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Aktienpreise steigen, wenn Währungen an Vertrauen verlieren. Erklärt dies die aktuelle Börsenentwicklung?

Adriel Jost
«Aktien haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Obligationen Währungsreformen überleben», schreibt Ökonom Adriel Jost.
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Was passiert, wenn das Vertrauen in eine Währung schwindet? Die Geschichte zeigt: Haushalte und Investoren reduzieren ihre Cash-Bestände und tauschen sie gegen Sachwerte wie Aktien, Immobilien oder Gold. In der Folge steigen die Preise dieser Güter an. Der Ökonom Ludwig von Mises bezeichnete dieses Phänomen vor 75 Jahren als Crack-up-Boom oder Katastrophenhausse – ein Boom, der nicht auf steigender Produktivität oder zukünftigem Wachstum beruht, sondern auf der Befürchtung, dass die Währung schrittweise zerstört wird.
Beispiele dafür sind zahlreich. Besonders extrem war die Entwicklung in Deutschland, als der deutsche Aktienpreisindex zwischen 1920 und Dezember 1923 von 200 auf 26,89 Billionen Punkte – und damit teilweise stärker als die Inflation – anstieg.
Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.
Allgemein gilt: Die Preise von Sachwerten wie Aktien, Immobilien oder Gold steigen langfristig immer, wenn man sie in klassischen Währungen misst. Der Grund liegt im Wertzerfall dieser Währungen. Von «Börsenhöchstständen» zu sprechen, greift daher zu kurz. Es kann sich dabei nur um nominale Veränderungen handeln. Entscheidend ist nicht der Preis an sich, sondern der kaufkraftbereinigte Wert, also was man sich nach dem Verkauf der Aktie tatsächlich leisten kann. Ein Crack-up-Boom definiert sich nun aber dadurch, dass die Aktienkurse vorübergehend stärker als die Inflation ansteigen. Auch kaufkraftbereinigt gewinnen Aktien an Wert – und dies trotz wirtschaftlicher Unsicherheit.
Wie lässt sich das Konzept der Katastrophenhausse in die Gegenwart übertragen? Das Vertrauen in den Dollar ist angekratzt. Hohe Fiskal- und Handelsdefizite haben die Verschuldung der USA auf ein bedenkliches Niveau getrieben. Die Stabilität des Dollars beruht letztlich auf dem Vertrauen in die amerikanischen Institutionen – und auf der Glaubwürdigkeit der US-Notenbank, im Ernstfall die Inflation zu bekämpfen. Doch genau dieses Restvertrauen wird von der aktuellen US-Regierung hart attackiert.
Dementsprechend steigt der Goldpreis. Steigen auch die Aktienpreise deswegen? Sind es Ängste vor einer schleichenden Währungsentwertung, die Anleger in Aktien treiben? Oder spiegeln die kaufkraftbereinigten Kurssteigerungen, die derzeit zu beobachten sind, vielmehr den Optimismus wider, dass künstliche Intelligenz ein neues Wachstumszeitalter einläutet?
Die Wahrheit liegt vermutlich in einer Mischung aus beidem: grossem Zukunftsoptimismus und zugleich einem Mangel an Alternativen. Weil ein solcher Mangel besteht, sucht das Geld besonders gerne Geschichten, die Rendite versprechen. Die KI-Revolution liefert diese Story. Es verwundert nicht, dass dabei Blasenphänomene entstehen, zum Beispiel wenn sich Tech-Unternehmen, basierend auf erhofften zukünftigen Gewinnen, gegenseitig Investitionen versprechen und so den Aktienboom weiter anfeuern.
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Klar ist nur, dass Katastrophenhaussen nicht nachhaltig sind. Zwar könnten in einer nächsten Rezession geöffnete Geldschleusen und erhöhte Inflationserwartungen für weiteren Rückenwind an den Börsen sorgen. Kaufkraftbereinigt wird das Bild mittelfristig jedoch anders aussehen. Es gibt kein Ausweichen: Verlieren Währungen an Vertrauen, stehen Anleger vor herausfordernden Zeiten. Einen Vorgeschmack darauf wurde den Schweizer Anlegern dieses Jahr geliefert, indem die US-Aktiengewinne durch einen abwertenden Dollar aufgezehrt wurden.
Trotz aller Unsicherheiten gilt allerdings: Aktien haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Obligationen Währungsreformen überleben. Die Flucht in Sachwerte kommt nicht von ungefähr.
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