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Mann des Monats

Der Nonkonformist

Seine Berufung an die Spitze der Post war eine Überraschung. Jetzt warten schwierige Aufgaben auf Pascal Grieder. So tickt der neue CEO.

Marc Kowalsky

<p>Pascal Grieder ist wagemutig: «Wenn wir vor einer total steilen und vereisten Skipiste stehen, und die Wahrscheinlichkeit, ohne Sturz da durchzukommen, ist kleiner als 40 Prozent, dann sage ich: Voll geil, da gehen wir jetzt runter!»</p>

Pascal Grieder ist wagemutig: «Wenn wir vor einer total steilen und vereisten Skipiste stehen, und die Wahrscheinlichkeit, ohne Sturz da durchzukommen, ist kleiner als 40 Prozent, dann sage ich: Voll geil, da gehen wir jetzt runter!»

Olivier Vogelsang

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Pascal Grieder ist nicht erreichbar. Er ist auf Reisen. Wieder mal. Mit seiner Frau Claudia und den drei Kindern zwischen 13 und 17 Jahren unternimmt er gerade einen Roadtrip von Miami nach New York. Bereits bei seiner Weltreise 2018, ebenfalls mit der Familie, war die 3000 Kilometer lange Strecke eingeplant, doch am Ende fehlte die Zeit. Das wolle er jetzt nachholen, erzählte Grieder (48) kürzlich im Freundeskreis. Rund einen Monat hat er dafür eingeplant, die Labradorhündin Ines dafür bei Verwandten platziert.

Über 100 Länder hat Grieder bereits bereist, in mehr als 20 gearbeitet und dabei einiges erlebt: In einem australischen Dorf war er tagelang wegen einer Sturzflut von der Aussenwelt abgeschnitten, während der Wasserpegel immer weiter stieg und der einzige Supermarkt bereits leer gekauft war. In Italien endete ein massiver Erdrutsch einen Meter vor seiner Haustür. Noch viel herausfordernder freilich wird die Reise sein, die Pascal Grieder am 1. November antritt: Dann wird er den CEO-Job bei der Post übernehmen. Bis dahin will er sich auch nicht in den Medien äussern.

Seine Wahl war eine Überraschung, hatte man doch eher mit einer Person aus dem Detailhandel, aus Logistik/Transport oder einem anderen bundesnahen Betrieb gerechnet. Die Überraschung war wiederum keine Überraschung, denn die Post ist geübt darin, Chefs aus dem Hut zu zaubern, die niemand auf der Rechnung hatte: Von Vorgänger Roberto Cirillo gab es bei seiner Nomination genau ein einziges Foto, Susanne Ruoff war bei ihrer Berufung als Chefin von BT Switzerland allenfalls unter Telekom-Connaisseurs bekannt. Und jetzt also Pascal Grieder. Der amtete zuletzt als Vorstand beim deutschen Telekom-Anbieter 1&1. In der Schweiz fiel er auf als Chef von Salt, dem drittgrössten Mobilfunkoperator.

Partner-Inhalte

Sieben Männer und eine Frau standen bisher an der Konzernspitze

Reto Braun: Januar 1988–Juni 2000  Der erste Konzernleiter nach der Aufspaltung der PTT initialisierte die strategische Neuausrichtung der Post in einem liberalisierten Marktumfeld.
Ulrich Gygi: Juli 2000–März 2009  Der langjährige Finanzbeamte führte die Post durch den digitalen Wandel, investierte in IT und Logistik und implementierte einheitliche Prozesse.
Michel Kunz: April 2009–Dezember 2009  Der Übergangschef sorgte für Stabilität in der Ära zwischen Ulrich Gygi und Jürg Bucher – ohne grössere strategische Impulse.
Jürg Bucher: Dezember 2009–August 2012  Der frühere Postfinance-Chef konsolidierte operative Einheiten, optimierte Abläufe und stärkte den Kundenfokus. 
Susanne Ruoff: September 2012–Juni 2018  Die erste Frau an der Spitze trieb die Digitalisierung weiter, pushte flexiblere Arbeitsmodelle – und musste nach dem Postauto-Skandal gehen. 
Ulrich Hurni: Juni 2018–März 2019  Der vorherige Leiter Postmail stabilisierte das Unternehmen nach der Krise und arbeitete den Subventionsbetrug auf. 
Roberto Cirillo: April 2019–März 2025  Der Ex-Berater richtete die Post neu aus: Er kürzte das Filialnetz, pushte die Nachhaltigkeit und führte den Konzern durch die Pandemie. 
Alex Glanzmann: seit April 2025  Der Finanzchef sorgt für Kontinuität, das heisst, er hält seit dem Rücktritt von Cirillo den Chefsessel warm für Pascal Grieder.
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Reto Braun: Januar 1988–Juni 2000

Der erste Konzernleiter nach der Aufspaltung der PTT initialisierte die strategische Neuausrichtung der Post in einem liberalisierten Marktumfeld.

Sobli

Untypisch

Die Internationalität wurde Grieder in die Wiege gelegt: Er wird in Basel geboren, die Mutter war Apothekerin, der Vater Banker. Die Familie zieht, er ist 10 Jahre alt, nach London, dann nach Singapur; als er 17 ist, kehren sie zurück in die Schweiz, nach Luzern. Nach dem ETH-Studium als Elektroingenieur und Doktorarbeit beginnt Grieder seine Karriere 2005 bei McKinsey, weil er schnell in verschiedenen Ländern arbeiten will. Telekom, sein Spezialgebiet, ist zu dieser Zeit eine Boombranche, «ideal für einen jungen Berater», wie sich ein damaliger Kollege erinnert: Grieder kann in Schwellenländern Mobilfunkanbieter von null aus aufbauen, arbeitete etwa in Nigeria oder auf dem Balkan. Schnell besteigt er die Karriereleiter, wird nach sieben Jahren Partner. 2015 übernimmt er die Leitung der Digitalsparte, baut digitale Geschäftsmodelle auf, leitet Transformationsprojekte. Als «sehr analytisch, sehr scharf im Verstand, sehr faktenbasiert» erlebte ihn ein Kollege, ein anderer lobt seine Kundennähe: «Er hatte neben dem technologischen Fokus immer auch eine starke Affinität für Marketing und Sales.»

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Karriere
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Dabei entspricht Grieder so gar nicht dem Klischee: «Viele McKinsey-Berater sind ja eher risikoavers, wollen keine Entscheidungen treffen oder keine richtige Verantwortung übernehmen. Deshalb geht man nach dem Studium auch zu McKinsey, das ist eine sichere Sache, und es macht sich gut auf der Visitenkarte», sagt Tillmann Lang, ehemaliger Beraterkollege. Grieder hingegen sei anders, suche und schätze Verantwortung, steige wenn nötig auch in den Maschinenraum und packe mit an. «Er kann gut zuhören, was die wenigsten Consultants können. Und er wollte mir beim Lunch nicht ständig ein neues Projekt verkaufen», erinnert sich Alexandra Reich, die Grieder bei der Swisscom als Berater engagierte und ihn später bei Salt als VR beaufsichtigte: «Er ist nicht immer 100 Prozent angepasst, sondern ein Freigeist – das Gegenteil von einem Bünzli.» Die Beschreibung, die am häufigsten fällt, wenn man sich bei Weggefährten über Grieder erkundigt, lautet: «Ein cooler Typ.» Er definiert sich nicht über Statussymbole, das Materielle ist ihm wenig wichtig. Zu McKinsey-Zeiten kauft sich Grieder statt einer deutschen Limousine oder eines Sportwagens einen Tesla, «weil er den grossen Touchscreen cool fand und die Funktion, über die Lautsprecher Furzgeräusche abzuspielen», wie sich ein damaliger Weggefährte erinnert. Grieder scheut sich nicht davor, mit Kinderspielzeugen auf den Sitzen und Kekskrümeln auf den Fussmatten bei den Klienten vorzufahren. Er benutzt das Auto bis heute. Und als er Jahre später die Geschäftsleitung von Salt für einen Ausflug auf die Piste mitnimmt, erscheint er mit einem Skianzug, den er 20 Jahre zuvor in einem Secondhand-Shop gekauft hat: Der sei immer noch der beste, verkündet er stolz.

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McKinsey und Die Post

McKinsey und die Schweizerische Post, das ist eine stabile Beziehung: Neben Pascal Grieder arbeitete auch Vorgänger Roberto Cirillo bei der Unternehmensberatung, 1999 bis 2007 in Zürich und Amsterdam. Er wurde explizit als Change Manager zur Post geholt. Konzernleitungsmitglied und Logistikleiter Johannes Cramer war 2007 bis 2013 bei McKinsey, VR-Vizepräsident Philippe Milliet von 1992 bis 1996. Informatikchef Wolfgang Eger, ebenfalls Konzernleitungsmitglied, verbrachte 1998 immerhin ein Jahr in «The Firm». Die Strategie «Post von morgen» liess Cirillo 2020 mithilfe seiner Ex-Kollegen ausarbeiten: Wachstum durch neue, speziell digitale Dienste (auch durch Akquisitionen), die Sicherstellung der Grundversorgung, die Stärkung der finanziellen Basis für Investitionen, Nachhaltigkeit und Verantwortung waren die Grundpfeiler. Auch die Nachfolgestrategie «Post 2028» wurde von McKinsey erarbeitet. Sie beinhaltet keine Neuausrichtung, sondern eine Konkretisierung der definierten Ziele. Etwa durch die Ausrichtung auf konkrete Kundenbedürfnisse oder die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele durch Infrastrukturmassnahmen.

 

Erstaunlich ist die Nähe zwischen Post und McKinsey nicht: Der Konzern wird durch die sich ändernden Rahmenbedingungen seit Jahren in eine strategische Transformation gezwungen, er muss digitale Innovationen pushen und Kosten abbauen. Alle drei Bereiche gelten als Kernkompetenzen von McKinsey.

Schleudersitz 

Nach 13 Jahren hat Grieder genug vom Beraterdasein, kündigt bei McKinsey, nimmt die Kinder von der Schule und die ganze Familie für acht Monate mit auf Weltreise. «Ich bin de facto arbeitslos um die Welt gereist», sagte er später in einem Interview. In Tokio erreicht ihn der Anruf eines Headhunters: Ob er sich vorstellen könne, Salt zu leiten? Grieder kann. «Pascal hat seine Weltreise unterbrochen und ist 15 Stunden für die Vorstellungsgespräche nach Paris und London geflogen», erinnert sich ein Verwaltungsrat von Salt: «Das hat uns beeindruckt.»

Dabei galt der Chefposten bei Salt, der früheren Orange, damals als Schleudersitz. Der französische Unternehmer Xavier Niel hatte die Firma Anfang 2015 übernommen und im gleichen Jahr CEO Johan Andsjö in die Wüste geschickt. Auch mit dessen Nachfolger Andreas Schönenberger (heute CEO der Sanitas) war er unzufrieden, denn Salt entwickelte sich zum Sorgenkind: Die Qualität des Netzes und der Hotline galten als problematisch. Entsprechend viele Kunden wanderten ab, Umsatz und Betriebsgewinn schrumpften. «Wir mussten den Turnaround schaffen, das Fundament neu legen», so ein Verwaltungsrat: «Pascals Aufgabe war es, den ersten und zweiten Stock des Hauses neu zu bauen.» Das Ganze mit so wenig Mitteln wie möglich, denn Niel hält seine Beteiligungen finanziell kurz. Das passt, denn Grieder ist kreativ: «In einer halben Stunde bringt er drei neue Ideen für ein Problem, über dem ich drei Wochen gehirnt habe», sagt Ex-Beraterkollege Lang, in dessen Start-up Inyova Grieder investiert hat: «Er denkt out of the box, aber dennoch in der Realität verankert.» Auch bei den Start-ups Viu (Brillen), Boostbar (Essensautomaten) und Voliro (Drohnen) hat Grieder investiert und betätigt sich dort als Mentor. Auf VR-Mandate hingegen verzichtet er konsequent.

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Bei Salt stellt Grieder den Kunden in den Mittelpunkt, stärkt Verkauf, Service und Netzqualität. «Was dem Kunden nichts brachte, wurde abgestellt», erinnert sich Lars Keller, damals wie heute Verkaufsleiter bei Salt. Stattdessen gibt es neue Partnerschaften, etwa mit Mobilezone, der Post oder dem österreichischen MVNO Spusu. Grieder baut den Direktvertrieb durch Verkäufer in Einkaufszentren auf, modernisiert die Shops. Und er skaliert das kurz zuvor lancierte Festnetzangebot. Es dauert, bis sich die Erfolge einstellen, zwei Jahre klemmen die Prozesse, dann läufts: «Unter ihm hat Salt den Glasfasermarkt aufgerollt und ist bis heute gut positioniert», sagt Jörg Halter, langjähriger Autor des BILANZ-Telekom-Ratings: «Diesbezüglich hat er die Firma eindeutig weitergebracht.» Weniger erfolgreich sieht er die Neulancierung des B2B-Geschäfts: «Da wollte Salt mehr Präsenz markieren. Aber die Firma ist dort nach wie vor ein Nobody.»

Pascal Grieder

<p>«Der Post tut es gut, einen Typ wie Pascal an der Spitze zu haben», sagt Marc Furrer über Grieder.</p>
<p>Grieder ist abgehärtet: «Einen Job ohne Stress würde ich nicht machen. Fände ich langweilig.»</p>
«In einer halben Stunde bringt Grieder drei neue Ideen für ein Problem, über dem ich drei Wochen gehirnt habe.» Tillmann Lang
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«Der Post tut es gut, einen Typ wie Pascal an der Spitze zu haben», sagt Marc Furrer über Grieder.

Olivier Vogelsang

Bei Salt sieht man sein Wirken sehr positiv: «Die kommunizierten Ziele haben wir erreicht, einen Teil der Früchte erntet man heute noch», sagt Keller. Denn seither ist Salt bei Gewinn und EBITDA immer gewachsen. «Pascal ist die seltene Kombination von jemandem, der strategisch gut denken und auch operativ eingreifen kann, wenn es nötig ist», so Verwaltungsrätin Reich: «Vor allem weiss er genau, was es bei einem digitalen Transformationsprojekt braucht, damit das Ganze kommerziell Sinn macht und nicht zu einem Riesenprojekt ausartet, das am Schluss nicht umsetzbar ist.» Auch Olaf Swantee, damals als Chef von Sunrise Grieders Konkurrent, sagt: «Er hat als CEO einen guten Job gemacht», und lobt ihn als «sehr professionell, mit tiefem Fachwissen und guten Ideen.»

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Salt war Grieders erste operative Rolle, und bei 1100 Mitarbeitern und 1,12 Milliarden Franken Umsatz war es keine kleine. Er habe viel gelernt in Human-Resources-Themen, im Regulierungskontext und bei Medieninteraktion, aber auch was die Finanzmärkte angeht, wird er später sagen. Doch Anfang 2023 kündigt er. Zwar sei das Verhältnis mit Eigentümer Xavier Niel immer gut gewesen, hört man, doch mit Michael Golan, einem seiner Vertreter in der NJJ Holding, habe es Reibereien gegeben: Beide sind Alphatiere, sehr schnelldenkend, entscheidungsfreudig, extrem direkt. Immerhin vier Jahre und neun Monate war Grieder im Amt und damit der am längsten dienende CEO bei dem Carrier nach Andreas Wetter, der ab 1999 als Gründungschef zehn Jahre im Amt blieb. An seinem letzten Tag schenkt das Salt-Team Grieder einen Gutschein für einen neuen Skianzug.

Patron alter Schule 

Grieder unternimmt mit der Familie wieder eine grössere Reise («Ich wurde gezwungen, weil ich keinen Job hatte», sollte er später sagen), dieses Mal einen Roadtrip durch Kroatien, Serbien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien. Danach kehrt er für ein paar Monate projektbzeogen zu McKinsey zurück, bis ihn ein Anruf aus Deutschland ereilt: Ralph Dommermuth, Gründer und Chef des Telekom-Anbieters 1&1, offeriert ihm einen Posten in der Geschäftsleitung, zuständig für Verkauf und Produktmanagement. Zwar ist Grieder dort nur einer von acht Vorständen, aber die Firma ist mit vier Milliarden Euro Umsatz und 3300 Mitarbeitern deutlich grösser als Salt. Vor allem aber lockt ihn Dommermuth, damals 60 Jahre alt, mit einer interessanten Perspektive: in absehbarer Zeit sein Nachfolger zu werden. Das Problem: Dommermuth ist ein Patron alter Schule, der seinen Leuten wenig Spielraum lässt und bei Entscheidungen bis in kleine Details hineinredet – das funktioniert nicht mit dem Freigeist Grieder. Zudem zehrt der lange Arbeitsweg vom Lausanner Vorort Lonay zu den 1&1-Büros in Montabaur bei Frankfurt beziehungsweise in Karlsruhe an den Nerven. Bereits im Februar erzählt Grieder im Freundeskreis, dass er genug habe. Die Anfrage der Headhunter von Egon Zehnder, die mit der Suche nach dem neuen Post-Chef betraut sind, kommt da wenig später wie gerufen.

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Beim Staatskonzern wird Grieder mit einem Grundgehalt von 825'000 Franken deutlich weniger verdienen als bei den beiden Telcos zuvor. Dafür sind die Herausforderungen umso grösser. Zwar gilt die Schweizerische Post zusammen mit der Deutschen als beste der Welt. Doch von den fünf Bereichen Logistikservice (Brief- und Paketpost), Postfinance, Postal Network (Filialnetz), Mobility Services (Postbus) und Digital Services sind nur die ersten beiden profitabel. Vorgänger Roberto Cirillo konnte in den letzten Jahren Umsatz und Gewinn steigern, dank Sparprogramm, aber auch weil er in der Politik – zum ersten Mal seit 18 Jahren – Preiserhöhungen durchsetzen konnte. Seine selbst gesteckten Ziele, den Umsatz auf über acht Milliarden Franken zu heben und den Gewinn auf 400 Millionen, verfehlte er jedoch.

Und das, obwohl Cirillo wie wild akquirierte: Vom Verpackungshersteller Kickbag über den Cloud-Anbieter Tresorit, die KMU-Softwareschmiede Klara oder den Werbevermarkter Livesystems bis zum – inzwischen wieder eingestampften – Kurierdienst Notime. Sogar einen Wald in Deutschland postete er für die Post, aus Klimagründen. «Das wurde planlos zusammengekauft, eine Strategie habe ich dahinter nicht erkennen können», sagt Horst Manner-Romberg, der mit seiner Firma MRU Postdienste in der ganzen Welt berät. Und der Staatsbetrieb konkurrenziert damit zunehmend die Privatwirtschaft: «Da hat man sich auch mit dem Schweizer Mittelstand angelegt.» Im Parlament formierte sich dagegen zunehmend Widerstand. Eine klare Wachstumsstrategie zu definieren, wird für den ehemaligen Strategieberater Grieder eine der Hauptaufgaben sein.

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Stolperstein

Wenig Unterstützung aus der Politik bekommt der Gelbe Riese auch für die Postfinance. Die Bankentochter ist für die Hälfte des EBIT verantwortlich, doch es war schon deutlich mehr in Zeiten der höheren Zinsen. Und es könnte auch heute noch deutlich mehr sein, dürfte sie Kredite und Hypotheken vergeben. Entsprechende Vorstösse des Bundesrates, verbunden mit einer Teilprivatisierung, scheiterten vor drei Jahren im Parlament. Diesen Knoten zu zerschlagen, ist wohl Grieders langwierigste Aufgabe.

Wesentlich akuter sind weitere Effizienzprogramme. Denn das Briefgeschäft ist seit Langem rückläufig, obwohl die Schweizerische Post als eine von nur wenigen in Europa noch ein Monopol geniesst bei Briefen unter 50 Gramm. Mittelfristig wird Grieder die Frequenzfrage adressieren müssen: Braucht es noch eine Zustellung jeden Tag? Auch das Postauto fährt Defizite ein, auch hier stellt sich die Frage nach dem Leistungsanspruch. Und dann ist da noch das ewig schwelende Thema Poststellennetz. Cirillo definierte in seiner Strategie einen Abbau von 850 auf 600 Filialen, dazu kommen 1400 Partneragenturen, die auf dem Land etwa vom Bäcker oder vom lokalen Supermarkt betrieben werden. Überall gilt: Den Spagat zwischen Serviceabbau aus Kostengründen versus Service-public-Anspruch der Bevölkerung muss nun Grieder hinlegen. Grösster Stolperstein für den neuen Post-Chef dabei: Er muss sich mit den Gewerkschaften finden. «Gegen sie kann von ihm mit Sicherheit nichts durchgesetzt werden», so Manner-Romberg. Und gleichzeitig muss er die nötigen Mittel aufbringen, um in das dank Onlineshopping langfristig wachsende Paketgeschäft zu investieren.

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Zahlen & Fakten

  • 1556 Millionen Briefe

hat die Post letztes Jahr vertragen – 5,5 Prozent weniger als im Jahr davor.

  • 180 Millionen Pakete

wurden 2024 zugestellt – ein Minus von 2,9 Prozent.

  • 183 Millionen Fahrgäste

benutzten letztes Jahr das Postauto – ein Plus von 4,9 Prozent.

Frustrationstoleranz 

Bleibt die grosse Frage: Kann Grieder das alles? «Der Post tut ein Typ wie Pascal an der Spitze gut», sagt Marc Furrer, der einst die Post regulierte und Grieder als VR-Präsident bei Salt erlebte. Für ihn spricht sein Managementstil: Grieder führt vertrauensvoll, gilt als charismatisch, empathisch, nahbar, «einer, dem die Leute gerne folgen» (Keller). Auch weil er in sich selbst ruht: Die Familie ist ihm enorm wichtig, ein gutes Glas Wein geniesst er ebenso wie einen Kebab, am Firmenfest tanzt er bis zum Schluss, am Wochenende zockt er Rollenspiele auf seiner Playstation. Aber er ist auch ungeduldig, verschickt E-Mails gerne um 5 Uhr morgens und erwartet Antwort bis um 7 Uhr – fraglich, ob sich das mit der trägen Post-Kultur verträgt. Gegen ihn sprechen im Staatsbetrieb auch die fehlende Vernetzung in Bundesbern, die mangelhaften Französischund die nicht vorhandenen Italienischkenntnisse. Und: «Vier Stunden in der Kommissionssitzung im Nationalrat zuzuhören, dürfte ihm schwerfallen», so Furrer. Vor allem hat Grieder klare Vorstellungen und Ansichten, die er durchsetzen will: «Das kann positiv sein, aber wenn er auf andere Meinungen stösst, kann es Schwierigkeiten geben», sagt ein Vertrauter. Gerade bei der Post, auf die die unterschiedlichsten Kräfte wirken und die deshalb kompromissgesteuert ist. «Er wird eine gewisse Frustrationstoleranz brauchen», so Furrer. Entscheidend wird auch sein, wie Grieder mit Post-Präsident Christian Levrat harmoniert – ebenso wie Niel und Dommermuth ein Machtmensch. Levrat immerhin gilt trotz seiner Vergangenheit als Gewerkschaftspräsident als pragmatisch und hat Verständnis für die unternehmerischen Notwendigkeiten der Post.

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Klar ist: Der Job bei der Post mit ihren rund 47'000 Mitarbeitern ist um Potenzen komplexer als bei Salt oder 1&1. Grieder selber wird sich die Aufgabe zutrauen, sonst hätte er sie nicht angenommen. «Einen Job ohne Stress würde ich nicht machen. Fände ich langweilig», sagte er vor Jahren in einem Interview. Und er wird die Post nicht einfach verwalten: Grieder will gestalten, verändern, Impact haben. Angst vor dem Scheitern hat er nicht: «Wenn wir vor einer total steilen und vereisten Skipiste stehen, und die Wahrscheinlichkeit, ohne Sturz da durchzukommen ist kleiner als 40 Prozent, dann sage ich: Voll geil, da gehen wir jetzt runter!», erzählte er einst im Freundeskreis. Mit diesem Wagemut freilich zog sich Grieder kürzlich einen Kreuzbandriss zu. Ein halbes Jahr war er ausser Gefecht, am meisten weh tat es ihm, allein in der Ferienwohnung in Zermatt bleiben zu müssen, wenn die Familie auf die Piste ging.

Ein ähnliches Malheur sollte er bei der Post tunlichst vermeiden.

Dieser Artikel erschien in der BILANZ 08/2025.

 

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Über die Autoren
Marc Kowalsky

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