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Die Zoll-Panik legt sich, Swatch-Chef Nick Hayek nutzt Patriotismus für Debatten und Roche-Präsident Severin Schwan positioniert sich im Zoll-Streit.
«Der Bundesrat, übermütig, beratungsfrei und ohne Plan B, steht blamiert da, das Debakel um den F-35 verstärkt die Dilettier-Arie noch,» schreibt Chefredaktor Dirk Schütz.
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Es ist beruhigend zu sehen, wie schnell sich die Zoll-Panik gelegt hat. Über den Vorschlag von Swatch-Grossmeister Hayek von einem 39-Prozent-Zoll auf die Schweizer Goldexporte kann man sich in diesen heissen Tagen die Köpfe noch heisser reden. Die Umsetzungschancen dürfen wir als eher tief taxieren, aber zumindest bewirtschaftet der Uhrenpatron geschickt den heimischen Patriotismus: «Warum ist Hayek nicht Bundespräsident?» fordert ein Blick-Leser. Interessanter ist seine Analyse: Die Uhrenbranche gilt als Hauptopfer des Zoll-Irrsinns, doch Hayek beschwichtigt: Seine Kunden würden einfach ausweichen – «dann kaufen sie ihre Uhren einfach nicht mehr in Amerika.»
In der Tat: Gerade für Luxusuhren variieren die Preise heute schon je nach Land und Zoll-Regime stark, was viele Asiaten sogar in die teure Schweiz treibt. Zudem: Alle Schweizer US-Exporteure, von den Uhrenherstellern bis zu Nestlé mit seinen ausschliesslich in der Schweiz gefertigten Nespresso-Kapseln, haben in den letzten Monaten ihre US-Lager gefüllt und können damit noch lange zu den bestehenden Preisen verkaufen (was - noch - das Ausbleiben der Inflation in den USA erklärt). Jetzt zeichnet sich eine Einigung bis Ende Oktober ab, dann locken 15 Zoll-Prozent wie für die EU, solange halten alle durch. Dass die Börse seit dem schwarzen 1. August sogar um 3 Prozent zulegte, ist ein deutliches Signal. Die schönste Kennziffer liefert der unbestechliche «Economist»: Da Pharma und Gold ausgeschlossen sind, beträgt die effektive Zoll-Rate auf US-Exporte trotz der offiziellen 39-Prozent-Rate derzeit nur 12 Prozent. Geht doch.
Und so ist es vor allem ein Schlag für den so oft verklärten Schweizer Sonderweg – wohl selten in der jüngeren Geschichte entpuppte sich dieser Pfad so dramatisch als Irrweg wie am diesjährigen Nationalfeiertag. Der Bundesrat, übermütig, beratungsfrei und ohne Plan B, steht blamiert da, das Debakel um den F-35 verstärkt die Dilettier-Arie noch. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Genau diese Schwäche der Magistraten ist vom Schweizer System gewollt. Lamentieren dürfen wir alle. Ändern wird sich: Nichts.
Da bleibt es interessant, wie sich angesichts der überforderten Landesregierung die Wirtschaftsvertreter in den Vordergrund drängen. Partners-Group-Grande Fredy Gantner, durch seine Anti-EU-Vertrags-Haltung unfreiwillig in die SVP-Ecke gedrängt, bietet sich als Vermittler an, genauso wie der durch die CS-Pleite angeschlagene Roche-Präsident Severin Schwan. Sie begleiteten Keller-Sutter und Parmelin auf ihrem zwischen hilflos und peinlich changierenden Washington-Flug. Dass sie manche Kontakte in die USA haben, ist umstritten, ebenso, dass sie dem Bundesrat dringend benötigte wirtschaftliche Expertise liefern können. Sie allerdings als «Mar-a-Lago-Crew» zu bezeichnen, wirkt dann doch eher vermessen. Trumps Gold-Schloss in Florida hat noch niemand von ihnen von innen gesehen, direkten Kontakt zu ihm hat niemand. Wenn sich selbst Finanzminister Bessent, auf den der Don noch am ehesten hört, mit seiner 10-Prozent-Empfehlung nicht durchsetzen konnte, so bleibt eine direkte Einflussnahme von Gantner & Co auf den amerikanischen König doch primär Wunschdenken.
Dass sich Schwan jetzt als oberster Pharma-Grande der Schweiz positioniert und sich für den Standort einsetzen will, sollte man da nicht überschätzen. Trump hat seine Drohbriefe an die 17 mächtigsten CEO der Pharmawelt gesendet, nur zwei gingen in die Schweiz – an Roche und Novartis. Schwan braucht hier, schon zum Schutz seiner Aktionäre, keine Schweizer Lösung, sondern eine globale Lösung im Gleichschritt mit seinen Wettbewerbern. Aber immerhin: Es ist eine willkommene Chance, die Reputations-Schmach des CS-Debakels abzustreifen. Kategorie: Kollateral-Nutzen.
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Und dann geht es am Tag des heutigen Mega-Treffens in Alaska nicht ganz ohne die grosse Politik. Doch statt ins weite Anchorage schauen wir lieber ins nahe Berlin und fragen uns: Wie gut ist der neue Kanzler Merz nach 100 Tagen? In der Aussenpolitik verdient er fast Bestnoten, in der Innenpolitik dagegen fast Tiefstnoten. Es bleibt strukturell beklemmend, wie dysfunktional das System der Koalitionsregierungen geworden ist: Die versprochenen überfälligen Strukturreformen sind unmöglich geworden, die Steuerlast ist weiter viel zu hoch, die Produktivität zu tief – und Besserung ist nicht in Sicht: Merz befindet sich in Geiselhaft der SPD, in der die Umverteilungs-Fraktion den Ton angibt.
Um da meine natürlich hochrepräsentative Ferienanalyse aus den Mittelmeer-Staaten Frankreich, Spanien und Italien hinzuzufügen, gewonnen in zielsicheren Gesprächen mit weitblickenden Restaurant-Betreibern und unbestechlichen Taxi-Fahrern: Der Unmut gegenüber der politischen Mitte schwillt weiter an. Das scharfe Anziehen der Inflation hat schon Trump ins Amt befördert, und auch wenn die Inflationsrate gesunken ist, so sind die Steigerungen aus den Hochpreis-Ära ja weiterhin gültig. Die Unzufriedenheit über die traditionelle politische Klasse steigt, die Ränder legen weiter zu, und vielen imponiert heimlich Trumps Strongman-Gebaren. In Deutschland hat die AFD zum 100-Tage-Jubiläum der neuen Regierung die CDU überholt. Merz wollte sie halbieren. Berauscht von der Kanzler-Macht, die er seit mehr als 20 Jahren wollte, macht er zu viel Kompromisse. Ungemütlich.
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Am Mittwoch hat er nochmals einen grossen Auftritt: Raiffeisen-Interimschef Christian Poerschke präsentiert zum letzten Mal die Halbjahres-Zahlen der zweitgrössten Schweizer Bankengruppe, bevor dann zum 1. Dezember der Überraschungs-Kandidat Gabriel Brenna übernimmt. Die Zeichen stehen auf grün. Und wir hoffen, dass die Prognosen seiner Ökonomen stimmen: Sie schätzen den Einfluss des Zollhammers auf 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Genauer gesagt: Das Schweizer BIP wächst laut ihren Prognosen in diesem Jahr um 0,9 Prozent statt um 1,1 Prozent. Wir reden also über eine leichte Abschwächung des Wachstums. Zum Vergleich: In Deutschland fällt dieses Jahr einmal mehr laut offiziellen Statistiken der Aufschwung aus – die Wachstumsrate liegt bei prognostizierten 0,0 Prozent. Geniessen wir den Rest-Sommer
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