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Meinung

Die Wirtschaft könnte von der Natur lernen

Der Klimawandel zeigt: Anpassung ist essenziell – ob in der Natur, der Wirtschaft oder im Alltag. Opportunismus sichert das Überleben.

Kurt. W. Zimmermann

Kurt W. Zimmermann

<p>Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer, Kolumnist und Buchautorzu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport.</p>

Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer, Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport.

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Im Hitzesommer 2022 erlebten sie in den Waadtländer Alpen eine Überraschung. Oberhalb von Les Diablerets schmolz der Gletscher schneller als zuvor. Dadurch wurde eine Passstrasse freigelegt, die zweitausend Jahre lang unter dem Eis begraben war. Es ist der Zanfleuronpass, der zum Vorschein kam. Er wurde schon von den Römern benutzt und dann zweitausend Jahre lang nicht mehr. Was lernen wir daraus? Es braucht flexible Anpassung im Leben. Manchmal ist es wärmer, wie zur Zeit der Römer, und der Pass ist offen. Dann wird es kälter, wie im Mittelalter, und die Passstrasse liegt unter Eis. Dann wird es erneut wärmer, so wie jetzt, und der Pass ist wieder frei. Ja, das Klima ändert sich halt. Das gilt für die Natur wie für das Wirtschaftsleben. Ich kann mich an ein Finanzportal erinnern, das wir als Tochterfirma gegründet hatten. Wir waren mit den Resultaten gar nicht zufrieden, und das Klima im Betrieb war darum ziemlich eisig. Wir verkauften das Finanzportal, das dann von einem IT-Unternehmer übernommen wurde.

Das Klima änderte sich radikal. Die Firma war nicht mehr Teil eines grösseren Konzerns mit all seinen Kontrollmechanismen, sondern sie war nun ein selbstständiges Start-up mit hoher Betriebstemperatur, das bis heute floriert. Die Passstrasse war auf einmal frei. Ich will mich hier nicht als Meteo-Experte aufspielen, aber wenn die Rede auf den Klimawandel kommt, dann fällt mir eines auf: Die meisten jammern, wie schrecklich es sei, dass es jetzt bei uns um die 30 Grad heiss werde. Ich frage sie dann, warum sie jedes Jahr nach Rimini und nach Malaga in die Ferien fahren, wenn es dort mit Sicherheit um die 37 Grad sind.

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Der Unterschied zwischen Tier- und Menschenwelt? Tiere sind viel pragmatischer als wir, wenn sich das Umfeld ändert.

Zufrieden ist nur der Bauer von nebenan. Er sagt, die Kühe können nun im Frühling zwei Wochen früher raus und im Herbst zwei Wochen länger auf der Weide bleiben. Dann fressen sie mehr Gras, und das hält die Milchqualität hoch. Die Kühe lamentieren nicht lange, die Kühe haben sich angepasst.
Seit ich einmal Zoologie studiert habe, kenne ich den Unterschied zwischen der Tier- und der Menschenwelt. Tiere sind viel pragmatischer, wenn sich das Umfeld ändert. Ich habe oft erlebt, wie etwa der CEO monatelang herumeiert, ob er nun den Marketingchef entlassen soll, mit dem er nicht zufrieden ist. Das Alphatier bei den Schimpansen hingegen braucht nur ein paar Sekunden, um ein unfähiges Mitglied im Rudel abzuservieren. Oder ich habe oft erlebt, wie man monatelang herumdiskutiert, wo man Umsatzpotenzial hat. Bei den Delfinen dauert es ein paar Sekunden, bis man sich beim Futter für eine Expansionsstrategie entscheidet.

Damit wären wir beim Grossen Fuchs. Dem Grossen Fuchs geht es glänzend. Lange musste man um einen der schönsten Schmetterlinge unserer Regionen fürchten. Aber nun ist er voll zurück, denn er liebt die Wärme. Dasselbe gilt für den Biber, der bei uns ausgerottet war. Seit im Winter die Seen und Bäche nicht mehr ständig zufrieren, ist er in Topform. Bereits gibt es 5000 Biber im Land. Oder nehmen wir den Goldschakal. Er kommt aus den Subtropen und ist seit zwölf Jahren auch in die Schweiz vorgestossen. Anpassung und Opportunismus sind alles. Wenn der Absatz von Wienerli stagniert, bietet Bell neu auch Tofu-Würste an. Weil man Verbrenner nicht mehr überall liebt, kommt Ferrari in diesem Jahr mit dem ersten Elektro-Sportwagen auf den Markt. Und die meisten früheren Heizungsinstallateure machen ihren Umsatz inzwischen mit Klimaanlagen. Am besten hat es noch immer Wilhelm Busch auf den Punkt gebracht: Seine Erkenntnis: «Der Opportunist ist ein Jenachdemer.» Ja, je nachdem.

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Dieser Artikel erschien in der BILANZ 08/2025.

 

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