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Meinung

Konfliktbewältigung beim Kauen

Denn erstens kommt das Fressen und zweitens die Lösung des Problems.

Kurt. W. Zimmermann

Kurt W. Zimmermann

<p>Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer, Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport.</p>
Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer, Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport. Bilanz

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Ich hatte mal einen Firmenchef, der nur eine Form der Konfliktlösung kannte. Wenn es Unstimmigkeiten gab im Gremium, etwa bei Kostenreduktionen oder bei Übernahmen, dann sagte er zu seinem Gegenspieler nicht das Übliche. Er sagte nicht: «Gut, besprechen wir das morgen in meinem Büro.»

Nein, er sagte: «Gehen wir morgen zum Mittagessen.» Oder er sagte: «Gehen wir am Donnerstag zum Lunch.» Manchmal war er auch sehr konkret und sagte: «Wir bereden das am Freitag im ‹Rathauskeller›.»

Gemeinsames Essen ist das entscheidende Element der Entspannungspolitik. Als sich zum Beispiel im Februar 1945 an der Jalta-Konferenz Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin trafen, um Europa neu zu ordnen, waren die gemeinsamen Mittagessen ein festes Ritual. Zu den Hauptgängen gab es Spanferkel mit Meerrettich, Wildgeflügelpasteten, Lachs an Champagnersauce und gebratene Rebhühner. Dazu Champagner, Bordeaux und Wodka für Stalin.

Gemeinsames Essen und Trinken ist sozusagen der Stillstand der Gegensätze. Wenn sich etwa an den Wasserlöchern in Afrikas Nationalparks die Tiere zu einem gemeinsamen Drink versammeln, dann sind die Feindseligkeiten ausgesetzt. Dann giessen sich nebeneinander auch natürliche Feinde wie Gazellen, Zebras, Löwen, Elefanten und Leoparden einen hinter die Binde. Nur äusserst hungrige Löwen missbrauchen den Restaurantbesuch mitunter für die Jagd vor Ort, aber das gilt selbst im Tierreich als ungalant.

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Ein Lunch im kleinen Kreis, so zeigen Studien, fördert das Gefühl der Verbundenheit.

Es stimmt, gemeinsames Essen beruhigt die Konfliktsituation, macht tolerant und lösungsorientiert. Physisch ist das vielleicht erklärbar, weil zur Verdauung etwas mehr Blut in Richtung Magen fliesst. Das bedeutet weniger Blut im Hirn, und ein schwächer geflutetes Hirn sorgt eher für eine entspannte und weniger aggressive Atmosphäre als krachend hoher Blutdruck im Hypothalamus.
Wichtiger ist der psychologische Effekt. Ein Lunch im kleinen Kreis, so zeigen Studien, fördert das Gefühl der Verbundenheit. Individuen, die ansonsten sehr unterschiedlich agieren, sind auf einmal vereint in der parallelen Beschäftigung, sich Kalorien in den Mund zu schieben und sich über die Qualität dieser Kalorien auszutauschen. Dadurch entsteht Vertrauen, das die Lösung des Problems merklich erleichtert.

Es stimmt, ich habe, wenn ich zurückdenke, etliche Konflikte bei einem Lunch gelöst. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine äusserst unangenehme Situation, als wir in einer grossen Abteilung zwei Cliquen hatten, die sich in einer Art Bandenkrieg bekämpften. Ich ging dann mit dem Rädelsführer der Opposition in eine «GaultMillau»-Beiz. Zu meiner Überraschung offerierte er bei Tagliatelle mit Trüffeln seine Kündigung. Und ich offerierte ihm darauf zu meiner Überraschung eine höhere Abgangsentschädigung, als nötig gewesen wäre.

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So etwas hat lange Tradition in der Humangeschichte. Bei unseren Vorfahren, den Höhlenbewohnern, war das kollektive Essen ein zentraler Faktor. Sie hatten zwar noch keine Pfannen, aber sie kochten den Food auf heissen Steinen, die sie ins Feuer legten. Paläontologen denken, dass das kollektive Essritual in der Höhle wichtig für den harten Überlebenskampf war, weil es die Zusammengehörigkeit und Schlagkraft förderte.

Als sich kürzlich Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska trafen, war auch alles für ein versöhnliches Mittagessen vorbereitet. Auf der Menukarte standen Salat mit Champagnerdressing, Filet Mignon mit Pfefferkornsauce und Crème brûlée mit Eiscrème.

Der Lunch fiel dann aus zeitlichen Gründen aus. Bedauerlich. Sonst hätte der Ukraine-Krieg noch am selben Tag geendet.

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