Abo
Mario Irminger

Der Wechsel vom roten Discounter zum orangen Riesen

Der künftige Migros-Chef Mario Irminger muss den M-Tanker auf Kurs bringen. Im Konzern wird ihm das zugetraut. Allerdings wird seine Bilanz bei Denner auch kritisch beurteilt.

Dirk Ruschmann

Bastian Heiniger

&

Dirk Ruschmann

Mario Irminger liess sich als CEO von Denner gern als  «Cola-Krieger» inszenieren.

Mario Irminger liess sich als CEO von Denner gern als «Cola-Krieger» inszenieren. Bei der Migros wird diplomatisches Talent gefragt sein.

Dominique Meienberg

Werbung

Der Ort der wichtigsten Entscheidung des Jahres passt so gar nicht zur Migros. Unweit der Villa des brasilianischen Multimilliardärs Jorge Lemann und in direkter Nachbarschaft zum künftigen Anwesen von Roger Federer liegt das Gästehaus Gubel, eine feudale Villa am unteren Ende des rechten Zürichseeufers nahe Rapperswil. An dieser edlen und zugleich diskreten Adresse, weitab vom Migros-Turm am Zürcher Limmatplatz, vollziehen sich gemeinhin die Krönungen künftiger Migros-Bosse.

Partner-Inhalte

Als hier nun Mario Irminger am 2. Februar vor die Verwaltung des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB) trat und seine Vorstellungen für die Zukunft des orangen Riesen darlegte, stand so gut wie fest, dass er als Nachfolger für den Ende April scheidenden CEO Fabrice Zumbrunnen das Rennen machen wird. Ein rapider Aufstieg: vom Discounter Denner direkt an die Spitze der gesamten Migros-Gruppe.

Werbung

Das Gästehaus Gubel in Rapperswil-Jona wurde 1954 von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler erworben.

Das Gästehaus Gubel in Rapperswil-Jona wurde 1954 von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler erworben.

Keystone
Das Gästehaus Gubel in Rapperswil-Jona wurde 1954 von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler erworben.

Das Gästehaus Gubel in Rapperswil-Jona wurde 1954 von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler erworben.

Keystone

Last Man Standing

Irminger war der einzige Kandidat, der zur Wahl stand. Das Ergebnis war daher deutlich: Die Verwaltung, bestehend aus Präsidentin Ursula Nold, den zehn Regionalfürsten sowie zwei Mitarbeitervertretern und neun externen Mitgliedern (darunter der frühere Ethos-Anlegerschützer Dominique Biedermann oder der Ex-Tamedia-CEO Christoph Tonini), wählte Irminger einstimmig, wie von gut informierten Quellen zu erfahren ist. Die Migros selbst schweigt sich aus: «Über Modalitäten der Wahl informieren wir nicht», heisst es auf Anfrage. Wie BILANZ erfahren hat, blieben nach dem anfangs international angesetzten Research des Headhunters Egon Zehnder noch vier Personen im Rennen: Neben Irminger waren das Marketing-Chef Matthias Wunderlin, Operations-Chef Rainer Baumann sowie ein externer Kandidat aus dem Ausland. Ernsthaft in Erwägung gezogen wurde nur einer: Das Nomination Comittee setzte voll und ganz auf den Denner-Chef.

Werbung

Ein Interner also, der nicht dem regionalen Genossenschaftsreich angehört, aber den einerseits die Regionalfürsten respektieren und der ihnen andererseits kaum zu stark ins Gärtchen trampen wird. Aus Migros-Kreisen heisst es denn auch unisono: «Es hätte keine bessere Wahl geben können.» Dem 57-jährigen Manager mit Vergangenheit als Wirtschaftsprüfer bei EY wird zugetraut, dass er den Tanker Migros wieder auf Kurs bringt. Beim grössten Arbeitgeber des Landes rumpelt es seit Monaten gewaltig. Zumbrunnen gab seinen Posten nach nur viereinhalb Jahren mehr oder weniger freiwillig auf; er hatte den Rückhalt der Verwaltung verloren. BILANZ machte im November Pläne publik, wonach die regionalen Genossenschaften das Supermarktgeschäft neu organisieren und in einer neuen Einheit bündeln wollen. Angedacht ist die Bildung einer Supermarkt AG. Die Migros will jedoch keinen «Zeithorizont zum Projekt zur Optimierung des Supermarktgeschäfts benennen». Eine mit dem Projekt vertraute Person spricht von einem langen und sehr komplexen Prozess, der in mehreren Phasen erfolgen soll. Viele Fragen sind zu klären: Welche Genossenschaft erhält wie viele Anteile, wer bekommt einen Sitz im Verwaltungsrat, wird die neue Einheit am MGB angeschlossen sein oder, wie es die Regionalchefs anstreben, ganz rausgenommen?

Werbung

Zumbrunnen hatte vergeblich gegen das Supermärkte-Projekt opponiert. Ihm gelang es nicht, diese von den Regionalfürsten vorangetriebene Schwächung des MGB zu verhindern. Ihm hätten von Beginn an Format und Hausmacht dafür gefehlt, sagt ein ehemaliges Kadermitglied. Zuvor Chef der kleinsten Genossenschaft Neuenburg-Freiburg und im MGB ab 2012 Leiter des eher peripheren Departements Human Resources, Kulturelles und Soziales, war Zumbrunnen als Leichtgewicht gestartet. Für die Nachfolge des langjährigen Migros-Chefs Herbert Bolliger im Jahr 2017 ging man intern davon aus, dass Migros-Zürich-Chef Jörg Blunschi nachfolgen würde. Noch am Abend vor der Wahl hatte er die Mehrheit. Doch Blunschis Präsentation überzeugte nicht alle Mitglieder der Verwaltung, zwei entschieden sich spontan um. Schliesslich gewann Zumbrunnen mit nur einer Stimme mehr, «er war eher eine Zufallswahl», lästert ein Insider. Und so hatte der feingeistige Neuenburger von Anfang an keine dominante Mehrheit hinter sich.

Werbung

Die Schlüsselfiguren

Ursula Nold: Als MGB-Präsidentin ist sie Irminger vorangestellt.
Matthias Wunderlin verantwortet im MGB Einkauf und Marketing.
1 / 2

Ursula Nold: Als MGB-Präsidentin ist sie Irminger vorangestellt.

PD

Auf Irminger warten grosse Baustellen

Irminger, in einstimmigem Votum gewählt, startet also mit einem Rückhalt, den sein Vorgänger nie hatte. Und den wird er brauchen. Denn inzwischen ist speziell im Kerngeschäft die Baustelle um ein paar M grösser. Aldi und Lidl expandieren munter weiter. Coop ist aktuell mit seinen oft kleineren Filialen und der wendigeren Einheitsgenossenschaft besser aufgestellt. In den Migros-Supermärkten ist der Umsatz vergangenes Jahr um drei Prozent auf 12,3 Milliarden Franken gesunken, einige Genossenschaften kommen kaum noch in die schwarzen Zahlen. Auch die Marke Migros hat gelitten, und kommunikativ duckt sich die Führung seit Jahren weg. Präsidentin Ursula Nold ist öffentlich kaum wahrzunehmen, und Zumbrunnen machte nie einen Hehl daraus, dass er das Rampenlicht nicht mag. Selbst Nachfolger Irminger, der sich vom «Blick» gern als «Cola-Krieger» feiern liess, wurde lediglich mit einer dürren Mitteilung annonciert. Für Fragen steht er aktuell nicht bereit.

Werbung

An Beliebtheit eingebüsst

Es mag nicht allein an der spärlichen Kommunikation liegen – doch erstmals muss Migros, traditionell die beliebteste Marke der Schweiz, ihren Platz an der Spitze abgeben: Gemäss Brand Indicator Switzerland (BIS) ist 2023 neu der amerikanische Messengerdienst WhatsApp die populärste Marke der Schweizer Bevölkerung; Migros folgt auf Platz zwei. Düster sieht es besonders im zukunftsgerichteten Ranking aus, das sich aus Bewertungen von einflussreichen Meinungsmachern zusammensetzt. Hier landet Migros abgeschlagen auf Platz 24. Besonders bitter: Mit Coop (Rang 3), Coop Supercard (4), Lidl (10), Denner (15), Prix Garantie (18), Coop City (19) sowie Coop.ch (21) liegen gleich sieben Retail-Marken vor der Migros. «Wenn es der Migros nicht gelingt, jüngere Generationen wieder bedeutend besser anzusprechen, wird sie ihre seit Jahren gehaltenen Spitzenplätze bei der Gesamtbevölkerung verlieren», heisst es im Report. Will Irminger die Umsätze in den Supermärkten wieder steigern, muss er die Migros vom leicht angestaubten Image befreien.

Werbung

Keine einfache Aufgabe, aber auch keine Mission Impossible. Dass Irminger sich als Anpacker und Machertyp in Szene setzen kann, hat er in seinen 13 Jahren bei Denner bewiesen. Erst stieg er ein als Finanzchef, und bereits ein Jahr später übernahm er nach dem überraschenden Abgang des damaligen CEO Peter Bamert dessen Posten, die ersten Monate in Doppelfunktion. Medien nannten seinen Aufstieg «fast kometenhaft». Bald machte der neue Denner-Vormann auf sich aufmerksam, indem er die Preise von 50 Markenprodukten um 20 Prozent senkte: etwa Gillette-Rasierklingen, Pampers-Windeln und Import-Bier. In einem Interview mit dem «K-Tipp» sagte er knallige Sätze wie, Denner habe ein Robin-Hood-Gen. «Wir importieren wo immer möglich parallel, kaufen also gewisse Markenprodukte direkt in Europa und holen so die Preise herunter.» Er setzte die Geschäftsleitung neu zusammen, feilte in einer ersten Phase an Eigenmarken und komplettierte das Weinsortiment.

Werbung

Mario Irminger stiess 2010 zu Denner, erst als Finanzchef, ein Jahr später übernahm der den CEO-Posten

Mario Irminger stiess 2010 zu Denner, erst als Finanzchef, ein Jahr später übernahm der den CEO-Posten

CH Media/Alex Spichale
Mario Irminger stiess 2010 zu Denner, erst als Finanzchef, ein Jahr später übernahm der den CEO-Posten

Mario Irminger stiess 2010 zu Denner, erst als Finanzchef, ein Jahr später übernahm der den CEO-Posten

CH Media/Alex Spichale

Keine typische CEO-Karriere

Im Gegensatz zu Zumbrunnen ist Irminger kein Akademiker. Ins Berufsleben startete der Toggenburger, der aus einem kleinen Dorf stammt, mit einer kaufmännischen Ausbildung, bei EY wirkte er später für acht Jahre als Wirtschaftsprüfer, und ab 1996 orchestrierte er bei Heineken Schweiz unter anderem die Integration der Luzerner Brauerei Eichhof, zwölf Jahre amtete er als Finanzchef. Während seiner Karriere holte er sich das nötige Management-Rüstzeug an den renommierten Kaderschmieden IMD in Lausanne und Insead in Fontainebleau. Viel mehr ist nicht zu erfahren aus dieser Zeit. Beim Onlinenetzwerk LinkedIn, auf dem Berufsleute gerne ihre Erfolge feiern und sich gegenseitig zu Beförderungen gratulieren, hat er weder ein Profilbild noch Angaben zum Werdegang – er kommt auf gerade mal 24 Follower.

Werbung

Wegbegleiter beschreiben Irminger als breit aufgestellten Zeitgenossen, der sich sowohl für das lokale Geschehen wie auch für Geopolitik interessiere. Wenn er in seiner Freizeit nicht sportlich in den Bergen unterwegs sei, greife er gerne zu Büchern. Er hat einen erwachsenen Sohn und wohnt mit seiner Partnerin, die er einst bei Denner kennenlernte, auf der linken Zürichseeseite.

Salonfähiger Discounter

Ein ehemaliges Mitglied der Migros-Konzernleitung bezeichnet ihn als «Schnelldenker». Was ihn besonders auszeichne, sei seine «Stärke mit Zahlen». Denn «wie Irminger die Unterlagen für den Verwaltungsrat aufbereitete, war etwas vom Besten, was ich gesehen habe». Präsentieren scheint Irminger also zu können – nicht die geringste Fähigkeit, die es, siehe Blunschi, bei der Migros braucht. Zudem habe er ein Gespür für Megatrends. So brachte er als erster Schweizer Grossverteiler vor sechs Jahren Produkte mit dem IP-Suisse-Label in die Läden. Er wollte Produkte, die preislich etwas unterhalb der Bio-Labels sind, aber viele derselben Kriterien erfüllen. Bei den Bauern war die Skepsis anfangs gross, ein Discounter genoss nicht unbedingt das für sie passende Image. Irminger schaffte es jedoch, die Landwirte auf seine Seite zu ziehen. Er öffnete das Filialnetz für die neuen Produkte, stellte Fahnen mit dem IP-Käfer vor die Läden und rührte kräftig die Werbetrommel dafür.

Werbung

An der Beurteilung seiner Performance als Denner-Chef scheiden sich allerdings die Geister. Auf der einen Seite schreiben Beobachter ihm als langjährigem CEO zu, dass Denner heute für ein bürgerliches Publikum salonfähig ist. Wer eine Filiale betritt, findet helle Räume, frische Waren wie Brot, Früchte und Gemüse. Ein Wegbegleiter sagt, Irminger habe Denner neu positioniert: als Nahversorger mit Discountpreisen. Diesem Credo ordnete er alles unter und richtete die Strategie gänzlich danach aus. Er öffnete konsequent neue Filialen, wo Pendlerströme sind, und richtete das Sortiment auf die Nahversorgung aus. «Das ist zwar keine revolutionäre Grundformel», sagt der Insider. «Irminger hat sie jedoch zehn Jahre lang klar durchgesetzt.» Während Aldi und Lidl ihre Expansion zuerst vor allem in peripheren Lagen vorantrieben, sind heute die meisten Denner-Läden in Gehdistanz.

Werbung

Insider kritisieren fehlende Innovationen Irmingers 

Andere Insider äussern sich kritisch. «Er hat in seiner Zeit weitgehend von der Substanz gelebt», sagt ein intimer Denner-Kenner. Soll heissen: Weder beim Design noch bei der Einrichtung der Filialen, weder bei der Werbung noch beim Onlineauftritt habe Denner in der Irminger-Zeit die ganz grossen Schritte nach vorn gemacht.

Im Gegenteil, sekundiert ein zweiter Insider: Die Produktivität habe sogar abgenommen. Zwar hat Irminger in seiner Zeit den Umsatz um eine Milliarde gesteigert, auf rund 3,7 Milliarden Franken im Jahr 2022. Allerdings blies er in dieser Zeit das Filialnetz auf und sorgte damit für nahezu unausweichliches Wachstum: Die Zahl der eigenen Stores stieg von 441 (im Jahr 2010) auf inzwischen 591 – ein Zuwachs von 150 Verkaufsstellen also, den der Insider auf allein mindestenstens 700 Millionen Franken zusätzlichen Umsatz taxiert. Zudem habe Denner in seinem Weinsortiment die Preise erhöht; das Volumen dieser Steigerung soll bei rund 150 Millionen Franken pro Jahr liegen. Und schliesslich profitierte gerade auch Denner von der Corona-Sonderkonjunktur im Jahr 2020, als alle Retailer ausser den Lebensmittelhändlern schliessen mussten. Doch bereits im vergangenen Jahr schrumpfte der Denner-Umsatz wieder, trotz einer zweistelligen Zahl neu eröffneter Verkaufsstellen.

Werbung

Gekauftes Wachstum

Besonders deutlich wird das gekaufte Wachstum beim Vergleich mit den Daten zu Irmingers Start im Amt. Vom eher mässigen Umsatzwachstum abgesehen, stieg vor allem der Kostenblock: Denner hat heute mehr als 6000 Mitarbeiter, während es 2011 noch 3600 waren – weit mehr, als ein mit dem Wachstumstempo des Filialnetzes synchroner Ausbau erfordert hätte. Oder anders gesagt: Denner lebt heute mit einem Personalüberhang, gemessen an der Zahl der Verkaufsstellen, und zugleich mit gesunkener Rentabilität. Die im Retail massgebliche Kennzahl von Umsätzen pro Quadratmeter Verkaufsfläche hat nicht einmal im Corona-Superjahr 2020 den Spitzenwert aus dem Jahr 2009 erreicht – damals war noch Philippe Gaydoul CEO, Enkel des Denner-Gründers Karl Schweri. Und ab 2020 ist diese Kennzahl bei Denner wieder rückläufig. Flächenbereinigt hat sich Denner also unter Mario Irminger klar zurückentwickelt.

Werbung

Mittlerweile betreibt Denner ausserdem vier verschiedene Formate: die eigenen Filialen, die Partner respektive Satelliten, von selbstständigen Kaufleuten betrieben, dann das Convenience-Konzept «Express» und neu die Denner Bibite, gern in Einkaufszentren neben Migros-Märkten, damit die Kunden, wie der Name nahelegt, nicht ohne ihren Rotwein nach Hause fahren müssen. All diese Formate müssen betrieben und mit kostspieligem Marketing begleitet werden.

Baustellen Migros

Die erste Baustelle ist das Ladenkonzept der Migros. Einige Genossenschaften müssen ihre Läden modernisieren. Zudem soll das Supermarktgeschäfts neu organisiert werden.
Die Gesundheit ist die zweite Baustelle des Migros-Konzern: Inzwischen gehören Arztpraxen, Zahnarztzentren, und jüngst das inländische Apothekengeschäft Zur Rose zum orangen Riesen.
Sein Vorgänger ist zunehmend bei ihnen aufgelaufen. Will Mario Irminger im Konzern etwas bewirken, muss er die Regionalchefs von seinen Ideen überzeugen und hinter sich bringen.
1 / 3

Die erste Baustelle ist das Ladenkonzept der Migros. Einige Genossenschaften müssen ihre Läden modernisieren und das Supermarktgeschäfts soll neu organisiert werden.

Keystone

Werbung

Deutsche Eindringliche abgewehrt

Die deutschen Eindringlinge Aldi und Lidl, 2005 respektive 2009 gestartet, haben sich dabei nicht als die befürchteten Totengräber des Schweizer Discounts herausgestellt. Zwar hatte im Vorfeld der damalige Migros-Chef Herbert Bolliger vor Lohndumping und weiteren Anzeichen für Weltuntergänge gewarnt, hatte Denner-Eigentümer Gaydoul seine Gruppe an die Migros verkauft, um in dem Konkurrenzkampf gar nicht erst antreten zu müssen – aber beide haben längst nicht ihre seit Jahren angepeilte Zahl der Verkaufsstellen erreicht; 300 galten als mittelfristiges Ziel, doch Lidl liegt weit unter 200, Aldi nicht allzu viel darüber. Grund: Im Kampf um Standorte sehen sich die Deutschen oft benachteiligt. Hinter vorgehaltener Hand klagen sie über die Schweizer Grossverteiler, die sich möglichst viele Standorte krallen würden, und sei es nur, um Aldi und Lidl fernzuhalten. Im Zürcher Wohnquartier Seefeld etwa finden sich nicht weniger als fünf Coop-Filialen, dazu bald drei der Migros, während sich Aldi erst einen Standort am Bahnhof Stadelhofen sichern konnte, Lidl fehlt komplett. Denner ist mit einem «Express» vertreten – solche Zweitlinien ersparen sich die Deutschen konsequent.

Werbung

Ein Denner-Mann berichtet von einer «vielsagenden» Episode: Der CEO habe sich ja gern als martialischer «Cola-Krieger» gezeigt – weil er Preissteigerungen des offiziellen Schweizer Coca-Cola-Abfüllers nicht akzeptiert und stattdessen Cola aus dem günstigeren Markt Tschechien importiert habe. In Wahrheit, sagt der Insider, «hat ihm das die deutsche Discounter-Kette Norma organisiert». Man hätte Irminger zu diesem und anderen Themen gern befragt – doch der neue Migros-Chef scheute das Gespräch.

Weniger Handlungsfreiheit gefragt bei der Migros

Bei Denner jedenfalls genoss Irminger viele Freiheiten. Diese wird er an der Migros-Spitze nicht mehr haben. Zwar muss er als Vorsitzender der Generaldirektion die Strategie vorgeben, doch die genossenschaftlichen Chefs, die alle im MGB-Verwaltungsrat sitzen, sind ihm formal übergeordnet. Und können somit schon jetzt seine Pläne durchkreuzen. Beobachter berichten, Irminger könne durchaus auch «grantig» werden, wenn man ihn zu sehr fordere oder blöde Fragen stelle. Wenn Irminger die Migros wieder schlagkräftiger aufstellen und das verstaubte Image aufpolieren will, muss er die Regionalbosse dauerhaft hinter sich bringen. Ein ehemaliger Wegbegleiter sagt: «Bisher war Irminger zu 80 Prozent Unternehmer und zu 20 Politiker. Nun muss er das umdrehen.»

Werbung

Irminger hat die Stufe des ihm bisher vorangestellten Chefs des Handelsdepartements übersprungen.

Irminger hat die Stufe des ihm bisher vorangestellten Chefs des Handelsdepartements übersprungen.

Dominique Meienberg
Irminger hat die Stufe des ihm bisher vorangestellten Chefs des Handelsdepartements übersprungen.

Irminger hat die Stufe des ihm bisher vorangestellten Chefs des Handelsdepartements übersprungen.

Dominique Meienberg

Nach aussen hin ist sein künftiger Zuständigkeitsbereich – oder besser: seine Machtfülle – noch nicht absehbar. Es wird davon abhängen, wie viel Einfluss die regionalen Genossenschaften dem MBG-Chef noch zugestehen. Egal wie sich die neue Supermärkte-Einheit im Migros-Verbund formal und rechtlich aufstellen wird – der Migros-Chef dürfte künftig deutlich weniger Durchschlagskraft im Kerngeschäft mit den Supermärkten haben. Er wird eher als Portfoliomanager agieren: mit Bank, Handelsgeschäft, Supermärkten und einem unter Zumbrunnen gewaltig angewachsenen Gesundheitsapparat, in dem die Profitabilität ziemlich unklar ist.

Werbung

Lähmende Organisation

Mario Irminger, der wie Präsidentin Nold als politisch gewiefter Taktiker gilt, wird in den Verhandlungen zu seinem neuen Job sehenden Auges den Machtverlust des Amtes einkalkuliert haben. Ob ihm der Karrieresprung über alles ging oder er noch genügend Gestaltungsspielraum für sich erkannt hat, wird deutlich werden, sobald sich die Konturen der neuen Supermarkt AG herauskristallisieren. Doch Insider gehen davon aus, dass die Aufbauarbeiten noch andauern werden. Zumindest so lange kann Irminger als vollwertiger Migros-Chef schalten und walten.

Baustellen bieten sich Mario Irminger bei der Migros in Hülle und Fülle. Die wichtigsten beschreibt ein Insider wie folgt: In erster Linie lähme das «Strukturproblem» die komplette Organisation. Sprich, die genossenschaftliche Organisation, zudem regional gesplittet, die nicht zentral gesteuert werden kann. Hinzu komme als ein Kardinalfehler die zunehmende Integration von Markenartikeln ins Sortiment: Das habe nicht nur für Preiskämpfe gesorgt, weil nun Vergleichbarkeit mit Artikeln, etwa bei Coop, gegeben war. Es sei auch gar nicht notwendig gewesen: Umfragen hätten immer eine hohe Kundenzufriedenheit mit den Migros-Eigenmarken ergeben, deren Marktanteile rund 45 Prozent betragen. Mit Ausnahme von Superbrand Coca-Cola hätte die Migros also auf Markenartikel konsequent verzichten sollen.

Werbung

Ein dritter Punkt sei ein Investitionsstau: Migros stecke zwar viel Geld in neue Läden, lasse aber bestehende Filialen oft vor sich hingammeln. Und letztlich seien die Kosten zu hoch: Die Migros sei punkto Personal hoffnungslos «overstaffed» und zahle, dafür gebe es «zahlreiche Beispiele», auch in Marketing oder Einkauf zu hohe Preise. Diese Probleme seien aber zum grossen Teil ausgelöst durch die viel beschworene Migros-Kultur, sagt ein früherer Migros-Mann, und würden sich durch die Absetzbewegung der Regionalchefs von der Zentrale noch verstärken: «Deshalb sind diese Themen wohl gar nicht lösbar.»

Auch interessant

Werbung