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Kolumne Arena: Kein Platz für Marginalien

Aussagen von Amtspersonen sind selten sexy. Wer daraus eine sexy Schlagzeile bastelt, kann mehr als nur marginal scheitern.

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Heute wollen wir uns mit einer marginalen Frage beschäftigen. Marginal, aber sehr erhellend. Es geht um die Rentenanstalt-Manager. Sie hätten mit ihrem Anlagevehikel Long Term Strategy (LTS) die Versicherten «marginal» geschädigt, sagte Herbert Lüthy, der Chef des Bundesamts für Privatversicherungen, an der Pressekonferenz. Die Versicherten hatten zwar Gewinne erzielt; da ihnen aber höhere Gewinne entgangen waren, wollte Lüthy ganz bewusst ? ich habe nachgefragt ? nur von einem «marginalen» Schaden sprechen.

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«Versicherte marginal geschädigt.» Das ist wohl der entscheidende Satz, damit wir Leser uns nächsten Tags ein sachgerechtes Urteil bilden können.

«Versicherte maginal geschädigt.» Das ist nun wirklich nicht die Schlagzeile, die einen Journalisten elektrisiert.

Wie also löst er dieses Problem? Er löst das Problem beispielsweise durch eine kleine Kürzung: «Versicherte geschädigt», vermeldete etwa die «Südostschweiz» auf Seite eins.
Ich habe mir den Spass gemacht, am nächsten Tag die wichtigsten Schweizer Zeitungen auf das zentrale Wörtchen «marginal» abzuklopfen. Es war bemerkenswert, wie häufig es in den Artikeln verschwiegen wurde und wie sich marginaler in massiven Schaden verwandeln konnte.

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Logisch, dass im Boulevard kein Platz für Marginalien ist. «Schämt euch! Die Versicherten geschädigt», erfahren wir im «Blick». Auch in anderen boulevardesken Blättern wie «20 Minuten», «Zürich Express» und «Le Matin» ist die Schädigung weit davon entfernt, marginal auszufallen.

Auch manche so genannte Qualitätszeitungen haben ausgeprägten Mut zur Lücke. In den Eigenartikeln von «Aargauer Zeitung» und «Mittelland-Zeitung», in der «Berner Zeitung», in «Le Temps» oder dem «Tages-Anzeiger» wird die Marginalität ebenfalls zensuriert. Nahezu identisch lesen wir: «Die ehemaligen Manager der Rentenanstalt haben die Interessen der Versicherten geschädigt.»

Den Vogel schoss mit Sicherheit der «Tages-Anzeiger» ab. Hier wird Lüthys Aussage der Geringfügigkeit nicht nur verschwiegen, sondern in ihr Gegenteil gedreht. Die ganze Affäre sei schon «schlimm» genug, schreibt das Blatt und fügt dann wörtlich an: «Am schlimmsten indessen: Die Versicherten wurden geschädigt.»

Der Lokalrivale «Neue Zürcher Zeitung», zum Vergleich, sah das jedenfalls anders: «Kunden wegen Long Term Strategy marginal geschädigt», lautete hier die Unterzeile.

Unser Lesetest am Tag danach bestätigt drei Tendenzen, die im Tageszeitungs-Journalismus vermehrt feststellbar sind. Alle behindern sie die sachbezogene Darstellung und fördern die Desinformation.

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Erstens ist die Sprache der Superlative vom Boulevard in die seriöse Presse übergeschwappt. Einen Anstieg der Arbeitslosigkeit oder einen Rückgang der Hotelbuchungen gibt es nicht mehr, nur noch einen «massiven Anstieg» oder einen «dramatischen Rückgang».
Zweitens ist die frühere Trennung von Nachricht und Kommentar in den meisten grösseren Tageszeitungen passé. Nachrichtenspalten strotzen von wertenden Urteilen, die Information wird vermehrt einer politischen oder weltanschaulichen Meinungsmache untergeordnet.

Drittens führt der Kampagnenjournalismus im Wirtschaftbereich, wie etwa beim aktuellen Management-Bashing, zu unvermeidlichen und schnellen Vorverurteilungen durch die Medien. Diese werden auch bei neuer Sachlage nicht korrigiert, weil die Blätter Gesichtsverlust befürchten.

Es scheint so, als ob der harte Wettbewerb zwischen den Zeitungen diese Entwicklung eher fördert als bremst. In der Berichterstattung zum Fall Rentenanstalt gaben, neben der NZZ, nur vier Blätter die Sachlage unverfälscht wieder: die «Basler Zeitung», das «St. Galler Tagblatt», die «Neuen Luzerner Nachrichten» und «Der Bund». Drei der vier sind Monopolzeitungen.

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