Guten Tag,
Der finnische Liftbauer Kone zeigt verblüffende Ähnlichkeiten mit der Schweizer Schindler – und arbeitet doch ganz anders.
Dirk Ruschmann
EINZIGARTIGES TESTLABOR In Tytyri bei Helsinki testet Kone in einer früheren Kalksteinmine ihre Lifte. Der Testschacht misst 350 Meter und ist der höchste der Welt; die Konkurrenten testen in hohen freistehenden Türmen.
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Das soll der Vize-Chairman eines Weltkonzerns sein? Robuste Stiefel à la Doc Martens an den Füssen, in Arbeiterhose und Hoodie hält ein Mittdreissiger einen Vortrag über Historie, Gegenwart und Zukunft von Lift- und Fahrtreppenbauer Kone – sympathisch und souverän, zugleich mit sichtlichem Respekt für seine Position. Dass selbst Topmanager von Weltkonzernen ohne Krawatte auftreten, gehört mittlerweile zum globalen Standard. Aber Streetwear im Verwaltungsrat, das hat noch einen gewissen Überraschungseffekt.
Jussi Herlin ist aber nicht nur Verwaltungsrat, er ist Teil der Eigentümerfamilie von Kone, vor 112 Jahren als Reparaturbetrieb für Motoren gegründet; «Kone» heisst übersetzt lediglich «Maschine». Keine zehn Jahre später baute Kone die ersten Aufzüge, und als 1924 der Eigentümer pleiteging, übernahm der Ingenieur Harald Herlin die Firma, Jussi gehört der fünften Generation an.
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«Fünfte Generation» ist auch ein Schlagwort bei der Schweizer Aufzugsikone Schindler: Im Verwaltungsrat amtieren zwei Vertreter derselben, Tobias B. Staehelin und Carole Vischer. Ihr Vorfahr Robert Schindler hatte die Firma 1874 gegründet und knapp zwei Jahrzehnte später mit dem Liftbau begonnen.
Hoch bei Kone – Antti Herlin: Hauptaktionär und VRP: Machtzentrum bei Kone. Zog sich vom Operativen zurück.
PDJussi Herlin: Anttis Sohn ist Vizepräsident und stark engagiert. Gilt als möglicher Nachfolger.
PDIlkka Hara: War früher Banker und bei Tech-Firmen. Ist seit 2016 Finanzchef bei Kone.
PDOben bei Schindler – Alfred N. Schindler: Gross- und Altmeister des Konzerns. Er schraubt seit Jahren an der Nachfolge
PDTobias B. Staehelin: Fünfte Generation der Familie. Sitzt in VR und Konzernleitung. Gilt als Kandidat.
PDKone und Schindler – zwei Weltmarktführer und Branchenkonkurrenten, die als jeweils börsenkotierte Familienunternehmen mit stolzer Historie frappante Übereinstimmungen aufweisen, zudem bei Umsatz und Gewinn in derselben Grössenliga spielen – selbst beim berühmten EU-Verfahren gegen das «Lift-Kartell» der fünf marktführenden Konzerne bezahlten Kone und Schindler 2007 nahezu gleich hohe Bussgelder.
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Allerdings weisen die Gewinnmargen der beiden Unternehmen in entgegengesetzte Richtungen, tiefgreifend unterscheiden sich die Firmenkulturen und der Umgang mit Corporate Governance oder auch der seinerzeitige Ansatz für den Markteintritt ins Hochhaus- und damit Lift-vernarrte China. Abrupte Abtritte wie jenen im Januar von Schindler-CEO Thomas Oetterli kennt man von Kone nicht. Und für einen Auftritt von Verwaltungsrat und Familienvertreter Alfred N. Schindler im Hoodie würden eine Menge Leute Eintritt bezahlen.
Punkto formale Unternehmenskontrolle geben sich die Konkurrenten wenig. Antti Herlin, Jussis Vater und Chairman bei Kone, kontrolliert über diverse Holdings via zwei Aktienklassen gut 62 Prozent der Stimmen und 23 Prozent der Aktien, hinzurechnen darf man noch die Kapitalausstattung der Kone Foundation, die Kunst, Kultur und Wissenschaft fördert und mit ihren 5,5 Prozent der Stimmen plus drei Prozent Aktien kaum gegen die Familie antreten wird. Im luzernischen Ebikon haben die beiden Eigentümerstämme Schindler und Bonnard zuletzt die Stimmrechte auf gut 69 Prozent reduziert (es waren vor einigen Jahren schon einmal 71), hingegen dürften sie den Anteil am Kapital aufs Doppelte des Herlin-Niveaus hochgeschraubt haben.
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Im Geschäftlichen tut sich noch mehr. Lag Kone vor fünf Jahren bei rund 80 Prozent der Schindler-Umsätze, haben die Finnen die Lücke inzwischen fast komplett geschlossen – mit immer noch deutlich weniger Mitarbeitern. Und bei den Betriebsgewinnmargen mäandert Kone seit geraumer Zeit um das aktuelle Niveau von 12,5 Prozent, während Schindler Werte oberhalb von 12 Prozent schon länger nicht mehr gesehen hat, 2020 sogar ins Einstellige rutschte und sich zuletzt nur knapp wieder über der magischen Zehn einfand. Kone ist in den Pandemiezeiten erstarkt, Schindler hat sich chronischen Husten zugezogen. Und im Langfristvergleich, Börsen lügen bekanntlich nicht, liegt Kones Aktie deutlich vorn. Doch woran liegt das?
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Die Lift-Bonanza in China ging Kone ganz anders an als die drei grossen Wettbewerber: Otis, heute börsenkotiert, damals noch Teil von United Technologies, Thyssenkrupps Aufzugstochter, als TK Elevator ebenfalls verselbstständigt, wenn auch ohne IPO, sowie Schindler – alle drei genossen den Ruf, aus Angst vor Kopien in China möglichst ihre alternden Ladenhüter zu montieren. Kone startete um das Jahr 2004 in China und damit eher spät in den einsetzenden Boom, lieferte aber konsequent beste und neueste Technologie, baute zugleich schnell ein Team aus Einheimischen auf, um lokale Akzeptanz zu schaffen.
Heute gilt Kone als König im grössten Markt für Neuinstallationen mit einem Anteil von rund einem Fünftel. «Bei Neuinstallationen haben wir das grösste Volumen», sagt Ilkka Hara, Kones Finanzchef. In diesem Bereich ist allerdings der Preiskampf am schärfsten. Wichtig sind deshalb auch die weichen Faktoren, betont Hara: «Man kauft als Bau-herr nicht nur eine Stahlbox, die hoch- und runterfährt, sondern ein Team, das diese unter oft schwierigen Bedingungen auf der Baustelle installiert.»
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Auch in der Nachbetreuung eingebauter Aufzüge fungieren die Liftmonteure als Gesicht des Konzerns beim Kunden; das gilt umso mehr für den Löwenanteil des Geschäfts: Wohnhäuser mit wenigen Stockwerken, in Europa sechs bis acht, in China vielleicht 20 bis 35 Etagen. Gerade deshalb sei gute, die Mitarbeitenden wertschätzende Firmenkultur so wichtig.
Dazu passsend hat das Board, sprich die Familie Herlin, dem Kone-Management fünf Dinge aufgegeben: «great place to work, most loyal customers, faster than market growth, best financial development und leader in sustainability» – wohlgemerkt, die Mitarbeiter stehen an erster Stelle. Weniger skandinavisch-inklusiv geht es im Luzernischen zu, wo die Mitarbeiter deutlich versteckter im Programmheft figurieren: Unter den fünf «Values» der Schindler-Gruppe stehen sie an letzter Stelle, und auch dies ausdrücklich als «cornerstones of our culture and success» und «most valuable asset». Das klingt ein wenig nach «Produktionsmittel».
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Das deutlich schneller wachsende Neugeschäft Kones sollte sich im Lauf der kommenden Jahre in eine höhere Basis an Wartungsaufträgen überführen lassen. Wartung und Service, «Maintenance», ist King im Business mit Liften und Fahrtreppen: Sie schafft konstante Umsatzströme ohne Preiskampf und rentiert deshalb deutlich besser. Zwar geben weder Schindler noch Kone ihre Margen für diesen Bereich an (beide Konzerne verweigern sich einer Segmentsberichterstattung), doch ein Blick beim Wettbewerber Otis zeigt, dass im Neugeschäft Margen von rund sieben Prozent drinliegen, im Service hingegen mehr als das Dreifache. Je mehr Lifte installiert werden, desto mehr lukrative Kontrollbesuche, das ist das Ziel von Ilkka Hara und seinem CEO Henrik Ehrnrooth: Bisher sind punkto Maintenance vor allem Otis, aber auch Schindler grösser. Sogar TK Elevators, beim Gesamtumsatz deutlich hinter den dreien zurück, liegt hier auf Augenhöhe mit Kone.
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Gezielt positioniert sich Kone in der Aussendarstellung als Innovationstreiber. Digitale Screens in der Liftkabine, wo sich die im Gebäude residierenden Firmen präsentieren können, mitdenkende Steuerungen oder Anforderung per Fernbedienung gehören zwar heute zum fortgeschrittenen Standard der Branche. Kone wirbt zudem aber mit ihren «Ultra-Rope»-Liftseilen, die nicht aus dem üblichen Stahl, sondern aus Kohlefaser bestehen. Sie sind deutlich leichter und erhöhen damit die maximale Förderhöhe, weil das Eigengewicht des abgerollten Seils stark abnimmt. Deshalb sind Kone-Lifte bestellt für den Jeddah Tower in Saudi-Arabien, der als erstes Gebäude über einen Kilometer messen soll, aktuell herrscht allerdings Baustopp. In Londons 310-Meter-Wahrzeichen The Shard verkehrt Kone, vier von zehn der höchsten Gebäude der Welt, fertiggestellt oder im Bau, haben sich, so die Finnen, bei ihnen ausgestattet.
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Auch den «People Flow» in Hochhäusern, den Verkehrsfluss der Tausenden täglicher Nutzer, bearbeitet Kone intensiver als andere. Der Konzern unterhält dafür eine eigene Beratergruppe für Bauherren, und um den «Flow» von Fussgängern auch in grösserem Massstab besser zu managen, betreibt Kone ein Projekt namens «Smart and Sustainable Cities», das Direktorin Tessina Czerwinski von der Schweiz aus führt.
Auch Schindler bearbeitet diese Themen, verkauft sie aber defensiv. So lieferte Schindler die letzte Innovationsmeldung punkto moderner Seilmaterialien vor zwei Jahrzehnten unter dem Namen «Aramid». Was daraus wurde: unklar.
Einen deutlichen Modernitätsvorsprung hat Kone vor allem bei der Corporate Governance und in Fragen der Firmenkultur. Seit sich Antti Herlin 2006 vom CEO-Posten zurückzog, vertritt die Familie ihre Interessen nur im Board, geführt von Vater Antti, flankiert von Sohn Jussi und Tochter Iiris. Die Konzernleitung, sagt CFO Ilkka Hara, tausche sich eng mit der Familie aus, «aber wir führen die Firma selbstständig, in ihrem Auftrag».
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Foto: Evan Joseph Images
Offizielle Statements, ob diese Selbstbescheidung dauerhaft Geltung haben soll, existieren zwar nicht – der Erfolg jedoch spricht für das Arrangement. Stabilität in der operativen Abteilung schadet mit Sicherheit auch nicht: Auf Antti Herlin folgte 2006 Matti Alahuhta als CEO, der zuvor schon im Verwaltungsrat sass. Er übergab den Posten 2014 an den bis heute amtierenden Henrik Ehrnrooth, der den Konzern mit einer relativ jungen Truppe führt. Schindler wechselte in einem Jahrzehnt den Chef gleich vier Mal aus.
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Die Herlins geben sich im Unternehmen nahbar und allürenfrei. Jussi steht nach seinem Vortrag entspannt mit Ingenieuren und Managern zusammen, mit Angestellten ohne klingende Titel. «Er ist wirklich Teil der Gruppe», sagt eine Mitarbeiterin. Sie habe mit ihm studiert, beim Apéro sei er bisweilen dabei, und bei der jährlichen «Talent Review», die potenzielle Führungskräfte durchleuchtet, habe früher Antti teilgenommen, sagt Ilkka Hara, heute mache das Jussi, «so lernt die Familie alle relevanten Mitarbeiter kennen». Jussi hat sich fast zwei Jahrzehnte im Sommercamp engagiert, das Kone für die Kinder der Mitarbeiter ausrichtet – zunächst als Teilnehmer, dann als Helfer und schliesslich als Leiter. Fix ist wohl nix, aber dass er sich schon ziemlich warmgelaufen hat für die Nachfolge seines 65-jährigen Vaters, bestreitet niemand ernsthaft.
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Bei Patriarch Alfred N. Schindler und seinem Cousin Luc Bonnard liegt die Zeit des Kinderhütens eher länger zurück. 73 und 75 Jahre alt, haben sie die Alterslimite im Verwaltungsrat mehrfach für sich verlängern lassen. Im Board amten auch Schindlers Nichte Carole Vischer sowie Bonnards Neffe Tobias B. Staehelin – seit gut einem Jahr zugleich Personalchef des Konzerns und damit im Executive Board ansässig. Zuvor leitete er die deutsche Schindler-Aufzugstochter Haushahn.
Staehelin kontrolliert also sich selbst, zugleich aber auch seinen Chef, den amtierenden CEO Silvio Napoli, der ihm im Verwaltungsrat als Präsident aber wiederum vorsitzt, den er dafür wiederum als Vertreter der Eigentümerfamilie bezahlt. Ob so viel Gewaltenverschränkung die Gremien agilisiert, muss Napoli nun nachweisen. 2021 hat er als Nur-Präsident fast so viel verdient wie CEO Oetterli, dessen Job er nun per Doppelmandat miterledigt. Finanziell macht das angekündigte mehrjährige Interregnum also durchaus Sinn.
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MEXIKANISCHES VORZEIGEPROJEKT Im «Torre Reforma» in Mexiko-City verkehren Hochleistungslifte mit intelligenter Steuerung und Fahrtreppen von Schindler.
Manuel RickenbacherMEXIKANISCHES VORZEIGEPROJEKT Im «Torre Reforma» in Mexiko-City verkehren Hochleistungslifte mit intelligenter Steuerung und Fahrtreppen von Schindler.
Manuel RickenbacherUnter den Mitarbeitern geht dafür Unruhe um. Vor etwa drei Monaten, berichtet einer, seien zahlreiche Projekte abrupt gestoppt worden; der zeitliche Zusammenhang mit Oetterlis Abgang ist augenfällig. Viele, die nun ohne Aufgabe seien, machten sich Sorgen um ihre Jobs. Man hänge in der Luft und die Konzernführung sei «weit weg», sagt ein unterer Kader.
Bewahrheiten sich die Spekulationen, dass Napoli nun das Steuer herumreissen soll und nach einigen Jahren an Staehelin oder Vischer übergibt, die beide einen guten Ruf geniessen, könnte bei Schindler wieder eine lange Phase des Doppelmandats beginnen, wie unter Alfred N. Schindler, der 26 Jahre CEO und 40 Jahre Verwaltungsrat war, der aus der Firma Schindler den Weltkonzern gemacht hat.
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Kone hat als langfristiges Ziel eine Ebit-Marge von 16 Prozent ausgerufen. Das wäre auch für Schindler eine erhebende Marke, und ein Wettkampf brächte spannende Einblicke – skandinavische Zurückhaltung in der Governance versus Verflechtung der Gewalten, Kones Chairman und CEO gegen Schindlers Doppelmandatsträger(in), Hoodie gegen Krawatte: der ultimative Test der Systeme.
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