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Warum Threema anders ist als die Andern

Geld? Nicht so wichtig. Wachstum? Auch nicht. Privatsphäre? Aber so was von! Mit ­ihrem Messenger treffen die Jungs von Threema den Nerv der Zeit.

Marc Kowalsky

Hand hält iPhone mit Threema, sichere Instant Messenger App, im Apple App Store, App-Icon, Display, iPhone, iOS, Smartphone, Deutschland, Europa *** Hand holding iPhone with Threema secure instant messenger app in the Apple App Store App Icon Display iPhone iOS Smartphone Germany Europe Copyright: imageBROKER/ValentinxWolf iblvfw04728850.jpg Bitte beachten Sie die gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Urheberrechtes hinsichtlich der Namensnennung des Fotografen im direkten Umfeld der Veröffentlichung!

Das Bild von den drei Threema-Gründern darf nicht online erscheinen. 

imago/imagebroker

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So stellt man sich einen Hotspot der Schweizer Internetszene nicht vor: ein unspektakuläres vierstöckiges Bürogebäude aus rotem Backstein an der viel befahrenen Durchgangsstrasse in Pfäffikon SZ. Ein Versandhändler ist hier einquartiert, mehrere Unternehmensberater und ein Spezialist für Industrie-Leasing.

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Und in den ehemaligen Büroräumlichkeiten einer Privatbank, inzwischen befreit von dunkler Holztäfelung und dem schweren Parkett, eines der derzeit heissesten Start-ups des Landes: Threema. Der bodenständig-biedere Auftritt ist bewusst gewählt: «Wir sind ein Gegenentwurf zum Silicon-Valley-Modell», sagt CEO Martin Blatter (43).

Threema ist derzeit in aller Munde. Der Dienst für Nachrichten und Telefonate verzeichnet massives Wachstum, denn er macht vieles anders als die Konkurrenz von WhatsApp, Signal, Telegram und Co.: Datenschutz und Privatsphäre der Benutzer stehen an oberster Stelle. Threema kann komplett anonym genutzt werden – nicht einmal die Handynummer oder die E-Mail-Adresse muss man bei der Registrierung angeben. Die Firma betreibt eigene Server in zwei Rechenzentren im Grossraum Zürich und lagert keine Daten aus in die Cloud zu Amazon, Google oder Microsoft. Verschlüsselt auf dem ganzen Weg vom Absender bis zum Empfänger sind sie sowieso, auch Threema kann sie nicht lesen, nach erfolgreicher Übermittlung werden sie von den Servern gelöscht.

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EEEMA für «Encrypted End-to-End Messenger Application» hiess die App dann auch anfangs, später wurde daraus Threema. Und anders als WhatsApp und Co. verzichtet man darauf, die Kommunikationsdaten für Werbezwecke auszuwerten. «Dieses Geschäftsmodell finden wir moralisch extrem fragwürdig», sagt Mitgründer Silvan «Sili» Engeler (41).

Manches wirkt handgestrickt

Er gilt als Macher unter den drei Co-Gründern, das Unternehmer-Gen hat er von seinem Vater geerbt: Bei CEO Martin Blatter, der bereits früher Start-up-Erfahrung gesammelt hatte, laufen die Fäden zusammen, er wird beschrieben als Analytiker, der alles hinterfragt. Der Dritte im Bunde, Manuel Kasper (37), ist ein Tüftler, Anreisser und der Erfinder von Threema. «Ich würde ihn nahe einem Informatikgenie sehen», sagt einer, der regelmässig mit ihm zu tun hat.

Den Schutz der Privatsphäre nehmen die drei auch privat ernst. Sie sind nicht in den sozialen Medien, ein Fotoshooting ist nicht möglich, das wenige existierende Bildmaterial muss von den Gründern freigegeben werden, online darf es gar nicht erscheinen. Manuel Kasper gebe gar nie Interviews, heisst es. «Wir wollen uns nicht ins Rampenlicht rücken», sagt Blatter, «das Produkt ist wichtiger» (seltsamerweise tritt Kasper mit den beiden anderen kurz nach dem BILANZ-Termin dennoch im Fernsehen auf).

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«60 Millionen Franken jährlich dürfte – geschätzt – der Umsatz von Threema inzwischen betragen. »

Dass die Firma von drei Softwareentwicklern geführt wird, ist speziell. Einen CFO gibt es nicht, einen HR-Chef auch nicht, ein Verkaufschef wird gerade erst gesucht. Bislang teilen sich die Gründer diese Aufgaben. Die Folgen: Manches wirkt handgestrickt (die Kommunikation etwa ist nicht immer glücklich), statt Geldverdienen steht die Produktentwicklung im Zentrum.

«Bodenständig» seien die Gründer, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, «sie verbiegen sich nicht für schnelles Geld». Die Hierarchien sind flach, die Bürotüren immer offen, die Stimmung ist locker-kollegial, die Work-Life-Balance wichtig: Die meisten Mitarbeiter arbeiten 80  Prozent. Mit Google als Arbeitgeber kann Threema kaum mithalten, was Wohlfühl-Nebenleistungen angeht: Die Jungfirma bietet lediglich einen Flipperkasten und gemeinsame Freizeitaktivitäten.

Dennoch findet man problemlos hoch qualifizierte Informatiker: «Junge Hochschulabsolventen machen sich heute viele Gedanken, wie sinnvoll und redlich ihre Arbeit ist», sagt Blatter. Im Kanton Schwyz landete Threema, weil hier die Firmengründung besonders einfach war, aber der Standort Pfäffikon hilft ebenfalls bei der Rekrutierung: Er ist Verkehrsknotenpunkt, und das Einzugsgebiet am südlichen Teil des Seebeckens ist ein anderes als in Zürich. Viele Angestellte kommen mit dem Velo zur Arbeit. Unter den 30 Mitarbeitenden hat es nur eine Handvoll Frauen: «Gerade für die Softwareentwicklung gibt es kaum Bewerberinnen», bedauert Blatter.

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Auch wenn es Threema sogar in einer rätoromanischen Version gibt: Swissness spielt in der Markenkommunikation keine grosse Rolle. Eine verpasste Chance, denn «Made and Hosted in Switzerland» ist «ein wesentlicher Faktor für unseren Erfolg», wie Blatter selber sagt: «Allgemein die Schweizer Qualität und auch speziell die Schweizer IT sind gerade in Deutschland sehr positiv behaftet.»

Die Cryptoleaks-Affäre sei ausserhalb der Schweiz kaum wahrgenommen worden. Dass hingegen Palantir demnächst ebenfalls in den Kanton Schwyz zieht, «ist nicht förderlich für die Reputation des Standortes», sagt Blatter. Schliesslich gilt der umstrittene und intransparente Konzern aus dem Silicon Valley als Datenkrake schlechthin.

Der wichtigste Standortfaktor ist jedoch ein anderer: Threema unterliegt dem Schweizer Datenschutzgesetz. Wenn die EU seit dem Terroranschlag in Wien darüber diskutiert, dass in jeden Messengerdienst ein Hintertürchen eingebaut werden muss, der den Behörden das Mitlesen erlaubt, betrifft dies Threema nicht. Entsprechend verzichtet Threema auch darauf, die Programmierarbeit an günstige osteuropäische Standorte auszulagern. Bei den amerikanischen Diensten haben NSA und FBI im Verdachtsfall sowieso Zugang zu den Nachrichten.

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Doch jetzt droht auch hierzulande Ärger: Das EJPD stuft Threema als Fernmeldedienstanbieter mit eigenem Netz ein wie die Swisscom oder Sunrise und verlangt eine Vorratsspeicherung. Auch wenn es nicht um die Inhalte selber geht, sondern nur um die Metadaten (also wer wann mit wem kommuniziert): Es würde die Glaubwürdigkeit des Dienstes ramponieren. «Das widerspricht vollständig unserem Prinzip des Zero Knowledge», sagt Engeler. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der ersten Runde der juristischen Auseinandersetzung Threema nicht als Fernmeldedienstanbieter, sondern als abgeleiteten Kommunikationsdienst eingestuft und der Firma in allen Punkten recht gegeben. Jetzt liegt der Fall beim Bundesgericht in Lausanne.

Gegenüber den ausländischen Messengerdiensten ist Threema nur ein kleiner Fisch: Neun Millionen User zählt die App. Darunter sind sieben Millionen Privatkunden (80  Prozent davon in Deutschland), die je drei Franken bezahlt haben für die lebenslange Nutzung. Cashcow ist jedoch die Businessanwendung Threema Work, die für 70  Prozent des Umsatzes verantwortlich ist: Geschäftskunden zahlen je nach Package 1.40 oder 1.90 Franken pro Mitarbeiter und Monat.

«9 Millionen User weltweit verzeichnet Threema derzeit. »

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Julius Bär, OC Oerlikon oder die Partners Group benutzen sie, der Bund bis hinauf zu den Bundesräten, ausserdem 5000 andere Organisationen mit total zwei Millionen Anwendern, die meisten im DACH-Raum. Grösster Kunde ist Daimler mit 100'000 Abonnements. Marketing macht Threema dafür bislang nicht, die Kunden kommen von alleine und in Massen. Insgesamt dürfte sich der Umsatz der Firma inzwischen auf gegen 60  Millionen Franken jährlich belaufen.

Gut verschlüsselt

Programmiert hatte die App ursprünglich Manuel Kasper an seinem Küchentisch im Jahr 2012. Zu jenen Zeiten war WhatsApp noch unverschlüsselt; er erkannte das Bedürfnis nach einer sicheren Kommunikationslösung. Weil zeitnah der erste Pressebericht erschien, war die Nachfrage sofort da. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013 stiegen die Downloadzahlen signifikant an, Kasper engagierte Blatter und Engeler, die er über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt hatte, um die Android-Version zu programmieren. Gemeinsam gründeten sie die Firma – jeder bekam ein Drittel der Anteile – und entwickelten einen Businessplan.

Als im Februar 2014 WhatsApp von Facebook übernommen wurde, explodierte die Nachfrage – von 40'000 auf 1,5 Millionen User in zwei Tagen. Das Gründerteam kollabierte fast unter den Supportanfragen – vom «anstrengendsten, aber auch spannendsten Moment in der Firmengeschichte» spricht Engeler: «Und der Businessplan war Makulatur und ist im Schredder gelandet.» Dafür standen plötzlich potenzielle Investoren Schlange, von lokalen Privatpersonen bis zu den grossen amerikanischen VCs.

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««Die VCs verstehen unser Geschäftsmodell nicht. Die wollen Wachstum um jeden Preis.»»

Doch ein VC kam für die Gründer nicht in Frage: «Die, mit denen wir gesprochen haben, verstehen unser Geschäftsmodell nicht», sagt Blatter: «Die wollen Wachstum um jeden Preis.» Also sagte man allen Interessenten ab. «Threema war von Anfang an profitabel und hatte den Luxus, dass man keine Investoren brauchte», sagt Georg Dietrich, der damals für das Start-up die potenziellen Anleger betreute und heute bei der Partners Group arbeitet: «Den Gründern war es wichtiger, aus eigener Kraft langsam, aber stetig zu wachsen.»

Doch auch eine Private-Equity-Gesellschaft hat einen Anlagehorizont – wie es in fünf oder zehn Jahren weitergeht mit Threema, ist nicht absehbar. Mit immer noch über 40  Prozent der Stimmen haben die Gründer eine Sperrminorität und haben sich zudem ein Mitspracherecht bei gewissen strategischen Entscheidungen vertraglich zusichern lassen. Einen Börsengang etwa kann man sich kaum vorstellen, er würde nicht zur Firmenphilosophie passen. Und operativ redet Afinum sowieso nicht rein.

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Smart Wachsen

Stattdessen hilft die Beteiligungsgesellschaft beim Aufbau professioneller Strukturen: einer echten Verkaufsorganisation, Customer Success Management, Kundenbetreuung. «Threema ist heute an einem Punkt, wo es nicht einfach um Kapital geht, sondern um Smart Capital etwa in Form von Managementunterstützung», sagt Philipp Schülin, Senior Partner bei Afinum. Dank der zusätzlichen Mittel muss Threema weniger Angst vor Nachahmern haben und konnte daher kürzlich den Quellcode offenlegen – vollständige Transparenz ist sehr wichtig für die Glaubwürdigkeit im Sicherheitsbereich.

Vor allem aber soll das Geld in Wachstum fliessen: geografisch in die an den DACH-Raum angrenzenden Länder, produktemässig etwa in Videoconferencing, die Unterstützung von mehreren Geräten pro Benutzer oder das Angebot für Geschäftskunden, die Software auf firmeneigenen Servern laufen zu lassen. Dafür wird das Personal aufgestockt, aber moderat, «auch um die Unternehmenskultur nicht zu gefährden» (Engeler): 35 bis 40 Mitarbeitende soll Threema Ende des Jahres umfassen. Ein zusätzliches Stockwerk wird für sie gerade renoviert, die neuen Bürostühle stehen noch unausgepackt zwischen Kübeln mit Wandfarbe und Leitern.

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«70 Prozent dieses Umsatzes macht Threema mit Geschäftskunden.»

Diesen Januar haben sich die Downloadzahlen noch einmal vervierfacht, als Facebook ankündigte, mit WhatsApp in grossem Masse Daten austauschen zu wollen (was Facebook-Gründer Mark Zuckerberg notabene einst als technisch unmöglich bezeichnet hatte). Und Mitte Mai wird es eine weitere, vermutlich noch viel grössere Welle geben: Dann sperrt WhatApp all jene User aus, die diesen neuen Geschäftsbedingungen nicht zustimmen.

Wenn nur ein halbes Prozent der zwei Milliarden Benutzer nicht mitzieht und zu Threema wechselt, würden sich deren Userzahlen mehr als verdoppeln. Mit zusätzlichem Supportpersonal bereitet man sich in Pfäffikon bereits jetzt auf den erwarteten Ansturm vor.

Nur für eines ist es inzwischen zu spät: dass Threema in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeht und daraus ein Verb wird wie «googeln»: «Threema ist dafür nicht optimal», lacht Engeler: «Der Name ist auch verschlüsselt!»

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