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Steinway & Sons in Hamburg baut Flügel, von denen keine zwei gleich sind – doch jeder unverkennbar ein Steinway. Ein Rundgang.
Ein Steinway-Flügel braucht drei Jahre für seine Entstehung – und masslose Passion fürs Perfekte.
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Schon bei der Ankunft auf dem Steinway-Werkareal wird klar: Hier sind Vergangenheit und Gegenwart enge Freunde. Hinter dem historischen Hauptgebäude aus rotem Backstein dominieren neue Bauten. «Unser Lackierzentrum und eine Energiezentrale», sagt Sabine Höpermann, als wir daran vorbeieilen, «wir verwenden ja nur rund 50 Prozent des Holzes, mit dem Rest produzieren wir hier Wärme und Strom.» Sie ist die Kommunikationschefin von Steinway, seit 26 Jahren da – und unser Guide.
Höpermann beginnt die Tour, wo aller Anfang ist: im Holzlager. Es befindet sich hinter dem Hauptgebäude und modernen Bauten, in einer zugigen Halle, hoch und weit, gefüllt mit gestapeltem Holz aus Nordamerika, Kanada, Alaska und teilweise Europa. Zwei Jahre lang bleiben die massiven Bretter hier liegen – und trocknen. «Zwei Jahre machen wir mit den ganzen Werten, die hier lagern, nichts», sagt Höpermann und fügt an, «das ginge in einem Ofen natürlich viel schneller, ist aber nicht unsere Philosophie.» Die letzten paar Prozent Feuchtigkeit zu viel werden dem Holz aber auch bei Steinway in einer Trockenkammer ausgetrieben. Während vier Wochen sinkt dort der Wert gemächlich von 15 auf 7 Prozent. Dann ist das Material bereit für seine Bestimmung. Es steht ein einjähriger, unwahrscheinlich komplexer Entstehungsprozess bevor.
Die moderne Lackiererei auf dem traditionellen Fabrikgelände wurde vor zehn Jahren eingeweiht.
Torben Conrad für BILANZIn der grossen, zugigen Halle trocknet das Holz für die Flügel während zweier Jahre ruhig vor sich hin.
Torben Conrad für BILANZDrei Dinge machen gemäss Höpermann die Substanz von Steinway aus: Fokus, Know-how und Leidenschaft der Mitarbeiter. «Wir machen seit eh und je nichts als Flügel und Klaviere», sagt sie. Die beiden anderen Punkte muss sie nicht ausführen. Sie sind omnipräsent, atmen in jeder Abteilung – und machen die Führungsaufgabe für CEO Guido Zimmermann ziemlich leicht: «Die Motivation kommt von innen», antwortet er auf die Frage, wie er seine 500 Mitarbeitenden an die Firma bindet, «sie haben enorme Passion für Musik oder für das Handwerk oder für beides.» Und sein Ansporn? «Wir sind seit 172 Jahren der erste Ansprechpartner für die besten Pianisten, das muss so bleiben.»
Guido Zimmermann ist seit achteinhalb Jahren Managing Director von Steinway in Hamburg – und jeden Tag in der Fabrik unterwegs.
Torben Conrad für BILANZGuido Zimmermann ist seit achteinhalb Jahren Managing Director von Steinway in Hamburg – und jeden Tag in der Fabrik unterwegs.
Torben Conrad für BILANZDie Historie im Schnelldurchlauf: 1836 schuf Heinrich Engelhard Steinweg, ein Tischler mit Klavierbautraum, in seiner Küche seinen ersten Flügel. Er tat es heimlich, weil die strengen Zunftregeln von damals solche Exkurse verboten. 1850 machte er sich mit seiner Familie, beseelt vom Wunsch, das beste Klavier der Welt zu bauen, auf nach Amerika. In New York gründete er 1853 – aus ihm war inzwischen Henry E. Steinway geworden – Steinway & Sons. 1880 meldete er sich für die Rückeroberung Europas zurück: In der Niederlassung in Hamburg-Altona wurden anfangs Flügel aus New Yorker Zulieferungen montiert, seit 1906 ist das Hamburger Werk in der Fertigung komplett selbstständig.
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Aber zurück zu den trockenen Ahorn- und Mahagoni-Brettern, die als Erstes der Länge nach in etwa einen Zentimeter dicke Scheiben geschnitten werden. Dann landen sie in der Rimbiegerei, wo aus ihnen der geschwungene Resonanzkörper des Flügels entsteht. Je nach Modell – vom kleinsten Modell S (1,55 Meter) bis zum grössten Konzertflügel D (2,74 Meter) – werden bis zu 20 dieser Holzschichten verleimt, aufeinandergelegt und dann in die Rimbiegemaschine eingespannt. Die archaische Eisenkonstruktion, welche die Bretterbeige in Flügelform zwingt, ist eine Steinway-Erfindung. Das Patent datiert von 1880. «Die meisten Patente, die wichtig sind für den Klavierbau, beruhen auf dem Gründer und seinen Söhnen», sagt Höpermann. «Bis 1920 war eigentlich alles da, das Instrument perfekt.» Nach drei Stunden hat der Rim seine Form, muss aber, weil das Holz wegen des Leims wieder Feuchtigkeit aufgenommen hat, noch mal für 100 Tage trocknen. Danach, so Höpermann, sei seine Form unkaputtbar.
In der Rimbiegemaschine, deren Patent von 1880 stammt, wird das Holz in die Flügelform gepresst.
Torben Conrad für BILANZIn der Rimbiegemaschine, deren Patent von 1880 stammt, wird das Holz in die Flügelform gepresst.
Torben Conrad für BILANZSie sagt auch, der Grundsatz des Hauses sei sehr simpel: Tun, was nötig ist, um zu bleiben, wer und was man ist – der Inbegriff des Klavierbaus. Für Verbesserung ist da wenig Platz, und die angemeldeten Patente der vergangenen Jahrzehnte lassen sich auch an einer Hand abzählen. Aber 2015 wurde Spirio eingeführt. «Das war die erste grosse Innovation nach 75 Jahren», sagt Zimmermann. Eine Innovation, muss man betonen, die nicht das Instrument an sich tangiert, sondern nur das, was es zu bieten hat: Mit der von einem Team in der New Yorker Zentrale entwickelten Technologie lassen sich damit Rezitale von Lang Lang und allen anderen 2000 Virtuosen, die als Steinway-Artists akkreditiert sind, mit den allerfeinsten Nuancen aufzeichnen, abspeichern – und auf den Flügeln mit Spirio-Technologie auch abspielen. Was diese selbstmusizierenden Steinways von sich geben, ist schier unglaublich: Am Schluss der Tour sitzen wir im Showroom und hören uns die «Goldberg-Variationen», gespielt vom isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson, am Spirio an. Ein Gänsehautmoment.
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Im Showroom gibt ein Steinway-Spirio die «Goldberg-Variationen», gespielt von Víkingur Ólafsson, wieder – gewaltig und wahrhaft.
Torben Conrad für BILANZIm Showroom gibt ein Steinway-Spirio die «Goldberg-Variationen», gespielt von Víkingur Ólafsson, wieder – gewaltig und wahrhaft.
Torben Conrad für BILANZMit dem Spirio bringt sich Steinway auf den Radar einer neuen Klientel, Menschen etwa, die Klaviermusik lieben, selber kein Klavier spielen, den Status eines Steinway-Flügels aber kennen. Und die zudem reich genug sind für eine derart exquisite Musikbox, die locker 200 000 Franken kostet. «Dank Spirio können wir in neuen Märkten, etwa in Middle East, Fuss fassen», sagt Zimmermann. Das Begehren ist gross: Die Instrumente mit Spirio-Technologie spielen inzwischen über die Hälfte des Umsatzes ein.
Neuen Umsatz notabene. «Spirio hat das Geschäft massgeblich erweitert», sagt der CEO.
In New York werden jährlich 1200 Flügel für Amerika gebaut. In Hamburg 1200 für den Rest der Welt. Dort wie hier zu 80 Prozent in Handarbeit. «Maschinen sind entweder von uns entwickelt oder für uns massgeschneidert», sagt Sabine Höpermann. Sie kommen zum Einsatz, wo sie den Menschen entlasten oder überbieten. In der Bezieherei etwa hilft ein Kran, die 100 Kilo schwere Gusseisenplatte in den Rim zu heben. In der Lackiererei sind es die Spritzpistolen, um die schwarze Farbe aufzutragen, ein Prozedere, das drei Wochen braucht bis zu seinem Abschluss. Die Farbschicht ist dannzumal einen Millimeter dick und wird anschliessend von einem Polierer mit Handschleifmaschine so lange bearbeitet, bis sie fast nichts mehr ist ausser ein hauchdünner, unverzerrter Spiegel. Ein Manual haben die Polierer dafür nicht. «Man muss einfach wissen, wo aufhören», sagt einer schulterzuckend, «man sieht es, riecht es, fühlt es, beschreiben kann man es nicht.» Dergleichen ist der Grund für viel Mensch und wenig Maschine im Herstellungsprozess eines Steinways: «Vieles ist reine Gefühlssache», sagt Zimmermann.
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Freilich gibt es auch einige Grossapparate hier, eine CNC-Maschine etwa. Sie stehen in der grossen Fabrikhalle und sägen, schleifen, glätten Flügel-Bauteile, welche die Männer – keine Frau weit und breit – montieren, schraubenfrei nur mithilfe von Leim, Holzdübeln und Schraubzwingen.
«Hier entsteht die Seele des Instruments, der Resonanzboden.»
Sosehr der Maschinenlärm in der Fabrikhalle dominiert, so seidig ist der Geräuschteppich in den übrigen Steinway-Werkstätten. Die Türen stehen für uns offen. Bis auf eine. «Hier entsteht die Seele des Instruments, der Resonanzboden», erklärt Sabine Höpermann und geht weiter, «er ist unser letztes Geheimnis.» Dank ihm entfalten sich Klänge in einem Steinway einzigartig.
95 Prozent der Flügel, die das Werk verlassen (zur Hälfte an Private, zur anderen Hälfte an Konzerthäuser und Ausbildungsstätten), sind schwarz. Alles, was nicht schwarz ist, heisst hier bunt. Darunter die Instrumente mit Holzfurnieren. «Für die Kollegen ist es eine tolle Sache, die bunten Flügel zu machen», sagt Höpermann, «macht stolz, nicht wahr?» Die Frage ist an den jungen Mann gerichtet, der mit einer Schere ein Holzfurnier für die schräge Kante eines Flügeldeckels zuschneidet. Er schaut kurz auf, antwortet, «ja, schon», und schnippelt weiter. Auch echt Buntes ist bei Steinway erhältlich. Höpermann erzählt von dem rosa Flügel mit rosa Tasten und Schmetterlingsintarsien aus Perlmutt, den ein Mann für seine Tochter orderte, und von einem Chinesen, der ein ganzes Gemälde aus Holzfurnier auf seinem Deckel haben wollte. Dergleichen ist zum einen eine Preisfrage. Zum anderen eine Demonstration dessen, was alles inhouse machbar ist. Dazu zählen die insgesamt über 12'000 Bauteile eines Flügels. Sie werden hier in Hamburg gefertigt oder von Zulieferern, die inzwischen auch Steinway gehören. Um Know-how und Kontinuität zu sichern und nicht wegen allfälliger Nachfolgeprobleme zu verlieren, wurde der Lieferant der Klaviatur akquiriert, die US-Firma OS Kelly, welche die Gussplatte herstellt, und vor zwei Jahren auch noch der Hersteller der Mechanikteile.
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Jetzt blickt Höpermann erstmals auf die Uhr – und verwirft die Hände. Ihr Zeitplan, gemacht von ihr, die alles kennt, für uns, die noch nie so etwas gesehen haben, ist längst aus dem Takt. Wir stehen noch immer in der lärmigen Fabrikhalle, wo Rims in allen Grössen darauf warten, dass es weitergeht. Höpermann lacht, stellt sich vor einen hochgestellten D-Flügel-Rim, in dem sie fast zweimal Platz hätte, und fragt: «Ist der nicht majestätisch?» Ist er. Dann schwirrt sie los. In die Bezieherei.
Dort geht es effektiv um Beziehung, intern ist gar die Rede von Heirat: Der Rim bekommt seinen Resonanzboden und die Gussplatte eingesetzt. Millimeterarbeit, alles wird von Hand eingepasst und befestigt und ist ab dann untrennbar. «Wir fertigen das Instrument hier so vor, wie es dann einmal das Werk verlassen wird», sagt der Mann, der an einem Resonanzboden korrigiert, was die CNC-Maschine nicht geschafft hat. Hier wird auch die zentnerschwere Gussplatte befestigt, am inneren Rim, mit Stahlbolzen. So sitzt die Platte, auf der die insgesamt 230 Saiten montiert werden, fest und ist vibrationsfrei, was entscheidend ist für die Klangqualität des Flügels. Zusammen mit den hölzernen Spreizen sichert sie die Form des Flügels, der beim Spielen dereinst Zugkräften von bis zu 20 Tonnen ausgesetzt sein wird.
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Über 230 Saiten, darunter die über Kreuz gespannten Basssaiten, werden von Hand aufgezogen.
Torben Conrad für BILANZBeim Polieren wird der Lack auf ein Minimum reduziert und zum verzerrungsfreien Spiegel.
Torben Conrad für BILANZMatthias Blum passt Klaviatur und Mechanik minutiös auf das vor ihm stehende Instrument an. Jedes ist ein wenig anders.
Torben Conrad für BILANZMarco Egeler kitzelt beim Fertigintonieren die letzten fünf Prozent aus dem Instrument heraus – den Klangcharakter.
Torben Conrad für BILANZDie nächste Station heisst Einregulierung. Hier arbeitet unter anderem Matthias Blum, einst Berufssoldat und heute einer der grossen Spezialisten, wenn es darum geht, die Klaviatur mit den Hebegliedern, Stielen und Hammerköpfen und die Mechanik an das vor ihm stehende Instrument anzupassen. Routine? Fehlanzeige. «Jedes Mal ist die Konstellation unterschiedlich, denn jeder hier hat seine Art, seine Arbeit im Rahmen der vorgegebenen Toleranzen zu verrichten», sagt er. Mit Schraubenzieher, Flämmchen, Unterlagsscheiben und Papierstreifen gleicht er Imperfektionen aus, damit jede der 88 Tasten genau im gleichen Verhältnis zur Nachbartaste liegt und es sich auch immer gleich anfühlt, sie zu betätigen. Diese Sisyphusarbeit braucht Feingefühl, eine ruhige Hand, ein scharfes Auge und einen wachen Geist. Blum braucht für seinen Job 16 Stunden pro Instrument, «andere bis zu 25 Stunden», sagt er, und Stolz beleuchtet sein Gesicht.
Hat er das Werk vollbracht, ist die Klaviatur für diesen einen Flügel passend. Für keinen anderen. Und das Instrument ist zum ersten Mal komplett und spielbar.
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Am Ende steht die Nachregulierung. Hier wird in kleinen Kammern bei jedem Instrument jeder Ton überprüft und justiert, wieder und wieder. Das Grande Finale ist dann die Endabnahme durch Marco Egeler. «Wenn die Instrumente zu mir kommen, sind sie schon neunmal gestimmt und zweimal reguliert worden», sagt er. Was er vollbringt, ist nicht mehr messbar. «Es geht um den Klangcharakter», sagt er, «wir wollen einen klaren Ton, der möglichst lang ist nach hinten, ruhig und möglichst ausgeglichen.» Für ihn persönlich erfüllt sich hier sein ultimativer Berufswunsch: «Ich habe 15 Jahre gebraucht, um zu diesem Job zu kommen», sagt der gelernte Klavierbauer, «Fertigintonierung war immer mein Ziel.» Er hantiert am Filz der Hammerköpfe, sticht mit einem speziellen Werkzeug auf ihn ein, um ihn fluffiger zu machen und den Ton weicher klingen zu lassen. Minimalinvasiv, denn nimmt er zu viel Härte, verliert der Ton an Kraft. Pro Flügel braucht er dafür eineinhalb bis drei Stunden Zeit. Wenn Egeler fertig ist, hört sich für ihn jedes Instrument anders, im Wortsinn einmalig an. Und klingt doch unverkennbar nach einem Steinway.
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