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KI Kompakt

Die Geburt einer neuen Finanzwelt

KI und Krypto: Banken und Finanzdienstleister stehen heute unter doppeltem Druck.

Benjamin Bargetzi

<p>Die Kolumne «KI Kompakt» von Benjamin Bargetzi beleuchtet die Folgen der KI-Revolution auf Wirtschaft und Gesellschaft.</p>

Die Kolumne «KI Kompakt» von Benjamin Bargetzi beleuchtet die Folgen der KI-Revolution auf Wirtschaft und Gesellschaft.

Daniel Karrer

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KI ersetzt Durchschnitt, die Besten werden besser. Adriano Lucatelli, Schweizer Fintech-Investor, formuliert es ohne Umschweife: «Von den Finanzberatern und Bankmitarbeitern braucht es künftig nur noch die besten 20 Prozent – die restlichen 80 Prozent lassen sich durch Maschinen ersetzen.» Analysten und Administration würden überflüssig, entscheidend seien künftig primär kommunikative und soziale Fähigkeiten. Um den eigenen Beruf zu schützen, müsse man entweder mit diesem neuen Qualitätsanspruch mithalten können, oder sich auf Fälle spezialisieren, die datentechnisch nicht gut dokumentiert sind. «KI wird das Niveau des durchschnittlichen Angestellten massiv erhöhen, weil alle Durchschnittlichen ausscheiden und die besten mit KI produktiver werden. Das tut dem festgefahrenen System gut», so Lucatelli. Gleichzeitig werde KI die Hoheit der lobbybeschützten Banken herausfordern: Kunden erhalten breiteren Zugang zu Investitionsmöglichkeiten, etwa über KI-Investment-Tools und Fintech.

Damir Filipovic, Direktor des Finanzinstituts der EPFL, hält dieser Idee einer finanzaufgeklärten Gesellschaft entgegen und betont eine eiserne Regel der Investmentwelt: «Echte Information schlägt jedes Modell; Mathematik schlägt nie Insiderwissen.» Wer über exklusive Datenströme verfügt, baut den Vorsprung aus, ob nun ein illegaler Tipp oder aber legale, fortgeschrittene KI-Modelle. So Filipovic: «Private Modelle, trainiert auf proprietären, zugeschnittenen Daten, sind präziser als öffentlich nutzbare. Bewährte Institutionen werden Privatleute auch weiterhin übertreffen.» Die viel zitierte Demokratisierung der Investmentwelt durch KI oder Krypto werde nicht eintreten: Es entstehen neue Daten-Oligarchien einiger weniger Akteure. Filipovic: «KI wird zum Enabler von legalem Informationsvorsprung: Daten sind das neue Insider-Wissen.»

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KI-Agenten als digitale Mitarbeiter 

Die ersten Wellen der industriellen Revolution, wie Dampfmaschinen und Elektrizität, ersetzten damals vor allem Blue-Collar-Jobs – sprich: Menschen, die körperlich arbeiten. Die industrielle Welle der KI dagegen ist in dieser Sicht einzigartig: Sie erfasst in erster Linie White-Collar-Jobs, Berufe wie Anwälte, Banker, Büroangestellte, Designer, Agenturen, Beratungsfirmen und Berater. Nicht zwingend die operativen Berufe verschwinden hierbei: Viele werden sich im KI-Umfeld neu ausbilden. Auch das Top-Management bleibt bestehen, denn das menschliche Gehirn ist von Natur aus auf Hierarchien programmiert und will grosse Entscheidungen und Fehler einem Gesicht zuschreiben können. Am stärksten trifft die KI-Welle das Middle Management, denn dessen Kerngeschäft, die Informationsaufbereitung und Aggregation für die Führung, übernimmt nun die KI. Oberes Management, Teamleads und KI arbeiten künftig direkt zusammen, in flacheren und schlankeren Organisationen. Dies sehen Experten als den Beginn einer Digitalen Workforce, in der KI die operative Hauptarbeit im Banking übernimmt, während der Mensch zum KI-Supervisor wird: Die Maschine liefert Entwurf und Empfehlung, der Mensch entscheidet. Der Mehrwert von Banken verschiebt sich so ins Strategische und in den hochwertigen Kundendienst: Den Menschen braucht es weiterhin im Loop.

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Benjamin Bargetzi zählt zu Europas meistgefragten Vordenkern im Bereich künstliche Intelligenz und Neuroforschung. Er berät globale Grössen wie Klaus Schwab zu Zukunftstechnologien und arbeitete für Google, Amazon und das WEF.

Mike Dargan, globaler CTO & COO der UBS: «Die eigentliche Revolution der künstlichen Intelligenz ist nicht die Erstellung isolierter Tools, sondern das Erschaffen eines gänzlich neuen, agentengesteuerten Ökosystems.» Bei der UBS nutzt bereits mehr als die Hälfte der Firma den hauseigenen KI-Assistenten «Red», über den firmenweit gemeinsam mit Co-Pilot bereits über 21 Millionen KI-Prompts generiert wurden. 250 Top-Führungskräfte der UBS werden zudem an der Universität Oxford in KI-Leadership weitergebildet: ein Signal für die Notwendigkeit eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Für Dargan sind KI-Agenten in der Finanzwelt unausweichlich: «Schon bald wird jede Person einen eigenen, persönlichen Assistenten haben, der nicht nur mit Banken, sondern auch mit Blumenläden, Restaurants und unzähligen anderen Services interagiert. Dies wird als neuer Standard erwartet werden, und Unternehmen müssen AI-First denken, wenn sie ihre Kunden behalten wollen.»

Die Illusion der eigenen Überlegenheit 

Peter Buxmann, Professor an der Technische Universität Darmstadt, zeigt sich überrascht, wie zurückhaltend viele Finanzunternehmen beim Einsatz von KI noch sind: «Die Produktivitätsvorteile sind klar messbar und die Kosten transparent. Studien belegen bereits heute Leistungssteigerungen von 30 bis 50 Prozent – und Experimente zeigen deutlich, dass Teams aus Mensch und KI bessere Ergebnisse erzielen als der Mensch allein.» Eine grossangelegte Befragung aus Buxmanns Labor verdeutlicht eine kognitive Verzerrung in der Finanzbranche: 81 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass KI zu massiven Jobverlusten führen wird. Gleichzeitig glauben aber nur 11 Prozent, dass sie selbst betroffen sein könnten – ein Phänomen, das als «Illusion der Überlegenheit» oder «irrationaler Optimismus» bekannt ist. Auffällig: Je jünger die Befragten sind und je besser sie KI verstehen, desto stärker sehen sie die eigene Stelle gefährdet. Wer dagegen wenig bis kein Wissen über KI hat, fühlt sich sicherer vor der nahenden Welle.

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Die Hürden liegen gemäss Buxmann nicht bei den technologischen Mitteln, sondern in der Führung. Ähnlich beurteilt dies Sönke Vetsch, ehemaliger Vorstand der Börse Stuttgart: «Solange die Führungsetage der Banken ihre IT-Prozesse und Daten nicht tiefgehend verstehen lernt, vergibt sie ihr Potenzial», warnt Vetsch. «Auf alter Infrastruktur, alten Prozessen und altem Denken neue Technologien aufzusetzen, bringt gar nichts», so Vetsch. «Über 95 Prozent der Wertschöpfungskette in der Finanzindustrie ist digital getrieben, und doch sitzt bei kaum einem Finanzinstitut der IT-Chef in der Geschäftsleitung oder ist CEO – und dann wundert man sich, wieso die digitale Transformation nicht gelingt», konkludiert er.

Krypto als digitales Gold – und Weltverbesserer? 

Leona Hioki, Gründer des INTMAX-Krypto-Protokolls, erklärt: «Krypto wandelt sich heute in den Augen der Bevölkerung von einer Tech-Fantasie zu einem echten Mittel des Vermögensschutzes.» Dass mittlerweile auch viele Staaten grosse Bitcoin-Reserven halten und die US-Regierung ihre Finanzpolitik zugunsten der Kryptowährungen geändert habe, zeige: Die Technologie ist vom Nischenexperiment zur geopolitischen Realität geworden. «Gerade die letzten fünf Jahre veränderten die Wahrnehmung von Krypto radikal: Vertrauen in Regierungen und traditionelle Institutionen schwinden stark, und damit wächst die Rolle von Krypto als neuer Chance in einer instabilen Welt.» Für Hioki ist klar: Die Zukunft des Finanzsystems liegt nicht in proprietären Datenbanken und geschlossenen Silos, sondern in öffentlichen Blockchains, die über Zentralbanken, Individuen und Geschäftsbanken hinweg aufgebaut sind. Die Bevölkerung wird von Banken verlangen, dass diese die Krypto-Realität ernst nehmen: Gerade jüngere Generationen wollen an diesem schnell wachsenden Markt beteiligt sein.

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Doch Hioki betont zugleich die Risiken eines Übergangs ohne Spielregeln. «Halbgarer Kapitalismus schafft Oligarchien.» Er verweist auf Russland in den 1990er-Jahren: Millionen von Bürgern erhielten Anteile an ehemaligen Staatsbetrieben, viele verkauften sie aus Unwissenheit für fast nichts – und eine kleine Elite baute darauf ein Oligarchensystem auf. «Damit sich Geschichte nicht wiederholt, muss die neue Krypto-Ökonomie so gestaltet sein, dass Bürger nicht ausgetrickst werden. Es braucht Bildung, faire Spielregeln und Schutzmechanismen.» Jene Länder, die nun früh und klug im Sinne der Bevölkerung regulieren, sichern sich Wachstum, Innovation und Steuereinnahmen. Die Geschwindigkeit der Tokenisierung entscheide gemäss Hioki über geopolitische Relevanz: «Länder, die ihre Assets nun schnell auf die Blockchain und in KI-Systeme bringen, ziehen Kapital und Talente an. Die anderen werden ökonomisch irrelevant.»

Ein neues Verständnis von Banken 

Wie kommen Blockchain und KI zusammen? Das Stichwort lautet Vertrauen. Wenn agentische KI jemals autonom handeln dürfen soll, so braucht es ein kryptografisches System, das Sicherheit und Nachvollziehbarkeit garantiert, während die KI für Geschwindigkeit und Skalierbarkeit sorgt. Eine Schlüsselrolle spielen hierbei Zero-Knowledge-Proofs (ZKPs); sie erlauben es, Verhalten von KIs zu verifizieren, ohne deren interne Logik offenzulegen. So werden Architekturen geschaffen, in denen KIs elegant mit hochsensiblen Daten umgehen können, ohne diese preiszugeben. Nur durch eine solche Absicherung wird es möglich, künstliche Intelligenz frei in Bereichen einzusetzen, in denen es um Milliardenwerte und Entscheidungen von grosser Tragweite geht. Das Vertrauen in autonome KI wird so über die kryptografische Verifizierung ihrer Berechnungs-Instanzen entstehen. Banken werden sich in diesem hybriden KI-Blockchain-Ökosystem weg vom historischen Tresor für Geld und hin zu einem Autoritäts-Apparat entwickeln, einer Signatur-Instanz, die in einer Welt der hypervernetzten Digitalisierung als Vertrauensinstitution für Transaktionen steht.

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Die Bank wird so zum digitalen Notar, der Transaktionen kryptografisch siegelt und KI-Agenten gültige Schlüssel für ihre Handlungen ausstellt: Ein Schiedsrichter der digitalen Finanzliga, der Regeln setzt, kryptografische Autorisierungen vergibt und faires Spiel unter KI-Agenten garantiert. Die KI arbeitet – und der Mensch berät und haftet.

Über die Autoren
Benjamin Bargetzi

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