Guten Tag,
Die SGS-CEO lässt beim fast 150-jährigen Traditionskonzern keinen Stein auf dem andern. Das gefällt nicht allen.
CEO Géraldine Picaud im SGS-Hauptgebäude in Genf, das der Warenprüfkonzern bald verlassen wird.
Reto Albertalli für BILANZWerbung
Der Pressechef hat für das Treffen einen gesichtslosen Besprechungsraum organisiert. Nach ein paar Minuten taucht auch Géraldine Picaud auf. Ob wir nicht in ihr Büro gehen wollten, da sei es doch angenehmer, meint sie und führt uns hinaus. Die kurze Strecke zu ihrem Eckbüro, schön gelegen im altehrwürdigen Stammsitz an der Place des Alpes im Zentrum von Genf, nutzt sie spontan für eine kurze Führung durchs Gebäude, das zuletzt so sehr für Schlagzeilen gesorgt hat.
Denn der Warenprüfkonzern, 1878 in Frankreich gegründet, aber seit 110 Jahren in Genf beheimatet, hat beschlossen, per Ende Jahr nach Zug zu zügeln. Es ist ein radikaler Bruch mit der Firmentradition, der am Lac Léman weit herum für eine Mischung aus Entsetzen und Unverständnis sorgte.
Die Société Générale de Surveillance (SGS) ist ein Warenprüfkonzern mit fast 150-jähriger Geschichte. Begonnen hat das Ganze 1878 in den Docks von Rouen in Frankreich, wo die von einem jungen Einwanderer aus Lettland gegründete Firma Getreidelieferungen prüfte. Das Geschäft wuchs schnell, Niederlassungen in ganz Europa entstanden. 1915, als der Erste Weltkrieg tobte, verlegte die Firma den Sitz nach Genf in die neutrale Schweiz, wo SGS fortan für 110 Jahre ihr Headquarter hatte. Bis Géraldine Picaud kam: Per Ende Jahr soll erneut umgezogen werden, nach Baar ZG, was in Genf für enorme Kritik sorgte. Rund 170 Personen arbeiten heute im Headquarter in Genf, der Rest der fast 100'000 Mitarbeiter ist auf rund 2600 Niederlassungen in 115 Ländern verteilt. SGS prüft von Wasserproben über Lebensmittel und Saatgut bis hin zu Elektronikprodukten oder Umweltverträglichkeit fast alles, was verifiziert oder zertifiziert werden muss. Die seit 1981 an der Schweizer Börse SIX kotierte Firma ging durch unruhige Phasen, etwa unter Gründerenkelin Elisabeth Salina Amorini, deren Amtszeit in Verlusten mündete. Unter dem inzwischen verstorbenen Fiat-Chef Sergio Marchionne, von 2002 bis 2004 CEO von SGS, stabilisierte sich die Firma.
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Der Hauptsitz in Genf ist eine architektonische Zwitterkonstruktion, das historische Steingebäude mit Blick auf die Place des Alpes wurde vor rund zwanzig Jahren durch einen riesigen Neubau aus Metall und Glas erweitert. Dort wähnt man sich fast wie im Raumschiff Enterprise – neun geschwungene Stockwerke, inklusive vier Etagen tief ins Erdinnere. Nur: Auf fast allen Etagen ist niemand, es herrscht gähnende Leere. Gerade mal auf zwei Etagen sind Mitarbeiter zu sehen, jeweils einige Dutzend, die da grosszügig verteilt vor ihren Bildschirmen hocken. Picaud dürfte sich des Eindrucks, den das Ganze macht, wohl bewusst sein. Macht das hier wirklich Sinn?, scheint ihr Blick zu fragen.
In ihrem Büro angekommen, meint sie, wir müssten unbedingt ihr Lieblingsgetränk probieren, einen Ingwertee, der frisch und belebend wirke. Sie schenkt eigenhändig ein. Der Eindruck: Da ist eine Chefin ohne Allüren, nahbar, unverkrampft, empathisch. Und dem Journalisten bleibt nichts anderes übrig, als nicht ohne Respekt zu konstatieren, dass Picaud schon zwei Mal hat punkten können – dabei hat das Interview noch nicht einmal begonnen.
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Das alte Hauptgebäude in Genf.
Reto Albertalli für BILANZDas alte Hauptgebäude in Genf.
Reto Albertalli für BILANZKlar ist: Hier ist eine Frau in charge, die in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich ist.
Dass sie oberste Chefin werden sollte, war anfangs gar nicht vorgesehen. Ursprünglich wurde sie im Dezember 2023 als Finanzchefin geholt, eine Position, welche die gebürtige Französin, die ihre Ausbildung an der renommierten École supérieure de commerce de Reims gemacht, ein MBA abgeschlossen und ihre Karriere als Auditorin bei Arthur Andersen gestartet hatte, schon in ihrem vorherigen Job beim Zementriesen Holcim sechs Jahre lang ausgefüllt und in der sie auch sonst den grössten Teil ihrer Karriere verbracht hatte. Doch nur einen Monat nach ihrem Antritt als CFO war sie bereits CEO. Eigentlich sei für die Nachfolge des langjährigen Chefs Frankie Ng, unter dessen Führung der Konzern zunehmend lethargisch wirkte, eine Person mit CEO-Erfahrung gesucht worden, sagt ein in den Suchprozess Involvierter. Doch ihr Drive und, mehr noch, ihre ganz konkreten Ideen zur Weiterentwicklung der Firma deuteten an, dass hier vielleicht noch höhere Ambitionen schlummerten.
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Man habe im Verwaltungsrat sehr schnell erkannt, dass sie «CEO-Potenzial» habe, sagt ein Verwaltungsrat, und ein anderes Mitglied des Gremiums ergänzt: «Uns wurde mit einem Schlag bewusst: Hier vor uns steht die ideale Kandidatin für den Job.» Es habe einen umfangreichen Evaluationsprozess mit internen und externen Kandidaten gegeben, erklärt SGS-Präsident Calvin Grieder. Picaud habe als Finanzchefin begonnen und eine gute Einführung erhalten. «Wir kannten Géraldine deshalb bereits gut. Schon während des Auswahlprozesses hat sie dem Verwaltungsrat die Grundlagen der heutigen ‹Strategie 27› präsentiert und uns damit erst recht überzeugt.»
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Auch im Board hatte sie zudem auf ihre spezielle Art schon vorweg punkten können. Den Sommer, der zwischen ihrem Ausscheiden bei Holcim und ihrem Antritt als CFO bei SGS lag, nutzte sie nicht für Ferien oder ein Sabbatical, wie es wohl viele im Vorfeld eines anstrengenden neuen Jobs gemacht hätten, sondern für den Besuch von über dreissig Prüflabors von SGS auf der ganzen Welt – auf eigenen Wunsch. Dieses Engagement habe den Verwaltungsrat schon sehr beeindruckt, sagt ein Mitglied. Geholfen hat sicher auch, dass gleichzeitig einer der Konkurrenten um den SGS-Chefposten ein Haus weiter zog: Dominik de Daniel, der die CFO-Position bei SGS bis dahin innehatte und intern als einer der Papabili galt, liess sich von Logistikmilliardär Klaus-Michael Kühne als CEO von dessen Holding gewinnen, eine Position, die de Daniel im April 2024 antrat.
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Im SGS-VR hatte Picaud zudem gewichtige Fürsprecher. Allen voran Ian Gallienne, Vertreter des SGS-Grossaktionärs Groupe Bruxelles Lambert (GBL). Gallienne, französisch-belgischer Doppelbürger, kennt Picaud aus ihrer Zeit bei LafargeHolcim, wo GBL – lange Ankeraktionärin bei Lafarge – nach der Fusion ebenfalls Grossaktionärin war.
Gallienne soll beim Wechsel von Picaud zu SGS eine wichtige Rolle gespielt haben, sagen Insider. Picaud, unglücklich bei Holcim, hatte die Fühler nach neuen Jobmöglichkeiten ausgestreckt und soll dabei unter anderem auch mit Gallienne in Kontakt getreten sein.
Was genau der Grund für ihren Abgang bei Holcim war, darüber kursieren mehrere Versionen. Klar aber ist, dass die Chemie zwischen Picaud und Konzernchef Jan Jenisch, dem starken Mann bei Holcim, zuletzt nicht mehr stimmte. Dabei war Jenisch beim Einstieg von Picaud 2018 noch betont begeistert gewesen von seiner dynamischen CFO, wissen Holcim-Insider. Doch irgendwann kippte es. Was konkret Jenisch an Picaud auszusetzen hatte, ist unklar, «es ist jedenfalls nichts vorgefallen, was bis zu uns in den Verwaltungsrat kam», heisst es aus dem Umfeld des Holcim-Verwaltungsrats. Holcim-Insider vermuten, dass die eloquente und telegene Finanzchefin, die es gut mit der Finanzpresse konnte und auch in Bloomberg TV auftrat, Jenisch auch etwas vor der Sonne gestanden habe. Klar ist: Der langjährige Holcim-Chef macht generell gerne kurzen Prozess und hat in wenigen Jahren fast die gesamte Führungsriege im Konzern ausgewechselt. Und auch Leute, die Picaud gut mögen, räumen ein, dass ihr Führungsstil mitunter für Diskussionen sorgen kann: Sie ist tough und kann sehr direkt sein, ja manchmal auch laut werden und hält mit klaren Meinungen nicht zurück – nach unten wie nach oben. Das ist nicht jedermanns Sache.
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An der Jahrespressekonferenz ihres vorherigen Arbeitgebers Holcim, einmal 2020 mit CEO Jan Jenisch (im Bild), ...
Keystone... einmal kurz nach ihrem Einstieg 2018.
Keystone
Im Einsatz für SGS bei Besuchen von Labors in Singapur 2025 und ...
PR... in Indien 2024.
PR
Bei SGS setzte Picaud von Anfang an Marksteine: Noch im Januar 2024, als ihre Nomination bekannt gegeben wurde (offiziell löste sie Frankie Ng dann im März ab), präsentierte sie ihre «Strategie 27», ihr Konzept für einen Neubeginn bei SGS. Es basiert auf drei Pfeilern: Wachstum, Performance und Agilität sowie finanzielle Solidität, verbunden mit einem starken Profil in Sachen ESG. «Wenn wir Marktanteile gewinnen wollen, müssen wir schneller wachsen als der Markt, also mit mindestens fünf bis sieben Prozent im Jahr», sagt sie. Man müsse zudem schneller auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen, in vielen Märkten, etwa in China und den USA, soll die Präsenz gestärkt werden. Auch die Effizienz müsse gesteigert und die Kosten gesenkt werden – ein Sparplan im Umfang von 100 Millionen Franken läuft. Und nicht zuletzt will sie den Konsolidierungsprozess in der Branche fördern – natürlich mit SGS an der Spitze.
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«Der Markt ist bis heute extrem fragmentiert», sagt sie. Unzählige kleine und ein paar mittelgrosse Player bestimmten die Branche. Der Gesamtmarkt habe ein Volumen von rund 170 Milliarden Dollar, Marktführer SGS erziele nur knapp sieben Milliarden davon, also nur etwas mehr als vier Prozent. Das will sie ändern, auch mit Akquisitionen, am liebsten einer pro Monat. In diesem Bereich kennt sie sich bestens aus – beim Brillenkonzern Essilor, wo sie von 2011 bis 2018 Group CFO war, tätigte sie bis zu vierzig Übernahmen pro Jahr.
«Wir müssen schneller wachsen als der Markt», sagt Picaud.
Reto Albertalli für BILANZ«Wir müssen schneller wachsen als der Markt», sagt Picaud.
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Schon im ersten Jahr als CEO legte sie eindrücklich vor und lieferte exzellente Resultate, wie sich bei der Präsentation der Jahreszahlen 2024 diesen Februar zeigte: Die Verkäufe stiegen auf die Rekordmarke von 6,8 Milliarden Franken, getragen von einem starken organischen Wachstum von 7,5 Prozent. Der Free Cash Flow schoss um fast ein Viertel auf 748 Millionen hoch, der resolut umgesetzte Effizienzplan sorgte für Einsparungen von 50 Millionen Franken, die im Jahr 2024 verbucht wurden, und zu einer Erhöhung des gesamten Einsparungsziels auf 150 Millionen Franken. Und auch ihren Akquisitionsrhythmus konnte sie mit elf Übernahmen 2024 und weiteren drei bis zur Bekanntgabe der Zahlen weitgehend erfüllen – in nicht einmal zwölf Monaten hat sie den Genfer Konzern wachgeküsst. Die Börse honoriert den neuen Elan mit einem deutlichen Kursanstieg – seit ihrem Antritt ist der Aktienkurs um rund 15 Prozent gestiegen (Stand 22. Mai).
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Was lange niemand wusste: Hinter den Kulissen arbeitete Géraldine Picaud auch am ganz grossen Sprung – der Fusion mit Bureau Veritas, dem französischen Konkurrenten, wie SGS einer der grösseren Player. Im Januar leakte das Ganze, die Presse berichtete von den Fusionsgesprächen, und die beiden Firmen bestätigten, dass Kontakte stattgefunden hätten. Das Spezielle an der Situation: Auch bei Bureau Veritas ist mit Hinda Gharbi seit 2023 eine Frau an der Spitze. Das ermöglichte einen neuen Zugang ohne die Belastungen der Vergangenheit. Der Gedanke dahinter: einen «europäischen Champion in einer globalen Industrie» zu schaffen, so Picaud.
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Doch nur wenige Wochen später war Schluss: Die Firmen gaben an, die Gespräche seien ergebnislos abgebrochen worden. Zu den Gründen will Picaud keine Stellung nehmen, aber aus dem Umfeld des Deals verlautet, die Sache sei zunehmend kompliziert geworden. So drohte die Gefahr, dass sich – wie oft, wenn französische Firmen in Fusionen involviert sind – die Politik einmischt. Auch Fragen zur Verteilung der Führungspositionen im neuen Gebilde sollen aufgetaucht sein.
Picaud, welche die Fusion von Holcim und Lafarge hautnah miterlebte, wusste wohl, welche Schwierigkeiten sich auftun könnten – und soll daraufhin zum Schluss gekommen sein, es berge zu viele Risiken und drohe auch den eben erst gestarteten Aufschwung im Rahmen der «Strategie 27» zu lähmen.
Börsenliebling: Seit dem Einstieg von Géraldine Picaud 2024 schoss der Börsenkurs nach oben.
Reto Albertalli für BILANZBörsenliebling: Seit dem Einstieg von Géraldine Picaud 2024 schoss der Börsenkurs nach oben.
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Auch sonst gab es Skepsis. Er habe dem VR-Präsidenten Calvin Grieder geschrieben und ihn vor einer solchen Fusion gewarnt, sagt etwa der ehemalige SGS-Topmann Rolf Jeker, der von 1999 bis 2006 Senior Executive Vice President von SGS war. Schon zu seinen Zeiten bei SGS, damals noch unter Führung von Managerlegende Sergio Marchionne, habe man sich Bureau Veritas angesehen: Die Synergien seien eher bescheiden, mit vielen Überlappungen, was bei einer Fusion zwar Grösse bringe, aber nicht wirklich einen Aufbruch in neue Geschäftsfelder. Zudem bestehe einfach kein kultureller Fit mit den französischen Geschäftsgepflogenheiten, geprägt unter anderem durch einen starken Einfluss der Gewerkschaften und der Regierung. Sein Kommentar sei allerdings relativ spät geschrieben worden, nur einen Tag nach dem Versenden sei das Ende der Gespräche verkündet worden, was ein Zeichen sei, dass der SGS-Verwaltungsrat wohl auch schon selber zu ähnlichen Schlüssen gekommen sei, so Jeker.
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Die Börse war in der Sache von Anfang an skeptisch gewesen: Am Tag der Bekanntgabe der Fusionsgespräche durch die beiden Firmen Mitte Januar sank der Kurs von SGS um sechs Prozent, jener von Bureau Veritas hüpfte zunächst um vier Prozent nach oben, um diese Avancen dann aber wieder abzugeben. Für SGS ist sicher gut, dass Picaud auf ihrem Weg jetzt ungestört weiterfahren kann, aber dem Konsolidierungsprozess in der Branche ist das natürlich nicht förderlich – der grosse Dominator im Markt ist noch immer nicht entstanden.
Picaud aber ist auch in ihr zweites Jahr als CEO mit viel Schwung gestartet, die Ergebnisse im ersten Quartal 2025 waren gut. Die Wirren in den USA, die Präsident Trump mit seiner Zolldiskussion auslöste, haben zwar auch hinsichtlich der stark global ausgerichteten SGS vorübergehend für Unsicherheit gesorgt und auf den Kurs gedrückt, aber Picaud bleibt auch in Bezug auf die USA optimistisch. Wenn sich mehr Firmen in den USA ansiedeln würden, bräuchte es auch mehr Überprüfungen, und die Umweltstandards sowie das Bedürfnis nach Sicherheit blieben auch in den USA hoch. Als Beispiel für die Tätigkeit von SGS nennt sie die Prüfung der Hülle der in den USA so beliebten Muffins: «Wussten Sie, dass viele dieser Umhüllungen bei der Erhitzung im Ofen Giftstoffe abgeben?» «When you want to be sure», lautet das Motto, das Picaud zum Slogan für die Tätigkeit der Firma gemacht hat – SGS verkaufe den Kunden Sicherheit und Vertrauen, das sei der Kern der Sache.
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Sie baut weiter kräftig um und scheut sich nicht vor radikalen Änderungen. Um sich herum hat sie ein Führungsteam gebaut, das deutlich verkleinert wurde und auf
Schlüsselpositionen mit einer Mischung aus engen Vertrauten und internen Talenten besetzt wurde. Im Rahmen dieses Prozesses wurde das Executive Committee von 18 auf 12 Mitglieder verkleinert. Als CFO amtet Marta Vlatchkova, die sie schon aus Holcim-Zeiten kennt, wo jene Head of Accounting and Reporting war. Auch Presse- und Investor-Relations-Chef Ariel Bauer ist ein alter Bekannter: Ihn kennt sie aus ihren Zeiten bei Essilor. Picaud sei schon als CFO «sehr strategisch ausgerichtet» gewesen, sagt Vlatchkova, «sie schaut stets nach vorne.» Als CEO sei ihre Chefin «noch weiter aufgeblüht». Eine Stärke sei ihr Zugang zu den Leuten: «Sie ist eine Teamleiterin, die auch zuhören kann, auf die Meinung anderer hört.» Sie habe einen sehr direkten Managementstil, zum Teil über Hierarchien hinweg, setze aber auch viel Vertrauen in ihr Team. Fast jeder, der mit ihr zu tun hat, erwähnt die grosse Energie und den Drive, den sie ausstrahlt.
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Entspannung findet sie beim Schwimmen – gerne spult sie im Hallenbad oder im See ihre Runden ab, «meist etwa einen Kilometer», sagt sie. Früher spielte sie viel Volleyball, wettkampfmässig, in der Regionalliga.
Die 55-Jährige ist Mutter von drei inzwischen erwachsenen Söhnen. Ihr Ehemann ist der bekannte Mathematiker und Professor Jean-Claude Picaud, der auch einige Zeit Gastdozent an der ETH Zürich war. Zusammen mit ihrem Mann besuche sie gerne Opern, vor allem in Zürich, gerne aber auch mal in Mailand oder Paris.
Sie liest viel, derzeit liegt das Buch «The Paper Menagerie» vom sino-amerikanischen Schriftsteller Ken Liu auf ihrem Nachttisch, das die Geschichte eines Jungen chinesischer Abstammung in den USA erzählt. Fragen kultureller Identität interessieren sie und sind natürlich auch in ihrem weltumspannenden Konzern – SGS beschäftigt weltweit fast 100'000 Mitarbeiter – von Belang.
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Mitarbeiter in 115 Ländern beschäftigt SGS.
Milliarden Franken betrug der Umsatz 2024.
Labors und Niederlassungen betreibt SGS weltweit.
Sie wohnt in Zug, was im Rahmen der Diskussion um den neuen Hauptsitz für den – von SGS stets als unbegründet zurückgewiesenen – Vorwurf gesorgt hat, sie wolle den Hauptsitz nur verlegen, weil ihr Arbeitsweg damit viel kürzer sei als nach Genf. Nicht geholfen in der Diskussion hat, dass auch Vlatchkova (sie wohnt in Freienbach SZ) und Chefjurist Martin Oesch (er wohnt in Urdorf ZH) ihren Wohnsitz in der Nähe von Zug haben.
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Für viele in Genf war die Meinung schnell gemacht: Persönliche Vorteile seien der eigentliche Grund für den Umzug.«Kein Wunder, kommen solche Gedanken auf», sagt Vincent Subilia, Direktor der Genfer Handelskammer und FDP-Kantonsrat, «keiner versteht den Entscheid.» Ein solcher Standortwechsel sei ein ungewöhnlicher Schritt und werfe ein schlechtes Licht auf den Wirtschaftsraum Genf, so Subilia. Die Einsparungen, die SGS durch diesen Umzug geltend mache – jährlich rund zehn Millionen Franken –, stünden in keinem Verhältnis zum angerichteten Schaden. Am Kostenblock von SGS ändere dies doch im Grunde wenig: Alleine die Reisespesen von SGS betragen über 300 Millionen pro Jahr, zudem würde viel für Berater ausgegeben. Das Unternehmen habe in seinen über hundert Jahren in Genf zur vollen Blüte gelangen können.
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«Zehn Millionen an Einsparungen sind keine Kleinigkeit», sagt Picaud, «in zehn Jahren sind dies addiert schon 100 Millionen.» Zudem seien die Kosten nicht der alleinige Grund für den Umzug gewesen, auch die Nähe zum international gut angeschlossenen Flughafen Zürich sei ein entscheidender Aspekt gewesen. «Ach was», hält Subilia dagegen, «der Flughafen Genf ist auch gut angeschlossen, und mit dem Taxi ist man vom Zentrum von Genf in zehn Minuten dort.»
Man habe sich den Entscheid nicht leicht gemacht, sagt Picaud, über ein Jahr hätten die Evaluationen gedauert. Zug sei ganz einfach die beste Lösung gewesen. Auch ein neues Gebäude ist bereits gefunden: Es ist der ehemalige Firmensitz der Private-Equity-Firma Partners Group an der Zugerstrasse in Baar.
Der zukünftige Firmensitz im ehemaligen Gebäude der Partners Group in Baar.
PRDer zukünftige Firmensitz im ehemaligen Gebäude der Partners Group in Baar.
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Aber wie stand es mit anderen Optionen, etwa der Untervermietung von Etagen des jetzigen Gebäudes? «Haben wir natürlich auch geprüft. Der Umbau wäre so teuer geworden, dass dies wenig gebracht hätte.»
Die Hoffnung in Genf, dass die Aktionäre den Plänen eine Abfuhr erteilen könnten, zerschlugen sich: Eine deutliche Mehrheit von rund 90 Prozent stimmte an der Generalversammlung vom 26. März dem Vorhaben zu. Für den nun anstehenden Umzug will SGS den Mitarbeitern unter die Arme greifen. So erhält etwa jeder Umzugswillige ein GA, und auch bei der Unterbringung und der Wohnungssuche werde geholfen.
Picaud macht derweil mit ihrem Umbau ungebbremst weiter, in schöner Regelmässigkeit trudeln Pressemeldungen von Zukäufen oder Partnerschaften ein. Die Mitarbeiter haben sich grösstenteils hinter ihre Chefin geschart, und der VR ist des Lobes voll: «Ihr zielstrebiges Vorgehen, ihre Entscheidungsfreude und ihr Pragmatismus sind wichtige Gründe dafür, dass SGS so erfolgreich unterwegs ist», sagt Grieder. Klar ist, dass Picaud sich hohe Vorgaben setzt, und die Konkurrenz im Markt ist stark – der Weg wird nicht einfach sein. Woran will er Picaud denn mittel- bis langfristig messen? «Wir – und der Kapitalmarkt – messen sie natürlich am Erreichen der Ziele, die sie als Teil der ‹Strategie 27› vorgestellt hat.» SGS sei in der richtigen Richtung unterwegs, und sie habe «einen guten Teil der Vorgaben schneller erreicht als angekündigt». Die individuellen Leistungskriterien würden sich darüber hinaus auch nach den Zielen im Vergütungsreport richten, der im Februar erschienen ist. Gespiegelt sind diese im Lohn: 6,25 Millionen Franken waren es für 2024, gegenüber dem Salär von Frankie Ng ein Plus von fast 43 Prozent. Auch für Picaud selber ist der Neuaufbruch also bisher aufgegangen.
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Mitarbeit: Marc Kowalsky
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