Guten Tag,
Veraltete Strukturen, kleiner Markt. Der Sport muss sich professionalisieren und schielt nach Asien.
Marco «Odi» Odermatts mediale Reichweite zahlt sich für den Sport aus – auch finanziell.
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Diese Geschichte spielt im Schnee und beginnt im Grünen. In Gockhausen bei Dübendorf sitzt Michelle Gisin, weisses Shirt, blaue Jeans, schwarze Sneakers, tief im türkisfarbenen Sofa. Es ist Anfang Oktober. Gisin holt sich ein Birchermüesli. Am 25. Oktober startete der Skitross in Sölden (A) in die neue Saison. Anfang Dezember greift auch Gisin ein bei der ersten Abfahrt. Die bald 32-jährige Engelbergerin gehört zur alpinen Weltspitze, ist zweifache Olympiasiegerin, WM-Zweite und -Dritte. Michelle Gisin, das ist ein Brand, um den sich Kopfsponsoren, die Athletinnen und Athleten selbst wählen dürfen, streiten müssten – eigentlich. «‹Wählen› ist gut», lacht Gisin an diesem Medienanlass. «Wenn du nicht ganz oben stehst, musst du als Athletin bei potenziellen Sponsoren selber anklopfen. In meinem Fall mache ich das alles selbst. Ich habe kein Management; ich bin mein Management.»
Das klingt eher nach Rand- denn nach Nationalsport. Skiausrüster, Kopfsponsor und Preisgeld: Das sind Gisins wichtigste Einkommensquellen. Selbst sie als Top-Athletin muss Klinken putzen und sich mit bescheidenen Preisgeldern begnügen. 2024 fuhr sie 116’000 Franken ein, ein Jahr zuvor 62’000 Franken, während Dominatorin Mikaela Shiffrin im selben Jahr fast eine Million kassierte. Vergangene Saison hat Gisin eine längere Pause eingelegt, weshalb die Zahlen nicht repräsentativ sind. Die Preisgelder sind selbst für Überflieger wie Shiffrin erschreckend tief in einem Sport, bei dem Athletinnen und Athleten mit 120 Sachen die Piste runterbrettern und Kopf und Kragen riskieren.

Michelle Gisin sieht Chancen in neuen Märkten.
Sven Thomann
Michelle Gisin sieht Chancen in neuen Märkten.
Sven ThomannZum Vergleich: Ein durchschnittlich talentierter Fussballprofi in der englischen Premier League kassiert mit jährlich durchschnittlich mehr als drei Millionen Franken allein in einem Monat mehr als gute Skicracks an Preisgeldern im Jahr. Und das ist bloss das Grundgehalt. Für Gisin ist klar: «Athletinnen und Athleten brauchen finanzielle Unterstützung.»
Was ist los im Nationalsport Skifahren – geschweige denn in den anderen zehn Wintersportdisziplinen, die noch weniger im Rampenlicht stehen –, wenn selbst Spitzenathleten nur Sponsoringziele zweiter Klasse sind? Blauer Himmel, Sonne, frische Luft und verschneite Bäume treffen auf Adrenalin, Begeisterung, Leidenschaft und Risiko. Ein optimaler Mix. Doch die grossen Sponsoringsummen fliessen vor allem auf den grünen Rasen. Rund ein Drittel des auf global rund 60 Milliarden Dollar geschätzten Sponsoringmarkts fliesst in den Fussball mit seiner Fanbasis von vier Milliarden. Grobe Schätzungen im Ski- und Wintersport belaufen sich auf etwa eine Milliarde.
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Mehr Einnahmen für Athletinnen und Athleten rauszuholen, ist nicht trivial. Das hat in erster Linie mit den Begebenheiten des Wintersports zu tun, ist aber auch selbst verschuldet. Der professionelle Winter- und Skisport ist auf die Alpenländer, Skandinavien und die USA begrenzt, die Saison mit fünf Monaten kurz, und kaum ein anderer Sport ist ähnlich stark vom Klimawandel betroffen. Da hilft es nicht, dass viele Köche aus nationalen Verbänden, Athleten, Trainern und Veranstaltern Partikularinteressen verfolgen und der Internationale Skiverband (FIS) die Strukturen erst langsam aufgebrochen hat. Kurz: Der Markt ist klein, die finanziellen Mittel begrenzt, und die FIS fuhr in den vergangenen Jahren nicht unbedingt die Ideallinie.
Ein paar Tage später im aargauischen Jonen, Gewerbequartier, Mittelland, 35 Kilometer südwestlich von Gockhausen. Urs Lehmann blickt in einem Sitzungszimmer des Arzneimittelherstellers Similasan aus dem Fenster aufs untere Reusstal. 1993 hat der heute 56-Jährige im japanischen Morioka Gold in der Abfahrt geholt. Längst hat er den legendären Emmentaler-Skidress mit dem Anzug getauscht. Seit letztem Jahr ist er Verwaltungsratspräsident von Similasan, zuvor war er während 15 Jahren deren CEO. Lehmann ist aber vor allem eines: CEO der FIS und damit seit Mitte September per Definition wichtigster Funktionär des Wintersports.
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Mehr Geld für die Athleten also, Herr Lehmann? Die Grundlage ist gelegt. Ab der Saison 2026/27 werden die internationalen Medien- und Übertragungsrechte im Wintersport zentralisiert. Drei Jahre lag die FIS mit den grossen Verbänden und Vermarkter Infront über Kreuz, auch selbst verschuldet. Die Verbände Deutschlands und Österreichs hatten gar gegen FIS-Präsident Johan Eliasch geklagt. Dieser hatte erkannt, dass nur eine Zentralisierung langfristigen Erfolg bringt. Seine Verhandlungsstrategie «Brechstange» kam bei den nationalen Verbänden indes nicht gut an. Er wollte den nationalen Verbänden die TV-Rechte entziehen, und wer nicht spurte, dem sollten die Rennen weggenommen werden. Wer basisdemokratische Gepflogenheiten gewohnt ist, lässt sich Eliaschs Bulldozer-Taktik nicht bieten. Zwar waren die Verbände in der Schweiz, Österreich und Deutschland grundsätzlich einverstanden mit der Marschroute, sie pochten aber auf ein Mitbestimmungsrecht. Nach zähen Verhandlungen fanden sich die Parteien Ende 2024. Mittlerweile ist auch Österreich im TV-Deal dabei. An Lehmann liegt es nun, diesen umzusetzen.

CEO Urs Lehmann (l.) und Präsident Johan Eliasch zentralisieren.
GEPA pictures/ Hans Oberlaender
CEO Urs Lehmann (l.) und Präsident Johan Eliasch zentralisieren.
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Mit der Zentralisierung können wir mehr Mittel generieren, die wiederum an die Athletinnen und Athleten, die Veranstalter und an die Verbände zurückfliessen. So wie das UEFA und FIFA machen. Das ist die Blaupause», so Lehmann, der während der Verhandlungen auf der anderen Seite des Tischs sass. Zwischen 2008 und 2025 präsidierte er den schweizerischen Skiverband Swiss-Ski. 2021 wollte er FIS-Präsident werden, unterlag Eliasch aber klar. Die Fronten waren auch dadurch verhärtet. Mittlerweile haben sich die beiden Alphatiere gefunden, Eliasch holte Lehmann gar zur FIS, getreu dem Motto: Mach deinen Feind zum Freund.
Verglichen mit dem Fussball haben Medienrechte im Wintersport einen wesentlich höheren Stellenwert. «Wir müssen mitreden können, auf welchen Kanälen und Plattformen die Rennen gezeigt werden», sagt Diego Züger, Co-Chef von Swiss-Ski und langjähriger Lehmann-Begleiter. Würde die FIS in der Schweiz nicht mehr mit der SRG, sondern mit einem Pay-TV-Anbieter zusammenarbeiten, würde Swiss-Ski happig an Reichweite verlieren. Damit dies nicht geschieht, sind die notwendigen Gremien geschaffen worden.
Im Skisport wird nichts dem Zufall überlassen und über jedes noch so kleine Detail gefachsimpelt: Kanten, Wachs, Schuh, Schienbeinschoner. Doch wenn es um Zahlen geht, sind die Verbände zugeknöpfter als die FIFA. Der FIS-Geschäftsbericht ist nicht eben vielsagend, und was den TV-Deal angeht, mag niemand kommentieren. Ausser Bruno Marty, seit Jahren beim Vermarkter Infront verantwortlich für den Wintersport. Marty ist einer vom Schlag gmögig-schlau. Der ideale Dealmaker. Er sitzt in einem schummrigen Sitzungszimmer in Zug, kritzelt Tabellen auf ein A4-Blatt, erklärt, wo welche Rechte liegen, grummelt, nach dem Volumen des Deals gefragt, vor sich hin und sagt dann: «Das Volumen des Medienrechtevertrags für sämtliche Disziplinen des Wintersports liegt jährlich bei rund 100 Millionen Franken. Für die alle zwei Jahre stattfindende WM gehen wir von etwa 50 Millionen aus, komprimiert auf zwei Wochen. Wir erwarten, dass die Einnahmen mit dem zentralisierten Setting in den ersten Jahren etwa 10 bis 20 Prozent höher sein werden.»
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FIS-Chef Lehmann kennt die Zahlen. Aber er will mehr. «Ich weiss nicht, wo wir landen werden. Aber mit dem neuen Vertrag muss mehr rausschauen.» Ein Weltmeister gibt sich nicht unter dem Maximum zufrieden. Die nötige Glaubwürdigkeit bringt Lehmann mit. Swiss-Ski ist mit Erträgen von 106 illionen Franken 2025 der finanzstärkste Verband. In den letzten 20 Jahren vervierfachten sich die Einnahmen; die meiste Zeit unter Lehmanns Führung. Mit Präsident Eliasch steht bei der FIS nun ebenfalls ein Macher an seiner Seite. Der britisch-schwedische Milliardär machte Head als CEO und heute als Präsident gross. Er kontrolliert zwei Drittel des Sportartikelherstellers. Sein Vermögen wird auf über vier Milliarden Franken geschätzt. Das Duo Lehmann/Eliasch kann viel bewegen, wenn es die PS in den Schnee bringt. Aber dafür müssen die nationalen Verbände mitspielen.
Der Kampf um die Zentralisierung der TV-Rechte zeigt: Im Wintersport ist man sich oft selbst am nächsten. Oder besser: war, zumindest wenn es nach Lehmanns Mission geht. «Alle Verbände müssen verstehen, dass sie ein System stützen und stärken müssen, damit auch sie auf lange Frist wieder davon profitieren», sagt er. «Das ist die Quadratur des Kreises, weil die Verbände und Veranstalter in erster Linie oft ihre eigenen Interessen verfolgen.» Schaffen es Lehmann und Eliasch, die Reihen zu schliessen, dürften bald auch die Werberechte zentralisiert werden. Das sei der nächste logische Schritt, sagt Marty von Infront. Er beziffert die Einnahmen durch Sponsoring- und Werberechte etwa gleich hoch wie die aus den Medienrechten.
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Bei der neuen FIS-Führung rennt Marty damit offene Türen ein. Lehmann: «Wir werden auch die Zentralisierung der Werberechte angehen müssen, wenn wir damit Mehrwert schaffen können.» Durch die Zentralisierung der wichtigsten Ertragsbringer soll das Produkt Wintersport vereinheitlicht werden analog der Fussball-Champions-League. Lehmann spricht von Standardisierung wie etwa in der Formel 1, wo die Motoren jeden zweiten Sonntag immer zur gleichen Zeit aufheulen. «Solche Standardisierungen brauchen wir. Dann steigt auch der Wert des Gesamtprodukts.» Im Vergleich mit Formel 1, Fussball oder Tennis ist der Wintersportmarkt wesentlich kleiner, die Saison kürzer. Daher gilt: Go East. Damit die Einnahmen wachsen, müsse man wieder nach China, Korea oder Japan, sagt Vermarkter Marty. «Diese Märkte sind an Rennen interessiert.» Swiss-Ski-Co-Chef Diego Züger plädiert zudem dafür, die Saison zu verlängern, mehr Rennen zu fahren und die Athleten noch stärker ins Produkt Wintersport einzubinden.

Diego Züger, Co-Chef von Swiss-Ski, plädiert für eine längere Saison und mehr Rennen.
PR
Diego Züger, Co-Chef von Swiss-Ski, plädiert für eine längere Saison und mehr Rennen.
PRUnd wenn irgendwann auch chinesische Sportler vorne mitfahren, dann rollt der Renminbi erst recht. «Das Land mag keine Skitradition haben, doch der Markt ist gigantisch, und China hat mittlerweile mehr Skigebiete als die Schweiz», sagt Lehmann. «Wir müssen besser verstehen, andere Märkte zu entwickeln, damit auch dort Werte entstehen.» Deshalb ist der 100 Millionen Franken schwere deutsche Markt so wichtig für den Wintersport. Wenn Superstar Marco Odermatt, wie im Januar 2024, das Rennen in Garmisch-Partenkirchen wegen der frühlingshaften Bedingungen als unwürdig kritisiert, ist das aus sportlicher Sicht nachvollziehbar. «Wenn die Deutschen aber gute Athletinnen und Athleten haben, dann kaufen sie Medienrechte. Deshalb ist ein Ski-Rennen in Garmisch auch so wichtig, selbst wenn die Verhältnisse nicht immer top sind.»
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Verbände und Manager seien gefordert, die Stars in diesen Bereichen zu schulen, damit sie die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Sports verstehen, sagt auch Franz Julen, Veranstalter der alpinen Weltcup-Rennen in Zermatt und intimer Kenner des Wintersports.
Der Wintersport – vor allem der alpine Skizirkus – wird sich verändern. Mehr Big Business, weniger volkstümlich. Jeder Sport stehe vor dem Balanceakt zwischen Bewahrung der Traditionen, die diesen Sport gross gemacht haben, und einer zeitgemässen Modernisierung, so Julen. Zugpferde bleiben aber die schneesicheren Traditionsrennen. «Im Kern brauchen wir die ikonischen Destinationen wie Kitzbühel, Wengen, St. Moritz und auch Zermatt. Diese Orte erzählen Storys, die einen Wert haben», sagt Lehmann. Das generiert Klicks, Reichweite und weitere Einnahmen.
Vom ikonischen Matterhorn ins graue Gockhausen. Das Müesli ist gelöffelt, Michelle Gisin, Top-Fahrerin ohne Management, signiert gut gelaunt Fanartikel und sagt: «Unser Sport ist eigentlich zu klein, dass er Management und Agenten rechtfertigt, und trotzdem ist er zu gross, um es selbst zu machen. Es ist ein Balanceakt.» Sie unterstützt die Vision des Verbands. «Die zentrale Vermarktung der TV-Rechte funktioniert vor allem dann, wenn wir neue Zuschauer gewinnen und neue Märkte erschliessen. Dass wir künftig wieder in China, Korea oder Japan fahren, würde Sinn machen und wäre eine grosse Chance.»
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FIS, Verbände, Vermarkter, Veranstalter, Athletinnen und Athleten: Sie scheinen sich auf die Ideallinie geeinigt zu haben.
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