktur-Chef Jacques Boschung gewesen sein, ebenfalls ein Freiburger.
KeystoneVor rund neun Jahren hatte Ducrot weniger Glück: Er wurde bei der Wahl des SBB-Personenverkehrschefs gleich zweimal übergangen: Zuerst entschieden sich der SBB-Präsident Ulrich Gygi und SBB-Chef Andreas Meyer für den Schweiz-Tourismus-Direktor Jürg Schmid (Bild), …
Keystone… nach dessen Abgang ein paar Monate später für die damalige T-Systems-Managerin Jeannine Pilloud.
© KEYSTONE / GAETAN BALLYZwar wird der neue SBB-Chef nun von allen gelobt, doch ganz konfliktfrei dürfte die Beziehung zu Giorgio Tuti, dem Präsidenten der Verkehrspersonalgewerkschaft (SEV), nicht werden.
KeystoneEingeholt wird Ducrot von seinem Kaufentscheid: Er hatte 2011 den Kaufvertrag für die 59 Dosto-Doppelstock-Pannenzüge von Bombardier unterschrieben. Nun muss er mit Bombardier-Schweiz-Chef Stéphane Wettstein um Strafzahlungen streiten.
KeystoneNach der Matura geht Ducrot von 1982 bis 1987 an die ETH Lausanne (EPFL), wo er sich zum Ingenieur ausbilden lässt. Danach hängt er noch zwei weitere Jahre zum Nachdiplomstudium an der ETH Zürich an. Nach einem Abstecher von 1989 bis 1993 in die Beratungsindustrie bei James Martin Associates in Lausanne und Paris geht Ducrot zur SBB, wo er 18 Jahre bleibt. Er startet in der Informatikabteilung unter SBB-IT-Chef Josef Egger und steigt in der Ära des langjährigen SBB-Patrons Benedikt Weibel die Karriereleiter hoch bis zum Leiter der Fernverkehrssparte.
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Weibel ist es auch, der ihn zum SBB-Delegierten für die Expo 2002 ernennt. Ducrots direkter Vorgesetzter ist Paul Blumenthal, der Chef der Division Personenverkehr. Als Blumenthal nach schwerer Krankheit nicht mehr zur SBB zurückkommt, übernimmt Ducrot für eine kurze Zeit interimistisch die Leitung des Personenverkehrs.
Im Sommer 2011 verlässt Ducrot die SBB und wird Direktor der Freiburger Verkehrsbetriebe TPF. Er hatte sich gegen 47 Mitbewerber durchgesetzt, wie der damalige TPF-Präsident, der mittlerweile verstorbene Direktor des Freiburger Wirtschaftsverbands Fédération Patronale et Economique Christian Castella, festhielt. Nun holt ihn SBB-Präsidentin Monika Ribar zurück zur SBB.
Vincent Ducrot kennt sie alle, und sie kennen ihn: Denn alle Chefs der grösseren Verkehrsbetriebe treffen sich regelmässig bei den Vorstandssitzungen des von Ueli Stückelberger geführten Verbands öffentlicher Verkehr (VöV).
KeystonePräsidiert werden der Vorstand sowie der Vorstandsausschuss vom Direktor der Verkehrsbetriebe Luzern, Norbert Schmassmann, Ducrot ist Vizepräsident.
KeystoneEbenfalls mit am Tisch sitzen etwa SBB-Lenker Andreas Meyer, …
© KEYSTONE / ALESSANDRO DELLA VALLE… BLS-Chef Bernard Guillelmon, …
Keystone… Renato Fasciati, der Direktor der Rhätischen Bahn, …
Keystone… Thomas Küchler, der Chef der Südostbahn, …
Keystone… Guido Schoch, der Direktor der Stadtzürcher Verkehrsbetriebe, …
Keystone… oder der neue Postauto-Chef Christian Plüss.
KeystoneDucrot geniesse einen «hervorragenden Ruf» in der Branche, wie ihm seine Kollegen attestieren, und er wisse, dass der öffentliche Verkehr in der Schweiz nicht nur aus der SBB bestehe, sondern aus einem System von vielen Bahnen. Und anders als sein Vorgänger Meyer versteht sich Ducrot offenbar auch gut mit seinem obersten Regulator, dem Chef des Bundesamtes für Verkehr Peter Füglistaler.
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Vincent Ducrot wird 1962 geboren und wächst mit seinem Bruder Charles, der heute in der kantonalen Verwaltung arbeitet, und seiner Schwester Martine im freiburgischen Châtel-St-Denis auf. Sein Vater Henri war Tierarzt und später Kantonstierarzt, seine Mutter Rose-Marie Ducrot eine engagierte CVP-Politikerin: Sie war die Gemeindepräsidentin von Châtel-St-Denis, Grossrätin, Grossratspräsidentin und zwischen 1995 und 1999 gar Nationalrätin. Ducrots Tante und Schwester seiner Mutter, Anita Brünisholz, war ebenfalls für die CVP im Kantonsparlament.
Trotz familiärer CVP-Nähe ist der designierte SBB-Chef selbst nicht Mitglied einer Partei, wie er betont. Ducrot ist verwitwet, Vater von sechs Kindern im Alter von 12 bis 27 Jahren und wohnt in der Gemeinde Echarlens, deren Finanzkommission er präsidiert. Seit seinem 16. Lebensjahr ist er Mitglied beim Samariterverband.
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Rose-Marie Ducrot in ihrer Zeit als Nationalrätin.
ZVGRose-Marie Ducrot in ihrer Zeit als Nationalrätin.
ZVGDieser Text erschien in der Januar-Ausgabe 01/2020 der BILANZ.
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