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Oscillon

Im Aargau trifft traditionelle Uhrmacherei auf technisch höchste Innovation

Ein Besuch im ungewöhnlichsten Atelier der Schweiz: Wo zwei Uhrmacher mit uralten Maschinen einzigartige Uhren bauen.

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Pierre-André Schmitt

Am Anfang stand eine Bieridee: Dominique Buser (l.) und Cyrano Devanthey in ihrem Atelier.

Am Anfang stand eine Bieridee: Dominique Buser (l.) und Cyrano Devanthey in ihrem Atelier.

Mirjam Kluka für BILANZ

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Das Gebäude wirkt von aussen eher unscheinbar. Und die Gemeinde, in der es steht, ist auch nicht gerade als weltbekannter Hort der Uhrmacherkunst bekannt. Doch an der Heinrich-Wehrli-Strasse in Buchs bei Aarau werden seit Jahren Zeitmesser der atemberaubenden Art gebaut. Das spürt man sofort, kaum hat man die Schwelle zum Atelier überschritten.

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Hier bauen die Uhrmacher-Konstrukteure Cyrano Devanthey und Dominique Buser Uhren, wie es die Urgrossväter taten. Von Hand. Und auf uralten Maschinen. Ihr Atelier? Ein Kuriositätenkabinett voller historischer Maschinen. Und ein Heiliger Gral für Liebhaber traditioneller Handwerkskunst.

An die 100  Maschinen sind da aufgereiht, so ziemlich alles, was je in Uhrmacherateliers gestanden hat – aber nicht nur. Das jüngste Gerät stammt aus den 1960er-Jahren, das älteste ist deutlich über 100  Jahre alt. Einige muten recht exotisch an; von London nach Buchs ist derzeit etwa eine «Banknote Engraving Machine» unterwegs, sie stammt aus den 1920er-Jahren und diente ursprünglich dazu, Fäden in komplexen Mustern auf Geldscheine zu applizieren. Wofür man denn so etwas in der Uhrmacherei brauchen kann? Devanthey zuckt lachend mit den Schultern. «Mal sehen, vielleicht für Zertifikate, vielleicht für ein spezielles Zifferblatt.»

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An die 100 Maschinen in Reih und Glied – die älteste deutlich über 100, die jüngste 60 Jahre alt.

An die 100 Maschinen in Reih und Glied – die älteste deutlich über 100, die jüngste 60 Jahre alt.

Mirjam Kluka für BILANZ
An die 100 Maschinen in Reih und Glied – die älteste deutlich über 100, die jüngste 60 Jahre alt.

An die 100 Maschinen in Reih und Glied – die älteste deutlich über 100, die jüngste 60 Jahre alt.

Mirjam Kluka für BILANZ

Versuch und Irrtum

Ganz am Anfang stand eine Bieridee. Buchstäblich. Es war 1990. Auf dem Weg zum Bierladen nach Feierabend kam plötzlich eine Frage auf: Ob sie es wohl schaffen würden, so fragten sich die beiden Uhrmacherlehrlinge Devanthey und Buser, eine Uhr von A bis Z komplett selber zu machen, also jeden Trieb, jedes Zahnrädchen, jede Schraube? Das war der Traum.

28  Jahre später gab es die Uhr. Ihr Name: «L’instant de vérité». Ihr Preis: 160'000 Franken. Sie war komplett selber gebaut. Die ehemaligen Lehrlinge hatten ihren Traum verwirklicht und mit der Nummer 1 ihrer Marke Oscillon eine Uhr geschaffen, die das Prädikat «absolut aussergewöhnlich» verdiente.

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Sie schöpft zwar, was ihre Herstellungsart anbelangt, voll aus der Vergangenheit, dennoch ist sie technisch höchst innovativ. Für die Aufzugsfeder etwa griffen die zwei Uhrmacher auf das Prinzip der Rollfeder, englisch Tensator, zurück. Eine solche Rollfeder ist heute – natürlich wesentlich grösser – oft in Staubsaugern eingebaut, um das Stromkabel automatisch einzuziehen. Das Werkteil hat gegenüber konventionellen Federn in einem Uhrenkaliber einen entscheidenden Vorteil: Es gibt, vergleichbar mit einer aufwendigen Kette-Schnecke-Konstruktion, die Kraft konstant ab, was der Präzision höchst dienlich ist. Allerdings mussten Buser und Devanthey monatelang pröbeln und Knacknüsse lösen, bis ihre erste Uhr voll funktionierte.

Wo ein Wille …

Ein Rundgang mit den beiden passionierten Uhrmachern durch ihr Atelier gerät zur Reise in die Vergangenheit: Da stehen Schaublin-Drehbänke, eine Triebflügelpoliermaschine, eine Triebfräse, eine Guillochiermaschine, Perlage-Maschinen. Eine computergesteuerte CNC-Fräse hingegen gibt es nicht, zu sehr lieben Devanthey und Buser die gute alte analoge Mechanik.

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Wie vor 100 Jahren: Bei Oscillon gibt es keine computergesteuerten CNC-Maschinen.

Wie vor 100 Jahren: Bei Oscillon gibt es keine computergesteuerten CNC-Maschinen.

Mirjam Kluka für BILANZ
Wie vor 100 Jahren: Bei Oscillon gibt es keine computergesteuerten CNC-Maschinen.

Wie vor 100 Jahren: Bei Oscillon gibt es keine computergesteuerten CNC-Maschinen.

Mirjam Kluka für BILANZ

Das Problem dabei: Mitunter wussten die beiden gar nicht, wie man ein bestimmtes Stück auf einer solchen Maschine fertigen kann. «Manchmal half es, das Teil ganz genau zu studieren», erzählt Devanthey. Manchmal brachte eine Bedienungsanleitung vom Flohmarkt die Lösung.

Ein Beispiel: Die Einstellung des über 100-jährigen blass graugrünen Industrie-Dinosauriers Saisselin & Tripet aus Biel erheischt viel Fachwissen, Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Mit der Maschine wird die Verzahnung der Zahnräder und Triebe gefertigt – und wenn man endlich damit umgehen könne, so versichern die beiden Uhrmacher, «entstehen Zahnprofile, die denen aus modernster Produktion absolut ebenbürtig sind».

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Das, nebenbei, war ein Ziel der beiden Uhrmacher. Ihre selbst gebaute Uhr sollte einer modernen Uhr aus der Industrie punkto Ganggenauigkeit in keiner Weise hinterherhinken. «Unsere Uhr sollte nicht nur ticktack machen», pflegt Buser zu sagen, «sie sollte qualitativ mit einer modernen Serienuhr absolut vergleichbar sein.»

Dass die beiden Uhrmacher einiges können – sie werden seit einiger Zeit von den Uhrmachern David Friedli und Yan Hegelbach assistiert –, haben längst auch andere Marken gemerkt: Das Duo arbeitet unter anderem für die Avantgarde-Uhrmarke Urwerk sowie für Charles Girardier. Dennoch haben die zwei Freunde nach der «L’instant de vérite» ein zweites Opus lanciert, das Modell Fundamentum.

Der Name ist Programm: Die Uhr soll nämlich das Fundament für weitere Modelle sein. Im Gegensatz zur ersten Uhr bauen sie nicht mehr Stück um Stück, sondern in Fünferserien. Und es gibt auch keine Tensator-Feder mehr darin: «Wir möchten nicht ewig auf diese Rollfeder behaftet werden», sagt Devanthey. Gleich bleibt die strenge Fertigungsphilosophie.

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Tickende Preziosen: Links das Modell Fundamentum, rechts die Fragmentum mit blitzender Sekunde.

Tickende Preziosen: Links das Modell Fundamentum, rechts die Fragmentum mit blitzender Sekunde.

Mirjam Kluka für BILANZ
Tickende Preziosen: Links das Modell Fundamentum, rechts die Fragmentum mit blitzender Sekunde.

Tickende Preziosen: Links das Modell Fundamentum, rechts die Fragmentum mit blitzender Sekunde.

Mirjam Kluka für BILANZ

Das Zifferblatt aus Silber zum Beispiel ist das Ergebnis einer Reihe von Experimenten. Gefertigt wird es auf einer Ramoleye- oder Tapisserie-Guilloche-Maschine, und die galt es in den Griff zu bekommen, bis das erwünschte Reliefschachbrettmuster endlich gelungen war. Wie so oft bei Oscillon: Man musste testen, analysieren und mitunter wieder ganz von vorne beginnen. Die ersten Zifferblätter waren verzogen, eine leichte Erwärmung brachte Remedur. Doch jetzt war das Dekor stumpf geworden – ein zweiter Durchgang durch die Maschine war schliesslich die Lösung.

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Aktuell kommt es zum Kapitel 3. Basis ist die Fundamentum, doch dem neusten Modell wurde eine sogenannt blitzende Sekunde spendiert, eine Seconde foudrayante, wie Uhrmacher lieber französisch sagen, manche nennen sie auch Diablotin, deutsch etwa Teufelszeiger. Das Besondere: Auf einem Hilfszifferblatt macht die blitzende Sekunde eine Umdrehung pro Sekunde – und dies in fünf Sprüngen. Das sieht recht nervös oder eben blitzend aus, ein ergötzlicher Anblick.

Oscillon wäre nicht Oscillon, hätte man sich damit begnügt: Der Zeiger springt auf einer sich einmal pro Minute drehenden Scheibe mit einem kleinen Dreieck am äusseren Rand – und jede Sekunde zeigt der Blitz-Zeiger auf dieses kleine Dreieck. Die Uhr heisst Fragmentum, ist für 185'000 Franken zu haben, das erste Stück ist verkauft.

Fast fertig ist auch schon Modell Nummer 4 – es wird ein Worldtimer mit 24-Stunden-Anzeige sein. Auf der Lünette gibt es einen Städtering, auch eine Mondphase ist integriert. Das Stück macht nebenbei den Weg der Marke deutlich: Am Anfang stand bei Oscillon eine Bieridee – inzwischen ist daraus eine veritable Kollektion entstanden.

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