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Tina Müller

Wie eine deutsche Managerin Weleda neu gestaltet

Die resolute Managerin Tina Müller und die Anthroposophen aus Arlesheim – so funktioniert das ungleiche Duo.

sdf

Tina Müller Weleda

Die CEO hat bei Weleda das Tempo verdoppelt – ein Schock für viele Alteingesessene.

Ornella Cacace für BILANZ

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Weleda und Tina Müller – das ist ein ungleiches Paar. Das 100-jährige Unternehmen mit anthroposophischem Wertekanon und die toughe Transformationsmanagerin aus Deutschland. Das passt auf den ersten Blick nicht zusammen. Doch die Zahlen geben dem Team Weleda 2.0 recht: Schon 18 Monate nachdem Müller als CEO ins beschauliche Arlesheim gekommen ist, präsentiert das Unternehmen den höchsten Jahresumsatz in seiner Geschichte, die Profitabilität verbessert sich deutlich.

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Es ist nicht lange her, da steckte Weleda in einer Krise. 2022 schreibt das Unternehmen für Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel rote Zahlen. Die Stimmung ist im Keller, Mitarbeitende haben Angst, dass ihre Löhne nicht gezahlt werden. Die Marke ist verstaubt, ein Team aus mehreren gleichberechtigten Geschäftsleitern umsetzungsschwach, und sie verzetteln sich. «Wir brauchten einen CEO, der die strategischen Ziele wirklich schnell und konsequent umsetzen kann», erinnert sich Ueli Hurter, als Vertreter der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft seit 2019 im Weleda-Verwaltungsrat.

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Fokus auf E-Commerce

Ein Headhunter wird beauftragt. Gesucht: eine umsetzungsstarke Persönlichkeit mit Kompetenz im Marketing. Da taucht Tina Müller auf dem Radar auf. Nach fünf Jahren als Douglas-Chefin hatte sie gerade ins Aufsichtsgremium gewechselt. Müller hatte die deutsche Parfümeriekette strategisch neu ausgerichtet, mit einem Fokus auf dem Onlinehandel. 2022 erzielte Douglas einen Rekordumsatz von 3,6 Milliarden Euro, davon entfielen über 1,2 Milliarden auf den E-Commerce. Ganz freiwillig habe sie die operative Führung nicht abgegeben, heisst es. Es habe Unstimmigkeiten zwischen Müller und dem Finanzinvestor und Mehrheitseigentümer CVC gegeben.

Bei Weleda will man wissen, wie Tina Müller das Unternehmen als Chefin auf Erfolgskurs führen würde. Drei Kandidaten sind am Schluss des Auswahlprozesses noch im Rennen. Müller will Weleda jünger, digitaler, internationaler und hochwertiger machen. Bis 2030 will sie so den Umsatz auf über 800 Millionen Franken verdoppeln. Das überzeugt die Findungskommission. «Wir haben uns mit Tina Müller für die Vorwärtsstrategie entschieden», sagt Weleda-Verwaltungsrat Hurter. Und Müller macht voran. «Wir sind mindestens doppelt so schnell geworden mit Tina Müller. Das ist natürlich für viele zunächst mal ein Schock», so Hurter.

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Tina Müller Weleda

Müller identifiziert sich inzwischen stark mit Weleda: «Als CEO ist man die erste Markenbotschafterin des Unternehmens.»

Ornella Cacace für BILANZ
Tina Müller Weleda

Müller identifiziert sich inzwischen stark mit Weleda: «Als CEO ist man die erste Markenbotschafterin des Unternehmens.»

Ornella Cacace für BILANZ

Hurter erinnert sich gut an die erste Begegnung mit der deutschen Managerin, deren Markenzeichen die schwarze Lockenmähne und der rote Lippenstift sind: «Das war schon sehr eindrücklich. Diese starke Präsenz der Persönlichkeit und die hohe Geistesgegenwart.» Doch Müller überzeugt auch mit ihrer Offenheit gegenüber den Werten von Weleda. Es habe den Verwaltungsrat Mut gekostet, eine CEO zu holen, die weder mit Naturkosmetik noch mit Anthroposophie zu tun hatte, weiss Müller. «Es hätte nicht funktioniert, wenn ich nicht die Bereitschaft gezeigt hätte, mich darauf einzulassen», fügt sie hinzu. Dass Müller keinen anthroposophischen Hintergrund hat, wurde im Verwaltungsrat ausführlich diskutiert. «Das müssen wir auch immer wieder diskutieren, so wie sie sich immer wieder neu vergewissern muss, dass sie jetzt mit den Anthroposophen zusammenarbeitet. Das ist so, sonst wäre man nicht ehrlich», betont Hurter.

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Nicht bei jedem in Arlesheim kommt die zackige Rheinländerin gut an. Eine Mitarbeiterin wird im Pendlerzug nach Basel Zeugin von Geläster über die neue Chefin und mischt sich beherzt in die Unterhaltung ein: «Haben Sie Frau Müller überhaupt schon kennengelernt?» Kennenlernen, annähern und zusammenwachsen – das ist nicht immer so einfach. Für Müller ist beispielsweise klar, dass eine moderne Hautpflege nicht ohne Sonnenschutzfaktor auskommt. Das führt zu Diskussionen: In der Anthroposophie spielt die Sonne eine zentrale Rolle als lebensspendende Kraft und Symbol für Geistigkeit und Bewusstsein. Wie verträgt sich das mit LSF 50?

Anspruchsvolle Aktionäre

Weledas Hauptaktionäre sind die Anthroposophische Gesellschaft und die Klinik Arlesheim. Über eine wirtschaftlich gesunde Weleda und eine attraktive Dividende werden beide nicht unglücklich sein – vor allem das Spital, dessen neues Klinikgebäude aus nachhaltigem Holz mindestens 70 Millionen Franken kosten wird. «Trotzdem muss unser wirtschaftlicher Erfolg immer in Harmonie mit Mensch und Natur stehen», sagt Müller. In dieser Hinsicht habe Weleda auch ihre Sichtweise verändert. «Die anthroposophisch inspirierten Werte haben mich zu einer besseren Managerin gemacht», resümiert sie. «Die Sinnhaftigkeit des Wirtschaftens erfahre ich jetzt ganz anders als in meiner bisherigen Karriere. Das ist etwas Schönes, das mein professionelles und privates Leben ungemein bereichert.»

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Dass Müller, nachdem sie ein Unternehmen mit Milliardenumsatz geleitet hat, ihre geliebte Düsseldorfer Heimat verlässt, um ins verschlafene Arlesheim zu Weleda zu wechseln, ist ungewöhnlich. Wie ein Spaziergang im Heilpflanzengarten in Schwäbisch Gmünd sie an ihre Kindheit in einem grossen Garten erinnert und ihr Herz für die Naturkosmetik und Weleda gewinnt, ist eine wunderschöne Anekdote – fast zu perfekt aus dem Munde einer Marketingexpertin. Ganz sicher hat Müller die Transformationsaufgabe gereizt. Bei Weleda stimmten Qualität, Produkte und Leute – es fehlte nur die richtige Vermarktung. Genau das kann Müller, wie sie mit der Kampagne «Umparken im Kopf» bei Opel und beim Umbau von Douglas bewiesen hat. «Sie hat aber nicht einfach zur nächsten Marke Ja gesagt, sondern zu Weleda und allem, was da mitschwingt und wofür die Marke steht. Das hat sie gespürt, auch wenn sie noch nicht alles darüber gewusst hat», davon ist Ueli Hurter überzeugt.

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Das deutsche «Manager Magazin» titelt 2019 «Tina Müller – Die härteste Managerin Deutschlands». Müller fühlt sich missverstanden. Über einen Mann hätte man so nicht geschrieben – da sind sich ihre Kolleginnen einig. Von Alexander Dibelius, damals Vorsitzender des Aufsichtsrats von Douglas und Chef der Private-Equity-Firma CVC, erhält Müller dafür ein Schulterklopfen, sie solle stolz auf diese Zeile sein.

Tatsächlich ergriff Müller für die Neuausrichtung der Parfümeriekette drastische Massnahmen, darunter die Schliessung von 500 Filialen. Als sie 2022 von der operativen Führung in den Douglas-Aufsichtsrat wechselt, erzielt die Firma einen Rekordumsatz. Alles richtig gemacht, sollte man meinen. Doch Müller schaut selbstkritisch auf die Transformation zurück: «Heute, mit acht Jahren mehr CEO-Erfahrung, sehe ich das auch in Nuancen anders. Alle nötigen Massnahmen würde ich wieder so treffen, aber mit noch mehr Kommunikation und mehr Empathie.»

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Auch bei Weleda standen im Zuge der neuen Strategie Entlassungen auf dem Plan. In der Verwaltung wurden 100 Jobs gestrichen, an anderer Stelle etwa für ein Digitalteam neue Leute eingestellt. Massnahmen, die oft für Unsicherheit und Unzufriedenheit sorgen. «Das ist für eine Organisation nicht einfach zu verdauen», sagt Müller. In dieser angespannten Situation setzt sie auf Kommunikation. Bei CEO-Talks, Mitarbeiterversammlungen und mit Newslettern versucht sie, alle mit an Bord zu holen. Das hat geklappt, wie eine Befragung der Mitarbeitenden zeigt. Die Mehrheit steht hinter der Transformation.

Weledas holistischer Ansatz ist 100 Jahre alt und derzeit extrem angesagt.

Das liegt auch an der guten Umsatzentwicklung und daran, dass Weleda am Markt plötzlich richtig gut ankommt. Hollywoodschönheiten outen sich als Fans von Weledas Skin-Food-Gesichtscreme. Stars wie Julia Roberts, Adele, Rihanna und Hailey Bieber schwören auf die Wundercreme aus der Schweiz. Eine grosse Portion Glamour bringt die Promi-Kooperation mit Prinzessin Madeleine von Schweden. Zusammen mit der jüngsten Tochter von König Carl Gustaf und Königin Silvia bringt Weleda im September eine neue Marke für Babys, Teens und Tweens.

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<p>Tina Müller (l.) posiert mit Prinzessin Madeleine von Schweden.</p>

Tina Müller (l.) posiert mit Prinzessin Madeleine von Schweden.

WELEDA AG
<p>Tina Müller (l.) posiert mit Prinzessin Madeleine von Schweden.</p>

Tina Müller (l.) posiert mit Prinzessin Madeleine von Schweden.

WELEDA AG

Innovationsfeuerwerk

Der Kosmetikmarkt lebt von Innovationen – für Müller daher eine tragende Säule der neuen Strategie. Die resolute Managerin startet von Arlesheim aus ein regelrechtes Innovationsfeuerwerk. Mit der Linie Blauer Enzian & Edelweiss steigt das Traditionsunternehmen erstmals ins grosse und lukrative Segment der Hautverjüngung ein. «Die Creme wurde in unseren Labors entwickelt und zum Patent angemeldet. Da ist uns eine Jahrhundertformel gelungen», freut sich Müller. Erfolgreiche Produkte werden zu Serien ausgebaut. Von der beliebten Skin-Food-Gesichtscreme gibt es inzwischen fünf weitere Produkte, oder das Rosmarinhaarwasser gegen Haarausfall wurde durch-Shampoo und Conditioner ergänzt. Selbstverständlich pusht Müller auch die Onlineverkäufe. Einerseits mit dem neu lancierten eigenen Shop, der im vergangenen Jahr vom Start weg zwei Millionen Umsatz gemacht hat, und andererseits mit neuen Kanälen wie den TikTok-Shops. Müller ist davon überzeugt, dass diese einer der grössten Beauty-Kanäle werden können. Zudem führt Weleda im Herbst zwei Premiumlinien ein, die auch über Parfümerien vertrieben werden sollen.

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«Heute ist man am Markt für Naturkosmetik nicht wegen der guten Produkte erfolgreich, sondern wegen der guten Kampagnen. Und Weleda hat eine richtig gute Kampagne», urteilt Anna Mandozzi, CEO und Gründerin der Plattform für Naturkosmetik Biomazing. Im April wurden eine neue Werbekampagne und das erneuerte Logo präsentiert, inklusive des neuen Schriftzugs «Swiss Natural Science». Laut Marktforschung steht Swissness auch bei Kosmetik für eine ausserordentlich gute Qualität und Naturverbundenheit.

<p>Auch Hollywoodschönheit Hailey Bieber verleiht der Traditionsmarke Glanz und Glamour.</p>

Auch Hollywoodschönheit Hailey Bieber verleiht der Traditionsmarke Glanz und Glamour.

ZVG
<p>Auch Hollywoodschönheit Hailey Bieber verleiht der Traditionsmarke Glanz und Glamour.</p>

Auch Hollywoodschönheit Hailey Bieber verleiht der Traditionsmarke Glanz und Glamour.

ZVG

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Von einem neuen Logo kann nach Ansicht von Hans Peter Riegel, Partner und Creative Director der Strategie- und Kommunikationsberatung Riverside, kaum die Rede sein: «Es wurde nur ein wenig die Urform geglättet. Weil es in der anthroposophischen Formenlehre keine rechten Winkel gibt, sieht das Logo weiterhin so seltsam aus, wie es eben aussieht.» Grundsätzlich hält Riegel dieses sanfte Make-over aus Marketing- und Kommunikationsüberlegungen aber für richtig. Das altbekannte Logo stehe für Natürlichkeit – einen der grössten Trends in der Kosmetikbranche.

Die Gründerin

<p>Weleda Story Bilanz 6/25</p>

Ita Wegman (1876–1943) studierte Medizin in Zürich.

WELEDA Archiv
<p>Weleda Story Bilanz 6/25</p>

Ita Wegman (1876–1943) studierte Medizin in Zürich.

WELEDA Archiv

1921 gründete die Frauenärztin Ita Wegman in unmittelbarer Nähe des Goetheanums, des Zentrums der anthroposophischen Bewegung in Dornach, ein anthroposophisches Sanatorium – die heutige Klinik Arlesheim. Damit legte sie einen wichtigen Grundstein für das Unternehmen Weleda. Im Jahr davor hatte der Chemiker Oskar Schmiedel den sogenannten Ersten Ärztekurs organisiert, eine Vortragsreihe von Rudolf Steiner vor Ärzten und die Geburtsstunde der Anthroposophischen Medizin. An deren weiterer Entwicklung hatte Wegman einen grossen Anteil. Sie gehörte dem «esoterischen Vorstand» der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft an und leitete die Medizinische Sektion der zugehörigen Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum. Zusammen mit Steiner erforschte sie die Zusammenhänge zwischen Mensch, Natur und Geist und stellte Arzneimittel und Körperpflegeprodukte mit natürlichen Substanzen her. In Schwäbisch Gmünd wurde zur selben Zeit der erste Heilpflanzengarten angelegt und mit der industriellen Produktion von Heil- und Körperpflegemitteln begonnen.

Weleda

Wegman gründete die heutige Klinik Arlesheim.

ZVG
Weleda

Wegman gründete die heutige Klinik Arlesheim.

ZVG

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Der ganzheitliche Ansatz von Weleda, bei dem die Gesundheit und das Wohlbefinden von Körper, Geist und Seele als untrennbare Einheit betrachtet werden, ist mehr als hundert Jahre alt und derzeit extrem angesagt. «Niemand zweifelt die Authentizität von Weleda an. Daher wird auch kein anderer Player diese Traditionsmarke vom Thron stossen», meint Naturkosmetik-Expertin Mandozzi. Auf dem Markt für Naturkosmetik gibt es immer neue Player mit ähnlichen Produkten und Storytelling. «Weleda kann sich jedoch über ihre Geschichte als Naturkosmetik-Herstellerin, also über Authentizität, von den anderen Marken differenzieren», meint auch Markenexperte Riegel.

1000 Arzneimittel

Eine härtere Knacknuss als das Kosmetikgeschäft ist die Geschäftseinheit Pharma, die zwar nur knapp 20 Prozent des Umsatzes ausmacht, in den Augen der Eigentümer aber das Herzstück des Unternehmens ist. Die grösste Herausforderung ist das umfassende Sortiment mit 1000 Arzneimitteln. «Würde man rein betriebswirtschaftlich vorgehen, könnte man eine ABC-Analyse machen, 500 Mittel rausnehmen und wäre über Nacht profitabel», weiss Müller. Doch das widerspräche dem Sinn von Weleda – nämlich das breite Sortiment anthroposophischer Arzneimittel für die Ärzte und die Patienten aufrechtzuerhalten, die eben alle Medikamente benötigen.

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Die Lösung: Müller hat fünf lukrative Serien herausgepickt, die jetzt zu Blockbustern getrimmt werden, damit sie zukünftig die Kleinstserien finanzieren können. So soll die gesamte Pharmasparte bis Ende 2028 auf eigenen Beinen eine schwarze Null erzielen. Zu den Fokuslinien zählen die Arnikasalben und -öle gegen Muskel- und Gelenkschmerzen, die bereits einen sehr prominenten Markenbotschafter haben: Beim EM-Viertelfinal Frankreich gegen Portugal im vergangenen Sommer wurde Kylian Mbappé vor dem Elfmeterschiessen auf dem Feld mit dem Arnika-Massageöl von Weleda behandelt – vor Millionen von Zuschauern.

<p>Fussballstar Kylian Mbappé mit Massageöl von Weleda.</p>

Fussballstar Kylian Mbappé mit Massageöl von Weleda.

ZVG
<p>Fussballstar Kylian Mbappé mit Massageöl von Weleda.</p>

Fussballstar Kylian Mbappé mit Massageöl von Weleda.

ZVG

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Auch im ersten Quartal 2025 sind die Zahlen von Weleda sehr gut – für Müller ein Zeichen, dass sie mit der Strategie auf dem richtigen Weg sind. Und ständig kommen neue Ideen hinzu. Der Verwaltungsrat behält ein Auge darauf, dass Weleda trotz des Wachstums und der hohen Dynamik den Grundwerten treu bleibt. Für Ueli Hurter ist aber klar: «Wachstum ist Risiko, Entwicklung ist Risiko, aber Stagnation wäre ein viel höheres Risiko.»

Über die Autoren
sdf

Anne-Barbara Luft

Anne-Barbara Luft

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