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In der Tiefe liegt die Kraft

Diese Champagner sind angesagt, rar und pricy

Dass hochwertiger Winzerchampagner zugänglich bleiben kann, zeigen Ulysse Collin, Anselme Selosse und Eric Rodez. Ein Besuch bei drei Familien.

Andrin Willi

<p>Winzerchampagner gewinnen an Beliebtheit, bleiben aber rar und teuer. </p>

Winzerchampagner gewinnen an Beliebtheit, bleiben aber rar und teuer. 

Stephen Lewis / Art + Commerce / @stephenlewisstudio

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Wer das Wort Champagner benutzt, stolpert über Zahlen, denn die sind beachtlich. 2024 wurden 287 Millionen Flaschen abgefüllt, 4,8 Millionen davon wurden in die Schweiz exportiert. Damit gehört die Schweiz zu den zehn wichtigsten Champagnermärkten der Welt. Plopp. Pardon. Schon klar, dass der Korken beim Öffnen der Flasche nicht knallen sollte. Die schlechte Nachricht für die 16’300 Winzerinnen und Winzer aus der Champagne ist, dass auch hierzulande weniger getrunken wurde als vorher, und das hat viele Gründe, die für Geniesserinnen und Geniesser allesamt müssig sind.

Absatzmässig war 2024 kein gutes Jahr für die Champagne. Eher ein schlechtes, um nicht zu sagen ein sehr schlechtes. Trotzdem halten sich die Preise, die in den letzten fünf Jahren um etwa dreissig Prozent gestiegen sind, berechnend hartnäckig. Bei gewissen Winzerchampagnern, etwa jenen aus dem Hause Ulysse Collin, geht der Preisanstieg weit, weit darüber hinaus.

Herzlich willkommen in der märchenhaften Welt der Winzerchampagner. Die ist kompliziert, mitunter herrlich verschroben, aber unbedingt entdeckenswert. Bleiben wir bei Ulysse Collin, also beim jetzigen Gutsherrn Olivier Colin. Er ist einer von rund 2000 Individualisten, die ihre eigenen Reben kultivieren, um daraus ihren persönlichen Champagner keltern, abfüllen, ruhen lassen, degorgieren und verkaufen zu können. Er tut also genau das Gegenteil von dem, was die 390 Champagnerhäuser tun. Die grösseren fünf Player auf dem Spielfeld sind Moët & Chandon, Vranken Pommery, Nicolas Feuillatte, Laurent-Perrier oder Louis Roederer. Die machen auch alles richtig, aber mehrheitlich immer gleich richtig. Die Marke und der Stil des Hauses stehen im Vordergrund.

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Bei den Winzerchampagnern stehen je nach Philosophie das Terroir, der Jahrgang, der Umgang mit der Rebe, ja mit dem Leben im Vordergrund. Winzerchampagner haben Charakter, und man erkennt sie auf dem Etikett. Klitzeklein steht beim Erzeugername das Kürzel RM oder RC. «Récoltant manipulant» steht für einen echten, klassischen Winzerchampagner. Nur wer ausschliesslich Champagner aus den eigenen Reben herstellt und vertreibt, darf dieses Kürzel verwenden. Ein RC, also «récoltant coopérateur», ist auch ein braver Mensch, er oder sie lässt die eigenen Trauben in einer Kooperative verarbeiten und kauft den eigenen Champagner quasi wieder zurück, um ihn dann selbst zu vertreiben. Gerade kleine Winzer und Einsteiger sind froh, wenn sie nicht die hohen Investitionen in die Kellertechnologie tragen müssen. Auch beim ausgebildeten Juristen Olivier Collin war 2003 nicht aller Anfang einfach. Er hatte eine grosse Vision, aber wenig Geld, und gerade das ist in der Champagne ein Problem: Boden- und Traubenpreise sind hoch, die Herstellung ist komplex, und der Herstellungsprozess dauert lange: Fünfzehn Monate muss ein Champagner gesetzlich in der Flasche, auf der Hefe, im Keller lagern, für Jahrgangschampagner sind es mindestens drei Jahre. Nichts also mit dem schnellem ROI.

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Ehrgeizige Hersteller wie Olivier Collin lassen ihre Weine gern auch mal sechzig Monate und länger ruhen. In dieser Zeit entstehen unvergleichbare «vins de méditation», im Falle von Collin sind sie frisch, komplex und tief. Sein mineralisches Erstlingswerk Les Pierrières könnte man auch als Puligny-Montrachet «avec des bulles» bezeichnen. Burgundisch, klassisch, sublim in Holz ausgebaut, nicht filtriert, nicht geschönt. Pure Eleganz. Besser gehts nicht, zumindest nicht, bis man seinen Jardin d’Ulysse probiert hat. Dieser Garten, genannt «Le Clos», befindet sich direkt vor dem Weinkeller in Congy und ist mit den drei wichtigsten Rebsorten der Champagne bepflanzt: Chardonnay, Pinot Meunier und Pinot noir. 72 Monate auf der Hefe gereift, butterzart und dennoch dicht. Ausdauernd kraftvoll wie ein alter Quittenbaum, den man umarmen möchte, aber der Wein bleibt kaum fassbar und eine Klasse für sich. Oder doch nicht?

Winzerchampagner
Stephen Lewis / Art + Commerce / @stephenlewisstudio
Winzerchampagner
Stephen Lewis / Art + Commerce / @stephenlewisstudio

Vieles hat Collin während seiner anderthalb Jahre bei der Winzerlegende Anselme Selosse sicher mehr als einmal gehört. Weder Collin noch Selosse lassen sich gern einengen, auch mögen sich beide nicht vom Regelwerk der Biodynamie knechten lassen. Beide sind im Herzen «burgundisch», für beide ist das Holzfass die Verkörperung der Tradition, Reben und Terroir sind heilig. Beides sind Freigeister, aber das Terrain für solche Weintypen hat Anselme Selosse geebnet. 1974 hat er den Familienbetrieb übernommen, seit 2012 übernimmt sein Sohn Guillaume mehr und mehr Verantwortung. Die Weine von Collin und Selosse findet man nur in homöopathischen Dosen und exklusiv auf Anfrage.

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Am Anfang hat niemand verstanden, was Anselme Selosse da auf den Markt zu bringen versuchte. «An den Weinausstellungen in Paris bin ich auf meinen Flaschen sitzen geblieben», erzählt Selosse, der in seinem Keller in Avize zwischen hellwachem Schalk und Schwermut hin- und herschwadroniert. Bis in die Neunzigerjahre des vergangenen Jahrtausends habe er einen vollen Keller gehabt, und auf die Frage, ob es für einen Winzer schlimmer sei, zu viel oder zu wenig Wein im Keller zu haben, antwortet er: «Neinsagen fällt mir schwer.» Vielleicht ist das der Grund, warum am Weingut seit über zehn Jahren keine Neukunden mehr aufgenommen werden. Anselme Selosse ist ein sensibler Mensch und Winzer, Worte wie «Wine-Maker» oder «Marketing» scheinen ihm physische Pein zu bereiten. Viel lieber läuft er mit der Taschenlampe durch seinen kleinen Keller, öffnet die Fässer und leuchtet hinein.

Dann schaut er, ob sich auf der Florhefe an der Oberfläche kleine Blasen bilden. Bei Selosse werden die Weine monatelang im Fass (spontan) vergoren. Das ist sehr untypisch in der Champagne. Viel lieber hat man hier alles unter Kontrolle. Nicht so Anselme Selosse. «Manchmal gibt es Essig», sagt er trocken, aber oft sei ihm das nicht passiert. Da! Eine Blase! Blubb. Seine Weine sind vom Geburtsjahr an Personas. Nicht jeden Tag gleich aufgelegt. Charaktergeschöpfe mit Ecken und Kanten, manchmal trocken wie ein Buchhalter, manchmal rund und rosig wie ein Gourmand, manchmal aufgeschlossen wie eine Literaturprofessorin, manchmal ein Tölpel, oft eine Aristokratin, aber auch wie ein alter Notar mit einem Stock im Arsch. Selosse beschreibt sie so in seinen für andere unverständlichen Degustationsnotizen und versucht, in seinem Keller jede dieser Personas zu stärken. Beeinträchtigungen, Imperfektionen oder eine krumme Nase werden bei ihm nicht operiert. Sie gehören zum Gesamtbild, und genau das macht die Weine von Anselme Selosse zu einer Sensation der Einzigartigkeit. Denken Sie daran, sollten Sie jemals in den Genuss kommen. Seine Weine gehören zu den gesuchtesten der Welt.

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Über Holzfässer sprechen mag er nicht. Lange durch den Keller streifen und vor der Abfüllanlage gescheit über Weine und önologische Praktiken zu philosophieren, auch nicht. «Ab in die Reben», schlägt Eric Rodez vor, denn Wein entsteht nicht im Keller, sondern draussen, an den Hängen, in den Rebbergen. 1989 war er einer der Ersten, die auf biologische und ferner biodynamische Bewirtschaftung gesetzt haben. In Ambonnay war er zehn Jahre Bürgermeister, Winzer ist er in achter Generation, sein Sohn Mickael ist längstens in der neunten Generation am Werk und wie der Vater vollkommen den Reben verschrieben. Als ehemaliger Kellermeister von Krug hat Eric Rodez vieles, aber vor allem eines gelernt: perfekt zu assemblieren. Mit ihm kann man stundenlang durch die Hänge wandeln, denn er ist ein getriebener Perfektionist, und dazu passt, dass ein Grossteil der Weine nach Japan exportiert werden.

Aus 35 Einzellagen (hundert Prozent Grand Cru) vinifizieren die Rodez je nach Jahrgang bis zu sechzig (!) Grundweine, die unterschiedlich vinifiziert und ausgebaut werden. Das Ziel ist «the perfect match». Wie ein Parfumeur geht Eric Rodez ans Werk, aber nicht nur auf der Suche nach Harmonie, sondern auf der Suche nach Spannung, Druck und Finesse. Subtilität, Fragilität, aber auch Standhaftigkeit, Mineralität und Frische kennzeichnen seine Meisterwerke, die man auch als solche bezeichnen sollte.

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Bezahlbar sind sie alleweil, und wenn in den kommenden Jahren nicht irgendein Weinkritiker auf die blöde Idee kommt, Eric und Mickael Rodez hundert Punkte zu verleihen, dann werden die Preise hoffentlich auch nicht explodieren, so wie sie bei Selosse oder Collin explodiert sind. Beide betrachten die Spekulation mit ihren Geschöpfen übrigens mit Sorge, denn der Hype und damit auch gewisse Kundinnen und Kunden, passen so gar nicht zu ihrer geerdeten Haltung. Auch die Familie Rodez bleibt am Boden, der seit 1757 ein guter Nährboden für die Familie ist. Die zehnte Generation (Pol Auguste) steht bereits am Start, und man wird sehen, wie die Geschichten weitergehen.

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