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Die CEO von Sulzer pflügt den Industriekonzern um – nicht immer subtil, aber erfolgreich. Die Zahlen zeigen nach oben.
«Das ist kein Sprint, sondern eine mehrjährige Transformation»: Sulzer-Chefin Suzanne Thoma.
Gian Marco Castelberg für BILANZWerbung
Im Testcenter ist es drückend warm, ein lautes Summen liegt in der Luft, dicke Rohre schlängeln sich durch die hohe Halle. An ihrem Rand dröhnt eine mannsgrosse Pumpe vor sich hin. Es ist ein Prototyp, 18 Stunden lang wird er getestet. «Für welche Anwendung ist die Pumpe?», will Sulzer-Chefin Suzanne Thoma wissen. Entsalzung, kommt die Antwort von den Mitarbeitern der Werkleitung. Die Anlage sei gerade aus Winterthur geliefert worden, erste Tests zeigten, dass der Wirkungsgrad noch besser sei als berechnet. «Das ist super!», freut sich Thoma. «Damit können wir dem Preiskampf entgehen!»
Zweieinhalb Jahre nach Amtsantritt ist die CEO und VR-Präsidentin des Schweizer Industriekonzerns noch immer steil unterwegs auf der Lernkurve. «Ich versuche, dahin zu gehen, wo das wahre Leben stattfindet – nicht nur in die Büros mit den Powerpoint-Präsentationen», sagt sie. 15 bis 17 der weltweit 160 Standorte besucht sie pro Jahr, verwendet ein Drittel ihrer Zeit für Reisen. Aber sie ist zum ersten Mal in Bruchsal, einem malerischen Städtchen mit 40'000 Einwohnern und Barockschloss nördlich von Karlsruhe. Jetzt verbringt sie hier einen halben Tag am Deutschland-Sitz von Sulzer Flow Control und im Produktionswerk mit 400 Mitarbeitern: Pumpen für die Wasserindustrie, für Öl und Gas und für Atomkraftwerke werden hier produziert und in die ganze Welt exportiert.
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Thoma kam mit viel Vorschusslorbeeren zu Sulzer, hatte sie doch in den neun Jahren davor als CEO von BKW den angeschlagenen Energiekonzern als Dienstleister neu ausgerichtet, mit 130 Übernahmen stark ausgebaut und dabei den Börsenwert vervierfacht. Und Thoma erfüllt bisher auch bei Sulzer die Erwartungen: Seit ihrem Amtsantritt als VR-Präsidentin im April 2022 hat sich der Aktienkurs verdoppelt, während der Swiss Performance Index, in dem Sulzer enthalten ist, im selben Zeitraum nur um 6,7 Prozent zugelegt hat. Unter ihr im Doppelmandat – also seit November 2022 – stiegen der Umsatz um elf Prozent auf 3,53 Milliarden Franken und der Betriebsgewinn um 41 Prozent auf 383 Millionen, die Ebit-Marge liegt jetzt bei zwar nicht grossartigen, aber akzeptablen 10,8 Prozent. Gleich zweimal hat Thoma die Dividende zuletzt erhöht, nachdem die Aktionäre vorher jahrelang hatten darben müssen. Trotz dem Kursrally geben noch immer acht von zehn Analysten eine Kaufempfehlung.
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Ganz anders war die Aussicht bei ihrem Amtsantritt. «Ich habe eine Firma angetroffen, die selbstbewusst und selbstzufrieden war, aber keine hohen Ziele hatte», sagt die 63-Jährige. Die Entwicklung der letzten 20 Jahre nennt sie «nicht schlecht, aber eher genügsam». So kam der Aktienkurs nie richtig vom Fleck, die Ergebnisse schwankten, die Stimmung ebenfalls. Vom Ruhm früherer Tage, als die Firma die Schweiz mit Industriestolz erfüllte, war man weit entfernt. Das will Thoma ändern. «Ich schüttle Sulzer durch», sagt sie und ergänzt: «Ganz sachte.»
Vielleicht auch nicht so sachte, wie sie das selber darstellt. Etwa personell. 2021 begann Thoma als Vizepräsidentin beim Industriekonzern in Winterthur. Als klar war, dass sie ein Jahr später Präsidentin würde, flüchteten sowohl CEO Greg Poux-Guillaume als auch CFO Jill Lee. Beide hatten mit Thoma das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Und vor allem keine Lust auf Einmischung: Der bisherige Chairman Peter Löscher, früher Siemens-Chef, pflegt ein angelsächsisches Verständnis der Präsidentenrolle. Er flog viermal im Jahr zur VR-Sitzung ein und liess dem Management ansonsten weitgehend freie Hand, auch strategisch. Thoma hingegen hält sich an schweizerische Gepflogenheiten, kümmert sich also auch um die Strategie. Aber nicht nur das: Bereits als Vizepräsidentin redete sie auch immer mal wieder mit, wenn es um die Umsetzung dieser Strategie ging.
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Poux-Guillaumes Nachfolger Frédéric Lalanne zog Thoma bereits nach neun Monaten den Stecker. Russland hatte zuvor die Ukraine überfallen, die Unsicherheit bei den Kunden war gross, es kamen viele Fragen aus der Öffentlichkeit wegen der Rolle von Grossaktionär Viktor Vekselberg: Der gebürtige Ukrainer mit Wohnsitz in Moskau hält 49 Prozent an Sulzer, weshalb der Konzern in Polen sanktioniert wurde. «Eine Situation, die bei der Wahl des CEO nicht Teil des Profils war», drückt es Thoma aus. Soll heissen: Lalanne war damit überfordert. Also übernahm sie selber auch noch operativ das Ruder. Manche bei Sulzer sagen, das sei von Anfang an ihr Plan gewesen. Letztes Jahr wurde ihr das Doppelmandat mit 4,84 Millionen Franken vergütet.
Ein Drittel ihrer Zeit ist Thoma auf Reisen, besucht pro Jahr 15 bis 17 Standorte.
Gian Marco Castelberg für BILANZEin Drittel ihrer Zeit ist Thoma auf Reisen, besucht pro Jahr 15 bis 17 Standorte.
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In der fünfköpfigen Konzernleitung wechselte Thoma munter durch: Insgesamt gab es unter ihr neun Änderungen. Auch wenn in drei Fällen (Daniel Bischofberger, Uwe Boltersdorf, Jan Lüder) ein persönlicher Karriereschritt Grund gewesen sein dürfte für den Abgang: Das Leitungsgremium eines Milliardenkonzerns in so kurzer Zeit so heftig durchzukneten, hat bisher wohl nur der damalige Holcim-CEO Jan Jenisch geschafft. Zumal bei Sulzer auch im Board kaum ein Stein auf dem anderen blieb: Von Thomas sieben VR-Kollegen aus dem Jahr 2021, als sie Vizepräsidentin wurde, sind heute nur noch zwei dabei. «Damals herrschte eine grosse Frustration im Board», erinnert sich eine Person, die es miterlebte. Thoma brachte neue Köpfe wie Ex-Ciba-Chef Hariolf Kottmann oder die frühere Kuoni-Finanzchefin Prisca Havranek-Kosicek, die von ihr schnell und professionell integriert wurden. Heute, so hört man, ziehen die Verwaltungsräte trotz aller Unterschiede in Charakter und Herkunft wieder am selben Strick.
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Klar ist: Suzanne Toma hat einen grossen Gestaltungsanspruch. «Sie ist ein klares Alphatier und macht keine halben Sachen», sagt ein ehemaliger Wegbegleiter. Ein anderer verwendet den Ausdruck «extrem dominant», auch von «Sturheit» ist die Rede. «Andererseits kann sie auch opportunistisch die Meinung ändern, wenn es ihr hilft», sagt jemand, der ihr eigentlich wohlgesonnen ist. Ein anderer spricht von einer «einzigartigen Kombination: Sie ist tough, aber gleichzeitig sehr höflich.» Vor allem arbeitet sie sachorientiert und unpolitisch, «sie zieht keine Show ab», sondern funktioniert strukturiert, analytisch und zahlengetrieben. Ihre Erwartungen an die Mitarbeiter sind hoch, wer sie nicht erfüllt, bleibt nicht lange inseinem Job. «Ich arbeite gerne mit unternehmerischen und starken Leuten zusammen, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen», nennt sie es: «Ich bin mehr interessiert am Führen und Entwickeln als am Reparieren.» Bisweilen freilich wirkt sie distanziert und unnahbar: Man muss sie besser kennen, bis sie sich einem öffnet.
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Zu reden gibt am Sulzer-Hauptsitz, dass sich Thoma bisweilen uneingeladen in Meetings setzt und dann auch mitdiskutiert. «Ich habe ein Bauchgefühl dafür, wenn in Besprechungen zu viel geredet und zu wenig erreicht wird», sagt sie. Dass sie deshalb als Kontrollfreak wahrgenommen wird, fürchtet sie nicht: «Es passiert selten und ist im Interesse der Leute.» Erstmals öffentlich Gegenwind bekam sie erst, als Sulzer als einer der ersten Konzerne den Angestellten das Homeoffice strich, weil in ihrer Wahrnehmung die Leute nicht mehr erreichbar waren und die Leistung abnahm. Und weil sie sich fragte, warum sie Schweizer Löhne zahlen sollte, wenn die Heimarbeiter auch an einem Schreibtisch irgendwo in der Welt sitzen könnten. Frustrierte Angestellte wandten sich daraufhin an die Boulevardpresse, teils mit Falschinformationen. «Diese Leute haben einen Resonanzkörper gesucht und gefunden», sagt Thoma. Es brauchte zwei Town Hall Meetings und anschliessende Seelenmassage in kleinen Gruppen, um die Situation intern wieder zu beruhigen. Klar ist aber auch, dass Teile der Belegschaft verstört sind über Thomas Führungsstil. Öffentlich widerspricht man ihr besser nicht, im 1:1-Gespräch soll sie sich jedoch offen für Argumente zeigen.
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Als CEO krempelte Thoma die BKW um und vervierfachte den Börsenwert (hier an der GV 2022 mit CFO Ronald Trächsel).
KeystoneAls CEO krempelte Thoma die BKW um und vervierfachte den Börsenwert (hier an der GV 2022 mit CFO Ronald Trächsel).
KeystoneUnbestritten sind ihr grosser Einsatz (ein Wegbegleiter bezeichnet sie als «Workaholic»), ihre Neugier und ihr Wille, sich in für sie neue Themen einzulernen: «Suzanne kann stundenlang über technische Fragen diskutieren und hat auch keine Scheu, die Leute, egal auf welchem Level, um Hilfe zu fragen», hat jemand bei Sulzer bemerkt. Wobei ihre Ausbildung als Verfahrenstechnikerin mit Schwerpunkt Chemie für sie ein Startvorteil war – und auch der internen Akzeptanz förderlich ist. Denn die war am Anfang nicht vollumfänglich gegeben: Einige im Weltkonzern kritisierten ihre mangelnde internationale Erfahrung, ist BKW doch grossmehrheitlich in der Schweiz tätig. Dass Thoma derzeit keine anderen VR-Mandate innehat, hilft bei ihren Mammutaufgaben: Den Boardposten bei OC Oerlikon gab sie aus Gründen der Risikodiversifizierung auf, als sie zu Sulzer wechselte, beim Beschichtungsunternehmen Beckers schied sie kürzlich nach zwölf Jahren aus, bei BayWa Renewables ebenfalls, weil dort nun andere Qualifikationen gesucht waren: «Eine ungewohnte Situation für mich.»
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Thomas Ausbildung als Verfahrenstechnikerin mit Schwerpunkt Chemie war ein Startvorteil.
Gian Marco Castelberg für BILANZThomas Ausbildung als Verfahrenstechnikerin mit Schwerpunkt Chemie war ein Startvorteil.
Gian Marco Castelberg für BILANZWeiter geht die Führung durch die grossen Werkhallen in Bruchsal. Alte Maschinen aus den 1960er-Jahren stehen neben modernsten interaktiven CNC-Fräsen, Roboter sieht man kaum, fahrerlose Transportsysteme ebenfalls nicht: Die teils tonnenschweren Komponenten werden per Lastenkran zwischen den einzelnen Produktionsschritten herumbugsiert. An einer Wand hängt ein grosses Plakat mit Sicherheitsinstruktionen, als Comittment haben die Mitarbeiter unterschrieben – ein paar Scherzbolde auch als «C. Ronaldo», «L. Messi» oder «D. Trump». Worauf sich die Werkleitung genötigt sah, auf einem Plakat daneben vor weiterer «Sachbeschädigung» zu warnen. In einem Bereich der Halle werkeln Arbeiter am Rotor, dem Herz der Pumpe: der Welle mit den Laufrädern. Einige fertige Exemplare warten auf ihre Installation ins Pumpengehäuse. Die Anlagen werden später nach Saudi-Arabien gehen für die Ölförderung, nach Grossbritannien in ein AKW oder nach China in ein Kohlekraftwerk. «Wie leistungsfähig ist diese Pumpe?», will Thoma wissen. «Als Auto wäre das die Mercedes-S-Klasse mit AMG-Motor, mehr geht nicht», antwortet David Pistor, seit acht Jahren Deutschland-Chef des Pumpengeschäfts und Standortleiter in Bruchsal, mit sichtbarer Genugtuung: «In dieser Liga können das weltweit nur drei Anbieter.»
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Alte Maschinen aus den 1960er-Jahren stehen neben modernsten interaktiven CNC-Fräsen.
Gian Marco Castelberg für BILANZAlte Maschinen aus den 1960er-Jahren stehen neben modernsten interaktiven CNC-Fräsen.
Gian Marco Castelberg für BILANZDer Stolz auf das eigene Know-how ist ein Kern von Sulzer. Ohne diese Technikverliebtheit hätte es der Konzern nicht zu seiner 191-jährigen Geschichte geschafft und zu seinen Milliardenumsätzen rund um die Welt. Aber sie ist auch ein Problem: Die Produkte treffen nicht immer den Markt, weil sie teils zu anspruchsvoll sind, hat Thoma erkannt. Also hat sie die Angebotspalette reduziert, gerade bei den hochwertigen Pumpen: «Man muss den Ehrgeiz der Ingenieure manchmal etwas bremsen, weil dem Kunden auch die zweitbeste Lösung genügt», sagt sie. Denn am Schluss müssen die Zahlen stimmen. Apple und IBM wären einst fast zugrunde gegangen an ihrem Ingenieursstolz, andere Firmen wie Concorde oder der E-Auto-Pionier Better Place sind es.
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Als Erstes, nachdem sie das Doppelmandat ergriffen hatte, überprüfte Thoma zusammen mit dem VR die Strategie. Die Hypothese: Sulzer ist operativ sehr gut, aber in den falschen Märkten tätig. Die Strategieprüfung aber zeigte das Gegenteil: Sulzer ist in den richtigen Märkten unterwegs, aber steht sich selbst im Weg mit ihrer Komplexität, den bürokratischen Prozessen und der Silokultur. Ein Ergebnis, das einigermassen für Verblüffung sorgte im VR. Thoma fällte zwei Grundsatzentscheide: Im Bereich Chemtech wurde das traditionelle Geschäft mit der Öl- und Gas-Industrie nicht mehr als Legacy Business definiert, aus dem man sich zugunsten von nachhaltigen Zukunftsmärkten wie biobasierten Kunststoffen, synthetischem Flugbenzin oder CO2-Absorption schnellstmöglich zurückziehen muss, sondern als Kerngeschäft. Damit wurde auch der Wechsel in der Spartenleitung erklärt von Uwe Boltersdorf zu Tim Schulten, bis dahin Chef des Service-Geschäfts. Und dieses – es macht immerhin 35 Prozent des Gesamtumsatzes aus – soll nun nicht mehr als Stieftochter des Pumpengeschäfts angeschaut werden. Viele der 600 neuen Mitarbeiter, die seither eingestellt wurden, arbeiten denn auch im Service. Dafür reduziert Thoma im Overhead, etwa bei der Bestellungsverarbeitung oder dem Management kleinerer Risiken. Sie drückte die Entscheidungsmacht in Teilbereichen von der Zentrale in die Märkte, ähnlich wie Björn Rosengren bei ABB. Ein weiterer Abbau im Hauptquartier dürfte folgen, denn noch immer hat es ihr im Sulzer-Tower in Winterthur zu viel Bürokratie. Und sie initiiert einen Kulturwandel. Befand sich Sulzer bisher im «Farmer-Modus», wie sie es nennt – man wartete auf die Kunden, bewirtschaftete sie, bediente sie gut –, wechselt man nun in den «Hunter-Modus», geht also in neue Märkte zu neuen Kunden.
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Insgesamt nicht weniger als 60 Wachstums- und 400 Exzellenzinitiativen hat Thoma angestossen, die im Programm «Sulzer 28» gebündelt sind und systematisch getrackt werden. Anfangs halfen die Berater von Bain bei der Analyse. «Jetzt müssen wir selber umsetzen, sonst lernt die Organisation nicht», so die Chefin. Eine der ersten Massnahmen: Die Probleme bei Qualität und Liefertreue der Pumpen in den Griff zu bekommen. Und man hat die Preise erhöht – ein Schritt, wo Sulzer lange Zeit gezögert hatte. Er wurde von den Kunden akzeptiert.
Die wohl wichtigste Einzelinitiative ist «One Sulzer», welche die Prozesse und Produkte so weit wie möglich standardisieren soll. «Das Silodenken ist leider immer noch ausgeprägt. Wir arbeiten daran, es zu reduzieren», so Thoma. Beispielsweise gab es bisher kein einheitliches Key Account Management, jede Division bediente die Kunden separat. Auch die Beschaffung war bislang regional und spartenweise organisiert. Entsprechend weniger Einkaufsmacht hatte der Konzern. Dies hat man inzwischen professionalisiert. Und die Macht der Sparten-CFOs beschnitten zugunsten des Konzernfinanzchefs. Ebenfalls wurden weltweit einheitliche Sicherheitsprotokolle in den Werken eingeführt. «Ich bin kein grosser Fan von Zentralisierung, aber wo es Sinn macht, sollten wir es tun», so Thoma. Denn das Projektmanagement muss auch in der IT abgebildet werden, und wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, wird es auch dort komplex und teuer. Momentan nutzt der Konzern drei verschiedene SAP-Systeme, dazu kommt auch noch das Konkurrenzprodukt Microsoft Dynamics. «Wir werden das ändern, aber es wird nicht von einem Tag auf den anderen möglich sein», weiss sie. Doch es ist ein Kostentreiber. Und erst wenn die Prozesse harmonisiert sind, kann Thoma auch bei der IT aufräumen.
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Suzanne Thoma mit obligatorischer Schutzbrille im Testcenter des Werks Bruchsal.
Gian Marco Castelberg für BILANZSuzanne Thoma mit obligatorischer Schutzbrille im Testcenter des Werks Bruchsal.
Gian Marco Castelberg für BILANZNatürlich provozieren all die Änderungen Widerstand – das «Not invented here»-Syndrom ist bei Sulzer stark verankert. «Nicht ungewöhnlich für eine Experten-Organisation», sagt Suzanne Thoma schulterzuckend. So sieht sie auch erst weniger als ein Drittel der Wegstrecke absolviert. Andererseits: Obwohl sie der Organisation und den Mitarbeitern einiges zumutet, ist die Fluktuationsrate um ein Drittel auf 6,9 Prozent gesunken, und die Leute sind weniger krank.
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Die Zahlen zeigen: Die Massnahmen beginnen zu greifen, unter Suzanne Thoma findet Sulzer langsam in die Erfolgsspur zurück. Glück beziehungsweise gutes Timing kam hinzu: Zum einen boomt das hochprofitable Servicegeschäft, gerade in den USA. Zum anderen brachte Sulzer Ende 2021 ihre Erfolgssparte Medmix (Applikatoren) an die Börse. Dort freilich schiffte sie ab und verlor drei Viertel ihres Wertes. Das ist jetzt nicht mehr Sulzers Problem, aber zeigt exemplarisch zwei Begebenheiten: Zum einen ist es ein Unterschied, ob sich eine Division im Schutz eines grossen Konzerns entwickelt oder allein auf dem freien Markt tätig ist. Und zweitens wurde Medmix fälschlicherweise als Juwel wahrgenommen, das bald mehr Wert sein sollte als der Rest des Konzerns. «Es ist häufig so, dass man vernachlässigt, was man hat und worauf man bauen kann», sagt Thoma. Gerade bei Sulzer.
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Bleibt die Frage: Was von dem, was Sie gemacht haben, hätten Sie ohne Doppelmandat nicht tun können? «Es hängt sehr davon ab, welchen VR-Präsidenten ich gehabt hätte», antwortet sie: «Aber die Abstimmung hätte vermutlich länger gedauert.» Doch die Bündelung von CEO- und Präsidentenamt in einer Person ist hierzulande verpönt, wird allenfalls akzeptiert, wenn ein Unternehmen am Abgrund steht wie ABB unter Jürgen Dormann Anfang der Nullerjahre – und auch dann nur für einen klar definierten Zeitraum. Thoma verweist auf den Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance: «Das ist ausdrücklich vorgesehen.» Aber im Code steht eben auch: «Der Verwaltungsrat wirkt darauf hin, dass sein Präsidium und der Vorsitz der Geschäftsleitung zwei verschiedenen Personen anvertraut werden.» Und er nennt Ausgleichsmassnahmen, um der Machtbündelung entgegenzuwirken, etwa die Ernennung eines Independent Lead Director. Bei Sulzer ist das Vizepräsident Markus Kammüller. Der langjährige Berater bei PwC und IBM gilt zwar als smart, aber nicht als ausgesprochen stark. Ein echtes Gegengewicht ist er nicht, VR-Sitzungen ohne Thoma ruft er nur einmal pro Jahr ein. Zudem drängt der Code auf unabhängige Komitees, ebenfalls als Gegengewicht. Doch Thoma sitzt in zwei der drei VR-Ausschüsse: Sie präsidiert das wichtige Strategy and Sustainability Committee und ist Mitglied des Nomination Committee. Das Doppelmandat abgeben will sie auf absehbare Zeit nicht: «Es hat gut funktioniert, von den Resultaten, der Geschwindigkeit und der Transparenz her.» So ist und bleibt die Konstellation bei Sulzer sicher nicht im Sinne der Good Corporate Governance.
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beträgt die Ebit-Marge nun wieder.
wurden seither neu eingestellt.
hat der Aktienkurs zugelegt, seitdem Thoma als VR-Präsidentin bei Sulzer anfing.
Klar ist: Die Ziele bei Sulzer sind definiert, erste Erfolge stellen sich ein, aber die Knochenarbeit der Umsetzung wird noch lange gehen. «Das ist kein Sprint, sondern eine mehrjährige Transformation», sagt Thoma. Nächstes Etappenziel ist die Kulturveränderung Richtung Unternehmertum, auch die China-Abhängigkeit von Chemtec muss – gerade in Zeiten des Decouplings – reduziert werden. Ihre Mission, auch das ist klar, hat sie noch lange nicht erfüllt. «Das ist dann der Fall, wenn Sulzer nahe an ihrem Potenzial läuft, auch intern», sagt sie. Sprich: wenn die Prozesse harmonisiert sind, die Innovationskraft wieder voll da ist und die Produkte auch den Markt treffen. Am Namen des Programms «Sulzer 28» kann man den Zeithorizont erahnen. Und dann kann Sulzer vielleicht auch wieder an ihren Rekordumsatz von über vier Milliarden aus dem Jahr 2012 anknüpfen.
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Grössere Akquisitionen sind dabei kein Thema, ebenso wenig wie eine Fusion mit OC Oerlikon, die deren Chef Michael Süss immer mal wieder ventiliert. Das Wachstum soll organisch erfolgen. Den Umsatz von Chemtech etwa wollte Thoma bei Amtsantritt in sechs bis sieben Jahren auf 1,3 Milliarden Franken verdoppeln, aus dem Sulzer-Board vernahm man sogar das ehrgeizige Ziel von 25 Prozent Wachstum pro Jahr. In drei Jahren ist er nun um 26 Prozent gestiegen, immerhin – aber mit der Zielerreichung dürfte es knapp werden. Als «nicht unrealistisch, aber auch nicht garantiert» sieht Thoma heute die Ambition.
Zumal die jüngsten Quartalsergebnisse eher enttäuschend ausfielen, gerade bei Chemtech. Eine Folge auch der irrlichternden Zollpolitik von US-Präsident Trump. Der US-Markt ist bei Sulzer zuletzt stark gewachsen und mit 956 Millionen Umsatz nun der wichtigste, wäre aber von Einfuhrzöllen wenig betroffen: 80 Prozent der Wertschöpfung werden vor Ort hergestellt oder in Mexiko, für das – momentan, noch, man weiss es nie – relativ niedrige Zollquoten gelten. Aber die Kunden sind verunsichert und schieben aus Angst vor einer weltweiten Rezession Investitionsentscheide auf die lange Bank. Die Jahresziele sieht Thoma zwar nicht gefährdet, aber alle nicht absolut notwendigen Reisen im Konzern hat sie erst mal gestrichen.
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«Suzanne kann stundenlang über technische Fragen diskutieren und hat auch keine Scheu, die Leute, egal auf welchem Level, um Hilfe zu fragen», hat jemand bei Sulzer bemerkt.
Gian Marco Castelberg für BILANZ«Suzanne kann stundenlang über technische Fragen diskutieren und hat auch keine Scheu, die Leute, egal auf welchem Level, um Hilfe zu fragen», hat jemand bei Sulzer bemerkt.
Gian Marco Castelberg für BILANZUnd dann ist da noch das Dauerthema Viktor Vekselberg. Noch immer ist der russische Grossaktionär von den US-Behörden sanktioniert, noch immer zahlt Sulzer seine Dividende auf ein Sperrkonto ein (318 Millionen Franken liegen dort inzwischen), noch immer kann er seine Anteile nicht verkaufen oder an die Kinder weitergeben, noch immer lastet laut Analystenschätzungen ein Vekselberg-Malus von 15 bis 30 Prozent auf der Aktie. Neue Ideen oder Initiativen, die Situation zu lösen, gibt es nicht, auch Suzanne Thoma unternimmt – anders als Michael Süss bei OC Oerlikon, wo Vekselberg ebenfalls Grossaktionär ist – nichts in die Richtung. Affaire à suivre.
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Am Ende ihres Rundgang warten rund 200 Mitarbeiter in einer der Werkhallen auf Thoma. Freundlicher Begrüssungsapplaus schwappt ihr entgegen, als sie die improvisierte Bühne betritt. Thoma redet klar, benutzt einfache Worte, vermeidet Management-Englisch. Sie verteilt Lob («ein beeindruckendes Werk», «Sie haben viel Erfahrung und Know-how, Sie zeigen Einsatz»), nennt ungeschminkt die Schwächen («die Kostensituation», «manchmal sind wir zu langsam und zu perfektionistisch»), mahnt zur stetigen Verbesserung («es gibt immer Potenzial»). Am Schluss der halben Stunde applaudiert das Publikum, sie gibt den Beifall zurück. Besser als erwartet sei es gegangen, wird sie später sagen: «Es war eine positive Energie in der Halle, die Fragen waren relevant und berechtigt, keine Meckerfragen.»
Aber Suzanne Thoma weiss auch: Es bleibt noch viel zu tun.
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