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Wahlkampf 2019

It’s the Crowd, Stupid!

Ohne Team läuft nichts. Wer ins Parlament will, muss Fans um sich scharen. Vier Beispiele eines personalisierten, digitalisierten Wahlkampfs.

Florence Vuichard

Florence Vuichard

Tennwil 17.8.2019 - Cedric Wermuth, Nationalrat SP AG,mit seinem Wahlkampfteam im Arbeiterstrandbad Tennwil. © Annette Boutellier

Einer für alle: SP-Nationalrat Cédric Wermuth mit Helfern am «Fest der Solidarität» im Arbeiterstrandband Tennwil.

Annette Boutellier für BILANZ

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Arbeiterstrandbad Tennwil. Das letzte der Schweiz, errichtet 1935 mit dem Ziel, den Arbeitern zwischen all den neu entstehenden Villen den Zugang zum Hallwilersee zu sichern, also jenem See, der heuer mit seinem «Kaiman» mithalf, das mediale Sommerloch zu füllen. Die Festbänke sind aufgestellt, ebenso die roten und weissen Zelte der Sozialdemokraten und Gewerkschaften, der Grill ist angeworfen, die Hüpfburg von den Jüngsten in Beschlag genommen. Die Älteren treffen nach und nach zum «Fest der Solidarität» ein, rund 350 werden es letztlich sein. Heimspiel für den Wahlkämpfer und SP-Nationalrat Cédric Wermuth. Und die perfekte Kulisse, um noch mehr anzusprechen: 500 verfolgen an diesem Samstagabend im August seine rund zehnminütige Facebook-Liveschaltung aus dem Strandband an ihren Bildschirmen.

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Wir-Gefühl auf allen Kanälen – analog und digital. Darum geht es letztlich im Wahlkampf 2019. Fans, Komitee- und Teammitglieder, Wahlbotschafter und freiwillige Helfer sollen sich als Teil einer Bewegung fühlen. Wie Emmanuel Macrons «Marcheurs», auch wenn diese in jüngster Zeit etwas von ihrem Elan eingebüsst haben. «Heute gewinnt, wer die Crowd mobilisieren kann», sagt Daniel Graf, Gründer der digitalen Unterschriftensammel-Plattform Wecollect und Netzaktivist.

Botschafter und Fans

Und so scharen die Kandidierenden möglichst viele Leute um sich: Familienmitglieder, Freunde, Berufskollegen und natürlich die Freunde der Freunde und Kollegen. Jeder aktive Helfer, so die Berechnung der Strategen, kann mehrere Personen in seinem privaten oder beruflichen Umfeld für eine Stimmabgabe motivieren. Die sozialen Medien dienen als zusätzlicher Multiplikator, erweitern sie doch die Macht der Stimmbürger: Diese sind nicht mehr nur Wähler, sondern auch Influencer, welche die Botschaften ihres Kandidaten teilen können. «Ein magischer Moment», betont Graf. Der Absender ist dann nicht mehr der Politiker, sondern der Kollege, mit dem man auf Facebook befreundet ist. «It’s the Crowd, Stupid!», könnte man in Anlehnung an Bill Clintons berühmten Wahlkampfslogan von 1992 sagen.

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«Die SP pflegt Sympathisanten, der Freisinn das «Team FDP», und SVP und CVP rekrutieren Wahlbotschafter. »

Deshalb schichten Parteien und Kandidierende im Vergleich zu 2015 einen Teil ihres Budgets um: Die Ausgaben für den Kauf von Plakatwänden oder Inserateraum in Tageszeitungen werden zurückgestutzt, höhere Investitionen hingegen planen sie für den digitalen Auftritt und natürlich für die zielgruppengenaue Werbung im Netz, namentlich bei Facebook.

Ebenfalls mehr Geld geben sie für professionelle Hilfe von Agenturen und Instituten aus, für die Entlöhnung von Wahlkampfteams und vor allem für die Organisation, Schulung und Betreuung ihres Heers an Freiwilligen. Die Sozialdemokraten pflegen ihre Sympathisanten, die Freisinnigen haben das «Team FDP» geschaffen, und SVP und CVP rekrutieren «Wahlbotschafter». Alles Milizler, die sich für ihre Kandidaten einsetzen, die in deren Namen Apéros veranstalten, Postkarten verschicken, weitere Komiteemitglieder rekrutieren, potenzielle Wähler anrufen oder gar von Tür zu Tür gehen. So wie die Volunteers in Amerika.

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Tennwil 17.8.2019 - Cedric Wermuth, Nationalrat SP AG,mit seinem Wahlkampfteam im Arbeiterstrandbad TennwilGenf. © Annette Boutellier

Cédric Wermuth

Annette Boutellier für BILANZ
Tennwil 17.8.2019 - Cedric Wermuth, Nationalrat SP AG,mit seinem Wahlkampfteam im Arbeiterstrandbad TennwilGenf. © Annette Boutellier

Cédric Wermuth

Annette Boutellier für BILANZ

Cédric Wermuth (33), SP

Aargauer Nationalrat seit 2011

Ziel: Ständerat

Motto: Einer für alle; Menschen statt Profite

Budget: 300 000 Franken

Team: 2 Festangestellte mit 160 Stellenprozenten; Mandat an die Kampagnenfirma Digital/organizing; Komitee mit 7500 Freiwilligen (Zielwert)

Virtuelles Team: 14 202 bei Facebook, 47 200 bei Twitter, 5233 bei Instagram

Ausgangslage Kanton Aargau 2019: 16 Sitze im Nationalrat; 2 vakante Sitze im Ständerat

Wähleranteil SP (2015): 16,1% respektive 2 von 16 Sitzen im Nationalrat; 1 Ständerat

Wahlchancen: Wiederwahl in den Nationalrat: So gut wie sicher. Wahl in den Ständerat als Ersatz für seine zurücktretende Parteikollegin Pascale Bruderer wäre eine kleine Sensation.

Die professionellste Wahlmaschine betreibt Wermuth, das müssen sogar politische Gegner neidlos eingestehen. Der Aargauer Sozialdemokrat hat sein Teilzeitpensum als Politberater vorübergehend stark reduziert. Er macht Wahlkampf, zu 100 Prozent, und überlässt nichts dem Zufall. Alles wird mit Testdurchläufen geprobt. Egal, ob es um die 60 Küchentischgespräche geht, die er im Frühjahr absolviert hat, oder sein neustes Format «Triff den Wermuth», das er bis zu den Wahlen am 20. Oktober bis zu 15 Mal durchziehen will. Der grafische Auftritt stammt vom Büro Tandem in New York, also jener Agentur, die auch schon für den Wahlkampf der Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez verantwortlich war.

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Wermuths Ziel: der Ständerat. Seine Taktik: ein kreisförmig aufgebautes Partizipationsmodell. Im Kern: er selbst und seine zwei festangestellten Mitarbeiter, die sich 160 Stellenprozente teilen, sowie Mitarbeiter der auf Kampagnenführung spezialisierten Firma Digital/organizing, etwa Alessandro Iacono oder Marco Kistler, der Gründer und «Erfinder» der SP-Telefonkampagnen.

Der Rest der Organisation basiert auf Freiwilligenarbeit: Zum ersten Kreis gehört das engere Wahlteam mit rund 15 Personen, zum zweiten Kreis 50 bis 100 Personen, wiederum eingeteilt in Gruppen mit spezifischen Aufgaben. Im dritten Kreis sind 5013 Personen, die punktuell aktiv werden. Damit hat Wermuth schon heute mehr Leute in seinem Komitee, als seine Kantonalpartei an Mitgliedern zählt. Letztlich sollen es 7500 sein. Seine Wahl wäre eine kleine Sensation im bürgerlich dominierten Kanton. Umso mehr, als der Ex-Juso-Chef – anders als seine amtierende Parteikollegin Pascale Bruderer – nicht am rechten Rand der SP politisiert.

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Jeder 1000.Wähler

Auf Quantität setzt auch FDP-Kandidat Andri Silberschmidt. Jeder 1000. stimmberechtigte Zürcher soll seinem Komitee #zämemitDir beitreten: Das sind 941 Personen, gemessen an der Wohnbevölkerung gleichmässig auf die 162 Zürcher Gemeinden verteilt. Stand heute sind es 476 Zürcher. Sie sind beigetreten, weil sie Silberschmidts politische Ideen gut finden oder weil sie ihn persönlich kennen. Oder weil sie von einem «Ambassador», einem anderen Komiteemitglied aus ihrer Gemeinde, zum Mitmachen motiviert wurden.

Bereits zum Wahlkampfauftakt Ende Mai setzte der Präsident der Jungfreisinnigen auf die Kraft des Kollektiven: 70 Personen sind seiner Einladung in einen Zürcher Coworking Space gefolgt – Parteifreunde, Freunde, Verwandte, Bekannte, die sich an seiner Kampagne beteiligen wollen. Leute, die er von der Bank kennt, wo er arbeitet, oder von Kaisin, dem von ihm mitgegründeten auf Poké Bowls spezialisierten Gastrounternehmen.

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Zürich 19.8.2019 - Andri Silberschmidt, Praesident der Jungfreisinnigen Schweiz und Vorstandsmitglied der FDP Schweiz in der Lima Bar. © Annette Boutellier

Andri Silberschmidt

Annette Boutellier
Zürich 19.8.2019 - Andri Silberschmidt, Praesident der Jungfreisinnigen Schweiz und Vorstandsmitglied der FDP Schweiz in der Lima Bar. © Annette Boutellier

Andri Silberschmidt

Annette Boutellier

Andri Silberschmidt (25), FDP

Mitglied des Zürcher Stadtparlaments seit 2018

Ziel: Nationalrat

Motto: #zämemitDir

Budget: 200 000 Franken

Team: Wahlkampfleiterin sowie auf Mandatsbasis je zwei Personen der Agenturen CR Kommunikation und Essence Relations; Komitee mit 941 Freiwilligen (Zielwert)

Virtuelles Team: 4649 bei Facebook, 4107 bei Twitter, 2568 bei Instagram

Ausgangslage Kanton Zürich 2019: 35 Sitze im Nationalrat

Wähleranteil FDP (2015): 15,3% respektive 5 von 35 Sitzen

Wahlchancen: Alle bisherigen FDP-Nationalräte treten erneut an, der Gewinn eines 6. Sitzes ist schwierig. Silberschmidt kann mit einem guten Ersatzplatz rechnen und allenfalls während der Legislatur nachrücken.

Silberschmidt hat alle Informationen in Excel-Tabellen erfasst und mit Hilfe von seiner Wahlkampfleiterin und zwei Agenturen genau berechnet: die Wahl der Auftritte und Events, die er im August und September besuchen oder mit Kandidierenden aus anderen Parteien organisieren will, seine «Tour de Zurich», die er mit seinem extra für den Wahlkampf bestellten E-Bike abfahren will, die drei Samstage, die er für die Schlussmobilisierung im Oktober für die Telefonkampagne reserviert hat. Und natürlich die Analyse der für ihn strategisch wichtigen Wahlbezirke, seine politischen Themen, die Zielgruppen, die er ansprechen will. Wobei er jederzeit auf die Hilfe seiner Komiteemitglieder zurückgreifen kann, hat er doch ihre Post- und E-Mail-Adressen sowie ihre Telefonnummern. Daten, die Silberschmidt gehören, nicht seiner Partei, der FDP.

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Wertvolle Datenbanken

Es ist für den Wahlkampf eine zentrale Frage: Wie viele Daten haben die Parteien? Und vor allem: Wie gut sind sie? Die SP gilt als Vorreiterin, als jene Partei, die ihre Mitglieder- und Sympathisanten-Datenbank regelmässig aktualisiert hat. Gezwungenermassen, da sie für jede Kampagne wieder auf Spendensuche gehen muss. Dauerfundraising zur Kontaktpflege. Auch diesen Herbst wird die SP ihre Datenbank wieder anzapfen für ihre Telefonkampagne. Ein effizientes Mittel zur Mobilisierung. Und günstiger als «Door to Door». Ein Instrument, das Kandidaten aller Parteien lokal und kantonal bereits erprobt haben.

Entwicklung Wähleranteile bei Nationalratswahlen seit 1975

Entwicklung Wähleranteile bei Nationalratswahlen seit 1975.

Bilanz
Entwicklung Wähleranteile bei Nationalratswahlen seit 1975

Entwicklung Wähleranteile bei Nationalratswahlen seit 1975.

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Die FDP wendet das nun erstmals national an. Das wohnstrassengenaue Adressenregister hierfür errechnet haben die Forscher des GfS. Bern-Instituts, indem sie verschiedene Datensätze übereinanderlegten. Letztlich ging es darum, anhand von demografischen Daten zuerst Gemeinden und dann Strassen herauszufiltern, in denen potenzielle FDP-Wähler wohnen. Danach liegt es an den freisinnigen Kandidaten und ihren zahlreichen Helfern, die Strassen abzuklappern.

Bei den Zürcher Kantonswahlen im März konnte das Resultat der FDP in den Gemeinden, in denen «Door to Door»- Wahlkampf betrieben wurde, um 0,5 Prozentpunkte verbessert werden, wie Berechnungen von GfS.Bern-Co-Leiter Urs Bieri zeigen. Die FDP hat zwar damals 1,7 Prozentpunkte an Wähleranteilen eingebüsst, ohne die Tür-zu-Tür-Kampagne wäre der Verlust aber noch höher ausgefallen. Der Wahlausgang könne um einen Prozentpunkt verbessert werden, sagt Bieri, im Idealfall gar um zwei Prozentpunkte. «Letztlich geht es darum, neue, bis anhin unmotivierte Wähler abzuholen», ergänzt sein Geschäftspartner Lukas Golder. Das Feedback sei sehr gut und ein Indiz dafür, dass der «Grundgedanke vom Milizsystem in der Schweiz stark verankert ist».

Die Methode hat noch einen weiteren Vorteil: Sie dient als eine Art Fieberthermometer und hilft herauszufinden, welche Sorgen die Leute umtreiben, wie am FDP-Schwenker in der Klimapolitik erkennbar ist. Vor den Türen ihrer Basis hat die Parteispitze erkannt, dass die potenziellen Wähler bei diesem Thema von den Freisinnigen Antworten erwarten. «Bottom up»- Politik in Reinkultur.

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Team Wandelwahl

Auch die CVP-Politikerin Sophie Buchs will von Tür zu Tür gehen – in ihrem Genfer Wohnquartier und in Carouge, wo sie bis vor kurzem gelebt hat. Die Direktorin des Genfer Pro-Juventute-Ablegers hat das schon im Vorfeld ihrer Wahl ins Parlament von Carouge gemacht. Und damit gute Erfahrungen gesammelt, wie sie betont. Begleitet wird sie dabei von ihrem Team. Dazu zählen zehn Personen, Freunde, Bekannte und Familienmitglieder, stammt sie doch aus einer CVP-Dynastie: Ihr Vater Bertrand Buchs etwa sitzt im Genfer Kantonsparlament. Alle arbeiten pro bono für Buchs, Geld gibts nur für die Agentur, die ihre Wahlfilme für Instagram realisiert. Auf der nationalen Ebene ist es Buchs’ dritter Wahlkampf, zweimal hat sie im Hintergrund gewirkt – als Generalsekretärin der CVP Genf und als Wahlkampfleiterin für den CVP-Nationalrat Guillaume Barazzone, der sich nicht mehr präsentiert. Seinen Sitz will sie nun erben.

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Genf 6.8.2019 - Sophie Buchs, CVP, mit ihrem Wahlkampfteam im  Bain des Paquis in Genf. © Annette Boutellier

Sophie Buchs

Annette Boutellier für BILANZ
Genf 6.8.2019 - Sophie Buchs, CVP, mit ihrem Wahlkampfteam im  Bain des Paquis in Genf. © Annette Boutellier

Sophie Buchs

Annette Boutellier für BILANZ

Sophie Buchs (32), CVP

Mitglied des Stadtparlaments von Carouge (GE) 2015–2019

Ziel: Nationalrätin

Motto: Post Tenebras Buchs

Budget: 5000 Franken

Team: Eine Gruppe von 10 Freiwilligen. Komitee von Operation Libero mit 10 000 Wandelwahl-Unterstützern (Zielwert)

Virtuelles Team: 1436 bei Facebook, 252 bei Twitter, 339 bei Instagram

Ausgangslage Kanton Genf 2019: 12 Sitze (+1) im Nationalrat

Wähleranteil CVP im Kanton Genf (2015): 12,1% respektive 1 von 11 Sitzen

Wahlchancen: CVP-Nationalrat Guillaume Barazzone tritt nicht mehr an. Sophie Buchs und Vincent Maitre werden die grössten Chancen eingeräumt, den frei werdenden Sitz zu holen.

Buchs wird Postkarten schreiben, ihre in der Romandie schon recht grosse Medienpräsenz weiter erhöhen. Und sie bittet Freunde, Bekannte und Mitglieder ihres Wahlteams, Apéros mit bis zu 15 Personen zu organisieren, die sie noch nicht persönlich kennen. Immer mit dem Ziel, das Netzwerk zu vergrössern, Leute jenseits der Parteigrenzen zu mobilisieren.

Zusätzlich kann sie dabei auf die Unterstützung der Operation Libero zählen, jener politischen Bewegung, die sich nach zahlreichen Abstimmungskämpfen nun erstmals unter dem Motto «Wir wählen den Wandel» in die nationalen Wahlen einmischt: Buchs war eine der Ersten, die es auf die überparteiliche, überkantonale Liste geschafft haben. Drei Wochen dauert die «Tour de Suisse» der Operation Libero, die am 3. September in Genf haltmacht. Die virale Kampagne will die Politiker bis zum Wahlsonntag begleiten. Mit jedem Stopp, jedem Post soll die Community jener, die eine «Wandelwahl» wollen, vergrössert werden. Bis heute haben sich 2342 Personen eingeschrieben, 10 000 sollen es werden.

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Dauer-Wahlkampfmaschine

Der Berner Grossrat Lars Guggisberg ist in einer vergleichsweise komfortablen Lage, seine SVP hat den Wahlkampf schon vor Jahren durchprofessionalisiert und zentralisiert. Keine andere Partei beherrscht die Disziplin so gut, keine hat so viel Geld. Eine Dauer-Wahlkampfmaschine mit klarer Botschaft, bewusst gesetzten Provokationen und einheitlicher Bildsprache. Die SVP erkannte den Wert der Corporate Identity, als in den anderen Parteien noch jeder sein eigenes Sujet entwarf.

Schuepfen 1.8.2019 - Lars Guggisberg inmitten von Anhaengern, anlaesslich eines 1. August Bauernzmorge auf einem Hof in Schuepberg. © Annette Boutellier

Lars Guggisberg

Annette Boutellier für BILANZ
Schuepfen 1.8.2019 - Lars Guggisberg inmitten von Anhaengern, anlaesslich eines 1. August Bauernzmorge auf einem Hof in Schuepberg. © Annette Boutellier

Lars Guggisberg

Annette Boutellier für BILANZ

Lars Guggisberg (42), SVP

Berner Grossrat seit 2010

Ziel: Nationalrat

Motto: #larsinsbundeshaus

Budget: Einige 10 000 Franken

Team: Ein generationenübergreifendes, freiwilliges Wahlkampfteam aus sechs nahestehenden Personen, in dem sich auch ein Social-Media-Experte befindet, der für seine Arbeit teilweise entschädigt wird. Rund 20 Unterstützer mit Wahlbotschaften. Mandat an die Agentur Business4you für den Wahlfilm

Virtuelles Team: 2203 bei Facebook, 262 bei Twitter, 1023 bei Instagram

Ausgangslage Kanton Bern 2019: 24 Sitze (–1) im Nationalrat

Wähleranteil SVP im Kanton Bern (2015): 33,1% respektive 9 von 25 Sitzen

Wahlchancen: Gut. Hält die SVP ihre 9 Sitze, dürfte Guggisberg den frei werdenden Sitz von Adrian Amstutz ergattern.

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Immer mit drauf: das grün-weisse Logo mit dem «Sünneli» und die geschwungene rote Linie mit Schweizerkreuz. Die SVP weiss auch, wie man die Schweiz zuplakatiert, in den Städten an den käuflichen Aussenwerbungswänden, auf dem Land gratis in den Feldern der wohlgesinnten Bauern. 500 Plakate hat Guggisberg mit seinem Konterfei drucken lassen. Hinzu kommen noch jene, auf denen er mit drei Parteikollegen posiert. Aber das reicht nicht, auch wenn der juristische Sekretär des Handels- und Industrievereins Bern und «Tom Cruise von Kirchlindach», wie er genannt wird, gute Chancen hat, den frei werdenden Sitz von Adrian Amstutz zu erben. «Der Wahlkampf ist wegen der neuen, digitalen Informationskanäle anspruchsvoller geworden», sagt Guggisberg. «Heute braucht es alles: Plakate, Flyer, Inserate, Präsenz auf Facebook und Instagram – und natürlich auch immer den direkten, persönlichen Kontakt mit den Menschen.»

Um das alles zu koordinieren, hat er ein generationenübergreifendes Team mit sechs Mitstreitern zusammengestellt. Gemeinsam haben sie die Strategie festgelegt, die Fotosujets ausgewählt, das Motto #larsinsbundeshaus bestimmt – und die richtigen Anlässe ausgesucht. Denn die traditionellen Abendveranstaltungen mit Politpodien «ziehen höchstens die Menschen an, die ohnehin schon SVP wählen», sagt Guggisberg.

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Heute muss man als Kandidat mehr bieten. So organisiert er Events auf Bauernhöfen mit, geht an Wochenendmärkte, lädt Leute zu einem Wurst-Treffen ein, wo Interessierte nicht nur eine ebensolche vom Grill erhalten, sondern auch «ihren Senf» dazugeben können. Oder er arbeitet für ein paar Stunden auf einem Entsorgungshof. Und natürlich ist der Sportsfreund an allen Sportveranstaltungen anzutreffen, den Schwingfesten, den YB-Heimspielen, die der Saisonabo-Besitzer kaum je verpasst, oder den Matchs des Handballclubs BSV Bern und der Hockey-Clubs SCB, EHC Biel und SCL Tigers.

Sitzverteilung im Parlament 2015–2019

Sitzverteilung im Parlament 2015–2019.

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Sitzverteilung im Parlament 2015–2019

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Sein Wahlkampfteam besteht aus Freunden und Bekannten, die mehrheitlich ebenfalls SVP-Mitglieder sind und gratis arbeiten. Nur der Social-Media-Spezialist wird entschädigt für die Herstellung der kurzen Filme, in denen Prominente wie alt Bundesrat Adolf Ogi, Kabarettist Bänz Friedli oder der Jungfraubahnen-Chef Urs Kessler für ihn werben und die in Anlehnung an das Tom-Cruise-Actionvehikel mit dem Slogan «Mission Possible» enden.

«Bei den Wahlen 2015 haben Kandidierende, Parteien und Verbände total rund 60 Millionen Franken ausgegeben.»

Stolze 29 Millionen Franken haben die Kandidierenden 2015 in den Wahlkampf gesteckt. Das jedenfalls ergaben die Berechnungen der Schweizer Wahlstudie (Selects) des Schweizer Kompetenzzentrums Sozialwissenschaften (FORS) in Lausanne. Würden die Ausgaben der nationalen, kantonalen und lokalen Parteien sowie der Verbände hinzugerechnet, steige der Betrag «auf mindestens das Doppelte», das heisst auf rund 60 Millionen Franken – eine Summe, die auch heuer zusammenkommen dürfte.

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Transparent ist das alles nicht wirklich. Die SVP schweigt eisern, Angaben gibts von drei anderen Bundesratsparteien: Die Zentrale der SP hat für den Wahlkampf 2019 ein Budget von 1,5 Millionen, die CVP rechnet mit 2 Millionen, die FDP mit Ausgaben von 3 bis 3,5 Millionen Franken. Hinzu kommen die Budgets der Lokal- und Kantonalparteien, der Verbände und jene der Kandidaten selbst, wobei sich deren Wahlkampfportemonnaie je nach Kanton, Partei und Konkurrenzsituation massiv unterscheidet.

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Silberschmidt rechnet mit Ausgaben von 200 000 Franken, Guggisberg mit «einigen 10 000 Franken», je nachdem, wie gut das Geldsammeln läuft, und Sophie Buchs will nur gerade rund 5000 Franken ausgeben. Wermuth geht derzeit für den in der Regel teureren Ständeratswahlkampf von einem Budget von 300 000 Franken aus. Rund 210 000 Franken hat er bis anhin an Spendengelder gesammelt, davon gut 56 000 Franken auf dem Online-Kanal. Das ist neu: Noch vor vier Jahren waren die per Mausklick getätigten Spenden vernachlässigbar. Auch Operation Libero sammelt online für ihre Wandelwahl-Kampagne: Knapp 60 000 Franken sind bis anhin via Crowdfundingaufrufe reingekommen.

90 000 Franken bekommt Wermuth als Ständeratskandidat von der SP des Kantons Aargau. Geld von seiner Partei, der SVP seines Wahlkreises Mittelland-Nord, erhält auch Guggisberg: 3000 Franken. Buchs darf auf Kosten der CVP Genf 3000 Postkarten verschicken. Während Silberschmidt 10 000 Franken an die FDP des Kantons Zürich für seinen Listenplatz abliefern muss.

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Reibach für Facebook

Im Wahlkampf 2019 fliesst deutlich mehr Geld in die sozialen Medien – für die Betreuung der Accounts auf den verschiedenen Kanälen, für die Herstellung der Inhalte, etwa für das Drehen kurzer Clips oder wie im Fall der SVP für die Produktion einer Actionkomödie, die in fünf Episoden ausgestrahlt werden soll. Hauptsache, es wird gepostet, gelikt und geteilt. Bei bezahlter Werbung setzen die Politiker auf Facebook. Hier gibts Reichweite, registriert doch das soziale Netzwerk hierzulande im Monat rund 3,8 Millionen Besucher. Gleichzeitig garantiert Facebook wenig Streuverluste, da sich die Werbung zielsicher schalten lässt – zum Beispiel nur auf den virtuellen Pinnwänden von Personen aus dem gewünschten Kanton oder mit den gewünschten Interessen.

Die CVP Schweiz will 15 Prozent ihres Zwei-Millionen-Budgets in Facebook-Werbung investieren, also 300 000 Franken. Wermuth hat «mehrere Tausend Franken» für Facebook-Werbung reserviert. Internetexperte Graf schätzt, dass im Wahlkampf 2019 bei Facebook erstmals die Grenze von einer Million Werbefranken durchbrochen wird. Andere Wahlbeobachter gehen gar von höheren Werten aus.

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Wahlbeteiligung Nationalratswahlen 2015
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Wahlbeteiligung Nationalratswahlen 2015
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Mit etwas Werbegeldern kann auch Instagram rechnen. Die Politiker sehen darin einen Kanal der Zukunft. Twitter hingegen geht praktisch leer aus. Der Kurznachrichtendienst ist in der Schweiz kein Massenmedium, sondern eine kleine Filterblase von Politikern und Kommunikationsprofis. Die Adressaten von Twitter-Meldungen von Politikern sind primär Journalisten. «Ich poste etwas auf Twitter, wenn ich will, dass die Medien es aufnehmen», sagt etwa Buchs. Denn erst wenn ein traditionelles Medium den Tweet aufgreift, gewinnt die Botschaft an Fahrt.

Und dann ist da noch WhatsApp. So bevorzugt ein Drittel von Silberschmidts Komitee WhatsApp als Kommunikationskanal. «Das ist eines der kräftigsten sozialen Medien überhaupt», betont Daniel Graf und verweist auf die Klimastreiks: «Das ist eine WhatsApp-Bewegung.» Weitere Pluspunkte seien der Peer-to-Peer-Charakter und die Geschlossenheit der Gruppe. Aussenstehende kämen nicht rein, der Raum sei nicht käuflich. Parteien bleiben aussen vor, der Kontakt gehört den Kandidierenden. Es ist ihre Crowd.

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Dieser Artikel erschien in der September-Ausgabe 09/2019 der BILANZ.

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