Guten Tag,
Dieter Vranckx avancierte mitten in der schlimmsten Luftfahrtkrise zum Swiss-Chef. Er folgt auf den bulligen Harry Hohmeister und die Vaterfigur Thomas Klühr. Seine eigene Rolle muss er erst noch finden.
Dirk Ruschmann
HERR DER FLIEGER: Swiss-CEO Dieter Vranckx vor einem seiner Kurzstreckenjets. Insgesamt hat Swiss 90 Flieger.
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Fünf Jahre nur war er weg. Dieter Vranckx kannte also noch die nüchternen Bürotrakte am Hauptsitz in Kloten, die stolze Flotte mit der stolzen First Class an Bord, wusste um die Ausnahmestellung der Swiss mit ihren zweistelligen Margen im Lufthansa-Konzern, immerhin hatte er davor «zwölf Jahre bei Swiss beziehungsweise Swissair» gearbeitet, sagt Vranckx, «ich traf also viele bekannte Gesichter wieder». Dieter’s coming home – auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite war hier nichts mehr wie zuvor. Als er sich, zum Antritt im Januar 2021, dem Swiss-Team in geschätzten 35 Onlinemeetings vorstellte, grassierte die zweite Corona-Welle und standen für 2020 gut 650 Millionen Franken Verlust in den Büchern; in den Vorjahren hatten sich annähernd solche Summen an Gewinn aufgetürmt. Staatlich besicherte Bankkredite hielten die Swiss über Wasser, mit den Swiss-Piloten war keine Krisenvereinbarung gefunden worden, und «es wurde schnell klar, dass die Pandemie länger dauern würde und unsere Restrukturierungsgeschwindigkeit nicht hoch genug war». Sogar der Pendelbus von der Firmenzentrale zum Flughafen war weggespart.
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Vom Ruf nach Zürich «war ich überrascht, ja», sagt Vranckx im Gespräch am Swiss-Headquarter, schlank, gute Laune, guter Anzug, klassische Krawatte umgebunden. Nicht einmal ein Jahr hatte er als CEO der Schwesterfluglinie Brussels amtiert. In Zürich galt Finanzchef Markus Binkert, einziger Schweizer in der Swiss-Konzernleitung, als logischer Nachfolger des abtretenden Chefs Thomas Klühr.
Wie selbstverständlich parliert Vranckx in (wirklich gutem) Deutsch, nicht gerade die Muttersprache eines Belgiers, auch wenn er zusätzlich den Schweizer Pass hält. Beim ersten Presseauftritt im März rang er noch hier und da um passende Begriffe, intern bei der Swiss kommuniziert er im Zweifel eher in Englisch – womöglich noch eine Restanz seiner Zeit bei der Swissair, die viel internationaler orientiert war als die Nachfolgerin Swiss. Bis heute lästern Swissair-Veteranen gern über die überschaubaren Englischkenntnisse ihrer Kollegen bei der Lufthansa.
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Zwar lebt Vranckx mit seiner Familie seit 2018 am Zürichsee, doch bis Jahresbeginn war er Wochenendaufent halter; er pendelte zum Arbeitsplatz in Brüssel. Seit er morgens nur nach Kloten muss, mal nimmt er die S-Bahn, mal das Auto, ist Deutsch offensichtlich zu Vranckx’ Verkehrssprache aufgestiegen.
Der Neue ist von Anfang an als Krisenmanager unterwegs. «Er muss alle Probleme angreifen, die man in Klührs letztem Amtsjahr nicht angehen konnte oder wollte», sagt ein Swiss-Insider. Gemeint sind die Folgen der rapide eingebrochenen Nachfrage, die der erfolgsverwöhnten Swiss ein ungewohnt strenges Kostenmanagement aufzwingt – und damit die zwei aufsehenerregendsten Entscheide des Neuen provoziert: das Sparprogramm «ReaCH», das eine kleinere Flotte und bis Ende Jahr den Abbau von 1700 der gut 9000 Vollzeitstellen vorsieht und damit dauerhafte Einsparungen von 500 Millionen Franken jährlicher Kosten anstrebt, sowie die Kündigung des laufenden GAV mit den Swiss-Piloten.
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Foto: Keystone
Die hatten zwar eine Krisenvereinbarung angeboten, aber diese ging der Swiss nicht weit genug. Also rumste es bereits nach sechs Vranckx-Wochen: GAV gekündigt, und Anfang Mai erblickte «ReaCH» das Licht der Schweizer Welt.
Strategische Initiativen lassen zwar auf sich warten. Aber das kann im aktuellen Umfeld kaum anders sein, alle Airlines fliegen derzeit auf Sicht, getrieben von kurzfristigen Reisebeschränkungen, neuen Testpflichten und Quarantäne-Drohungen, die sich zu kaum prognostizierbaren Buchungskurven addieren. «Wir planen aktuell einige Monate voraus», sagt Vranckx, was wohl heissen soll: Wir versuchen es zumindest.
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Bisweilen weiss einen Monat vor Abflug kein Swiss-Planer, wie viele Passagiere an Bord sitzen werden, bis zu zwei Wochen vor dem Abflug wird nachjustiert – vor Corona wussten die Vertriebler schon ein Dreivierteljahr vor dem Abflug recht genau, wie voll die Kabine eines Langstreckenflugs sein würde. Als Österreich im November in einen weiteren Lockdown ging und Deutschland die Einreiseregeln verschärfte, sackten über das folgende Wochenende die Buchungen um ein Drittel ab.
Was die Luftfahrt derzeit erlebt, ist der vielbesungene perfekte Sturm. Andere Krisen wie 9/11, Covid-Vorgänger Sars, Vogelgrippe, Schweinegrippe oder die Aschewolken des Island-Vulkans Eyjafjallajökull – alle zusammen ein Picknick verglichen mit Covid, «a walk in the park», wie die Amerikaner sagen. Die Vogelgrippe kostete die Airlines eine einstellige Milliardensumme an Umsätzen, und der grosse Einbruch während der Finanzkrise 2009 entpuppte sich im Nachhinein als V-Verlauf, mit ziemlich steilen Diagonalen.
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Covid jedoch kostete die Airlines laut der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) allein im Jahr 2020 mehr als 370 Milliarden Dollar Umsatz, für 2021 dürften weitere 320 Milliarden dazukommen. Die Fieberkurve der Branche, die Zahl durchgeführter Flüge messend, gleicht dem Fall über eine Klippe im März vergangenen Jahres und in der Folge dem Kriechen des Verletzten durch das unten liegende Tal, das sich nur ganz allmählich aufwärts windet.
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Und diese Probleme schaffen offenbar weitere Probleme. Ein Konzern-Insider, der nicht genannt werden will, berichtet, immer wieder einmal fehlten der Swiss Personal oder Flugzeuge, um trotz der nachfragearmen Zeiten den gesamten Bedarf, etwa nach Frachtflügen, zu erfüllen – eine bittere Ironie der Krise. Einer der Gründe: Das Reaktivieren langfristig geparkter Maschinen, die etwa in Jordanien stehen, dauert mehrere Monate. Und die Unsicherheit der Corona-Zeit habe bisweilen auch Leute zum Gehen veranlasst, die man inzwischen gut brauchen könnte.
Zumindest die ärgerlichen Flugstreichungen will Vranckx minimieren. Erklärtes Ziel für 2022 ist, «Stabilität in den Flugplan zu bringen, das ist gerade für unsere Kunden wichtig». Soll heissen, «tendenziell den Flug auch durchzuführen, wenn weniger Leute an Bord sind». Ob das die Abkehr vom früheren Leitsatz bedeutet, dass nur profitable Flüge tatsächlich stattfinden, lässt Vranckx offen.
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In der Swiss kommt Vranckx, wie mehrere Mitarbeiter durchblicken lassen, ziemlich gut an. Zwar nimmt er weder die Vaterrolle ein wie sein Vorgänger Klühr, noch gibt er den charismatischen Stürmer und Dränger, hinter dem sich zu Krisenzeiten die Truppe gern versammelt – dazu wirkt er bei aller freundlichhierarchiebefreiten Offenheit doch etwas zu spröde. Aber Vranckx hat sich in Mannschaft und Management Vertrauen erarbeitet. «Aufrichtig, direkt, treibt keine politische Spielchen und inhaltlich absolut kompetent», sagt einer über den CEO, und «das sehen auch andere so».
Das Gesellenstück des Dieter Vranckx war die Sanierung der Brussels Airlines. Dazu kursiert eine Geschichte im Konzern: Vranckx, frisch als Finanzchef angekommen, wurde überraschend gebeten, sich zum Erwerb erster Eindrücke in die Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu setzen. Im Sitzungssaal war aber statt eines Eckstuhls in der zweiten Reihe nur der Mittelplatz am Tisch auf der Konzernseite frei.
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Notgedrungen ins kalte Wasser gestiegen, soll Vranckx sich die GAV-Gespräche schnell zu eigen gemacht haben und konnte in zahlreichen Nachtverhandlungen mit den Pilotenvertretern, die in Belgien ähnliche Manager-Qualen auslösen wie in Frankreich, teure alte Zöpfe abschneiden, die noch aus vorchristlichen Sabena-Zeiten stammten. Was sonst ein halbes Jahr dauert, gelang in rund sechs Wochen.
Geboren wurde Dieter Vranckx im März 1973. Bis 1997 studierte er Wirtschaftsingenieurwesen an der Uni Brüssel, gefolgt von einem MBA an der Solvay Business School. Im Juli 1998 stieg er bei Sabena als Operations Manager, bevor er zur Jahrtausendwende bei der Swissair als Senior Manager Netzwerkplanung Europa anheuerte. Ab 2001 leitete er diverser Abteilungen bei der Swiss, darunter von 2003–2006 die Märkte Asien-Pazifik mit Sitz in Hongkong. 2007 absolvierte er Management Programme an der London Business School und 2016 eines an der IMD in Lausanne.
2010 wechselte Vranckx zu Lufthansa Cargo als Leiter USA Midwest und Kanada mit Sitz in Chicago. Drei Jahre später wurde er als Leiter Home Markets (DACH) zurück zur Swiss gerufen und blieb bis 2016, als er als Leiter Sales Asia Pacific zur Lufthansa-Gruppe wechselte. 2018 wechselte Vranckx zur Brussels Airlines – zuerst als CFO, ab 2020 als CEO. Seit Januar 2021 ist er CEO der Swiss.
Vielleicht als Belohnung behielt Brussels ihren Status als Drehkreuz-Fluglinie im Konzern, neben Lufthansa, Swiss und Austrian, statt wie zuvor geplant der Billigschwester Eurowings einverleibt zu werden. Das Restrukturierungsprogramm nannte sich «Reboot», und als Corona 2020 dann ein «Reboot plus» nahelegte und Vranckx zum CEO aufgerückt war, wirkte seine To-do-Liste bereits seltsam leer, zumal die Gewerkschaften trotz Personalabbau und weiterer Zumutungen heftig Beifall klatschten. «Das Wichtigste ist Respekt», sagt Vranckx auf die Frage nach seinen verhandlungsbezogenen Sekundärtugenden, Gespräche «auf Augenhöhe, auch in schwierigen Situationen». Er versuche immer, sich ins Gegenüber hineinzuversetzen und dabei «Was ist sein Ziel, und was sind die Hintergründe?» zu verstehen. Hat offensichtlich funktioniert.
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Natürlich ist Kloten nicht Brüssel. Vranckx’ Auftrag für die Swiss kann nicht derselbe sein, den er in Belgien hatte. Die kleine Brussels ist auf Afrika-Strecken fokussiert, die Swiss betreibt ein riesiges Drehkreuz mit 90 Fliegern in einem höchst solventen Heimatmarkt und hat ihre Altlasten spätestens in den Jahren 2003/04 abgeworfen, als die Airline nahe der Pleite entlangschrammte. Damals lernten sich Dieter Vranckx und Markus Binkert kennen: Ersterer war schon bei der Swiss und mit Aufräumarbeiten beschäftigt, Letzterer vor Ort als Berater der beauftragten Consultingfirma Bain tätig, 2005 schloss auch er sich der Swiss an. Seitdem kennen sich die beiden, haben sich gelegentlich auch privat getroffen, wie es heisst, und im Konzern läuft man sich zwangsweise immer wieder über den Weg.
Von der Chefwerdung des Dieter Vranckx, raunt ein Insider, sei dieser dann mindestens genauso überrascht gewesen wie der heimische Favorit Binkert. Der habe nachvollziehbarerweise ein wenig gegrummelt und erinnerte sich womöglich an seine Zeit als Kommerzchef der Swiss, als ein gewisser Dieter Vranckx den Posten eines «Vice President Home Markets», zuständig für die Marktregion DACH, in seinem Ressort übernahm; Binkert selbst soll ihn damals geholt haben. Der Stadtzürcher fand aber offensichtlich schnell zu seinem fröhlich-integrativen Charakter zurück, und auch Vranckx bestätigt: «Wir arbeiten hervorragend zusammen, und das freut mich sehr.»
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Für Vranckx dürfte seine grössere internationale Erfahrung gesprochen haben, Binkert mögen die Lufthansa-Bosse die Stagnation in der Pilotenfrage angekreidet haben, da Binkert als erklärter Wunschkandidat Klührs galt. Denn die Vorgesetzten Harry Hohmeister, Chef der Netzwerkfluglinien, und Carsten Spohr, Chef von allem bei der Lufthansa, haben sich als Hardliner im Umgang mit den Piloten profiliert.
OBERSTER ANFÜHRER: Der Lufthansa-CEO Carsten Spohr hält seinen Konzern jetzt für «krisenfest». Covid-Staatshilfen hat er zurückgezahlt.
KeystoneDIREKTER CHEF: Der Ex-Swiss-Chef Harry Hohmeister führt die Netzwerk-Airlines. Gilt als gewiefter Krisenmanager. Und als Pilotenschreck.
picture alliance /DER VORGÄNGER: Thomas Klühr Führte die Swiss rund fünf Jahre. Galt als hochgradig beliebter Volkstribun.
ReutersDIE KOLLEGEN: Markus Binkert CFO der Swiss. Wollte auch CEO werden. Arbeitet aber eng und loyal mit Vranckx zusammen.
KeystoneDIE KOLLEGEN: Tamur Goudarzi Pour Kommerzchef der Swiss, diesen Job hatte vorher Binkert. Ist für Preise und Strecken zuständig.
KeystoneVRANCKX'S FERIENFLIEGE: Bernd Bauer Führt Ferienfluginie Edelweiss. In seinem Verwaltungsrat sitzen Vranckx und Binkert.
PDVRANCKX'S CONTROLLER: Christina Foerster Lufthansa-Vorständin und Vranckx’ Vorgängerin als CEO der Brussels. Gilt als Vertraute.
PDVRANCKX'S CONTROLLER: Reto Francioni Der Swiss-Präsident ist kein Aviatiker. Bedient die Swissness im VR und den Draht zur Politik.
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Hohmeister focht als Swiss-Chef diverse Kämpfe aus, Spohr klagte kürzlich explizit, ein wesentlicher Teil der Verschuldung des Konzerns «sind übrigens auch die Pensionslasten» – ein klarer Fingerzeig Richtung Crews. Vranckx streitet nicht ab, dass seine «Erfahrung, eine grosse Restrukturierung im Umfeld von Politik und Sozialpartnern zu kommunizieren und umzusetzen, sicherlich geholfen hat, um die Swiss für 2023 im veränderten Markt richtig aufzustellen».
Also sehen sich die Piloten im Visier. «Unser Eindruck ist, dass der Geschäftsleitung der Swiss vor allem die variablen Anteile des alten GAV ein Dorn im Auge sind», sagt Flugkapitän Thomas Steffen, im Nebenberuf Vorstand der Gewerkschaft Aeropers. Zwar haben exakt diese Anteile die Pilotenlöhne in der Krise deutlich gedrückt, doch offensichtlich will die Swiss das Gesamtniveau schleifen; mit den Edelweiss-Piloten und der Swiss-Kabine schloss sie Krisenkompromisse, mit den Swiss-Offizieren nicht.
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Dort kursieren gleich zwei Programme, darunter eines, das sich am Betriebsgewinn orientiert – und das in den Erfolgsjahren vor Corona, als die Swiss mit zweistelligen Margen zur Branchen-Benchmark avancierte, für die Begünstigten ordentlich einschenkte; Vranckx’ Vorvorgänger Hohmeister, unter dem das Modell entstand, hatte womöglich die kommenden Goldjahre nicht vorausgesehen. Aeropers will nun keinen Krisen-GAV mehr verhandeln, «dieses Zeitfenster ist um», betont Steffen. Man wolle einen Vertrag «für die Zukunft, auch für die Zeit nach der Krise». Am Verhandlungsergebnis werde sich dann messen lassen, «wie wichtig Vranckx seine langjährigen Mitarbeiter wirklich sind».
Bisher sei Vranckx allerdings «bei uns nicht sehr präsent gewesen», sagt Steffen. Offenbar lässt er seinem Verhandlungsteam viel Spielraum. Die GAV-Kündigung auf Ende März habe die Swiss-Geschäftsleitung gemeinsam mit ihren Unterhändlern entschieden, sagt Vranckx. Er sei immer für neue Ideen offen, aber wenn sich keine Lösung abzeichne, «habe ich keine Angst vor schwierigen Entscheidungen». Und diese, das ist ihm wichtig, fielen keinesfalls in der Frankfurter Zentrale: «Mir scheint, dass das viele glauben», sagt er und zeigt seltene Anzeichen von Emotion, «wenn das wirklich so wäre, bräuchte ich hier nicht zu sitzen». Klar präsentiere er grosse Projekte, wie etwa «ReaCH», dem Konzernvorstand, «das sind ja unsere Shareholder».
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Da ist sie wieder, die ewige Frage: Was darf ein Swiss-Chef eigentlich, wie frei ist er? Thomas Jaeger, Gründer und Chef der Luftfahrtberatung CH-Aviation, beschreibt es so: «Die Gruppen-Strategie wird in Frankfurt gemacht, aber es wäre ein Trugschluss, dass jede neue Strecke von dort vorgegeben wird». Und Einordung von oben macht ja Sinn: Synergien sind etwas Schönes, auch Mengenrabatte beim Einkauf von Flugzeugen (die zudem dann einfacher zwischen den Fluglinien ausgetauscht werden können) oder Dienstleistungen, auch bei der IT – Letzteres ist dafür verantwortlich, dass die Swiss-Website punkto Bedienungsfreundlichkeit einen Schritt rückwärts gemacht hat. Denn die Buchungs-Engines sollen auf eine einheitliche Konzernplattform zügeln, und da musste das weit entwickelte Eigenprojekt der Swiss zurücktreten. Dafür soll es 2022 mehrere Schritte vorwärtsgehen.
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Anderes Beispiel: Die Planung des Streckennetzes, das Kernstück im Airline-Geschäft, wird in Frankfurt koordiniert, damit nicht alle Konzernfluglinien gleichzeitig nach San Francisco fliegen, sondern schön über den Tag verteilt – aber ob man hinfliegen möchte, entscheidet jede Airline selber. Zudem ist die Swiss in diesem Koordinationsgremium vertreten in Gestalt von Kommerzchef Tamur Goudarzi Pour, und sein hiesiger Netzplaner Benedikt Escher stimmt sich ab mit seinen Kollegen in den Schwesterfluglinien und Konzern-Chefplaner Heiko Reitz.
DIE RÜCKKEHR DER WARTESCHLANGE: Swiss und Edelweiss bedienen wieder so viele Flugziele wie vor der Krise, teils sogar mehr – dafür aber seltener.
KeystoneDIE RÜCKKEHR DER WARTESCHLANGE: Swiss und Edelweiss bedienen wieder so viele Flugziele wie vor der Krise, teils sogar mehr – dafür aber seltener.
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Der ganze Prozess gleicht ungefähr den intrafamiliären Verhandlungen um Taschengeld: Die Kinder (Fluglinien) bringen ihre Wunschzettel (neue Strecken, neue Flieger, neue Kabinenausstattung) zum Weihnachtsmann oder zu Mama (Konzernvorstand), und wer gut in der Schule war (wächst und profitabel arbeitet), bekommt eher einen Wunsch erfüllt (Swiss) als diejenigen, die in der Schule nachhaltig Probleme haben (Austrian Airlines).
Vor allem bei Personalien betont der Konzern immer gern, dass die Hoheit bei den Verwaltungsräten vor Ort liege. Allerdings spricht die grosse Rochade vom November 2020 eine andere Sprache: Neben der Berufung von Dieter Vranckx nach Zürich verkündete die Lufthansa zugleich zwei weitere Top-Neubesetzungen im Konzern, darunter Vranckx’ Nachfolge bei der Brussels – als endete die Autonomie der Verwaltungsräte beim Festlegen ihrer eigenen Sitzungstermine. Damit erst gar keiner auf dumme Gedanken kommt, hat die Lufthansa in den fünfköpfigen Swiss-VR zwei ihrer Konzernvorstände entsandt.
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Was sich die Swiss jedenfalls selbst erarbeitet hat mit ihren guten Zahlen: Spätestens 2025 kommen neue Langstreckenflieger, bei denen es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den modernen Airbus A350 handeln wird, auch wenn der offizielle Beschluss noch aussteht – und auch sie werden allesamt eine First Class an Bord haben. Als einzige Airline weltweit führt Swiss in allen Grossraummaschinen eine First mit sich, «diesen USP wollen wir behalten», sagt Vranckx. Gemäss Insidern wird intern aber diskutiert, künftig nur noch vier statt der bisherigen acht raumgreifenden First-Sitze einzubauen.
Und weil offenbar in den zurückliegenden Monaten die Auslastung von First und Business oft höher war als in der Economy, dürfte die künftige vierte Klasse Premium Economy voll zulasten der Holzklasse gehen; Business-Sitze sollen dafür keine weichen müssen. Denn vor Corona reichte ihre Zahl oft nicht aus, um alle Passagiere unterzubringen – künftig sollen sich Angebot und leicht sinkende Nachfrage decken.
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Aktuell, sagt Vranckx, «ist erst ein Drittel der Geschäftskunden wieder zurückgekommen». Aber Berater Jaeger beobachtet schon jetzt, dass Konferenzen sehr gut besucht sind, zudem «hört man, dass auch viele CEOs wieder fliegen, obwohl sie ihre Konzerne noch aus dem Homeoffice führen». Passend dazu konnten Lufthansa, Swiss und Schwester Edelweiss, sogar die Austrian, im dritten Quartal kleine Betriebsgewinne ausweisen – Konkurrent IAG, Mutter von British Airways, meldete 470 Millionen Franken Verlust, und der Quartalsgewinn von Air France-KLM ging fast komplett auf das Konto ihrer Billigtochter Transavia. Die Lufthansa-Gruppe marschiert wieder.
Was Vranckx noch fehlt, ist eine persönliche Positionierung – ein strategisches Zukunftsprojekt abseits der aktuellen Sparprogramme, das er verkörpern kann. Sei das eine Neudefinition der Geschwisterbeziehung zu Ferienflieger Edelweiss, dessen Langstrecken ohnehin auf die Zubringerflüge der Swiss angewiesen sind und den Vranckx enger einbinden könnte. Oder die allmähliche Umstellung auf nachhaltigen Treibstoff, wo die Swiss daran arbeitet, die fehlende Rechtsgrundlage für dauerhaften Import mit Bundesbern zu schaffen. Oder ein nachhaltiger Angriff auf die in Genf und Basel übermächtige EasyJet.
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Aber er hat ja noch Zeit, zumal Covid-bedingt das erste Amtsjahr «sehr schnell vergangen ist». Einstweilen geniesst Vranckx seine Abende mit der Familie, seiner Schweizer Frau Mirjam, die er am Balsberg, am Sitz der Swissair selig, kennenlernte («wir haben auf demselben Stockwerk gearbeitet»), mit Sohn und Tochter, beide Teenager, die er nun täglich sieht und am Wochenende gern auf den Vitaparcours schleppt, «damit sie regelmässig an der frischen Luft sind».
Einer, der Dieter Vranckx gut kennt, sagt: Solche Momente sind ihm wichtig. Und mutmasslich wichtiger, als zügig Richtung Konzernvorstand zu trachten, «obwohl er das Zeug dazu hätte». Der Belgier werde Swiss und Zürichsee nicht so bald verlassen wollen.
Schöner als Konzernvorstand ist eben nur ein Job: Haushaltsvorstand.
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