Guten Tag,
Gründen heisst alles geben – aber nicht alles opfern. Für langfristigen Erfolg braucht es mentale Klarheit, Resilienz und regelmässige Pausen.
Max Meister
Die Kolumne «MeisterMacher» von Max Meister, General Partner von Koyo Capital, beleuchtet internationale Entwicklungen in der VC/Startup-Szene und deren Auswirkungen auf die Schweiz.
Daniel KarrerWerbung
Wenn über Risikokapital gesprochen wird, geht es meist um Skalierung, Runway, Marktbedingungen. 80 Prozent der Start-ups kommen nie über die Series A hinaus. Von jenen, die es schaffen, gelingt nur 0,7 Prozent der Sprung aufs Unicorn-Level. Diese Statistik kennen die meisten Gründer auswendig. Was kaum jemand offen adressiert, ist ein weit realeres, persönlicheres Risiko: nämlich sich selbst auf dem Weg zum Erfolg zu verlieren.
In der Szene kursieren Anekdoten von vollen Kalendern, geplatzten Beziehungen und Gründern, die sich nach dem Fundraising erst mal in eine mehrwöchige Pause verabschieden – weil nichts mehr geht wegen der eigenen psychischen Verfassung.
Levent Künzi, Gründer und CEO des Proptech-Start-ups Properti, kennt die Schattenseiten des Unternehmerlebens aus eigener Erfahrung. In den ersten Jahren als Gründer war sein Alltag geprägt von voller Leistungsbereitschaft und ständiger Anspannung: wenig Schlaf, endlose Termine, kaum Zeit für sich selbst. Immer getrieben von der Angst, den eigenen hohen Erwartungen und denen der Investoren nicht gerecht zu werden.
«Wenn du jeden Tag mit dem Gedanken aufwachst, dass du alles verlieren kannst, was du geschaffen hast, wirst du irgendwann selbst zum Risiko», sagt Künzi heute und blickt ambivalent auf diese intensive Zeit zurück. Was anfangs wie ein Zeichen für Durchhaltevermögen wirkte, wurde mit der Zeit zur Belastungsprobe. Die permanente Anspannung und das Gefühl, für alles allein die Verantwortung zu tragen, laugten ihn zunehmend aus, sowohl körperlich als auch mental.
Es bedurfte eines Moments des Innehaltens, in dem ihm klar wurde, dass kein Unternehmenserfolg es wert ist, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Dies war der Beginn eines Umdenkens: Zum ersten Mal stellte er ernsthaft die eigenen Routinen, Prioritäten und den Umgang mit Stress infrage. «Erst als ich gezwungen war, wirklich auf mich selbst zu hören, habe ich verstanden, dass meine Gesundheit nicht nice-to-have ist, sondern die Grundlage für den Erfolg meines Unternehmens», erinnert sich Künzi.
In einer vielbeachteten Studie der University of California, Berkeley, kam heraus: Über 70 Prozent der Gründer sind von psychischen Belastungen betroffen, rund 50 Prozent leiden unter Depressionen oder Angstsymptomen. Das Risiko ist bei Gründungspersönlichkeiten doppelt so hoch wie bei der allgemeinen Bevölkerung, bei Seriengründern sogar noch höher.
Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.
In der Schweiz ist das nicht anders. In Gesprächen mit hiesigen Gründern ist psychischer Druck dauernd präsent, auch wenn kaum jemand darüber spricht. «Das Ironische ist: Wir gestalten die Zukunft, haben Tools für jede vermeintliche Ineffizienz, aber bei uns selbst versagen wir oft auf der ganzen Linie», sagt Silvio Beer, Seriengründer aus Rapperswil SG. Er hat das erfolgreiche Start-up Smino mitgegründet und sich vor zwei Jahren entschieden, kürzerzutreten und in den Verwaltungsrat zu wechseln. «Dies war ein bewusster Entscheid», meint Beer: «Ich habe nur noch funktioniert und mich dabei selbst komplett vergessen.»
Werbung
Ich kann mich gut an einen Fall eines Start-ups erinnern, in das ich selbst als Präsident des Verwaltungsrats involviert war. Die beiden Gründer der Gaming-Firma Struckd hatten sich nach einer intensiven Aufbauzeit zu sehr verausgabt. Gründer Silvan Bauser erinnert sich: «Nach Jahren voller Adrenalin und Dauerstress spürten wir irgendwann, dass wir es nicht mehr als realistisch ansahen, in diesem Tempo weiterzumachen. Der Punkt war erreicht, an dem wir ehrlich zu uns sein mussten: Wir mussten dringend etwas verändern.» Glücklicherweise waren wir im Verwaltungsrat in der Lage, einen erfahrenen CEO einzustellen, der die Firma stabilisiert und neu ausgerichtet hat. Kurze Zeit später konnten wir Struckd erfolgreich in die USA verkaufen. Was im Nachhinein wunderbar klingt, hing in Wirklichkeit an einem seidenen Faden und hätte auch ganz anders enden können.
Die Start-up-Welt ist von einer radikalen Leistungsrhetorik geprägt. «Sleep is for the weak», «You can rest when you’re dead», «Grind till you make it». Sprüche wie diese sind fester Bestandteil des kollektiven Vokabulars. Viele erzählen in Interviews von 100-Stunden-Wochen. Andere predigen Durchhalteparolen und beschwören den «Gründerwahnsinn» als Qualitätsmerkmal.
Werbung
Auch international hat sich über Jahre hinweg ein regelrechter Kult um Überarbeit etabliert, angeführt von Unternehmerikonen wie Elon Musk. Der Tesla- und SpaceX-Gründer betont immer wieder, dass 80- bis 100-Stunden-Wochen aus seiner Sicht notwendig seien, um wirklich etwas zu bewegen. «Niemand hat die Welt mit einer 40-Stunden-Woche verändert», sagte er in einem Interview, das in der Szene oft zitiert wird. In Tweets erklärte er sinngemäss: Wer doppelt so viel arbeite wie andere, komme doppelt so schnell voran. Ähnliche Töne schlägt auch der amerikanische Seriengründer und Influencer Gary Vaynerchuk an, der «Hustle» zur zentralen Tugend des Unternehmertums erklärt hat: «There’s no substitute for hard work», postet er regelmässig – oft kombiniert mit Aussagen wie «Vacation is for people who hate their jobs.»
Solche Narrative prägen Gründer weltweit, auch in Europa, oft ganz unbewusst. Sie setzen Leistungsbereitschaft mit Wert gleich und blenden dabei aus, dass langfristiger Erfolg mehr braucht als reine Selbstausbeutung: nämlich Klarheit, Teamführung, Durchhaltevermögen sowie einen funktionierenden Körper und Geist. «Es geht nicht darum, ob du erschöpft bist, sondern ob du es dir leisten kannst, eine Pause zu machen», erzählt Gründer Silvio Beer. Besonders gefährlich: die Normalisierung von permanenter Verfügbarkeit, nächtlichen Slack-Nachrichten, kaum Ferien, ständigem Gedankenkreisen, «das wird nicht hinterfragt, sondern als Zeichen von Engagement interpretiert».
Werbung
Notabene: Mitarbeitende, die aktiv abschalten, haben offenbar schlechtere Beförderungschancen, kommt eine kürzlich publizierte Studie zum Schluss. «Detachment Paradox», also das Paradox des Loslösens, heisst das Phänomen in der Wissenschaft. Manager wissen zwar, dass die Distanz zur Arbeit nach Feierabend das Wohlbefinden und die Leistung steigert. Trotzdem bewerten sie die Beförderungschancen für jene Mitarbeitenden schlechter, die tatsächlich abschalten – also diejenigen Mitarbeitenden, die ihre Arbeitsgeräte nicht mit in die Ferien nehmen oder am Wochenende nicht auf E-Mails antworten. Anhand von 16 Studien mit knapp 8000 Teilnehmenden haben Eva Büchel und Elisa Solinas das «Detachment Paradox» in einem im Mai erschienenen wissenschaftlichen Artikel nachgewiesen.
Viele Gründer beschreiben ihren Alltag als permanentes Wechselspiel zwischen Höhenflug und Kontrollverlust – ohne echtes Sicherheitsnetz. Jeder Erfolg bringt neue Erwartungen, jede Entscheidung birgt Risiken. Was wie strategisches Wachstum aussieht, fühlt sich von innen oft wie freier Fall an. LinkedIn-Gründer Reid Hoffman beschrieb diesen Zustand einmal mit einem prägnanten Bild: «Ein Unternehmer ist jemand, der von einer Klippe springt und sich auf dem Weg nach unten ein Flugzeug zusammenbaut.» Wer gründet, setzt alles auf eine Karte, lässt Sicherheiten hinter sich und muss dennoch in vollem Flug funktionieren, führen und Entscheidungen treffen. Ruhephasen sind selten, externe Unterstützung oft ein Luxus.
Werbung
Zwischen Finanzierungsrunden, internationalen Skalierungen und Tech-Release-Deadlines gleicht der Alltag vieler Gründer einer Achterbahnfahrt in Höchstgeschwindigkeit. Euphorie und Rückschläge wechseln sich ab, oft auch innerhalb eines Tages. Typisches Beispiel: Morgens ein positiver Artikel in der Presse, mittags bricht ein wichtiger Deal weg, abends fragt ein Investor kritisch nach den Zahlen. Das Adrenalin-Level bleibt permanent hoch, echte mentale Verarbeitung aber auf der Strecke. «Ich wusste irgendwann nicht mehr, ob ich mich über gute Nachrichten freuen darf, weil ich wusste, dass die nächste Herausforderung gleich folgt», erinnert sich Levent Künzi.
Inzwischen denken immer mehr VCs und Verwaltungsräte um. Denn sie erkennen: Es geht nicht mehr nur um die Burn Rate des Kapitals, sondern auch um die Burn Rate der Führungskräfte. Das menschliche Kapital ist das Wertvollste – und auch das Verwundbarste. Mathias Jaeggi, General Partner und CEO beim Frühphasen-VC SeedX, spricht Klartext: «Leider haben wir in unserem Portfolio früh einen Suizid erfahren, und in meiner Herkunftsfamilie ist Depression ein Thema, was meine Sinne für emotionale Gesundheit geschärft hat.» Jaeggi ist sich der Herausforderung bewusst: «Der Druck bei Gründern ist enorm. Kommen noch makroökonomische und gesellschaftliche Herausforderungen dazu, wird die Belastung häufig überwältigend.» Ein verantwortungsvoller Investor nimmt diese Herausforderungen sehr ernst und versucht, die Themen von sich aus anzugehen. Investor Jaeggi meint dazu: «Insbesondere vor Finanzierungsrunden und während Phasen mit hohem Stress sprechen wir mit Gründern aktiv über das Thema.»
Werbung
Auch Christian Lang, Senior Coach bei der Jenewein AG und Leiter des Centers für Sportmanagement an der Universität St. Gallen, beobachtet, dass man heute deutlich offener gegenüber den Themen Verletzlichkeit und mentale Fitness sei, «was nicht zuletzt auch Nähe zu den Mitarbeitenden schafft». Zudem sieht er, «dass Gründer vermehrt aktive Unterstützung von Coaches in Anspruch nehmen. Das kann sicherlich als Fortschritt betrachtet werden.»
Erfolgreich gründen bedeutet heute mehr, als Märkte zu dominieren. Es geht um Langfristigkeit und um persönliche Kohärenz. Wer ein wachsendes Start-up führt, muss nicht nur Prozesse steuern, sondern auch innere Spannung aushalten können. Lang sagt, dass ein Gründer durchaus mit einem Hochleistungssportler vergleichbar sei, «bei dem Schlaf und Ernährung für den langfristigen und nachhaltigen Erfolg sehr entscheidend sind». Lang nennt das prägnant «Eat, Move, Sleep». Für ihn sind Schlaf, Ernährung und Bewegung die wichtigsten Tools, um die eigene Energie zu fördern. Dazu kommen die sozialen Beziehungen, die man aktiv aufrechterhalten soll. Viele Gründer hätten zudem die sogenannte Pausen-Exzellenz verloren: «In der Schule lernen wir, regelmässige Pausen einzulegen, damit sich der Energielevel erholen kann. Viele Gründer messen diesem Grundsatz keine Bedeutung zu, sondern arbeiten 24/7 ohne Pause durch», so Lang.
Werbung
«Ich habe gelernt, dass ich nur dann erfolgreich eine Firma führen kann, wenn ich selbst klar in Geist und Körper bin», sagt Levent Künzi. Er hat in den letzten Jahren deshalb bewusst viel in seine mentale Gesundheit sowie sein Wohlbefinden investiert. Er nutzt regelmässige Coaching-Sitzungen, um beruflichen Stress und persönliche Themen zu reflektieren, hat feste Auszeiten und bewegungsreiche Routinen in seinen Alltag eingebaut. Im Unternehmen legt er Wert darauf, offen über Belastungen zu sprechen und auch selbst Grenzen zu benennen, sodass mentale Gesundheit zum festen Bestandteil der Kultur wurde. Ein Ansatz, von dem laut Künzi nicht nur er, sondern das ganze Team profitiert.
Dieser Wandel ist sinnbildlich für die Veränderung im Gründermythos. Resilienz bedeutet nicht mehr, alle Krisen stoisch zu ertragen, sondern rechtzeitig innezuhalten, Belastungen zu erkennen und offen auch die eigene Verletzlichkeit zuzulassen. Für Künzi heisst unternehmerisches Wachstum heute: nicht schneller, sondern bewusster, mit klaren Grenzen und der Bereitschaft, neue Wege im Umgang mit sich selbst und dem Team zu gehen.
Die Zukunft der Gründerszene hängt nicht nur von technischen Innovationen oder Venture Capital ab, sondern auch von der Frage, wie gut wir dabei die Menschen im System schützen. Die neue Gründergeneration zeigt bereits, wie es besser geht: mit mehr Offenheit, klareren Grenzen und der Erkenntnis, dass Mental Health kein Widerspruch zum Erfolg ist, sondern die Voraussetzung.
Werbung
Wenn wir mentale Gesundheit als zentrales Element unternehmerischer Exzellenz anerkennen, gewinnen alle: Gründer, Teams, Investoren – und letztlich auch die Gesellschaft.
Werbung