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Wirtschaftsreformen

Die Schweiz blockiert sich selbst

Wegen den US-Strafzöllen wird der Ruf nach Reformen lauter. Doch Bundesrat, Parlament, Parteien und ­das Stimmvolk blockieren sich gegenseitig.

Valda

<p>Eine Blockade nach der anderen: In der Schweiz kommen Reformen nicht voran.</p>
Eine Blockade nach der anderen: In der Schweiz kommen Reformen nicht voran. Tessy Ruppert / Midjourney

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Für die Tech-Industrie ist es fünf vor zwölf. «Die Reserven sind aufgebraucht», sagt Stefan Brupbacher, der Direktor des Verbands Swissmem, in einem kürzlich publizierten Video. Der Druck sei mittlerweile so hoch, dass «mehrere zehntausend» weitere Arbeitsplätze in Gefahr stünden. Umso wichtiger sei es, dass jetzt Bundesrat, Parlament und Bevölkerung einsähen, dass die Maschinenbau-, Elektronik- und Metallbaubrauche (MEM) Unterstützung brauche.

Die Branche verlange auch keine Subventionen, sondern den «radikalen Abbau» von Bürokratie, weniger Lohnnebenkosten, Steuersenkungen, weniger Handelshemmnisse, weniger Umweltabgaben, erleichterte Kriegsmaterialexporte und mehr Freihandel. Brupbacher warnt: «Jeder, der gegen Freihandelsabkommen ein Referendum ergreift, schiesst in den Rücken der Mitarbeitenden der Tech-Industrie.»

<p>Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher fordert eine radikale Reform zur Rettung der Exportwirtschaft.</p>
Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher fordert eine radikale Reform zur Rettung der Exportwirtschaft. Marcel Bieri
<p>Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher fordert eine radikale Reform zur Rettung der Exportwirtschaft.</p>
Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher fordert eine radikale Reform zur Rettung der Exportwirtschaft. Marcel Bieri

Die Metapher des Rückenschusses ist für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich hart. Sie erinnert an die Dolchstosslegende nach dem Ersten Weltkrieg, als die militärische Führung die Niederlage Deutschlands damit erklärte, innenpolitische Verräter «wie die Sozialdemokraten» hätten dem Militär die Unterstützung versagt. Wenn Brupbacher Freihandelsabkommen erwähnt, meint er den unterschriftsreifen Deal mit Mercosur in Lateinamerika und mit Malaysia sowie weitere ausgehandelte Freihandelsabkommen wie mit China.

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Die scharfe Rhetorik kommt in seinen Reihen gut an. Doch in Bern wird eine andere Sichtweise gepflegt: nämlich die, dass der 39-Prozent-Strafzoll Donald Trumps zwar bitter ist, aber keine Megakrise zur Folge haben dürfte. Das von der Expertengruppe des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) geschätzte Wirtschaftswachstum (BIP) bleibt auch im nächsten Jahr positiv. Die Prognose sinkt aufgrund der Augustzölle lediglich von bisher 1,2 auf 0,8 Prozent. Von einer Rezession spricht niemand.

Ein Drittel der Kantone vom Strafzoll direkt betroffen

Vergleiche mit früher zeigen, dass die Schweiz weit entfernt ist von einer Rezession wie 2009 während der Finanzkrise oder während Corona 2020. Im ersten Pandemiejahr waren 1,3 Millionen Personen in Kurzarbeit, diesen Juli waren es 13'300 Personen. Dies entspricht 4450 Vollzeitarbeitsplätzen. Während der ersten und der zweiten Franken-Krise (2011 und 2015), als sich Schweizer Exporte um bis zu 20 Prozent verteuerten, waren 13'000 respektive 9000 Menschen in Kurzarbeit.

<p>Trotz Trump bisher wenig Kurzarbeitslose. Der Leiter der Direktion für Arbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft, Jérôme Cosandey, schätzt die Zahl der Kurzarbeitslosen auf 15'000.</p>
Trotz Trump bisher wenig Kurzarbeitslose. Der Leiter der Direktion für Arbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft, Jérôme Cosandey, schätzt die Zahl der Kurzarbeitslosen auf 15'000. ZVG
<p>Trotz Trump bisher wenig Kurzarbeitslose. Der Leiter der Direktion für Arbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft, Jérôme Cosandey, schätzt die Zahl der Kurzarbeitslosen auf 15'000.</p>
Trotz Trump bisher wenig Kurzarbeitslose. Der Leiter der Direktion für Arbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft, Jérôme Cosandey, schätzt die Zahl der Kurzarbeitslosen auf 15'000. ZVG

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Für den August erwartet das Seco rund 15'000 Betroffene. Im Unterschied zu heute waren damals alle Exporte von der Krise betroffen, jetzt sind es «nur» 60 Prozent, denn Chemie- und Pharmaprodukte sowie Gold sind von den Zöllen ausgenommen. In der Kurzarbeit können die temporären Arbeitslosen 18 Monate überwintern. Sie erhalten den Lohn und stützen die inländische Nachfrage. Die Frist soll nun auf zwei Jahre ausgedehnt werden.

Auch trifft der Zollschock wenige Branchen, wenn auch bedeutende. 80 Prozent der Angestellten in Kurzarbeit arbeiten in MEM-Sektoren und der Uhrenbranche. Die am stärksten betroffenen Regionen sind die Kantone Neuenburg, Jura, Nidwalden (wegen der Pilatus-Werke) und St. Gallen. Ein Kanton ist fast nicht betroffen: Basel-Stadt. Grob gesehen leidet ein Drittel der Kantone an einer erhöhten Zahl von Kurzzeitarbeitslosen. Das Fazit der Seco-Auguren: Für direkt betroffene Firmen und Branchen ist die Lage schlimm. Doch die Schweiz ist trotz dem Trump-Zoll und weiteren Drohungen weit entfernt von einer Krise.

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Forderungen zur Verschlankung des Staates

Im Kontrast dazu steht der Umfang der Forderungen nach Reformen der Wirtschaftsverbände. Der Gewerbeverband fordert unter anderem, die Bürokratie zu reduzieren, das Arbeitsrecht zu flexibilisieren, den Bund zu verschlanken, die Staatsausgaben zu senken und Freihandelsabkommen auf kleine und mittelgrosse Firmen zurechtzuschneiden. Er sammelt Unterschriften für eine Petition unter dem Titel «Revitalisierungsprogramm für unsere KMU – jetzt handeln».

<p>Gewerbeverband fordert per Petition dringende Reformen. Im Bild SGV-Präsident Fabio Regazzi.</p>
Gewerbeverband fordert per Petition dringende Reformen. Im Bild SGV-Präsident Fabio Regazzi. Daniel Ammann
<p>Gewerbeverband fordert per Petition dringende Reformen. Im Bild SGV-Präsident Fabio Regazzi.</p>
Gewerbeverband fordert per Petition dringende Reformen. Im Bild SGV-Präsident Fabio Regazzi. Daniel Ammann

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fordert «dringend ein Massnahmenpaket zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts». Der Katalog mit dem griffigen Namen «Wake-up Call» umfasst volle zwanzig Punkte. Der Verband verlangt ein «Regulierungsmoratorium» für neue Gesetze und Verordnungen, welche die Wirtschaft einschränken würden. Genannt werden etwa das Investitionsprüfungsgesetz und die Verschärfung der Eigenmittelanforderungen für die UBS.

Bekämpft wird auch die Absicht einer Links-Mitte-Mehrheit im Parlament, das Defizit der AHV und die Kita-Finanzierung den Arbeitgebern anzuhängen. Der Verband fordert darüber hinaus den Rückbau von Umwelt- und Klimagesetzen und die Reduktion von CO2-Abgaben. Atomkraft zur Stromproduktion soll wieder erlaubt und die Einführung eines CO2-Importzolls verhindert werden. Und schliesslich wird das Parlament aufgefordert, Staatsbereiche, die sich privatisieren lassen, zu privatisieren, etwa die Post und die Swisscom.

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<p>Economiesuisse verlangt unter anderem eine Privatisierung von Staatsbetrieben. Im Bild Christoph Mäder, Präsident des Wirtschaftsdachverbands.</p>
Economiesuisse verlangt unter anderem eine Privatisierung von Staatsbetrieben. Im Bild Christoph Mäder, Präsident des Wirtschaftsdachverbands. Keystone
<p>Economiesuisse verlangt unter anderem eine Privatisierung von Staatsbetrieben. Im Bild Christoph Mäder, Präsident des Wirtschaftsdachverbands.</p>
Economiesuisse verlangt unter anderem eine Privatisierung von Staatsbetrieben. Im Bild Christoph Mäder, Präsident des Wirtschaftsdachverbands. Keystone

Bürokratiekosten für Unternehmen von 6 Milliarden Franken

Demnächst werden mehrere Branchenverbände unter der Federführung von Auto Schweiz einen Reformkatalog zur Verschlankung des Staates vorstellen. Dass Reformen dringend nötig seien, steht laut Avenir Suisse ausser Zweifel. Vizedirektor Michele Salvi legte unlängst in einem Blog dar, wie die Verhältnisse sind. In den 1960er-Jahren wurden auf Bundesebene jährlich rund 150 Gesetze und Verordnungen geändert – heute sind es über 500. Laut Umfragen stufen «rund 60 Prozent» der Unternehmen den mit den neuen Regeln verbundenen administrativen Aufwand als «hoch» oder «eher hoch» ein – Tendenz steigend. Das Seco beziffert die Bürokratiekosten für KMU auf über 6 Milliarden Franken pro Jahr.

Weiter legt Salvi dar, dass heute «rund eine Million Menschen direkt oder indirekt von der öffentlichen Hand beschäftigt» sind – 23 Prozent aller Stellen. Zwischen 2011 und 2019 stieg diese Zahl um 13 Prozent an, «deutlich schneller als im Privatsektor (8 Prozent)», sagt Salvi. In Städten sei der Trend noch ausgeprägter: «In Basel-Stadt wuchs die Verwaltung um über 24 Prozent – viermal schneller als die Bevölkerung.» Kurzum, die Staatsaufgaben wuchern.

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Reformblockaden à gogo

Geht nun wegen Trump und seinen Zöllen ein Reformruck durch das Land? Daran darf gezweifelt werden. Denn die jüngere Vergangenheit zeigt, wie schwer es ist, wirtschaftsfreundliche Reformen durchzusetzen. So ist die Liste der blockierten Projekte lang. Einige Beispiele: höheres Rentenalter, erleichterter Strommarktausbau, Lockerung des Sonntagsarbeitsverbots, Mietregulierung, Reduktion von Umweltregeln, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und weniger Bürokratie für Unternehmen.

<p>Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert.</p>
Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert. keystone-sda.ch
<p>Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert.</p>
Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert. keystone-sda.ch

Die Gründe dafür sind vielfältig, und doch lassen sich grob sieben Gründe für die Blockade ausmachen: Besitzstandswahrung aufseiten der Älteren, Bedienermentalität und Opferhaltung, Selbsterhaltungstrieb der Verwaltung, polarisierende Partikularinteressen, niederschwelliges Referendums- und Initiativrecht und der verschärfte Wettbewerb der Politik und der Parteien mittels sozialer Medien.

Ein Beispiel für die Besitzstandswahrung der Generation fünfzig plus: Die Erhöhung des Rentenalters beziehungsweise des Referenzalters könnte die AHV sanieren, ohne die Wirtschaft zur Kasse zu bitten. Doch das Volk blockierte diese Reform letztes Jahr. Die Volksinitiative wollte das Renteneintrittsalter innert sechs Jahren schrittweise auf 66 Jahre erhöhen und danach an die Lebenserwartung koppeln. Das Vorhaben war moderat, doch 70 Prozent der Stimmenden waren dagegen. Ihre Botschaft: Die Wirtschaft und junge Werktätige sollen die Finanzlücke der defizitären Altersvorsorge berappen.

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<p>Berufliche Vorsorge: Das Gesetz entspricht längst nicht mehr der Realität. Zum Nachteil der Werktätigen und Arbeitgeber und zum Vorteil der über Fünfzigjährigen, denen eingeredet wird, sie seien Opfer.</p>
Berufliche Vorsorge: Das Gesetz entspricht längst nicht mehr der Realität. Zum Nachteil der Werktätigen und Arbeitgeber und zum Vorteil der über Fünfzigjährigen, denen eingeredet wird, sie seien Opfer. Michael Buholzer
<p>Berufliche Vorsorge: Das Gesetz entspricht längst nicht mehr der Realität. Zum Nachteil der Werktätigen und Arbeitgeber und zum Vorteil der über Fünfzigjährigen, denen eingeredet wird, sie seien Opfer.</p>
Berufliche Vorsorge: Das Gesetz entspricht längst nicht mehr der Realität. Zum Nachteil der Werktätigen und Arbeitgeber und zum Vorteil der über Fünfzigjährigen, denen eingeredet wird, sie seien Opfer. Michael Buholzer

Opferhaltung und Bedienermentalität

Der Trend zur Opferhaltung und Bedienermentalität wird von der Mitte-Partei sowie der SP und den Gewerkschaften gerne kultiviert. So lässt sich die Einführung einer 13. AHV-Reform erklären. Der Mittelstand wurde als bedürftig erklärt, und man sagte ihm, dass die 13. AHV-Rente quasi gratis zu haben sei, weil die Umverteilung von Vermögenden zum Mittelstand und zu den Pensionierten wirke.

Das Gleiche gilt für die hängige Initiative zur sogenannten Abschaffung der AHV-Heiratsstrafe. Verheiratete werden zu Opfern verklärt, und es wird ihnen versprochen, mehr Rente zu erhalten. Kostenpunkt: 4 Milliarden Franken. Die externe Kinderbetreuung, die ausgebaut werden soll, dürfte weitere 0,8 Milliarden kosten. Und all die Kosten sollen Unternehmen und Werktätige berappen, selbst wenn sie keine Kinder haben.

<p>Rentner-Eherpaare werden als Opfer des aktuellen AHV-Gesetzes dargestellt. Die Mitte-Partei will per Initiative die AHV-Eherpaarrente erhöhen – auf Kosten von Werktätigen und Arbeitgebern. Im Bild der Mitte-Parteipräsident Gehard Pfister.</p>
Rentner-Eherpaare werden als Opfer des aktuellen AHV-Gesetzes dargestellt. Die Mitte-Partei will per Initiative die AHV-Eherpaarrente erhöhen – auf Kosten von Werktätigen und Arbeitgebern. Im Bild der Mitte-Parteipräsident Gehard Pfister. keystone-sda.ch
<p>Rentner-Eherpaare werden als Opfer des aktuellen AHV-Gesetzes dargestellt. Die Mitte-Partei will per Initiative die AHV-Eherpaarrente erhöhen – auf Kosten von Werktätigen und Arbeitgebern. Im Bild der Mitte-Parteipräsident Gehard Pfister.</p>
Rentner-Eherpaare werden als Opfer des aktuellen AHV-Gesetzes dargestellt. Die Mitte-Partei will per Initiative die AHV-Eherpaarrente erhöhen – auf Kosten von Werktätigen und Arbeitgebern. Im Bild der Mitte-Parteipräsident Gehard Pfister. keystone-sda.ch

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Bremsendes Verbandsbeschwerderecht

Anders liegen die Motive der Gegnerschaft zur inländischen Stromerzeugung. Sie nutzt fleissig das Verbandsbeschwerderecht. Stabiler und günstiger Strom ist eine Kernforderung der Wirtschaft. Deshalb fordern Wirtschaftsvertreter eine Einschränkung des Beschwerderechts.

Zwar stimmte der Souverän dem sogenannten Mantelerlass zum Stromgesetz zu, der eine sichere Stromversorgung versprach. Der Ja-Anteil betrug 69 Prozent. Doch der Ausbau von 15 wichtigen Wasserkraftwerken wird durch einige Umwelt- und Landschaftsschutzverbände sowie linke Kantonalparteien torpediert. Es sind dies die gleichen Kreise, die sich eine nachhaltige und CO2-freie Produktion wünschen, und es sind dieselben, die an einem runden Tisch 2021 den Wasserkraftausbau unterstützten. Jetzt aber blockieren gewisse Gruppen die geplanten Ausbauten mithilfe des Beschwerderechts, darunter der Verband Aqua Viva. Das Motto: Es lebe die Blockade.

<p>Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert.</p>
Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert. keystone-sda.ch
<p>Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert.</p>
Autobahn: Der dringende Ausbau der Transport-Infrastruktur wird an der Urne verhindert. keystone-sda.ch

Der Stillstand bei der Lockerung des Sonntagsarbeitsverbots, der Liberalisierung der Mietregulierung und beim Autobahnausbau ist dem niederschwelligen Referendums- und Initiativrecht geschuldet. Die Verbände, Parteien und Gewerkschaften sehen Miethaushalte, Arbeitnehmende und Verkehrsteilnehmer als Opfer der Liberalisierung und drohen mit Referenden, um die Reformen zu blockieren – darunter solche, die im Alltag völlig normal wären, etwa das Prüfen von E-Mails an Sonntagen.

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<p>Mehr günstiger Wohnraum: Die Vertreterinnen des Mieterverbands verlangen mehr bezahlbare Wohnungen, aber verhindern eine Reform des Mietrechts. Im Bild SP-Vize Jacqueline Badran im Nationalrat.</p>
Mehr günstiger Wohnraum: Die Vertreterinnen des Mieterverbands verlangen mehr bezahlbare Wohnungen, aber verhindern eine Reform des Mietrechts. Im Bild SP-Vize Jacqueline Badran im Nationalrat. Keystone
<p>Mehr günstiger Wohnraum: Die Vertreterinnen des Mieterverbands verlangen mehr bezahlbare Wohnungen, aber verhindern eine Reform des Mietrechts. Im Bild SP-Vize Jacqueline Badran im Nationalrat.</p>
Mehr günstiger Wohnraum: Die Vertreterinnen des Mieterverbands verlangen mehr bezahlbare Wohnungen, aber verhindern eine Reform des Mietrechts. Im Bild SP-Vize Jacqueline Badran im Nationalrat. Keystone

Die Mietregulierung soll mit zwei Initiativen gar verschärft statt vereinfacht werden. Und dies, obwohl der Unterschied von Bestandes- und Neumieten horrend gross ist und ein Resultat der heutigen Regulierung ist. Sie hat etwa zur Folge, dass Angestellte im Bezug auf den Job wenig mobil sind, weil sich hohe Folgekosten ergeben, wenn jemand wegen einer neuen Stelle die Wohnung wechseln muss.

Und schliesslich haben Gesetzesmoratorien und Forderungen nach Bürokratieabbau überhaupt keinen Erfolg. Der Selbsterhalt der Verwaltung und Partikularinteressenpolitik links wie rechts des politischen Spektrums sind die Ursachen dafür. Ein Paradebeispiel ist das «Unternehmensentlastungsgesetz». Lanciert durch den Gewerbeverband und gefördert durch Bürgerliche und Grüne, würde das Gesetz statt weniger mehr Regulierung schaffen, die sogar zusätzliche Ausgaben und Stellen erfordert, Branchenstudien generiert und mehr Koordinationsbedarf verlangt. Der Erfolg des Gesetzes ist ungewiss.

Das Seco, das als eine Art Koordinationsstelle in der Bundesverwaltung dient, sagt, es sei zu früh, um Bilanz zu ziehen. Dass es Kosten verursacht, wird nicht bestritten: «Mit der Umsetzung der Pflicht zur Schätzung der Regulierungskosten, des Monitorings und der Bereichsstudien ergibt sich eine potenzielle Mehrbelastung der Bundesverwaltung in der Höhe von 1,5 bis 4,3 Millionen Franken pro Jahr», gibt das Seco an. Um diese Aufgaben für Regulierungskostenschätzungen und Bereichsstudien sowie für die Durchführung des Monitorings aufzufangen, wurden zwei Vollzeitstellen geschaffen. Interessant ist, dass das Gesetz kaum bekannt ist. Dies zeigte eine kleine Stichprobe unter Unternehmerpersönlichkeiten und Verbandsvertretern.

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Unternehmer fühlen sich ausgenützt

Der Unternehmer Marco Sieber, Eigentümer der Siga Holding mit 600 Angestellten, die CO2-reduzierende Baustoffe herstellt, fasste den Frust der KMU an einer Pressekonferenz zur Juso-Initiative so zusammen: «Ich bin ernüchtert. In Bundesbern redet man immer um den Brei herum.» Politik und Verwaltung hätten kein Interesse, sich zu beschränken. Dies gelte für alle Parteien. «Als Unternehmer fühle ich mich ausgenützt», beklagt Sieber.

<p>Unternehmer Marco Sieber (rechts im Bild) beklagt sich über die Untätigkeit der Politik und des Bundesrates, die Bürokratie zu reduzieren.</p>
Unternehmer Marco Sieber (rechts im Bild) beklagt sich über die Untätigkeit der Politik und des Bundesrates, die Bürokratie zu reduzieren. ZVG
<p>Unternehmer Marco Sieber (rechts im Bild) beklagt sich über die Untätigkeit der Politik und des Bundesrates, die Bürokratie zu reduzieren.</p>
Unternehmer Marco Sieber (rechts im Bild) beklagt sich über die Untätigkeit der Politik und des Bundesrates, die Bürokratie zu reduzieren. ZVG

Die FDP ist fast stolz auf diesen Zustand. In einer Mitteilung zum idealen Verhalten der Schweiz gegenüber Donald Trump lobt sie den Bundesrat: «Verglichen mit anderen Regierungen ist der Bundesrat fast machtlos. Das ist kein Nachteil, sondern so gewollt.» Unsere Regierung werde «übersteuert, ausgebremst und engmaschig kontrolliert vom Parlament». Dieses wiederum werde «gebändigt durch die Referendumsdrohung, bei Bedarf korrigiert durch das Volk».

Verklärte Langsamkeit

Selbst wenn es die FDP eigentlich positiv meint, verklärt die liberalste Schweizer Partei die Frage nach der Ursache von Blockaden. Ein Hauptgrund für diese Blockaden dürfte sein, dass der Leidensdruck zu gering ist, um die Bereitschaft für Reformen zu erzeugen. Das Wachstum ist – mit Finanzkrise und Corona als zwei kurzen Ausnahmen – seit dreissig Jahren positiv.

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<p>Die FDP verklärt die ausbalancierten politischen Rechte von Bundesrat, Parlament und Stimmvolk. Im Bild FDP-Präsident Thierry Burkart.</p>
Die FDP verklärt die ausbalancierten politischen Rechte von Bundesrat, Parlament und Stimmvolk. Im Bild FDP-Präsident Thierry Burkart. DANIEL WINKLER FOTOGRAFIE
<p>Die FDP verklärt die ausbalancierten politischen Rechte von Bundesrat, Parlament und Stimmvolk. Im Bild FDP-Präsident Thierry Burkart.</p>
Die FDP verklärt die ausbalancierten politischen Rechte von Bundesrat, Parlament und Stimmvolk. Im Bild FDP-Präsident Thierry Burkart. DANIEL WINKLER FOTOGRAFIE

Die laufende Zuwanderung bessert die Staatsrechnung und die Sozialwerke auf, darunter die AHV. Der Fall des Bankgeheimnisses hat der Branche nicht geschadet, ebenso wenig wie der Fall von Holding-Steuerprivilegien. Der stabile Inlandkonsum dämpft die Folgen ausländischer Wirtschaftskrisen. Der Bundeshaushalt ist fast im Lot dank sprudelnder Steuereinnahmen, auch dank der Niederlassung ausländischer Firmen, Vermögender und Arbeitnehmender.

Fehlender Leidensdruck?

Echten Leidensdruck erzeugte nur die Immobilien- und Bankenkrise von 1989 bis 1993 mit Pleiten und vielen Arbeitslosen. Das Nein zum EWR-Beitritt verstärkte die Krise. Als Antwort darauf entstand die Reformbewegung um den früheren Diplomaten und späteren ABB-Chef David de Pury. Ihre Kampagne und ihr Weissbuch hiess «Mut zum Aufbruch».

Etliche Begehren wurden umsetzt, darunter ein griffiges Kartellverbot, die Teilprivatisierung von Staatsbetrieben und das Inkrafttreten der Bilateralen Verträge mit der EU. Erst dank dieser Krise wurde die Schweiz liberaler und fitter als zuvor. Von dieser Situation ist die Schweiz derzeit meilenweit entfernt. Daran können die Videos des zweifellos sehr engagierten Swissmem-Direktor Brupbachers kaum etwas ändern.

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Andreas Valda

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