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Flug-Stornierungen – exklusive Stichprobe

Meiden Sie Abendflüge!

Wie häufig Airlines Flüge ab der Schweiz stornieren, welche Gründe das hat und was sich ändern müsste. Eine exklusive Untersuchung.

Valda

<p>72 Prozent der stornierten Flüge aus der und in die Schweiz waren Abendflüge. Im Vergleich zu Morgen- und Mittagsflügen besteht für Abendflüge ein um 20 Prozent höheres Risiko, dass sie storniert werden.</p>

72 Prozent der stornierten Flüge aus der und in die Schweiz waren Abendflüge. Im Vergleich zu Morgen- und Mittagsflügen besteht für Abendflüge ein um 20 Prozent höheres Stornierungsrisiko.

Keystone/Steffen Schmidt

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Gewitter zogen an diesem Sonntagabend, 1. Juni, über Europa. Tausende Passagiere warteten in Prag auf ihren Rückflug, darunter dreihundert mit Ziel Schweiz. Die Swiss-Maschine nach Zürich hob, wenn auch verspätet, ab, nicht aber der Eurowings-Flug nach Genf. Er hätte kurz nach 18 Uhr starten sollen, doch die Maschine war nicht da. «Unbestimmte Verspätung», hiess es am Gate.

Eine Stunde später rollte der Eurowings-Airbus an. Die Ankommenden verliessen ihn, doch das Gate für den Rückflug nach Genf öffnete sich nicht. Eine halbe Stunde später dann die Meldung: Flug annulliert. Fluchen, Frustration, auch weil die Airline keinerlei Hilfe bot. Das Personal war abgetaucht. Der Livetracker zeigte, dass trotz Gewittern weiterhin Flugzeuge in Prag starteten. Warum also annullierte Eurowings den Flug? War es wegen Gewittern oder wegen interner Probleme?

<p>Eine Eurowings-Maschine am Flughafen Köln/Bonn.</p>

Eine Eurowings-Maschine am Flughafen Köln/Bonn.

imago/NurPhoto
<p>Eine Eurowings-Maschine am Flughafen Köln/Bonn.</p>

Eine Eurowings-Maschine am Flughafen Köln/Bonn.

imago/NurPhoto

Wöchentlich werden von und nach Zürich, Genf und Basel im Schnitt 64 Flüge annulliert. Dies ergibt eine Auswertung der Handelszeitung von Flugdaten der Anbieterin Flightaware. Sie erhob im Zeitraum vom 11. bis 28. Juli alle annullierten Flüge der Landesflughäfen.

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Das Ergebnis ist repräsentativ, wie ein Vergleich mit den Daten der auf Passagierrechte spezialisierten deutschen Firma Flugrecht zeigt. Ihre Quelle ist OAG, die weltgrösste Flugdatenhändlerin. Deren Statistik des ersten Halbjahres 2025 verzeichnet ab Zürich 20 und ab Genf 13 stornierte Flüge pro Woche. Ersteres deckt sich mit der Handelszeitung-Stichprobe, die ab Zürich 22 und ab Genf 21 stornierte Flüge registrierte. Dass der Wert von Genf in der Handelszeitung-Stichprobe im Vergleich zur Halbjahresstatistik um einen Drittel höher lag, dürfte an den dort in diesem Zeitraum gehäuft vorkommenden Gewittern gelegen haben.

Generell kann gesagt werden, dass wegen fast jedes stornierten Flugs ein zweiter, nachfolgender mit derselben Maschine ausfällt. Der Grund ist das Rotationsmodell: Dieselbe Maschine und Besatzung fliegen hin und her, die Aufenthaltszeiten mit 30 bis 40 Minuten sind kurz. Diese Rotationen sind erkennbar an Paarflugnummern wie etwa SWR982/983. Zwei Beispiele: Swiss strich am 27. Juli Zürich–Berlin (17.30 Uhr) und den Rückflug (21.15 Uhr), 300 Passagiere waren betroffen. Easyjet annullierte am selben Tag Budapest–Genf (18.45 Uhr) und den Rückflug (22.35 Uhr). Geschätzt 280 Passagiere mussten hier umbuchen.

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Exponierte Abendflüge

Wegen des Rotationsmodells ist das Verhältnis von storniert ankommenden und abfliegenden Flügen an den Flughäfen ähnlich, in Zürich beträgt es 45:55. In Genf und Basel sind die Verhältnisse je halbe-halbe. Das Modell beeinflusst auch die Entschädigungsfrage wegen eng getakteter Rotationen.

Abendflüge sind besonders gefährdet. Ab Zürich machen sie 55 Prozent der gestrichenen Flüge aus, ab Genf und Basel gar 75 Prozent. Der Passagierrechtevertreterin Aviclaim zufolge ist das Risiko nach 18 Uhr um 19,4 Prozent höher, betroffen sind insbesondere Zubringerflüge zu Hubs.

Sie empfiehlt Fluggästen deshalb, Abendflüge nach Möglichkeit zu vermeiden, gerade wenn es sich um Zubringer zu internationalen Drehkreuzen handelt. Dort sei die Kettenwirkung bei Verspätungen oder Ausfällen am Abend «signifikant höher als am Morgen oder am Mittag». Hinzu kommt, dass die Konsequenzen für versetzte Passagiere abends negativer sind als morgens: Sie reichen von der Hotelsuche über die Verschiebung oder Stornierung von Reisearrangements bis hin zu mehrtägigem Nichterscheinen am Arbeitsplatz, zu verpassten Konferenzen oder zum Nichtabholen von Kindern. Sitzengelassene Passagiere balgen sich um die gleichen nachfolgenden Verbindungen. Die Weiterreise dauert nicht selten Tage, und man muss Umwege in Kauf nehmen.

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<p>28’000 Passagiere waren von den Flugannullierungen in die Schweiz und aus der Schweiz, die zwischen 11. und 29. Juli 2025 passierten, betroffen.</p>

28’000 Passagiere waren von den Flugannullierungen in die Schweiz und aus der Schweiz, die zwischen 11. und 29. Juli 2025 passierten, betroffen.

ZVG
<p>28’000 Passagiere waren von den Flugannullierungen in die Schweiz und aus der Schweiz, die zwischen 11. und 29. Juli 2025 passierten, betroffen.</p>

28’000 Passagiere waren von den Flugannullierungen in die Schweiz und aus der Schweiz, die zwischen 11. und 29. Juli 2025 passierten, betroffen.

ZVG

Dass das kein Randphänomen ist, zeigt die Zahl der Betroffenen. Die Handelszeitung rechnete anhand der Verknüpfung der stornierten Flüge mit den eingesetzten Flugzeugen die Zahl hoch – unter der Annahme, dass während der Ferienzeit Europaflüge ausgebucht sind. Im Zeitraum der 18 Tage waren dementsprechend 28’295 Passagiere betroffen, die auf dem Weg in die oder aus der Schweiz stecken blieben. Im Schnitt strandeten pro Woche von und nach Zürich 880 Personen, von und nach Genf 493 und von und nach Basel 290. Auf das Jahr hochgerechnet, dürften bis zu 780’000 Flugpassagiere betroffen sein.

Effizienz der Airlines im Fokus

Statistiken gibt es nicht. Die Zahl der stornierten Flugtickets ist ein gut gehütetes Geheimnis der Airlines. Ihre Sicht ist sowieso eine andere, eine betriebswirtschaftliche. Sie optimieren die Annullationskosten im Verhältnis zu den Kosten einer Betriebsreserve, um Annullationen zu vermeiden. Am Heimatflughafen ist dies einfacher: Dort stehen öfters Ersatzcrews und -flugzeuge bereit, die einspringen können. Anders auf den Aussenstationen: Wenn eine Swiss-Maschine nach Berlin storniert ist, steht dort auch keine für den Rückflug bereit. Überall Reserven zu halten, wäre viel zu teuer.

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Die Airlines wehren sich gegen die Kritik mit der Aussage, dass die Zahl der stornierten Flüge im Verhältnis zur Gesamtflugzahl klein sei. Swiss sagt, dass nur 1 Prozent der Flüge kurzfristig storniert werde und dass man sich verbessert habe. Eurowings formuliert es gleich.

<p>Rund 1 Prozent aller Swiss-Flüge ab der Schweiz werden storniert.</p>

Rund 1 Prozent aller Swiss-Flüge ab der Schweiz werden storniert.

Keystone/Christian Merz
<p>Rund 1 Prozent aller Swiss-Flüge ab der Schweiz werden storniert.</p>

Rund 1 Prozent aller Swiss-Flüge ab der Schweiz werden storniert.

Keystone/Christian Merz

Auffällig sind indessen die grossen Unterschiede zwischen den Airlines, wie der Top-Ten-Vergleich des ersten Halbjahres der Firma Flugrecht zeigt: Finnair storniert am meisten Flüge, gefolgt von KLM, British Airways und Air France. Die Swiss landet mit 1,07 Prozent auf dem fünften Rang. Der Billigflieger Easyjet weist eine Rate von 0,6 Prozent auf, und auch Ryanair verzeichnet mit 0,25 Prozent Stornierungen nur knapp einen Viertel der Quote der Swiss.

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Zu den Gründen sagt die Swiss, dass kurzfristige Stornierungen meist ausserhalb ihres Einflussbereichs seien: Die meisten Ausfälle passierten «wegen Wetterbedingungen (meistens Gewitter) in Kombination mit Einschränkungen bei der Flugsicherung sowie wegen technischer Ursachen», so eine Sprecherin. Am knappen Personalbestand liege es nicht. Wegen fehlender Crews wurden im Juli keine Flüge gestrichen. In diesem Jahr waren es 31, was 0,04 Prozent der Flüge entspreche.

Easyjet ergänzt, dass in Europa «fast 90 Prozent der Verspätungen 2024 durch Faktoren verursacht wurden, die ausserhalb der Kontrolle der Fluggesellschaften liegen, vor allem durch Einschränkungen der Flugsicherung und wetterbedingte Störungen». Das Hauptproblem sei der französische Luftraum mit häufigen Fluglotsenstreiks. Als Reaktion darauf habe man in diesem Sommer hundert neue Besatzungsmitglieder in der Schweiz eingestellt, Puffer in die Pläne eingebaut und ein neues Planungstool eingesetzt.

Fehlende Reserven werden kritisiert

Firmen, die Flugpassagiere vertreten, sehen das anders. Die Flugpläne vieler Airlines seien «zu knapp kalkuliert, um die heute üblichen Störungen im Betrieb, etwa durch Wetter, Technik oder Personal, zuverlässig abzufedern», sagt Flugrecht-Sprecherin Lena Knoblauch. Gleichzeitig seien die finanziellen Folgen zu klein, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.

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Andreas Valda

Die Fluggäste sollten gewisse Airlines und Flüge meiden

Airlines optimieren ihre Flugpläne, um die Kosten tief zu halten, zum Teil auf Kosten der Passagiere. Wie diese zurückschlagen könnten.

«Die aktuelle Ausgestaltung der EU-Fluggastrechteverordnung hinsichtlich der Höhe der Entschädigungssummen ist nicht ausreichend», so die Sprecherin. Das EU-Entschädigungsregime, das auch für die Schweiz gilt, sei zwanzig Jahre alt und nie an die Inflation oder an steigende Ticketpreise angepasst worden. Dass die Airline-Lobby eine Absenkung dieser Beträge fordere – und dabei von der EU-Kommission und dem EU-Rat Recht erhält – sende «ein vollkommen falsches Signal» aus.

Die zweite grosse Flugrechtevertreterin Aviclaim sagt, das grösste Hindernis sei die «Desinformation durch Fluggesellschaften». Viele Passagiere würden bei der Entschädigungsfrage pauschal mit der Antwort «aussergewöhnliche Umstände» abgespeist, weshalb kein Anspruch bestehe – «oft fälschlicherweise», sagt Aviclaim-Sprecher Erik Preisigke. Die Airlines brächten dieses Argument manchmal «ein oder mehrere Tage zurückliegend» an. Das nennt sich Kettenwirkung. Doch diese Begründung, ohne den Zusammenhang kausal nachzuweisen, sei ungesetzlich.

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Ein aktuelles Urteil in den Niederlanden gibt Aviclaim Recht. Im Gerichtsfall ging es um Tui und einen verspäteten Flug von den Niederlanden nach Lanzarote. Die Fluggesellschaft berief sich auf aussergewöhnliche Umstände und behauptete, diese hätten sich selbst bei Ergreifen aller zumutbarer Massnahmen nicht vermeiden lassen. Die Klägerin widersprach. Tui hätte ein Ersatzflugzeug einsetzen oder eine neue Rotation einplanen können. Das Gericht bewertete das Verhalten der Airline als unzureichend und stellte klar, dass die Verspätung auf ein betriebsinternes Risiko zurückzuführen war und nicht auf höhere Gewalt.

John Grant von OAG kennt solche Fälle. Er entgegnet, dass der Einbau von noch mehr Reserven in die Flugpläne an Grenzen stosse: «Wenn die Fluggesellschaften die Pufferzeit in ihrem Betrieb erhöhen würden, wären zusätzliche Flugzeuge und daraus resultierende Kosten für die Fluggesellschaft erforderlich, um die heute betriebene Frequenz zu erreichen – Kosten, die an den Kunden weitergegeben werden.»

Unklare Mitverantwortung der Flugraumkontrolle

So sieht es nach einem vorläufigen Patt der Argumente aus. Die Airlines haben kaum Anreize, weitere Puffer einzuplanen, weil diese teuer sind und weil Entschädigungen selten automatisch oder freiwillig geleistet werden und zudem tief sind. Aviclaim-Sprecher Preisigke fordert eine bessere Aufklärung der Fluggäste über ihre Rechte durch Fluggesellschaften – und Strafzahlungen.

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Offen ist, welche Rolle die Flugraumkontrolle in Europa in der Optimierung haben könnte. Easyjet und die Swiss sagen, die Fluglotsen hätten einen grossen Einfluss, weil sie die Kapazität von Lufträumen und Flughäfen einschränkten, sei es wegen des Wetters, wegen Pannen oder Personalmangel. Skyguide, verantwortlich für den hiesigen Flugraum, betont: «Wir annullieren keine Flüge. Das machen die Airlines aufgrund der herrschenden Bedingungen und Prognosen.»

<p>Skyguide sagt, dass sie keine Flüge annulliere, das liege allein in der Verantwortung der Airlines: Kontrollturm in Zürich-Kloten.</p>

Skyguide sagt, dass sie keine Flüge annulliere, das liege allein in der Verantwortung der Airlines: Kontrollturm in Zürich-Kloten.

Keystone
<p>Skyguide sagt, dass sie keine Flüge annulliere, das liege allein in der Verantwortung der Airlines: Kontrollturm in Zürich-Kloten.</p>

Skyguide sagt, dass sie keine Flüge annulliere, das liege allein in der Verantwortung der Airlines: Kontrollturm in Zürich-Kloten.

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Gemäss Skyguide wurden im ersten Halbjahr 2025 3,9 Prozent aller Flüge von der Flugsicherung verspätet abgefertigt, die Hälfte davon wetterbedingt. Doch es gab auch interne Gründe. In diesem Jahr führten Systemtests, eine neue Luftraumgestaltung, Personalmangel und der Kapazitätsmangel in Zürich wegen unerlaubter Südstarts über die Goldküste zu Verspätungen.

Und Eurowings? Hat die Airline den Flug von Prag nach Genf wegen interner Gründe storniert? Sie sagt: «Er wurde annulliert, weil die Dienstzeit der für den Flug geplanten Crew aufgrund von flugsicherungsbedingten Verspätungen wegen der breiten Gewitterlage an dem Tag über Europa überschritten wurde.» Eine Ersatzcrew sei in Prag an diesem Abend nicht abrufbar gewesen. Man habe an diesem Tag 26 Flüge annullieren müssen. Die Passagiere gingen leer aus. Ob zu Recht, bleibt offen.

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Nur wenn Passagiere Flüge und Airlines meiden, die für ihr Stornierungsrisiko bekannt sind, wird sich die Flugindustrie wandeln.

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Andreas Valda

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