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Schweizer Uhrenindustrie

Darum war die Swatch der Gamechanger

Die wichtigste Schweizer Uhr der Neuzeit – technisch, wirtschaftlich und soziokulturell. Die Swatch markiert die Renaissance der Uhrmacherei.

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<p>Die Swatch-Modelle aus der ersten Serie von 1983.</p>

Die Swatch-Modelle aus der ersten Serie von 1983.

Keystone

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Wie ein Phönix aus der Asche stieg 1983 die Swatch aus den Trümmern der Quarzkrise – und entzündete eine wahre «Swatchomania». Sie bewies, dass die Schweizer Uhrenindustrie auch Billiglohnländern die Stirn bieten kann – und die Nummer eins der Uhrenwelt bleiben konnte. Als die jungen Ingenieure Jacques Muller und Elmar Mock Anfang der 80er-Jahre auf einer Papierserviette erste Skizzen für eine neuartige Uhr kritzelten, ahnten sie nicht, was sie lostreten würden. Mit dem Ansporn von Nicolas G. Hayek und ETA-Generaldirektor Ernst Thomke tüftelten sie an einer präzisen Schweizer Uhr, die «möglichst gar nichts kosten sollte». Plastik war Teil der Lösung, entscheidender aber war der radikale Schnitt bei der Konstruktion: Die Zahl der Bauteile wurde halbiert. Möglich machte das etwa die Verschmelzung von Gehäuseboden und Platine zu einem einzigen Werkstück.

Der visionäre Geniestreich von Nicolas G. Hayek, Kapitän der Swatch Group (damals noch SMH), war, die Uhr nicht nur im technischen Kontext gesehen zu haben, sondern weit darüber hinaus: Er inszenierte die Swatch als disruptiven Markstein, der für den Übergang der Uhr vom Zeitmessinstrument zum fröhlichen Lifestyleprodukt stand. So gesehen gibt es in der Uhrmacherei eine Zeit vor der Swatch und eine Zeit nach der Swatch. Davor hatte man eine Uhr als Instrument, danach mehrere Uhren als Accessoires.

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<p>Swatch-Patron Hayek ist 2010 verstorben.</p>

Swatch-Patron Nicolas G. Hayek ist 2010 verstorben.

Keystone
<p>Swatch-Patron Hayek ist 2010 verstorben.</p>

Swatch-Patron Nicolas G. Hayek ist 2010 verstorben.

Keystone

Swatch war und ist ein Ideenlabor

Die Swatch war ihrer Zeit oft voraus: Da gab es zum Beispiel im Jahr 1995 die «Access» mit integriertem Skipass sowie die «Solar» mit Solarzellen auf dem Zifferblatt. 1997 wurde mit der «Skin» eine ultraflache Version präsentiert, 1998 mit der «Beat» die Swatch-Digitaluhr mit Anzeige der Internetzeit, aufgeteilt in tausend Beats pro Tag. Es gab die grosse «Pop»-Swatch und die Swatch mit Bezahlfunktion. Oder 2007 die «Diaphane One Gold» mit Tourbillon für 7700 Franken. Vor zwölf Jahren wurde das System 51 vorgestellt – mit gerade noch 51 Komponenten, einer zentralen Schraube sowie neunzig Stunden Gangreserve. Und vor vier Jahren hat das Unternehmen den nachhaltigen Werkstoff Biokeramik eingeführt, eine Kombination von Keramik und biologisch produziertem Kunststoff auf der Basis von Rizinusöl.

Man kann die Bedeutung des Swatch-Modells «Automatic», das 1991 präsentierte wurde, heute als kaum hoch genug ermessen. Die Uhr mit ihrem mechanischen Werk erlaubt es nämlich, die Swatch-Group-Tochter Nivarox-FAR auszulasten und vor dem Untergang zu retten. Nivarox produziert Spiralen, also das Herzstück einer Uhr. Noch heute lebt fast die ganze Uhrenbranche von Nivarox-Spiralen, darunter auch renommierte Marken. Es ist somit zutreffend, die Swatch und ihren Erfolg als Retterin der Schweizer Uhrenindustrie zu bezeichnen.

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Prominente Swatch-Hunter

Viele Persönlichkeiten der Uhrenbranche sind als Swatch-Hunter zum Thema Uhr gekommen – etwa François-Henry Bennahmias, der später als Chef von Audemars Piguet deren Erfolgsgeschichte prägte. Sammler zahlen mitunter sehr viel Geld für die von ihnen gesuchten Stücke.

Mehr als 10’000 verschiedene Uhrenmodelle hat die Marke Swatch seit dem 1. März 1983 eingeführt – darunter begehrte Sammlerobjekte wie etwa die Modelle «Guhrke», «Bonjuhr» und «Verduhra» des Künstlers Alfred Hofkunst im Gemüse- und Speckdesign.

Ohnehin hat sich keine andere Uhrenmarke so stark als Kulturobjekt profiliert wie die Swatch – dank unzähligen Partnerschaften mit namhaften Künstlern. Es begann 1985 mit Kiki Picasso und Keith Haring; später gab es Kunstkooperationen mit Nam June Paik, Alessandro Mendini, Annie Leibovitz, René Magritte, Sandro Botticelli, Katsushika Hokusai und vielen, vielen anderen. Künstler haben dabei freie Hand – und machen auch gerne mit.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Man kann auf den Trump’schen Zollhammer auf ganz verschiedene Weise reagieren – Swatch tat es mit Humor und präsentierte das Modell «What if … tariffs?». Der Witz dabei: Auf dem Zifferblatt sind die Zahlen 3 und 9 vertauscht, was die Zahl 39 ergibt. Und auf dem Batteriedeckel prangt das Prozentzeichen – eine klare Anspielung auf die neuen US-Importzölle. Selbst der Preis spielt mit: 139 Franken, also genau 39 Prozent mehr als üblich.

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<p>So sieht die Zollhammer-Swatch aus.</p>

So sieht die Zollhammer-Swatch aus.

Screenshot SWATCH
<p>So sieht die Zollhammer-Swatch aus.</p>

So sieht die Zollhammer-Swatch aus.

Screenshot SWATCH

Bundesrat Guy Parmelin soll die Uhr gekauft haben. Und generell schreckte der Aufschlag die Käufer bisher nicht ab, im Gegenteil: Online war die Uhr rasch vergriffen. Erhältlich ist sie nur in der Schweiz, in Boutiquen und im Webshop – und nur solange der Zollsatz von 39 Prozent gilt. Swatch kommentiert trocken: «Hopefully just a limited edition.» Das Modell «What if» gibt es übrigens nicht erst seit der Zoll-Swatch, sondern seit gut zwei Jahren. Es ist eine Neulancierung der ersten Swatch-Prototypen.

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Pierre-André Schmitt

Pierre-André Schmitt

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