Abo

Wirtschaftsführer erzählen, wie sie die Krise meistern

Wirtschaftsführer kennen Krisen. Eine Pandemie hat aber zuvor noch keiner von ihnen erlebt: Was es zu lernen gab und was sie davon behalten.

Iris Kuhn Spogat

Bilder aus dem Jahr 2020

Vor einem Jahr hätte niemand gedacht, dass 2020 sein würde, was es war: ein Jahr mit Shutdowns, Grenzschliessungen, Reiseverboten, Quarantäne, Homeoffice, Social Distancing, Online-Shopping und Zoom-Meetings sowie mit einem Run auf Klopapier.

Keystone/Getty Images

Werbung

Monika Walser, Chefin und Teilhaberin von de Sede in Klingnau im Aargau, zählt sich zu den Menschen, für die das Glas jeweils halb voll ist. Und sie sagt von sich, sie werde desto ruhiger, je hektischer es um sie herum zugehe. Beide Eigenschaften waren vergangenen Frühling Gold wert. Als es losging mit Corona, hat sie die Produktion für zwei Monate geschlossen und ihre 90 Handwerker in Kurzarbeit geschickt, «nicht weil es an Aufträgen gefehlt hätte oder an einem durchgängigen Sicherheitskonzept», sagt Walser, «sondern weil die Zulieferer aus Norditalien nicht liefern konnten». Kam dazu, dass die Grenzgänger aus Deutschland für die 20 Kilometer Arbeitsweg wegen des Staus am Zoll drei Stunden brauchten.

Partner-Inhalte

Sie selbst hat in der Zeit «mehr gearbeitet als je zuvor, wir sind weltweit tätig, und China machte wieder auf, als wir in den Lockdown gingen». Ihre Hauptaufgabe: reden. Hier die Bestellungen, die nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnten. Dort die Mitarbeiter, die verunsichert waren und nachvollziehbar Angst hatten.

Werbung

Gegen Angst und Verunsicherung ist in dieser Krise schwer anzukommen. Im Gegensatz zu früheren Einschnitten – etwa dem Frankenschock – war das, was mit Corona über die Wirtschaft hereinbrach, nicht analytisch zu bewältigen, da niemand Bescheid wusste darüber, was gerade los war. Natürlich auch Walser nicht. Am Anfang war sie – abgesehen vom Feuerlöschen an der Kundenfront – vor allem auf menschlicher Ebene stark gefordert.

««Es reagierten welche panisch, von denen ich dachte, sie nähmen es gelassen, und umgekehrt.»»

Monika Walser, CEO de Sede

«Corona hat die Individualität der Menschen hervorgebracht, es reagierten welche panisch, von denen ich dachte, sie nähmen es gelassen, und umgekehrt», sagt Walser. «Es war auf jeden Fall wichtig, da zu sein und offen für Gespräche.» Sie hat zugehört und zugeredet, aber auch angetrieben: «Sich zusammenraufen statt den Kopf in den Sand stecken.» Daraus wurde «eine coole neue Kollektion – entwickelt, designt, Prototypen und eine Null-Serie in Rekordzeit». Sie ist an die Pandemiezeiten angepasst und besteht aus Beistelltisch und Hocker: beides faltbar und nach Feierabend im Homeoffice leicht wegzuräumen, um Platz zu haben für die Yogamatte.

Werbung

Das Konzept ist für Walser nicht einfach eine originelle Idee, sondern «unser neuer roter Faden». Ihre Schlagworte dazu sind: Modularität, Mobilität, Flexibilität.

Seit die Fabrik wieder offen ist, ist bei de Sede Vollbesetzung, Homeoffice gibt es nicht, aus Solidarität mit den Handwerkern. «Erklären Sie einem Polsterer, warum er zur Arbeit kommen muss, und die in ihren grossen Büros dürfen daheimbleiben», sagt Walser. «Anfangs waren nicht alle happy damit, im Nachhinein hat uns das noch mehr zusammengeschweisst.» Ihr fehlt eigentlich nur eins: «Kunden vis-à-vis zu sein, in ihrem Land», sagt sie, «physisch vor Ort bekommt man einfach viel mehr mit.»

««Ich liebe es, draussen bei den Leuten zu sein, so merke ich rasch, wie die Dinge stehen und laufen.»»

Björn Rosengren, CEO ABB

Werbung

Sehnsucht nach direkten Kontakten

Es ist das gleiche Lied, das auch Björn Rosengren singt. «Ich liebe es, draussen bei den Leuten zu sein», sagt der ABB-CEO, «so merke ich rasch, wie die Dinge stehen und laufen.» Er hat den Spitzenjob Anfang März 2020 übernommen, kurz vor dem Lockdown. Mehr Zeit hatte er während dieser Phase aber nicht, wie sollte er auch? «Ich bin neu in die Firma gekommen und musste alles erst lernen, dann en détail analysieren.» Das Ergebnis sind weitreichende Entscheidungen, ein Transformationsprozess ist in Gang gekommen. Die eingeschränkten Reisemöglichkeiten sind gerade in dem Kontext eine Bürde für Rosengren, «es wäre sehr wichtig, bei all den Veränderungen, die wir angestossen haben, auch zu spüren, dass wir auf dem richtigen Weg sind». Und das geht nur direkt, persönlich, vor Ort. Er wird nach der Pandemie fraglos weniger reisen und mehr virtuelle Meetings abhalten als davor, aber er wird reisen: «Ich vermisse das Feeling von direkten Treffen.»

Werbung

««Es galt einfach zu akzeptieren, dass ich zu Hause nicht der Chef bin.»»

Jan Jenisch, CEO LafargeHolcim

Jan Jenisch geht es nicht besser. «Unsere Firma lebt davon, dass wir Baustellen, Kunden und Fabriken besuchen, neue Anwendungen in der Praxis testen und beobachten», sagt der Konzernchef von LafargeHolcim, «das kreative Momentum fehlt mir.» Der Deutsche, Vormann von mehr als 80'000 Mitarbeitern weltweit, bekannt als sachbezogen und unzimperlich, war zu Beginn der Pandemie ordentlich gefordert: Fabrikschliessungen, Umsatzeinbruch, Angst – und er, der normalerweise zwei Drittel seiner Zeit geschäftlich irgendwo auf der Welt unterwegs ist, hatte im stillen Kämmerlein zu sitzen.

Es blieb ihm nur Zoom, um seine Rolle auszufüllen, die für einmal über das rein Geschäftliche hinausging: dafür sorgen, dass die Mitarbeiter sich sicher fühlen, Mut machen, Interesse und Verständnis aufbringen für individuelle Befindlichkeiten. «Es war wichtig, das Menschliche zu pflegen, die Leute auch mal zu fragen, wie es ihnen geht», sagt Jenisch. Seit acht Monaten dirigiert er den 26-Milliarden-Konzern von zu Hause aus. Das Setting – täglich bei Frau und Kindern – sei zwar ungewöhnlich, aber harmonisch, sagt Jenisch und schmunzelt: «Es galt einfach zu akzeptieren, dass ich zu Hause nicht der Chef bin.»

Werbung

Durchzoomte Tage

Dort, wo er der Chef ist, lebe er derzeit von der Substanz, sagt Jenisch, «wir kennen uns alle, das hilft derzeit sehr». Seine Parole an seine Crew im Frühling lautete: «Das ist jetzt eine Krise, und die geht vorbei. Bleibt ruhig, entlasst keine Leute, bereitet euch auf das Ende des Lockdowns vor.» Inzwischen operiert er nur noch knapp unter Vorjahr, und «der Blick auf die Stimulusprojekte, die in aller Welt geplant sind, stimmt zuversichtlich».

Jenisch wird einiges in der Krise Installierte in die Normalität hinüberretten, sobald diese zurück ist: Die Mehrjahresplanung zum Beispiel, die jeweils im Juni fällig ist, will er mit den einzelnen Märkten künftig online abhandeln, «das hat 2020 sehr gut funktioniert». Überhaupt werde er mehr via Internet präsent sein, sagt er, sei aber froh, wenn er Mitarbeiter, Kunden, Fabriken wieder selbst besuchen kann. «Langfristig brauche ich den persönlichen Austausch und den Eindruck vor Ort», sagt er, «Video ist gut für die Sache – für das Gefühl weniger.» Aus den vergangenen Monaten gibt es auch etwas, das er so schnell wie möglich wieder weghaben will: «Drei Kilo Gewicht, die ich zugelegt habe.»

Werbung

Who is who 2021

Hundert Personen, eingeteilt in zehn Kategorien, von denen drei – Profi-VR, Investoren, Wirtschaftspolitik – neu sind: Wer es in unser «Who is who der Schweizer Wirtschaft» geschafft hat, zählt zur absoluten Spitze der Schweizer Unternehmer, Manager, Politiker.

Das freilich ist Christoph Grainger-Herr, CEO der Luxusuhrenmarke IWC, nicht passiert. Er sitzt schlank und rank wie immer vor dem Screen und erzählt gut gelaunt als Erstes vom kleinen Glück, an diesem Tag seine «Bikeroutine» gerade noch absolviert zu haben, bevor der Regen kam. Und sonst? «Wir können nicht klagen», sagt er, «wenn man bedenkt, wie das Jahr angefangen hat.» Es war hektisch, Ende April stand die «Watches & Wonders» bevor, die grosse Neuheitenshow von 31 renommierten Schweizer Uhrenmarken in Genf.

Werbung

Ende Februar wurde sie abgeblasen respektive ins Internet verlegt. Richtig schlimm wars für ihn nicht, «wir hatten alles schon online vorbereitet», sagt Grainger-Herr, der sich längst einen Namen gemacht hat als einer der wenigen in der Branche mit null digitalen Berührungsängsten. Dennoch: «Es war eine Riesenumstellung, die gesamte Kommunikation via Zoom abzuwickeln.» Und erst die Kundenpflege: «Die digitalen Medien sind okay, um Vertrauen aufrechtzuerhalten», sagt er, «aber kaum geeignet, um es aufzubauen.»

Boost fürs Bewusstsein

Die deutsche Beratungsfirma Odgers Berndtson hat Mitte Mai 1480 Führungskräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach ihrem Umgang mit der Krise befragt, insbesondere nach ihren Erfahrungen mit «Führen auf Distanz». 98 von 100 haben Sitzungen ins Internet verlegt, fast gleich viele vom Homeoffice aus operiert. Abarbeiten von Projekten: kein Problem. Delegieren: kein Problem. Aus dem Homeoffice informelle Kontakte aufzubauen und zu pflegen: schwierig, schwierig.

Werbung

Kurz vor dem Lockdown war Grainger-Herr selbst auf Roadshow von Chicago über Dallas nach Los Angeles unterwegs. Von dort wollte er weiter nach Sydney, um eine Boutique zu eröffnen, und schliesslich nach Melbourne zum Start der Formel-1-Saison. Stattdessen kehrte er in die Schweiz zurück und ist seither statt 60 Prozent der Zeit irgendwo auf der Welt die ganze Zeit in Schaffhausen.

««Wenn es kontrovers wird, zwei Schritte zurücktreten und auch mal fragen, woher der Zwist kommt.»»

Christoph Grainger-Herr, CEO IWC

Corona hat enorm herausgefordert, «erst gab es von Homeoffice über Kurzarbeit viel zu organisieren, dann wurde es PR-lastig». Rein online: Neuheiten präsentieren, Kunden begrüssen, Fragen beantworten – «eine Serie durchzoomter Tage», sagt der 43-Jährige, «am frühen Morgen mit Asien, am späten Abend mit den USA». Vieles klappt für ihn inzwischen geradeso gut, wenn nicht sogar besser online, allein schon wegen der weltumspannenden Reichweite des Digitalen.

Werbung

Für anderes, Inspiration etwa, seien echte Begegnung, Reisen und Erlebnisse aber unverzichtbar. «Es wird eine neue Balance geben zwischen virtuell und real», sagt Grainger-Herr. Was er als Online-CEO gelernt hat? «Auch einmal zwei Schritte zurückzutreten, wenn es kontrovers wird, und auch einmal zu fragen, woher der Zwist kommt», sagt er: «Man ist verständnisvoller geworden.»

Das Feeling, dass gleichsam alle in einer Situation waren, die niemand je zuvor erlebt hatte, verlieh Flügel, schweisste zusammen, machte die ganze Situation auch spannend. Das Beste am Ganzen? «Die Zeit mit meiner Frau und unseren Kids», sagt Grainger-Herr, «man ist ja lange nicht so an der Erziehung beteiligt, wie man wollte und auch sollte.» Der – hohe – Preis der Karriere halt.

Pandemie als Geschenk

So ein Licht ist auch Erik Fyrwald, CEO von Syngenta, aufgegangen. Falls er jemals seine Memoiren schreibt, wird er die Pandemie darin wohl erwähnen als Geschenk des Schicksals. Im Fragebogen, den BILANZ jeweils für das «Best of» verschickt, die letzte Seite im Heft, lautet ein Standard: Was war Ihr grösster Fehler? Fyrwalds Antwort: «Zu viel Zeit auf Geschäftsreisen verbracht zu haben, fern von Familie und Freunden.»

Werbung

Wegen Corona hat er erst drei Monate ausschliesslich von zu Hause aus gearbeitet und über sieben Monate auf jegliche Businesstrips verzichtet, «ich habe mit meiner Familie gegessen, TV geschaut, Spiele gespielt, geredet – und mehr Zeit mit ihr verbracht als alle Zeit zuvor zusammengerechnet. Ich fühle mich ihr näher als je zuvor.»

Klar wird er wieder geschäftlich unterwegs sein, Kunden, Mitarbeiter und Partner besuchen, wenn die Pandemie durch ist, «aber sicher viel weniger als zuvor». Gut so, oder wie es Konfuzius vor bald zweieinhalbtausend Jahren formuliert hat: «Der Mensch hat zwei Leben, das zweite beginnt, wenn er erkennt, dass er nur eines hat.»

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Auch interessant

Werbung