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BILANZ-Briefing

Proteste gegen Sparpaket in Frankreich eskalieren

Frankreich erlebt politische Turbulenzen: Ein Sparpaket scheitert, 175.000 Menschen auf der Strasse, da die Regierung zwei Feiertage streichen wollte.

Dirk Schütz

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«Selbst die bürgerlichen Rechtsparteien mit vermeintlichem ökonomischem Sachverstand votierten gegen den Sparkurs».

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Wir müssen schon wieder mit Frankreich beginnen: Was war dort das verstörendste Ereignis in dieser Woche? 175 000 Demonstranten gegen das Sparpaket? Ein neuer Premierminister mit absehbarer Halbwertszeit? Die neuen Daten zur Rekordverschuldung? Nein, das Irritierendste ist nicht die Niederlage Bayrous, sondern das Ausmass dieser Niederlage: 364 der 577 Abgeordneten stimmten gegen ihn – selbst die bürgerlichen Rechtsparteien mit vermeintlichem ökonomischem Sachverstand votierten gegen den Sparkurs, weil die Regierung den «hart arbeitenden» Franzosen doch tatsächlich zwei Feiertage wegnehmen wollte, wie der Republikaner-Parteichef  Wauqiez jammerte. Die Wochenarbeitszeit liegt bei schonenden 35 Stunden, das Renteneintrittsalters bei jugendlichen 62 Jahren. Doch zwei Feiertage weniger? Horror.
 
Wie erfrischend vernünftig ist da unser Parlament, wie die Herbstsession eindrucksvoll demonstriert. Die unsinnige UKW-Abschaltung, mit der die SRG ohne Not hunderttausende Hörer abgeklemmt hat, was in der Privatwirtschaft zu Köpfe-Rollen führen würde: Vom Nationalrat ausgesetzt, auch dank des ewig-jungen Kämpfers Schawinski. Der Lohndeckel für Banker von fünf Millionen Franken, vom Ständerat in einem Anflug von Verwirrung beschlossen: Einkassiert. Plötzlich entdecken die Nationalräte sogar die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes, wenn auch bei der Geldwäsche nicht unbedingt im richtigen Bereich, aber immerhin: Der harte Vorschlag des Bundesrats wird abgeschwächt – zu Jahresbeginn hatte die Schweiz in bester Musterschüler-Manier noch die heftigen Kapitalregeln von Basel 3 einführt, obwohl alle grossen Finanzzentren bereits auf Deregulierung setzten. Das macht Hoffnung für das ganz grosse Geschäft: Die absurd hohen Eigenmittel-Anforderungen für die UBS, die jetzt im Parlament liegen. Bleiben wir hoffnungsfroh, dass die Parlamentarier hier die Vernunft zeigen, die Finanzdepartment und Finma vermissen liessen.

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SNB: Hoffentlich keine Alibiübung



Und er bewegt sich doch: Nationalbank-Chef Martin Schlegel hat wohl den härtesten Nachfolgejob der Schweiz. Auf «Big Thomas» Jordan zu folgen, darf für jeden noch so versierten Ökonomen als Höchststrafe gelten. Bisher blieb der Zürcher dann auch unaufgeregt im Schatten seines Förderers. Da war es fast schon eine Bombe, die er am Mittwoch in der kleinen Gemeinde Vezia bei der Tessiner Bankiervereinigung platzen liess: Die grosse Schweige-Behörde will plötzlich jeweils vier Wochen nach ihrem Zinsentscheid eine Zusammenfassung der Direktoriums-Diskussionen im Vorfeld der Entscheidung veröffentlichen. Es ist zwar keine Offenlegung der «Minutes», der Protokolle der entscheidenden Zins-Sitzung, wie sie die grossen en Notenbanken von Fed bis EZB kennen. Aber immerhin: Es ist ein Schritt zur Öffnung. Jordan hatte sich immer gewehrt, weil eine derartige Regelung angeblich Absprachen im Vorfeld fördere. Da hatte er sicher einen Punkt. Spötter hielten allerdings dagegen: Eine Veröffentlichung hätte offenbart, dass es keine Diskussionen gibt.
 
Allerdings: Bei der Fed entscheiden 12 Personen über die Zinshöhe, darunter die fünf Chefs der regionalen Fed-Ableger, in Frankfurt bei der EZB sind es gar 23 Notenbanker, darunter alle Zentralbankchefs der Euro-Staaten von Finnland bis Portugal. Hier ist eine Offenlegung sinnvoll, auch für die Profilierung in der Heimat. Doch in der Schweiz? Das Direktorium besteht aus gerade drei Mitgliedern, der tiefsten Zahl einer grossen Notenbank, und die neue Dokumentation soll nur eine «Zusammenfassung der geldpolitischen Diskussionen» umfassen, was anders als bei den Protokollen von Fed oder EZB nicht die wortgetreuen Äusserungen wiedergibt, sondern maximalen Spielraum für maximale Glättungen öffnet. Ein Schritt in die richtige Richtung, zweifellos. Aber es duftet nach Alibi-Übung. 

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Thiams Vourteile


Da zeigt er eine unbekannte Seite: Der Mann kann sich sogar kurz fassen. Auf gerade 224 Seiten beschränkt sich Ex-CS-Chef Tidjane Thiam in seinen frisch erschienenen Memoiren «Without prejudice», mit denen er hofft, in seinem Heimatland Elfenbeinküste die Sympathiewerte zu steigern, um doch noch als Präsidentschaftskandidat der Oppositionspartei antreten zu dürfen - die Gerichte hatten ihn ausgeschlossen, weil er seinen französischen Pass zu spät abgegeben hatte. Wenig überraschend: Einmal mehr klassiert er die Schweiz als rassistische Hinterwäldler. Und, natürlich: Für den CS-Untergang trage er keinerlei Verantwortung. Er habe die Bank mit einer dreijährigen Umstrukturierung auf eine solidere Grundlage geführt.
 
Dazu, ganz ohne Vorurteil, ein paar Fakten: Was der CS das Genick gebrochen hat, waren die Grossunfälle von Greensill und Archegos im Frühjahr 2021. Grund dafür war das miserable Risikomanagement unter Thiam, wie auch der jüngste 115-Millionen-Dollar-Vergleich von Ex-CS-Managern mit der Pensionskasse von Providence bestätigt. Und wer setzte diese fatale Schwächung der Kontrollen um, von Thiam direkt nach seinen Antritt 2015 aus Spargründen losgetreten und unter seinem Vorgänger Brady Dougan undenkbart? Der Amerikaner Brian Chin und die Australierin Lara Warner. Doch was macht Thiam in seinem Buch? Er lobt just diese beiden Unterstellten in höchsten Tönen. Man könnte auch sagen: Er zeigt einer vorurteilsfreien Aufklärung den grossen Mittelfinger.

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Nächste Woche: Powells Wende


Ist es nächsten Mittwoch endlich so weit? Bislang hat Fed-Chef Powell dem Druck des Don standgehalten, doch obwohl die Inflationsrate näher bei drei Prozent als den anvisierten zwei Prozent liegt, schätzen die Märkte den langen aufgeschobenen Einstieg in den Zinssenkungs-Modus als sehr wahrscheinlich ein. Er ist das Benzin, das den Markt befeuert, auch wenn die Flammen nur bei AI und Krypto wirklich hell lodern.
 
Dass Trump Powell einen Hohlkopf nennt und eine Senkung von derzeit 4,25 Prozent auf gleich 1,0 fordert, lässt das Wall Street Journal zu der Frage greifen: «Meint er das wirklich ernst?» Immerhin: Es sieht so aus, dass die von ihm geschasste Gouverneurin Lisa Cook nächsten Mittwoch mitstimmen darf, die Gerichte haben sich erstmal auf ihre Seite geschlagen. Aber keiner weiss, wie lange. Der gesamte Börsen-Cocktail wird zunehmend unbehaglicher.

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Dirk Schütz

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