Guten Tag,
Flughäfen werden mit Drohnen lahmgelegt. Die weltbeste Drohnenabwehr wird in Zürich-Oerlikon entwickelt. Doch die Zukunft des Werks ist offen.
Das Werk der Rheinmetall in Zürich-Oerlikon ist unscheinbar. Die dort entwickelte Drohnenabwehr ist aber begehrt in ganz Europa.
KEYSTONE/DPA/SEBASTIAN GOLLNOWWerbung
Nördlich des Bahnhofs Zürich Oerlikon boomt die Wirtschaft. Aus dem früheren Industrieareal entstand ein Dienstleistungs- und Eventquartier. Ein Coop, ein Jumbo, zwei Eventhallen und ein Park zieren das Strassenbild Neu-Oerlikons. Edle Glasfassaden sind das Wahrzeichen, der Weltsitz der ABB und die Landeszentrale von PWC befinden sich hier.
Doch was man beim Rundgang durchs Quartier überhaupt nicht denken würde: Hier wird auch Weltklasserüstung entwickelt und hergestellt – das Abwehrsystem Skyranger, das Drohnen auf kurze Distanz zerstören kann. Die Frage ist: Wie lange darf Skyranger in Oerlikon noch wachsen? Das Schweizer Exportregime für Rüstung ist sehr restriktiv.
Das Logo des Herstellers ist diskret angebracht: Rheinmetall. Der deutsche Rüstungskonzern erwarb 1999 die frühere Waffenschmiede Oerlikon-Bührle, die kurzzeitig Oerlikon Contraves hiess. Das Geschäft dümpelte so vor sich hin, weil Frieden war und Armeen runtergespart wurden. Dann brach der Krieg in der Ukraine aus. Rheinmetall-Chef Armin Papperger bot der Ukraine als erster Industrieller an, zu helfen, nachdem Russland das Land überfallen hatte.
Warum die Schweizer Rüstungsindustrie ohne grosse Schweizer Aufträge bis jetzt überlebt hat.
Seitdem wächst der Konzern in schwindelerregendem Tempo: Im ersten Quartal dieses Jahres stieg der Umsatz um 46 Prozent gegenüber dem Vorjahr, das Rüstungsgeschäft erhöhte sich gar um 73 Prozent. Leer stehende Autowerke wurden zur Rüstungsproduktion umgebaut. Heute produziert Rheinmetall in 30 Staaten, 13 davon sind europäische Länder. Sie setzt rund 10 Milliarden Euro jährlich um und beschäftigt 40’000 Mitarbeitende. Rheinmetall ist die Antithese zur maroden deutschen Wirtschaft. Davon profitiert auch die Schweiz.
Rheinmetall arbeitet hier an vier Standorten: in Oerlikon, Wimmis BE, Studen BE und Altdorf UR. In Wimmis wird (mit der Ruag zusammen) Treibladung für Munition hergestellt, in Studen entstehen Gepard-Panzergeschosse, in Altdorf Munition für die Flugabwehr und in Oerlikon das Abwehrsystem Skyranger. Letzteres besteht vereinfacht aus einer Kanone, einem Radar, einer Erkennungssoftware und einer Leitstelle.
Die Kanone verschiesst Spezialmunition mit 3 bis 3,5 Zentimeter Durchmesser. Speziell ist, dass sich das Projektil vor dem Einschlag in bis zu sechshundert Minigeschosse teilt, welche die Drohnen vom Himmel holen.

Die Spezialmunition zur Drohnenabwehr explodiert vor dem Aufprall in bis zu 600 Mini-Projektile.
ZVG
Die Spezialmunition zur Drohnenabwehr explodiert vor dem Aufprall in bis zu 600 Mini-Projektile.
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Verlässlich sei das System auf vier bis fünf Kilometer Distanz. Dies zeigten die Einsätze in der Ukraine.
Die Kanone ist ein Schweizer Produkt.

Entwickelt und produziert wird die Kanone des Drohenabwehrsystems Skyranger in Zürich-Oerlikon. Die Endmontage erfolgt im Ausland, darunter in der italienischen Hauptstadt Rom.
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Entwickelt und produziert wird die Kanone des Drohenabwehrsystems Skyranger in Zürich-Oerlikon. Die Endmontage erfolgt im Ausland, darunter in der italienischen Hauptstadt Rom.
ZVGFrüher hiess sie «Oerlikon Millennium Gun» und wurde als Abwehrwaffe auf Kriegsschiffen weltbekannt. 2021 montierte man sie in Oerlikon erstmals auf Kleinpanzer und entwickelte das System zur Kleindrohnenabwehr. Die Skyranger-Kanone ist sehr gefragt: Österreich, Dänemark, Deutschland, Ungarn und die Ukraine haben sie bestellt. Jedes Land lässt sie auf ihre Panzer montieren: die Österreicher auf einen Pandur-Radpanzer, die Dänen auf einen Mowag Piranha, die Deutschen auf einen Box-Panzer, die Ungaren auf einen Lynx-Kettenpanzer und die Ukrainer auf einen Leopard-1-Panzer.

Die Drohenabwehr Skyranger der Rheinmetall ist hier auf einem Radpanzer montiert. In der Ukraine ist sie auf Kettenpanzer moniert im Einsatz.
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Die Drohenabwehr Skyranger der Rheinmetall ist hier auf einem Radpanzer montiert. In der Ukraine ist sie auf Kettenpanzer moniert im Einsatz.
ZVGDie Bestellliste ist lang. Nur die Schweiz fehlt. Deshalb geht alles in den Export.
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«Diese Bestellungen werden derzeit bearbeitet, die Auslieferung hat zum Teil bereits begonnen», sagt ein Firmensprecher. Aufgrund des grossen Interesses weiterer Länder richte man sich «auf eine signifikante Produktionssteigerung ein». Man wolle «mindestens zweihundert Stück pro Jahr» herstellen, an mehreren Standorten – auch in der Schweiz. Das Personal werde laufend aufgestockt. Allein in Oerlikon starteten Anfang November 47 Mitarbeiter. Vor vier Jahren waren 612 Leute dort angestellt, heute sind es über 1100. Im kommenden Jahr sollen 200 hinzukommen, freut sich der Sparten-Chef Oliver Dürr.

Oliver Dürr (53) führt die Sparte Luftwehr von Rheinmetall seit 2022. Er operiert aus Zürich-Oerlikon.
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Oliver Dürr (53) führt die Sparte Luftwehr von Rheinmetall seit 2022. Er operiert aus Zürich-Oerlikon.
ZVGEs geht steil aufwärts, und die Schweiz profitiert bei Jobs, Steuereinnahmen, Aufträgen an Unterlieferanten und Rüstungs-Know-how. Wäre da nicht ein dunkles Aber. Das Kriegsmaterialgesetz. Die Schweiz verbietet seit 2022 den Wiederexport von Rüstungsgütern, auch in Europa. Das heisst, dass etwa Deutschland eine hierzulande gefertigte Skyranger-Waffe im Kriegsfall nicht an das Nato-Land Litauen ausleihen darf. Im Jargon wird das «der Nato-Blocker» genannt. Diese Schweizer Bestimmung kollidiert mit den Regeln des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. Denn dort gilt die Pflicht zum Beistand gemäss dem Nato-Vertrag: Wenn ein Land angegriffen wird, müssen die anderen Länder helfen, auch mit Waffenlieferungen.
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Als Reaktion auf das Schweizer Wiederausfuhrverbot haben einige Länder die «Swiss-free»-Regel eingeführt. Sie beschaffen Rüstung, solange sie nicht aus der Schweiz stammt. In den Niederlanden und Dänemark ist dies von Parlamenten entschieden worden, in Deutschland von der Regierung. Andere Nato-Länder handeln gleich, aber hängen dies nicht an die grosse Glocke. So wird klar, in welchem Dilemma Rheinmetall steckt, wenn es den Standort Oerlikon fördert. Zwar produziert es sich in der Schweiz herausragend; die besten und fleissigsten Fachkräfte findet man hier. Doch kein Nato-Land will Skyranger-Waffen aus der Schweiz.
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Deshalb hängt die Zukunft von Rheinmetall in Oerlikon an einem seidenen Faden. Dass der Konzern die Produktion auf einen Schlag verlagern kann, demonstrierte Rheinmetall-Chef Papperger vor zwei Jahren. Wegen des Schweizer Verbots für die Wiederausfuhr verlagerte er die Hälfte der Munitionsherstellung für Gepard-Panzer von Studen nach Deutschland.
Seit bald vier Jahren ringt das Parlament nun um eine pragmatische Lockerung der Exportregeln. Der Nato-Blocker soll raus, da sind sich fast alle einig. Doch weiter kam es bisher nicht. Es gibt grob drei Positionen. Die Linke will den Wiederexport an starren UNO-Regeln festmachen: Nur ein souveränes Land, das angegriffen wurde und sich verteidigt – wie die Ukraine –, dürfe beliefert werden. Die SVP will alle Länder beliefern, nur nicht Kriegsparteien wie die Ukraine, weil das Prinzip der Neutralität geritzt würde. Und schliesslich die FDP, die Mitte-Partei und der Bundesrat: Sie wollen den Nato-Blocker abschaffen, um der Rüstungsindustrie mit Exportchancen das Überleben zu sichern.
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Hier kommt SVP-Doyen Christoph Blocher ins Spiel. Lange verweigerte er laut gut informierten Kreisen seine Zustimmung zur Lockerung der Rüstungsexportregeln. Sein Argument: Die Schweiz müsse sich im Kriegsfall strikt neutral verhalten. Jede Lockerung des Wiederausfuhrverbots würde Lieferungen von Schweizer Waffen in die Ukraine zur Folge haben.

Die SVP musste bei Christoph Blocher die Einwilligung holen, damit die Regeln zum Export von Rüstung gelockert werden können.
Christian Schnur, Handelszeitung
Die SVP musste bei Christoph Blocher die Einwilligung holen, damit die Regeln zum Export von Rüstung gelockert werden können.
Christian Schnur, HandelszeitungDeshalb hielt die SVP-Fraktion im Parlament stramm gegen Lockerungen. Daraus entstand eine Sperrmehrheit aus SVP, SP und Grünen. So ist der Nato-Blocker seit 2022 in Kraft geblieben. Doch Blocher hatte nicht mit dem Rüstungsmilieu gerechnet. Das sind häufig mit der SVP eng verbundene Kräfte. Sie liessen Blocher, SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi und den Verbindungsmann in der Sicherheitskommission, den Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena, ihren Frust spüren.
Aeschi wird von manchen als vogelfrei erklärt. Und zu Blocher wird der Witz erzählt, dass der Geist der Neutralitäts-Initiative den Hexenbesen ergriffen habe, der jetzt unkontrolliert durch Herrliberg jage. Oberst Blocher, so die Kommentare, habe das Manöver nicht zu Ende gedacht.
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Nationalrat Mauro Tuena, SVP-Vertreter in der Sicherheitskommission des Nationalrats, hat auf Geheiss des SVP-Frationschefs Thomas Aeschi bisher die Lockerung der Regeln zum Export von Rüstungsgütern aus bekämpft.
Keystone
Nationalrat Mauro Tuena, SVP-Vertreter in der Sicherheitskommission des Nationalrats, hat auf Geheiss des SVP-Frationschefs Thomas Aeschi bisher die Lockerung der Regeln zum Export von Rüstungsgütern aus bekämpft.
KeystoneIm Sommer dieses Jahres dürften die Proteste so stark gewesen sein, dass Blocher einlenkte. Mitte August gab er die Order, den Kurs zu ändern. Die Wiederausfuhr an Nato-Länder solle erlaubt werden, unter der Voraussetzung, dass der Bundesrat sie wegen neutralitätspolitischer Interessen auch verbieten könne. Blocher konnte durchsetzen, dass überall das Wörtchen «neutralitätspolitisch» in den Gesetzestext einfliesst.
Am Dienstag dieser Woche war es dann so weit. Die Sicherheitskommission des Nationalrats entschied, dass das Gesetz geändert werden soll. Der Nato-Blocker soll fallen. Künftig werden Exporte von Rüstungsgütern auch in Staaten möglich sein, die in Konflikte verwickelt sind, heisst es. Zudem wird die Wiederausfuhr an Nato-Staaten unter gewissen Bedingungen ermöglicht. Die SVP, die FDP und die Mitte-Partei ziehen rüstungspolitisch wieder an einem Strang.
Zwischen dem Entscheid Blochers im August und dem Beschluss der Sicherheitskommission diese Woche verstrichen allerdings vier Monate. Insider sagen, dass Aeschi und Tuena im August auf eigene Faust spezielle Bedingungen durchsetzen wollten. Daraufhin endete eine Kommissionssitzung Mitte August im Tumult. Die beiden erhielten erneut Prügel und mussten nochmals bei Blocher antraben. Dieser gab der Rüstungsindustrie recht; die Lage sei für sie unhaltbar.
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Nach dem Entscheid der Sicherheitskommission tobt jetzt aber die SP, weil sie die Rolle der Mehrheitsbeschafferin verloren hat. Jetzt warten alle auf die Wintersession des Parlaments. Die Lockerung der Exportregeln soll dort besiegelt werden. Die Bürgerlichen rechnen mit einem Referendum des Pazifistenflügels von links-grün. Die Abstimmung wird im Herbst des nächsten Jahres erwartet. Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher rief die Rüstungsvertreter bereits auf, sich für die Kampagne einzulaufen.

Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem, fordert die Vertreter der Rüstungsindustrie, sich auf ein Referendum von Links gegen die Revision des Kriegsmaterialgesetzes schon jetzt vorzubereiten.
Keystone
Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem, fordert die Vertreter der Rüstungsindustrie, sich auf ein Referendum von Links gegen die Revision des Kriegsmaterialgesetzes schon jetzt vorzubereiten.
KeystoneBei Rheinmetall dürfte der Vorentscheid der Sicherheitskommission Genugtuung ausgelöst haben. Blocher hat in ihrem Sinn entschieden. Ihre Drohnenabwehrproduktion erhält in Oerlikon jetzt eine Daseinsberechtigung – so wie die Tätigkeiten der benachbarten ABB, PWC und Eventhallen. Die Rüstung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Bundesrat Guy Parmelin, die Armee und die Rüstungsbeschafferin Armasuisse dürfte der Entscheid freuen. So kann das Know-how im Land gehalten werden. Im Jargon nennt sich das «sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis». Die Schweiz ist zu klein, um sich wie die USA eine Industrie für den Eigenbedarf zu leisten. Sie muss den Export zulassen, so wie dies früher der Fall war. Gerade mit der Erhaltung der Rüstungsbasis konnte beispielsweise Rheinmetall in Oerlikon einen Blitzstart hinlegen. Sie nahm eine bestehende Schiffskanone und entwickelte sie zu einer neuartigen Drohnenabwehr.
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Oliver Dürr, der Spartenchef für Luftwehr der Rheinmetall, führt seit 2022 in Zürich-Oerlikon die Entwicklung der Drohenabwehrkanone, die früher eine Schiffskanone für die Navy war.
Thomas Brugger
Oliver Dürr, der Spartenchef für Luftwehr der Rheinmetall, führt seit 2022 in Zürich-Oerlikon die Entwicklung der Drohenabwehrkanone, die früher eine Schiffskanone für die Navy war.
Thomas BruggerRüstungschef Urs Loher sagte vor einer Woche an einer Tagung in Bern: «Sicherheit entsteht in Werkhallen, Labors, auf Servern und Übungsplätzen.» Innovation könne nicht neutral sein. Dieser Satz dürfte bei Tuena nachklingen. Bei ihm, der einst als Lehrling bei der Oerlikon-Bührle seine Karriere begonnen hat.
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