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Börse Schweiz

Die SIX Group in der Geiselhaft der Banken

Die Börsenbetreiberin SIX gehört als einzig wichtige Börse ihren Kunden – den Schweizer Banken. Die Folge ist eine strategische Irrfahrt.

Holger AlichMichael Heim Handelszeitung

<p>Der Gewinn der SIX stagniert – trotz Börsenboom und Payment-Revolutionen.</p>

Der Gewinn der SIX stagniert – trotz Börsenboom und Payment-Revolutionen.

KEYSTONE/Ennio Leanza

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Wenn SIX-Chef Björn Sibbern aus seinem Fenster im sechsten Stock in Zürich-West schaut, blickt er auf die Brache des Hardturmplatzes. Seit 2008 ringt die Stadt darum, hier ein neues Fussballstadion zu errichten. Im selben Jahr schlossen sich die Börsenbetreiberin SWX, der Aktienverwahrer SIS und der Datenanbieter Telekurs zur SIX Group zusammen. 17 Jahre später sieht die Brache noch immer gleich aus. Und auch die SIX Group kämpft mit ihren Baustellen.

Die Blockchain-Plattform SDX bleibt sechs Jahre nach der Lancierung ein Papiertiger, die Auslagerung des Kreditkartengeschäfts an Worldline und die Übernahme der spanischen Börse führten zu Milliardenabschreibern. Innovationsprojekte zu Bankomaten, Zahlungsverkehr und Open Banking sorgen zwar für Schulterklopfen, werden von den Banken aber mehrheitlich ignoriert. Der Gewinn der SIX stagniert – trotz Börsenboom und Payment-Revolutionen. Wenn er nicht gerade von ausserordentlichen Abschreibern belastet wird. Auch für dieses Jahr werden «Sondereffekte» erwartet.

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Insider, Analysten und selbst Bank-CEOs sehen als Grundübel der SIX deren Eignerstruktur. Denn die SIX gehört als einzige wichtige Börse noch zu 100 Prozent ihren Kunden – den Schweizer Banken. Und die sind sich selten einig. Die Interessen und Bedürfnisse der Megabank UBS, die über einen Drittel der Aktien hält, und der Kantonal- und Regionalbanken sind sehr unterschiedlich.

«Die Aktionäre haben sich nie richtig Gedanken gemacht, was sie mit der SIX eigentlich wollen», räumt der CEO einer Bank ein, die SIX-Anteile hält. Soll die SIX nur eine günstige Infrastruktur für die Banken bereitstellen? Soll sie ins Ausland expandieren, Märkte erobern – und so nicht zuletzt Skalenerträge generieren? Soll sie eigene Innovationen lancieren oder bloss den Bestand verwalten? Neben diesem Hickhack im Eignerkreis leistet sich die SIX-Führung hausgemachte Fehler wie das Worldline-Desaster oder den zu teuren Kauf der spanischen Börse.

Der Däne Sibbern folgte Anfang Jahr auf den Niederländer Jos Dijsselhof, der nach sieben Jahren die SIX überraschend verliess. Dijsselhof hatte zusammen mit SIX-Präsident Thomas Wellauer, der im nächsten Jahr seinen Hut nimmt, wichtige Veränderungen angestossen, die aber mit reichlich Nebengeräuschen verbunden waren. 2018 entschied die SIX-Führung, das internationale Kreditkartengeschäft – eine Cashcow, die Geld ins Unternehmen spülte – an die stark expandierende französische Worldline zu verkaufen. Laut Insidern hätte die SIX massiv in das Auslandgeschäft investieren müssen, um technisch top zu bleiben. Doch dazu fehlte die Bereitschaft.

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Teurer Einstieg beim Payment-Konzern Worldline

Fatal war der Entscheid, sich den Verkaufspreis von 2,7 Milliarden Franken zu grossen Teilen in Worldline-Aktien auszahlen zu lassen. Ein Wunsch der Aktionäre, um den Einfluss auf das Schweizer Geschäft aufrechterhalten zu können. «Es gab intern immer Diskussionen, ob wir nicht Aktien verkaufen sollten, um das Risiko zu diversifizieren, doch man entschied sich stets gegen einen Komplettverkauf», sagt ein Insider.

Prompt wurde die SIX vom rapiden Wertverfall der Worldline-Aktien kalt erwischt. Dieser beschleunigte sich, da der Zahlungsdienstleister in einen Skandal verstrickt ist – er soll aus Profitgier mit dubiosen Kunden zusammengearbeitet haben. Schon viermal musste die SIX den Wert ihres Worldline-Aktienpakets korrigieren, zuletzt Anfang Monat. Mittlerweile summieren sich die Wertkorrekturen auf 1,6 Milliarden Franken.

<p>Björn Sibbern, CEO der SIX.</p>

Björn Sibbern, CEO der SIX.

<p>Björn Sibbern, CEO der SIX.</p>

Björn Sibbern, CEO der SIX.

Während der Anstoss zur Worldline-Transaktion vom Management kam, waren es bei früheren Transaktionen die Aktionärsbanken, die den Ausstieg aus lukrativen Geschäften forderten, um sich Dividenden auszahlen zu lassen. So verkaufte die SIX 2011 ihren Anteil an der Derivatebörse Eurex an die Partnerin Deutsche Börse. Dort ist das Geschäft mittlerweile eine wichtige Erlösquelle. Allein im vergangenen Jahr spülte das Geschäft 1,3 Milliarden Euro Einnahmen ein.

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2015 verkaufte die SIX den Deutschen auch ihre Anteile am Index-Anbieter Stoxx. Im selben Jahr warf der Börsenchef der SIX, Christian Katz, nach sechs Jahren entnervt das Handtuch. Offizielle Begründung: unterschiedliche Vorstellungen zur Weiterentwicklung des Geschäfts.

Sibbern malt das Verhältnis zu den Eignern in rosigeren Farben. «Unsere Aktionäre bremsen uns nicht aus», sagt der SIX-Chef. «Die SIX hat mit den vier bestehenden Geschäftsfeldern viele Möglichkeiten, um weiter zu wachsen.» Und das Worldline-Desaster verdecke, wie erfolgreich die SIX unterwegs sei: «Ohne den Worldline-Abschreiber wäre 2025 für uns ein Rekordjahr geworden», sagt Sibbern.

In vier Bereichen ist die SIX heute aktiv: Börsenhandel, Wertpapierverwaltung und abwicklung, Finanzdaten und Bankservices. Da die SIX im Auftrag der Nationalbank den Interbankenzahlungsverkehr abwickelt, gilt das Unternehmen als systemrelevant. Diese vier Pfeiler stünden nicht zur Debatte, erklärt Sibbern, so habe die SIX-Führung jüngst in Madrid dem Verwaltungsrat den neuen Strategieplan präsentiert, welcher im Grossen und Ganzen auf dem alten beruhe.

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Von den vier Geschäftsfeldern ist das Börsengeschäft das profitabelste – es erlaubt eine faktische Quersubventionierung des Inlandgeschäfts für die Banken. Die volkswirtschaftlich bedeutenden Banking-Services generierten zuletzt bloss 16 Prozent der Erträge – und sogar nur 6 Prozent des Gewinns. Sibbern räumt ein, dass die SIX bei Preiserhöhungen aus Rücksicht auf die Kunden, welche gleichzeitig Eigner seien, nicht so aggressiv vorgehen könne wie Wettbewerber. Das Börsengeschäft dagegen wirft 53 Prozent der Erträge ab und generiert gar 80 Prozent des Gewinns. Wenig überraschend spricht der SIX-Chef, der früher lange für die Nasdaq gearbeitet hat, im Gespräch mit der Handelszeitung am liebsten über diese Sparte.

Wenn die Aktionäre einmal einen strategischen Move erlauben, erlaubt sich die SIX handwerkliche Fehler. Wie beim Kauf der spanischen Börse (BME) 2019 für 2,8 Milliarden Euro. Laut Insidern war die Due Diligence mangelhaft und wurde primär in der Finanzabteilung durchgeführt, ohne dass operative Einheiten hinzugezogen wurden: «Daher wurde nicht richtig geprüft, ob die gesteckten Ziele überhaupt erreichbar waren.»

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Das Ergebnis: Die SIX zahlte viel zu viel und musste 2023 rund 340 Millionen Euro auf die BME abschreiben. Als die SIX-Experten in Spanien die Systeme in Augenschein nahmen, fanden sie gemäss einem Beteiligten einen Serverraum vor, in dem das Wasser von der Decke tropfte. Auch ein Notstromaggregat habe es nicht gegeben. Mittlerweile sind diese technischen Probleme behoben, aber das habe viel Geld gekostet.

Dringend nötige neue Systeme für die Börse

SIX-Chef Sibbern verteidigt die Expansion nach Madrid. «Der Kauf der Börse in Spanien war strategisch ein brillanter Zug», sagt er. Denn damit habe die Schweizer Börse einen Fuss im EU-Raum und könne im internationalen Geschäft angreifen. Vor einem Jahr kaufte die SIX zudem die Handelsplattform Aquis Exchange. Sie soll künftig die neuen Systeme für alle drei Börsen der SIX liefern. Eine Ablösung, die sowohl in Zürich als auch in Spanien offenbar dringend nötig ist.

Wenig erfolgreich war die technologische Ablösung alter Systeme in anderen Bereichen. Oft – so scheint es – entwickelte die SIX Produkte an den Bedürfnissen der Banken vorbei. Etwa bei der 2019 angekündigten Digitalbörse SDX. Komplett auf Blockchaintechnologie basierend hätten Handel, Settlement und Verwahrung von Wertschriften in ein einziges, neues System überführt werden sollen. Doch die Banken nutzen die neue Börse nicht. «Unsere Kunden hätten einen sehr grossen Aufwand betreiben müssen, um ihre Infrastruktur so anzupassen, dass sie den Börsenhandel über die SDX abwickeln», konstatiert der SIX-Chef. «Das wurde allenfalls unterschätzt.»

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Die SIX war nicht immer so zaghaft. In den 1990er-Jahren beeindruckte die damalige SWX die ganze Welt mit dem Schritt, als erste Börse den Handel à la criée abzuschaffen und komplett auf eine elektronische Börse zu setzen. 1995 startete die Elektronische Börse Schweiz, bereits ein Jahr später verstummten die analogen Börsenringe. Die Deutsche Börse dagegen stellte ihren Parketthandel erst 2011 ein. Von diesem Pioniergeist scheint nicht mehr viel übrig. Ein SIX-Insider bemängelt vor diesem Hintergrund, dass Banken nur noch für sich schauten. «Es gibt kein gemeinsames Interesse mehr, den Finanzplatz voranzubringen», so der SIX-Kenner.

Könnte das Krypto-Verbot fallen?

Auch legten die Banken dem SDX-Projekt von Beginn an Fesseln an. Sie verboten der SIX, über die SDX mit Kryptowährungen zu handeln – dabei ist dies das Geschäft mit den grössten Erträgen. «Im Nachhinein kann man sich fragen, ob das richtig war», sagt Sibbern offen. Und hofft, den Verwaltungsrat noch umstimmen zu können. «Ob wir in den Kryptohandel einsteigen, ist eine strategische Frage, die diskutiert werden kann», gibt sich der SIX-Chef diplomatisch.

Befragte Aktionäre wie die ZKB und die UBS wollen keinen Kommentar dazu abgeben, ob sie das Vorhaben unterstützen. Das Projekt SDX-Aktienhandel jedoch ist tot. Aus der voll integrierten Börse wurde eine DLT-Plattform zur Verwaltung von Wertschriften. Die Lizenz für den Aktienhandel über eine Blockchainplattform habe die SIX zurückgegeben, bestätigt Sibbern.

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<p>Thomas Wellauer, Verwaltungsratspräsident der SIX.</p>

Thomas Wellauer, Verwaltungsratspräsident der SIX.

<p>Thomas Wellauer, Verwaltungsratspräsident der SIX.</p>

Thomas Wellauer, Verwaltungsratspräsident der SIX.

Wenig brachten auch Innovationen im Bereich Banking-Services. Eine Open-Banking-Plattform für den Datenaustausch hat die SIX zwar vor Jahren lanciert, wirklich offen wurden die Banken jedoch nicht. Zwar können seit dieser Woche mehr Kleinkunden ihre Konten über Banken hinweg konsolidieren, doch das Angebot bleibt «read only» und die Liste der teilnehmenden Banken bleibt ein Flickenteppich. Bei den Bankomaten schaffte es die SIX immerhin, dass alle Banken die gleiche Software nutzen. Vom Plan, den Betrieb der Automaten zusammenzulegen und so Doppelspurigkeiten zu beseitigen, wollen jedoch nur die wenigsten etwas wissen. Nur 55 Automaten von 4500 betreibt die SIX heute selbst. Ähnlich präsentiert sich die Lage im Zahlungsverkehr. Die von der Nationalbank bestellten 24-Stunden-Instant-Payments kündigte die SIX 2024 als «the new normal» an. Doch die Banken streiken. Ausgehende Zahlungen wickeln sie – wenn überhaupt – nur gegen hohe Gebühren in Echtzeit ab.

Nun steht die SIX vor Neuerungen. Verwaltungsratspräsident Thomas Wellauer hat seinen Abgang für das Frühjahr 2026 angekündigt. Wer ihm nachfolgt, ist offen. Zudem läuft Anfang 2028 der Aktionärsbindungsvertrag aus – was eine Chance wäre, auch strategisch über die Bücher zu gehen. Doch Sibbern rechnet nicht mit grossen Veränderungen bei der Neuauflage, es gehe primär um Governance-Fragen. Und so bleibt die SIX weiter die Geisel ihrer Aktionäre und ihrer widersprüchlichen Interessen.

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