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Adrian Wenger stellt mit einem Teilzeitpensum Netzbetrieb und Stromversorgung in Brienzwiler BE sicher.
Adrian Wenger ist der einzige Angestellte der Energieversorgung der Gemeinde Brienzwiler. Das Bild wurde vor dem Eingang zum betriebseigenen Wasserkraftwerk aufgenommen.
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Die Medien empfängt Adrian Wenger nicht im Büro, sondern an der frischen Luft. «Kommt zur Chocolaterie auf dem Parkplatz zum Ballenberg-Museum», sagt der Leiter der Energieversorgung der Gemeinde Brienzwiler. Und wichtig: Ballenberg Parkplatz Ost, denn es gibt zwei. Das bekannte Freilichtmuseum im Berner Oberland ist einer der grössten Stromkunden der Gemeinde.
Big is beautiful. Der Satz gilt in der Wirtschaft im Allgemeinen: Grosse, wirtschaftlich potente Staaten können kleineren Ländern ihren Willen aufzwingen, wie die Schweiz in diesen Tagen leidvoll erfahren musste. Und auch bei Unternehmen gilt die Formel «gross = gut». Etwa bei Banken und Versicherungen. Wenn die Firmen hier eine gewisse Grösse haben, gerne verbunden mit Geschäften im Ausland, können sie ihre Risiken besser und breiter diversifizieren – zum Beispiel im Kreditgeschäft. Und Versicherer können Verluste in einem Land – etwa wegen einer Naturkatastrophe – mit Gewinnen aus einer anderen Region ausgleichen.
Wer gross ist, hat zudem Vorteile beim Einkauf und profitiert von Skaleneffekten. Ein Paradebeispiel dafür ist die Strombranche, vor allem Anbieter mit einer eigenen Produktion. Hohe Fixkosten, beispielsweise für eigene Kraftwerke oder die Netzsteuerung, verlangen nach einer grossen Kundenbasis. Und erst recht gilt «Gross ist gut» im Bahnverkehr. Denn der Schienenstrang behauptet sich gar als natürliches Monopol – was bedeutet: Es ist für einen Anbieter nicht sinnvoll, neben den Schienen des Konkurrenten sein eigenes Bahnnetz zu bauen.
Und doch gibt es gerade in den oben genannten Branchen Firmen, die diesen ökonomischen Grundsätzen trotzen, und das mit Erfolg. Die Handelszeitung hat sich für diese Serie auf die Suche gemacht und die kleinste Bank, den kleinsten Versicherer, den kleinsten Stromanbieter mit vollem Angebot aus eigener Hand sowie jenen Bahnbetreiber, der über das kürzeste eigene Netz verfügt, ausfindig gemacht. Diese Unternehmen gibt es teilweise schon seit über hundert Jahren, und sie halten sich erfolgreich in einem Markt, der sonst eigentlich Grösse belohnt.
Wie schaffen sie das? Warum gibt es diese Firmen überhaupt noch? Wie funktioniert ihr Geschäftsmodell? Und womit haben sie zu kämpfen? Die Recherche zeigt: Selbst in Branchen mit Grössenvorteilen kann es zuweilen ein Pluspunkt sein, klein und flexibel zu sein.
Ansonsten versorgt Brienzwiler vor allem Privathaushalte und kleine Gewerbebetriebe, rund 450 an der Zahl. Mit 2 Millionen Kilowattstunden verkauftem Strom pro Jahr dürfte die Gemeinde einer der kleinsten Versorger der Schweiz sein, der seine Kunden selbst betreut. Gerade mal eine knappe halbe Stelle steht dafür zur Verfügung – besetzt von Adrian Wenger.
Verglichen mit anderen Versorgern ist Brienzwiler ein Winzling. Die Industriellen Werke Basel, bei denen Wenger auch mal gearbeitet hat, verkaufen pro Jahr 1,3 Terawattstunden an ihre eigenen Kunden – 650-mal so viel. Ist so ein Kleinbetrieb nicht wahnsinnig ineffizient in einer Branche, die stark von Fixkosten geprägt ist? Tarifkalkulation, Stromeinkauf, Netzunterhalt.
Die Gründung der OeBB war die Folge einer Pleite. Heute verbindet das Bahnunternehmen vier Orte mit dem kürzesten Schienennetz.
Wer gross ist, hat hier Vorteile. Klein zu sein, gilt als Nachteil. Im nationalen Vergleich fällt Brienzwiler mit leicht überdurchschnittlichen Stromkosten auf, vor allem bei Netzbetrieb und Abgaben. Das habe aber vor allem mit der Topografie und der Struktur des Versorgungsgebiets und weniger mit der Grösse des Betriebs zu tun, sagt Wenger. Ja, ein kleiner Betrieb habe sicher höhere Fixkosten pro Kunde. Gleichzeitig könne er als Einmannbetrieb aber auch viel schneller und flexibler handeln. «Die Wege bei uns im Dorf sind kurz.»
Die Nähe bezeichnet Wenger als grössten Vorteil. Er kennt die Kundschaft, und alle kennen ihn. Die meisten sind in der Grundversorgung und damit ans Monopol der Gemeinde gebunden. «Auch die paar, die frei beschaffen könnten, sind bei uns», sagt Wenger.
Knappe zwei Vollzeitstellen und 79 Millionen Franken auf der Bilanz: Bei der Ersparniskasse Speicher ist alles etwas überschaubarer.
Er ist im Ort aufgewachsen, zog dann für die Arbeit weg und arbeitete bei grossen Versorgern in der Nordwestschweiz, bevor er wieder ins Berner Oberland zurückkehrte und den Betrieb übernahm. Diesen kannte er, weil schon sein Vater das Gemeindewerk leitete.
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In Brienzwiler läuft einiges anders. Die Stromversorgung ist Teil der Verwaltung. Gleichzeitig führt Wenger auch einen privaten Energietechnikbetrieb. Im Rahmen eines festen Mandats könne dieser ergänzend hinzugezogen werden und zusätzliche Aufträge übernehmen, erklärt Wenger. Und er betont: Jeder dieser Aufträge werde vom Gemeinderat überwacht und bewilligt. Grossaufträge würden zudem normal ausgeschrieben. Und für die Stelle bei der Gemeinde habe er sich normal bewerben müssen.
Natürlich lässt sich so ein Netz nicht autonom mit einer 40-Prozent-Stelle betreiben. Vieles ist ausgelagert, etwa die Tarifberechnung zuhanden der Aufsichtsbehörden. Beim Netzbetrieb arbeite die Gemeinde eng mit dem vorgelagerten Netz der bernischen BKW zusammen.
In der Strombeschaffung sei man zwar frei, betont Wenger. Derzeit stamme der Strom jedoch hauptsächlich von einem Lieferanten, dessen Namen er nicht nennen will. Es dürfte ebenfalls die BKW sein.
Liefert rund die Hälfte des verkauften Stroms: Das Wasserkraftwerk Trigli.
Kim NiederhauserLiefert rund die Hälfte des verkauften Stroms: Das Wasserkraftwerk Trigli.
Kim NiederhauserEingekauft wird aber nur ein Teil des Stroms. Seit rund 35 Jahren gibt es im Dorf ein kleines Wasserkraftwerk, das mengenmässig etwa die Hälfte des verbrauchten Stroms produziert. Die Hälfte der Produktion könne die Gemeinde direkt vermarkten, die andere Hälfte werde im Rahmen der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) übernommen.
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Dazu kommt Solarstrom von den Dächern. Und diesen gilt das Gemeindewerk mit einer grosszügigen Einspeisevergütung ab: Im Jahr 2025 erhalten die Hausbesitzer 14 Rappen pro Kilowattstunde, nur 2 Rappen weniger als das, was Brienzwiler der Kundschaft verrechnet. Die Preise hätten sich bislang an den eigenen Beschaffungskosten der Gemeinde orientiert, erklärt Wenger. Somit seien diese nur fair.
Die kleinste Schadensversicherung der Schweiz ist der Beweis, dass im Versicherungsgeschäft Grösse allein nicht alles ist.
Allerdings ändert sich das nun, weil ab 2026 neue Regeln gelten, die sich stärker an den Preisen der Strombörse orientieren. Und die sind deutlich tiefer. Bei den Hausbesitzern hat das wenig Freude ausgelöst. Wenger musste erklären, warum die Preise sinken.
Als grössten Nachteil der kleinen Dorfversorgung sieht Wenger die dünne Personaldecke. Mit nur einem Angestellten sei man schneller auf Hilfe von aussen angewiesen. Das gilt besonders dann, wenn etwas Aussergewöhnliches ansteht. «Wir können unseren Auftrag gesetzeskonform umsetzen», betont Wenger. «Aber man muss sich schon anders organisieren als in einem Elektrizitätswerk mit dreihundert Angestellten.»
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Die Zusammenlegung des Netzes mit einer Nachbargemeinde oder die volle Auslagerung des Betriebs seien schon diskutiert worden. Aber bislang habe sich die Gemeinde immer dagegen entschieden. Ihn fasziniere die Aufgabe. «Das Spannende ist, dass wir eine hundert Jahre alte Technologie haben, die sich mit der Innovation von heute kombinieren lässt.»
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