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Trendgetränk

Wie Tee laufend neu erfunden wird

Neue Konzepte und neue Köpfe beleben das traditionelle Getränk. Und auf Auktionen erzielen seltene Teesorten inzwischen Millionensummen.

Peter Jauch

Peter Jauch

<p>Gerührt, nicht geschüttelt: Markus Zbinden, Co-Gründer von Avantcha, bei der Zubereitung von Matcha-Tee.</p>

Gerührt, nicht geschüttelt: Markus Zbinden, Co-Gründer von Avantcha, bei der Zubereitung von Matcha-Tee.

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Tee galt in Mitteleuropa lange als Wintergetränk und als Hausmittel, wenn es im Hals kratzt oder im Magen grummelt. Doch das ändert sich gerade. In der Spitzengastronomie, im Designhandel und im globalen Premiumsegment wächst das Interesse an hochwertigem Tee rasant. Neue Konzepte, neue Rituale und neue Akteure bringen frischen Wind in ein traditionsreiches Getränk. Und mittendrin: eine Französin und ein Schweizer. Die französische Aromaspezialistin Carine Baudry, die Tee mit der Präzision einer Parfümeurin liest und ihn mit der Neugier einer kulinarischen Visionärin interpretiert, und Markus Zbinden – der Schweizer, der mit seinem unkonventionellen Weg vom Fluglotsen zum Teeunternehmer nun die Schweiz den Tee neu entdecken lässt.

Carine Baudry, die für die französische Marke Nunshen Tee einkauft und blendet, hat einen aussergewöhnlich geschulten Geruchssinn. Als ehemalige Parfümeurin und heutige Aromaspezialistin erkennt sie in einzelnen Tees bis zu achtzig Duft- und Geschmacksnoten. «Ein grosser Tee ist wie eine Symphonie – voller feiner Nuancen, die in perfekter Harmonie aufeinanderfolgen», sagt sie. Der Tee spricht für sie nicht nur den Gaumen an, sondern alle Sinne: Nase, Mundgefühl, visuelle Struktur – selbst der Klang des Aufgiessens ist Teil des Erlebnisses.

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<p>Die Dame kennt sich aus: Tee-Expertin Carine Baudry.</p>

Sie kennt sich aus: Tee-Expertin Carine Baudry.

alice murillo
<p>Die Dame kennt sich aus: Tee-Expertin Carine Baudry.</p>

Sie kennt sich aus: Tee-Expertin Carine Baudry.

alice murillo

«Tee ist kein stilles Produkt. Er hat eine Geschichte, ein Terroir, einen Charakter – und verdient dieselbe Aufmerksamkeit wie ein grosser Wein», so Baudry. Umso überraschender sei es, dass in Ländern wie der Schweiz oder Frankreich die Teekultur so wenig ausgeprägt ist: «Für viele ist Tee ein heisser Beutel in einer Tasse – das ist, als würde man Wein nur aus dem Tetrapack kennen.»

Gourmet-Tee in der Gastronomie: Das Beispiel Évian

Carine Baudry bringt Tee in die Gastronomie – und das nicht als Begleitung zum Dessert, sondern als vollwertigen Speisenpartner. Gemeinsam mit dem Küchenteam rund um Patrice Vander des Hotels Royal Evian in Évian-les-Bains entwickelte sie ein innovatives Pairing-Konzept: Tee und Käse sowie Tee zu Fisch, Fleisch und Gemüse. «Unser Ziel ist, das Gericht perfekt zu ergänzen. Der Tee soll die Textur erweitern, das Aroma vertiefen – nicht dominieren, aber spürbar sein.»

Das erforderte Überzeugungsarbeit. «Als ich vorschlug, Tee mit Käse zu kombinieren, waren alle zunächst skeptisch. Doch das Ergebnis hat überrascht – und begeistert.» Inzwischen gilt die Zusammenarbeit als Modellfall dafür, wie Tee kulinarisch neu gedacht werden kann. Besonders eindrucksvoll war ein vegetarisches Food-Pairing-Menü, das im Rahmen des Programms serviert wurde. Zum ersten Gang, Frühlingsgemüse mit frischem Schafskäse, wurde ein reichhaltiger und komplexer Schwarztee aus Nepal gereicht – eine Überraschung für die Sinne. Der Tee, eine Rarität, harmonierte wunderbar mit den frischen Komponenten des Gerichts. Im zweiten Gang stand die Karotte in unterschiedlichen Ausprägungen im Zentrum. Dazu wurde ein Oolong Osmanthus aus Thailand im Weinglas serviert. Zum dritten Gang gab es ein raffiniertes Buchweizengericht, dies mit einem japanischen Cold-Brew-Sencha-Tee. Die Kombination war ein Highlight, bei welchem man versteht, dass Tee ein perfekter Essensbegleiter ist. In der Kombination entstand eine fast unerwartete, aber sehr präzise geschmackliche Verbindung, die «umami» und Süsse gleichzeitig betont. Der vierte Gang war eine Symphonie von Spargeln am letzten Spargel-Esstag, mit wildem Broccoli und einem grossartigen Darjeeling aus der Frühjahrsernte, schwarzem Tee aus Indien. Für den Abschluss sorgten französische Bienen, denn in der Nachspeise spielte Honig aus dem eigenen Garten des «Royal Evian» die Hauptrolle. Der dazu gereichte Tee, ein seltener vietnamesischer Tee namens Drachenschuppen, war ein Gedicht. Die Erfahrung im hoteleigenen Restaurant «Les Fresques» zeigt, dass Tee zu Recht das am zweithäufigsten getrunkene Getränk der Welt ist. Es ist facettenreicher, als wir Europäer es zumeist kennen.

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Marken zwischen Massenprodukt und Boutiquenluxus

Auch im internationalen Markenvergleich wird deutlich, wie breit das Spektrum an Tee-Identitäten geworden ist. Traditionelle Marken wie Lipton oder Ronnefeldt stehen für Verlässlichkeit, breite Verfügbarkeit und jahrzehntelange Erfahrung. Lipton hat als globaler Massenanbieter den Markt geprägt – insbesondere im Segment der Teebeutel. Ronnefeldt hingegen bleibt in vielen Hotels ein Synonym für solide Gastronomiequalität.

In der Schweiz etablierte sich Sirocco zunehmend als Premiummarke mit Fokus auf Herkunft und Design. Das Familienunternehmen verbindet Schweizer Qualitätsverständnis mit den Teegärten in aller Welt und setzt auf sorgfältige Verpackung, Bioqualität und eine Positionierung im gehobenen Einzelhandel und in der Hotellerie. Die Positionierung wurde in letzter Zeit etwas aufgeweicht, Sirocco ist seit einiger Zeit im Coop erhältlich.

Dazu gesellen sich aufstrebende internationale Marken wie Mariage Frères aus Frankreich – bekannt für ihre duftenden Teekompositionen im ikonischen Schwarz-Gold-Design – oder TWG aus Singapur, die Tee als Lifestyleprodukt mit Boutiquenflair inszenieren. Diese Marken zeigen, dass Tee zwischen Alltag und Luxus, zwischen Convenience und Couture angekommen ist.

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Luxusprodukt: Auktionen, Matcha und Premiumdesign

Tee ist nicht nur ein Getränk, sondern zunehmend ein Lifestyle- und Luxusprodukt. Der wertvollste Tee, der chinesische Da Hong Pao, wird pro Kilo mit rund 1 Million Franken gehandelt. Auch als Gastgeschenk beliebt, bekam der amerikanische Präsident während seines historischen China-Besuches 1972 den wertvollen Pu’Erh aus dem Jahre 1949. Auf internationalen Auktionen erzielen seltene Tees immense Preise: 2022 wurde ein 2,24 Kilogramm schwerer Pu’Erh-Teekuchen von 1920 für über 600’000 Franken versteigert. In Hongkong wechselte ein vierzig Jahre alter Pu’Erh-Tee für über 30’000 Dollar den Besitzer – pro 357-Gramm-Presskuchen. Diese Preise zeigen: Seltene Tees können heute auch Sammlerobjekte und Wertanlagen sein.

Sieben der teuersten Tees der Welt

<p>Teesorten Teuer</p>
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<p>Teesorten Teuer</p>
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1. Da Hong Pao (Oolong, China)

Herkunft: Wuyi-Berge, Fujian
Rekordpreis: Bis zu 1 Million Franken pro kg
1998 wurden 20 Gramm eines «Mutterbaums» für über 21’000 Euro verkauft. Der Tee stammt von seltenen jahrhundertealten Bäumen und ist extrem limitiert.
 

2. Pu’Erh «Fu Yuan Chang Hao» (1920er-Jahre)

Sorte: Sheng Pu’Erh
Rekordpreis: 2,72 Millionen Franken für 1 Tong (ca. 2,24 kg); ca. 1,21 Millionen Franken pro kg
Auktionshaus: Tokyo Chuo Auction (Hongkong), 2019
Legendärer Tee mit über 100 Jahren Reifung.
 

3. Song Pin Hao (Blue Label)

Sorte: Sheng Pu’Erh
Preis: 13,33 Millionen HKD (ca. 1,28 Millionen Franken) für 1 Tong (ca. 2,2 kg); 620’000 Franken pro kg
Auktion: Hongkong 2018
Ein begehrtes Sammlerstück.
 

4. Tong Qing Hao («Double Lions»)

Sorte: Sheng Pu’Erh
Preis: 1 Million Franken für 2,2 kg; 465’000 Franken pro kg
Auktion: China Guardian, Juni 2023
Eine historische Qing-Dynastie-Marke.
 

5. Tong Xing Hao (Xiang Qing Ji)

Sorte: Sheng Pu’Erh
Preis: 545’000 Franken für 2,24 kg; 245’000 Franken pro kg
Auktion: Poly Auction, Hongkong 2022
 

6. «Blue Label» Pu’Erh (1950er-Jahre)

Sorte: Sheng Pu’Erh
Preis: 562’500 HKD für 330 g; 180’000 Franken pro kg
Auktion: Sotheby’s Hongkong 2021
 

7. Einzelner Pu’Erh-Kuchen (ca. 375 g)

Preis: 245’000 US-Dollar; 650’000 Dollar pro kg
Jahrzehntealte Reifung, Sammlerwert.

Ein Beispiel für die neue Teedynamik ist der Schweizer Unternehmer Markus Zbinden, der gemeinsam mit Marina Rabei und Chris Lehmann vor zehn Jahren das Unternehmen Avantcha in Dubai gründete. Seine Vision: Tee modernisieren, ästhetisieren und auf das nächste Niveau heben – sensorisch wie gestalterisch. «Wir wollten Tee aus dem Schatten holen – hochwertig, mutig, klar im Design», sagt Zbinden. Im Nahen Osten fand das Trio die nötige Offenheit und Internationalität, um Tee neu zu positionieren. Heute exportiert Avantcha in über dreissig Länder und ist in Spitzenhotels, Concept-Stores und bei Design-affinen Konsumenten etabliert. In der Schweiz und England betreibt das Unternehmen je eine Länderniederlassung, ebenso in Bangkok. Es scheint aufzugehen, denn jährlich wächst der Tee-Absatz. Besonders erfolgreich ist Avantcha mit Matcha – allerdings nicht als Wellnesszusatz, sondern als puristischem Produkt mit klarer Herkunft. «Richtiger Matcha ist kein Wellnesspulver – er ist konzentrierter Genuss, spürbar am Gaumen und in der Energie», so Zbinden. Er versteht Tee als modernes Kulturgut, das Genuss, Design und Achtsamkeit verbindet – und gerade in westlichen Ländern grosses Potenzial hat.

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<p>So sehen Gründerinnen und Gründer aus: Chris Lehmann, Marina Rabei und Markus Zbinden von Avantcha.</p>

So sehen Gründerinnen und Gründer aus: Chris Lehmann, Marina Rabei und Markus Zbinden von Avantcha.

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<p>So sehen Gründerinnen und Gründer aus: Chris Lehmann, Marina Rabei und Markus Zbinden von Avantcha.</p>

So sehen Gründerinnen und Gründer aus: Chris Lehmann, Marina Rabei und Markus Zbinden von Avantcha.

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Zwischen Tradition und Transformation

Tee ist tief in Kulturen verankert – in China, Indien, Japan und in England. Doch um in Europa eine neue Teekultur zu etablieren, braucht es mehr als Tradition. «Wir müssen offen sein für Innovationen», sagt Carine Baudry. Das bedeutet: neue Pairings, neue Formate, neue Zugänge. In Asien etwa boomen kalt servierte Tees (Cold Brew Teas), aromatisiert, spritzig, elegant verpackt – als alkoholfreie Alternativen zum Cocktail oder Wein. In Frankreich haben Edouard Malbois und Vincent Mesnage vor knapp drei Jahren das Start-up Grands Jardins gegründet. Ihre Mission «Le thé à la manière du vin» hat Carine Baudry bei der Selektion der passenden Teesorten unterstützt.

<p>Jahrhundertealte Handarbeit: Arbeiter bei der Tee-Ernte in China.</p>

Jahrhundertealte Handarbeit: Arbeiter bei der Tee-Ernte in China.

Getty Images
<p>Jahrhundertealte Handarbeit: Arbeiter bei der Tee-Ernte in China.</p>

Jahrhundertealte Handarbeit: Arbeiter bei der Tee-Ernte in China.

Getty Images

Zugleich verändert der Klimawandel die Anbauregionen. Neue Terroirs entstehen – sogar in Europa. Tee wird transparenter, nachhaltiger, bewusster. Und auch wirtschaftlich wächst das Interesse: Laut Marktforschern nimmt die Zahlungsbereitschaft für hochwertigen Blatt-Tee zu, besonders bei urbanen, gesundheitsbewussten Konsumenten.

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Tee ist mehr als heisses Wasser mit Blättern – er kann ein Erlebnis sein, ein moderner Luxus ohne Lautstärke. Für eine Schweiz, die nach neuen Genussformen sucht – jenseits von Alkohol –, ist Tee vielleicht genau das Getränk der Zukunft. Oder wie Carine Baudry sagt: «Tee ist leise – aber wenn man ihm zuhört, hat er unendlich viel zu sagen.»

Dieser Artikel ist im Millionär, einem Magazin der Handelszeitung, erschienen (September 2025).

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