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«Journalisten sind Zocker»

Philosophieprofessor Peter Sloterdijk, deutscher Starintellektueller mit Provokationspotenzial, über historische Traumata, den Rufmord an Nietzsche und den Bedeutungsverlust gesellschaftlicher Vordenker.

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BILANZ: Im Zeitalter des grenzenlosen Kapitalismus haben Glücksspieler Hochkonjunktur, während die normativen Grenzen zwischen Arbeitsentgelt, Kapitalgewinn und Spekulation zerfliessen. Was halten Sie von der um sich greifenden Lotto- und Kasinomentalität?
Peter Sloterdijk:

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Was?



«Urbi et Orbi» habe ich leider nur am Fernsehen miterlebt. Aber ich kenne das feierliche Gefühl, das sich bei einem Live-Konzert einstellen kann, wenn Stars wie David Bowie oder Carlos Santana die Bühne betreten. Sie selbst, Herr Professor Sloterdijk, bewegen sich ja sehr gekonnt auf dem öffentlichen Parkett und wurden auch schon als «Popstar der Philosophie» auf die Schippe genommen. Bereitet Ihnen diese Einteilung keine Mühe?



Interessant. Das müssen Sie uns erklären.



Kein Zweifel, Sie lieben den öffentlichen Auftritt. Stört Sie die Bezeichnung Medienintellektueller?



Das klingt, als sei das Philosophendasein kein Vergnügen. Mit Ihrem Berufskollegen Jürgen Habermas scheint Sie eine regelrechte Hassliebe zu verbinden, seit es dieser vor anderthalb Jahren gewagt hat, Ihre Ausführungen zur Gentech-Debatte ungewöhnlich harsch zu kritisieren.


Sie schätzen Herrn Habermas als Philosophen?



Dabei wollten Sie mit Ihrer umstrittenen Rede «Regeln für den Menschenpark» lediglich anregen, dass sich die Menschheit bezüglich der Anwendung gentechnologischer Methoden auf einen verbindlichen Kodex verständigt. Richtig?

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Von der Menschenformung zur Menschenzucht ist es nur ein relativ kleiner Schritt. Sie verwenden Begriffe, die man leicht missverstehen kann.



Als Philosoph sind Sie für viele Leute eine Art von moralischer Instanz. Andererseits greifen Sie aber auch gern mit provokativen Voten in die politische Debatte ein. Könnte es sein, dass es diese Multifunktionalität ist, die Ihren Gegnern zu schaffen macht?



Könnte man nicht auch sagen, Ihre Ausdrucksweise war ganz einfach zynisch?


Sie sind doch ein Zyniker?



Wie dürfen wir das verstehen?



An anderer Stelle haben Sie sich auch schon auf Friedrich Nietzsche berufen. Gerade im Zusammenhang mit der Gentechnologie scheint es verfänglich, sich auf diesen Denker und seine diskutablen Konzepte zu stützen.



Weshalb ist Nietzsche Ihrer Meinung nach in Verruf geraten?



Von Nietzsches Konzept des Übermenschen zur Rassenlehre der Nazis ist es trotz allem nicht allzu weit.



Wie ist es möglich, dass sich diese Assoziationen so hartnäckig in unseren Köpfen halten?



Was halten Sie persönlich denn nun von Nietzsche?



Mit der Selbstkasteiung hatte er offenbar ein gewisses Problem.



Um noch einmal von einer anderen Seite einzusteigen: Was, glauben Sie, sind die Ursachen für den Bedeutungsverlust intellektueller Vorbilder in unserer Zeit?

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Wollen Sie damit sagen, die Intellektuellen seien käuflich geworden?



Nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion und der Überwindung des bipolaren Weltbildes wirft sich heute ein Grossteil der Intelligenzia den Marketingleuten und Unternehmensberatern an den Hals. Finden Sie das weniger kompromittierend?



Auf beiden Seiten des politischen Spektrums, muss man fairerweise sagen.



Nach dem Wegfall des sozialistischen Experiments hat sich – gesellschaftspolitisch betrachtet – eine unglaubliche Langeweile und ein intellektuelles Vakuum breit gemacht. Dafür scheint bezeichnend, dass heute überhaupt keine Gegenwelten zum herrschenden System mehr gedacht werden. Ist den Philosophen und intellektuellen Wortführern mit dem Mauerfall die Fantasie abhanden gekommen?



Zugegeben, im realen Sozialismus ist vieles schief gelaufen. Aber waren deshalb die Ideen dahinter wirklich so schlecht, wie man sie heute darstellt?


Ein egalitäres Weltbild zum Beispiel. Das kapitalistische System dagegen kennt nur Gewinner und Verlierer, sodass man heute bereits vom Phänomen einer Nadelbett-Ökonomie spricht. Überspitzt formuliert, besagt die Nadelbett-Metapher, dass der Sieger mit seinem Gewinn gleichsam durch die Decke geht, während der Zweitplatzierte hinter ihm schon halb pleite ist.

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Tatsächlich?



Ein Trick? Was gibt es mit Miesmacherei schon zu erreichen?



Und weil Sie derartige Experimente lieben, haben Sie sich zu diesem Gespräch bereit erklärt?



Bei der Personenzentrierung, wie sie heute in den Medien vorherrscht, ist die Sache mit der Verpflichtung eines prominenten Gesprächspartners doch schon geritzt. Wenn der Text dann auch noch einigermassen interessant ist, umso besser.



Und die Medienschaffenden wären folglich die Trittbrettfahrer dieses Börsengangs. Als politische Person mit Freude am Disput sind gerade auch Sie auf die Lautsprecherfunktion der Medien angewiesen. Oder etwa nicht?



Sie haben einmal über sich selbst gesagt, Sie seien «ein automatisches Klavier des Zeitgeistes». Was haben Sie damit ausdrücken wollen?

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