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Kreativdirektorin für Haute Joaillerie bei Cartier

«Jede Kreation hat es in dieser Form noch nie gegeben, und doch ist sie unverkennbar Cartier»

Die aktuelle Schmuckkollektion «En équilibre» feiert das Gleichgewicht ausser Rand und Band. Ein Gespräch mit Jacqueline Karachi-Langane.

Sara Allerstorfer

<p>Schmuckdesignerin Jacqueline Karachi-Langane ist seit 2006 Kreativdirektorin für Haute Joaillerie bei Cartier.</p>

Schmuckdesignerin Jacqueline Karachi-Langane ist seit 2006 Kreativdirektorin für Haute Joaillerie bei Cartier.

Jean-François Robert

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Die Kunst der Ausgewogenheit beherrschen nur wenige. Die Maison Cartier jedoch ist eine Meisterin darin: Ausdrucksstarke Volumen, harmonische Farben und perfekt abgestimmte Proportionen geraten nie ins Übermass, selbst dann nicht, wenn die Schmuckstücke an Extravaganz kaum zu überbieten sind. Seit zwanzig Jahren sorgt Jacqueline Karachi-Langane, Kreativdirektorin der Haute Joaillerie, dafür, dass die Cartier-Sprache mit ihrer strengen Grammatik erhalten bleibt. Wir trafen die Französin in Stockholm, wo der Juwelier seine aktuelle Kollektion «En équilibre» präsentierte. Ein Gespräch über «kontrolliertes Risiko» und «die Kultur des Auges».

Die Kollektion «En équilibre» wirkt vollkommen ausgewogen und dabei gar nicht langweilig. Oft hat man ja das Gefühl, dass Gleichgewicht und Harmonie nach einer Weile ein bisschen fad werden. Wie schaffen Sie es, dass es dennoch spannend bleibt?

Jacqueline Karachi-Langane: Unsere Inspiration kommt von den Steinen selbst. Ein Stein ist nie langweilig – also kann man auch kein langweiliges Schmuckstück um ihn herum gestalten. Jeder ist einzigartig, jeder anders, nicht maschinell geschliffen, sondern von Hand – das verleiht ihm diese «Schönheit der Unvollkommenheit». Genau darin, in seiner Natürlichkeit, liegt seine wahre Schönheit. Was uns die Natur schenkt, kennt keine perfekte Symmetrie. Und auch in der Schmuckgestaltung geht es vielmehr um eine natürliche Ausgewogenheit, ein Gleichgewicht fürs Auge – und dafür braucht es enorme Erfahrung. Mit dem Computer lässt sich Symmetrie leicht erzeugen, aber wahres Gleichgewicht muss man sehen und spüren. Unsere Designer sind sehr feinfühlig. Jeder hat etwas zu sagen, und jeder hat seine eigene Sensibilität. Sie lassen sich von einem Stein ansprechen, verführen, wählen ihn aus und lassen sich dazu herausfordern, ihn in ein perfektes Ensemble zu setzen. Dabei lieben sie es auch, Grenzen auszuloten.

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<p>Exquisite Cocktailringe aus der aktuellen Haute-Joaille-rie-Kollektion «En équilibre», harmonisch vereint.</p>

Exquisite Cocktailringe aus der aktuellen Haute-Joaille-rie-Kollektion «En équilibre», harmonisch vereint.

Maxime Govet © Cartier
<p>Exquisite Cocktailringe aus der aktuellen Haute-Joaille-rie-Kollektion «En équilibre», harmonisch vereint.</p>

Exquisite Cocktailringe aus der aktuellen Haute-Joaille-rie-Kollektion «En équilibre», harmonisch vereint.

Maxime Govet © Cartier

Wo setzen Sie Grenzen?

Die einzige Grenze ist, Cartier zu bleiben. Jede Kreation hat es in dieser Form noch nie gegeben, und doch ist sie unverkennbar Cartier – durch dieses besondere Gleichgewicht. Mal zeigt es sich in der Symmetrie, mal in technisch waghalsigen Konstruktionen, die stets im Dienst des Steins stehen. Kontrolliertes Risiko – das ist unser Alltag.

Wie meinen Sie das?

Was wir am Gleichgewicht lieben, ist vergleichbar mit einem Seiltanz: Der Seiltänzer lässt ihn selbstverständlich aussehen, aber in Wahrheit ringt er ständig ums Gleichgewicht – und geht dabei permanent kalkulierte Risiken ein. Das ist genau das, was uns reizt. Ein Designer in der Haute Joaillerie zu sein, erfordert jahrelanges Lernen, und Langeweile darf dabei keinen Platz haben.

Können Sie uns genau erklären, wie Sie es schaffen, dass Schmuck ausgewogen wirkt, ohne langweilig zu sein?

Das ist wohl ein Geheimnis. Ich nenne es «Augenbalance» – ein Gleichgewicht, das man fühlt, nicht berechnet. Wir respektieren die Steine, beschneiden sie kaum, und so sind sie selten perfekt symmetrisch. Gerade diese subtile Asymmetrie macht es spannend. Tuttifrutti etwa wirkt harmonisch, obwohl nichts wirklich symmetrisch ist. Das ist das Schwierigste überhaupt, und es hängt ganz vom Auge ab. Dasselbe gilt für Farben. Steine in ein harmonisches Ganzes zu bringen, wirkt so selbstverständlich – und ist doch unglaublich komplex: Die Steine werden einzeln ausgesucht und nach Gefühl aufeinander abgestimmt, bis das Gefüge stimmig ist. Am Ende geht es auch um die Vorstellungskraft in Bezug auf die Trägerin, um die Beziehung des Schmuckstücks zum Körper. Schmuck ist zum Tragen gedacht, nicht nur für das Museum. Wir legen Steine auf die Haut, studieren ihre Wirkung – das erfordert Wissen, Technik, Mut zum Risiko und viel Experimentierfreude. Jahrzehnte der Erfahrung schärfen das Auge, und diese entscheidet letztlich, ob alles harmoniert.

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Kann man das Auge schulen – oder bleibt es das Geheimnis jedes einzelnen Designers?

Es spielt sowohl der Einzelne als auch die Kultur eine Rolle. Bei Cartier wird die «Kultur des Auges» von erfahrenen Designern weitergegeben. Man erkennt sie, wenn man alte Stücke betrachtet – eine Linie, die trotz Unterschiedlichkeit erhalten bleibt. Das neuartige Collier Tsagaan etwa: ein Panther, der sich zwischen geometrischen Formen versteckt, inspiriert vom Schneeleoparden, der fast mit seiner Umgebung verschmilzt. Licht, Schatten, Schwarz-Weiss – manche sehen den Panther sofort, andere nicht. Dieses Spiel mit Wahrnehmung und Illusion ist genau das, was wir erreichen wollten: moderne, urbane Eleganz, die auf subtilen Kontrasten basiert.

<p>Das Collier Tsagaan aus Weissgold, ­Diamanten und Onyx lässt den Panther nur erahnen.</p>

Das Collier Tsagaan aus Weissgold, Diamanten und Onyx lässt den Panther nur erahnen.

Maxime Govet © Cartier
<p>Das Collier Tsagaan aus Weissgold, ­Diamanten und Onyx lässt den Panther nur erahnen.</p>

Das Collier Tsagaan aus Weissgold, Diamanten und Onyx lässt den Panther nur erahnen.

Maxime Govet © Cartier

Arbeiten Sie beim Entwerfen auch digital, oder bevorzugen Sie das Zeichnen von Hand?

Die Designer dürfen selbst entscheiden, aber ich bitte sie meist, von Hand zu zeichnen. Zwischen Empfindung und Zeichnung gibt es eine direkte Verbindung, die ein Computer nicht herstellen kann. Der Computer ist analytisch, das Handzeichnen dagegen intuitiv – fast wie Meditation. Wenn im Studio alle zeichnen, herrscht völlige Stille, Zeit spielt keine Rolle mehr. Natürlich nutzen wir digitale Tools, wenn es um technische Präzision geht oder um Prototypen zu testen. Aber am Anfang steht immer die Hand, das Gefühl. Am Ende entsteht ein Dialog zwischen Intuition und Technologie.

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Haben Sie je von einem Material geträumt, mit dem Sie arbeiten wollten, es aber nie taten, weil es nicht zu Cartier passt?

Unsere wahre Leidenschaft sind die Steine. Wir suchen ständig nach neuen Farben, Formen, Materialien – nach etwas, das wir noch nie gesehen haben. Die Materie selbst inspiriert uns. Manche Schleifer wagen Schnitte, die fast unmöglich zu fassen sind – genau das lieben wir. Es geht immer darum, sich neu zu erfinden.

Glauben Sie, dass es noch unentdeckte Edelsteine gibt?

Natürlich. Manche Minen sind erschöpft, andere werden neu entdeckt – irgendwo auf der Welt findet man immer wieder Schätze. Als ich anfing, gab es Saphire nur in Blau oder Rosa, heute in allen Farben. Auch dekorative Steine, etwa aus Tucson in Arizona, sind faszinierend – kleine Geschenke der Natur, mit eigenen Landschaften und interessanten Farbtönen. Und so beginnt bei uns alles mit dem Stein – unserem Lieblingsmaterial.

Sie sind seit vier Jahrzehnten für Cartier tätig. Gibt es kreative Herausforderungen, die Sie noch immer nachts verfolgen und wachhalten?

Oh ja, viele! Ich stelle mir abends oft neue Aufgaben – dann kreisen die Gedanken. Und morgens unter der Dusche kommt plötzlich die Idee. So ist das bei uns Designern: Wir suchen, zweifeln, verzweifeln manchmal – und dann kommt die Offenbarung. Das gehört einfach zum kreativen Prozess.

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<p>Trotz starken Farbkontrasten schmeichelt das Collier Panthère orbitale aus Platin mit Korallen, Amethysten, Diamanten und Smaragden dem Auge.</p>

Trotz starken Farbkontrasten schmeichelt das Collier Panthère orbitale aus Platin mit Korallen, Amethysten, Diamanten und Smaragden dem Auge.

Maxime Govet © Cartier
<p>Trotz starken Farbkontrasten schmeichelt das Collier Panthère orbitale aus Platin mit Korallen, Amethysten, Diamanten und Smaragden dem Auge.</p>

Trotz starken Farbkontrasten schmeichelt das Collier Panthère orbitale aus Platin mit Korallen, Amethysten, Diamanten und Smaragden dem Auge.

Maxime Govet © Cartier

Wenn eines Ihrer Schmuckstücke in hundert Jahren noch getragen würde, was sollte es über Sie erzählen?

Ich hoffe, dass meine Arbeit das Vokabular von Cartier ein wenig erweitert hat. Mir ist Gleichgewicht wichtig – aber kein langweiliges, sondern eines mit Fantasie und Bewegung. Auch die Idee der anspruchsvollen Einfachheit liegt mir sehr am Herzen: nichts im Übermass, alles im Einklang. Vielleicht spürt man darin etwas von meiner eigenen Lebensphilosophie – und von der Leidenschaft, die mich all die Jahre bei Cartier begleitet hat. Wenn ich heute zurückblicke, denke ich, dass ich mit meinen vierzig Jahren im Haus vielleicht selbst eine Epoche geprägt habe. Es wird sicher mein grösster Stolz, eines Tages meinen Enkeln davon zu erzählen.

Mit Blick auf die Gesellschaft: Kann Schönheit in einer von Extremen geprägten Welt noch Gleichgewicht herstellen?

Ja, auf jeden Fall. Ohne Schönheit, ohne Natur wären wir Roboter. Die Natur ist der grösste Schöpfer von Schönheit. Ich glaube, wir versuchen immer, mit der Natur auf Augenhöhe zu sein. Schönheit bringt uns zurück zu unserer Menschlichkeit. Schön zu sein, fühlt sich gut an, es beruhigt. Sie verleiht uns eine Art Schutz. Für mich ist Schönheit ein Talisman gegen den Schrecken – ohne sie wäre vieles schwer erträglich. Schönheit ist am Ende unsere Beziehung zur Natur.

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Viele Menschen suchen den Ausgleich in der Natur. Geht es Ihnen auch so?

Für mich ist es nicht nur ein Ausgleich. Schon allein zum Nachdenken brauche ich Wasser, können Sie sich das vorstellen? Das Meer, nicht das Schwimmbad. Wasser und Steine, das sind meine Elemente.

Über die Autoren
Sara Allerstorfer

Sara Allerstorfer

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