Guten Tag,
Saubere Atomkraft könnte alle Energieprobleme lösen. Investoren bringen sich in Stellung.
Kraftzentrum: Das Innere eines Tokamak-Reaktors wird im Betrieb auf 100 bis 200 Millionen Grad aufgeheizt.
UKAEA / PRWerbung
Dafür, dass gerade die Energie von zehn Handgranaten freigesetzt wurde, ist der Effekt spektakulär unspektakulär: Ein leises Wummern, die angeschlossenen Kupferkabel zittern, ein kurzer Blitz ist zu sehen auf einem der über 60 Monitore. Erst Minuten später füllen sich die Displays im Kontrollraum mit Diagrammen. «Wenn man nichts sieht, ist es ein gutes Zeichen», sagt Erik Mårtensson. Der Assistant Chief Engineer von Tokamak Energy hat gerade eine Kernfusion ausgelöst und dafür zehn Millionen Grad erzeugt, «nicht sehr warm heute», wie er trocken sagt. Das Ganze passiert in einem Reaktor, der drei mal drei mal drei Meter gross und hinter einer 60 Zentimeter dicken Betonschicht verbunkert ist, die komplette Anlage umfasst ein halbes Fussballfeld im britischen Oxford. Der Reaktortyp – Tokamak – gab der Firma ihren Namen.
Cockpit: Das Steuer- und Kontrollzentrum des Tokamak-Energy-Reaktors.
PRCockpit: Das Steuer- und Kontrollzentrum des Tokamak-Energy-Reaktors.
PREigentlich hätte Hans-Peter Wild den Knopf für die Zündung drücken sollen. Doch der Milliardär mit Wohnsitz in Zug hat sich geziert. Wild, Eigentümer von Capri-Sun, ist mit 14 Prozent einer der grössten Anteilseigner von Tokamak Energy. Bereits vor 15 Jahren ist er von einem englischen Freund auf das Unternehmen aufmerksam gemacht worden. «Ich habe das Potenzial sofort gesehen und das Geld gesprochen», erinnert er sich: «Kernfusion wird die wertvollste Technologie des 21. Jahrhunderts.»
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Er selber ist nur selten in Oxford, sein Vertrauter Thomas Pfisterer vertritt ihn im Board von Tokamak Energy. Wild ist 83, aber körperlich wie geistig topfit, E-Mails beantwortet er auch spätnachts umgehend. Noch immer ist er als Investor aktiv, steckt sein Geld in Biotech-Start-ups, ETFs oder die US-Tech-Giganten. Die Aktien des Chipherstellers Nvidia waren dank KI-Hype sein bisher bestes Investment. Die bisher 50 Millionen in Tokamak Energy sind wohl sein gewagtestes.
Seit Jahrzehnten forscht man an der zivilen Nutzung der Kernfusion. Denn die Vorteile sind gewaltig: Anders als bei der Kernspaltung tritt nur minimale Radioaktivität auf. Eine unkontrollierte Kettenreaktion ist ausgeschlossen. Vor allem ist die Energiedichte extrem: Ein Kilogramm Brennstoffplasma liefert so viel Strom wie zehn Millionen Kilo Kohle, eine Tasse davon könnte ein Haus für 100 Jahre mit Energie versorgen. Im Dezember 2022 gelang der Durchbruch: Erstmals konnte in einem Experiment am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien durch die Kernfusion mehr Energie gewonnen werden, als für die Auslösung der Reaktion investiert werden musste – zwar nur wenig, aber seither ist die Machbarkeit wissenschaftlich bewiesen.
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Dass das Innere von Atomen voller Energie steckt, die man freisetzen könnte, indem man die Atomkerne miteinander verschmelzen lässt, wurde 1920 vom britischen Astrophysiker Arthur Eddington entdeckt, noch vor der Kernspaltung. Seit den 1960er Jahren forschen Physiker daran, diese Idee kommerziell nutzbar zu machen. Am besten eignen sich dazu Deuterium und Tritium, zwei Wasserstoff-Isotope: Bei der Fusion entstehen Helium, ein freies Neutron und jede Menge Energie.
Die Herausforderung: Um den Fusionsprozess zu initiieren, braucht es gewaltige Temperaturen von 100 bis 200 Millionen Grad. Zum Vergleich: Im Zentrum der Sonne herrschen rund zehn Millionen Grad.
Es gibt keine Materialien, die dem direkten Kontakt mit einer solchen Hitze standhalten können. Stattdessen wird der Brennstoff als Plasma (also ionisiertes Gas) in einen Reaktor mit der Form eines Donuts geleitet. Elektromagnete halten die Atome auf der Kreisbahn und sorgen dafür, dass sie nicht an den Aussenwänden anstossen. Das dafür nötige Magnetfeld ist sehr stark: 24 Tesla, achtmal so viel wie bei einem MRI. Um dieses und die nötige Hitze zu generieren, braucht es gewaltige Mengen Strom: 100 Megawatt für eine Sekunde. Der Reaktor kann aber nur pulsweise arbeiten.
Das Konzept namens Tokamak ist die am weitesten verbreitete Variante eines solchen Magnetfeldkäfigs. Eine andere, Stellerator genannt, benötigt weniger Strom und kann im Dauerbetrieb arbeiten. Dafür sind hier die Elektromagnete sehr komplex geformt und entsprechend teuer. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die Laserfusion: Hier wird der Brennstoff mit Laser beschossen und dadurch in kürzester Zeit extrem verdichtet, was die Verschmelzung auslöst.
Die meisten Fachleute sehen derzeit das Tokamak-Prinzip als am erfolgversprechendsten an. Der Durchbruch, als im Dezember 2022 zum ersten Mal bei einem Fusionsexperiment mehr Energie generiert als investiert wurde, gelang jedoch mit einem Reaktor der Lasertechnologie. «Dort bestehen mehr Unsicherheiten, aber wenn man die löst, sind weniger komplexe Anlagen möglich, die man schneller bauen kann», sagt McKinsey-Experte Jochen Latz.
Heisse Sache
Bei einer Temperatur von 100 bis 200 Millionen Grad verschmelzen Deuterium und Tritium zu Helium und setzen dabei Energie frei.
BilanzHeisse Sache
Bei einer Temperatur von 100 bis 200 Millionen Grad verschmelzen Deuterium und Tritium zu Helium und setzen dabei Energie frei.
BilanzUnd die Gründer- und Investorenszene ist in Aufregung. Die deutsche Regierung will die Forschung in den nächsten fünf Jahren mit mehr als einer Milliarde Euro fördern, US-Präsident Joe Biden sieht Fusion als nächstes Space Race und hat für dieses Jahr 790 Millionen Dollar freigegeben. In den letzten Jahren sind weltweit rund 40 Fusions-Start-ups entstanden, die im Westen 6,2 Milliarden Dollar an privaten und staatlichen Geldern eingesammelt haben.
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Es lockt der Jackpot: Schliesslich wird der weltweite Energiebedarf in den nächsten zwölf Jahren um 40 Prozent steigen, gleichzeitig wird nur noch die Hälfte der fossilen Brennstoffe zur Verfügung stehen. «Der potenzielle Markt ist fast unendlich», sagt Daniel Aegerter: «Die Firma, die das knackt und erfolgreich skaliert, kann das wertvollste Unternehmen der Welt werden.»
Radioaktivitätsarm: Ein Ingenieur im Inneren des Reaktors von Tokamak Energy.
PRRadioaktivitätsarm: Ein Ingenieur im Inneren des Reaktors von Tokamak Energy.
PRDer Zürcher Unternehmer und VC – er wurde in der Internetblase reich – hat in das US-Start-up Commonwealth Fusion Systems (CFS) investiert. Seinen Beitrag bezeichnet er als «Entwicklungskapital, denn der Zeithorizont ist zu lange für Venture Capital». Nächstes Jahr will die 2018 gegründete Firma mit ihren 800 Mitarbeitern einen Versuchsreaktor in Betrieb nehmen, rund zehn Jahre später das erste kommerzielle Kraftwerk liefern. CFS hat weltweit mit Abstand am meisten Risikokapital eingesammelt, zwei Milliarden Dollar, unter anderem von Salesforce-Gründer Marc Benioff und von Bill Gates’ Beteiligungsgesellschaft Breakthrough Energy Ventures. Letztere investiert zudem in das US-Fusions-Start-up Type One Energy.
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Auch andere Start-ups haben prominente Investoren: Die kanadische General Fusion hat 440 Millionen eingesammelt, etwa von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Helion Energy im US-Bundesstaat Washington weiss PayPal-Gründer Peter Thiel hinter sich, zudem LinkedIn-Gründer Reid Hoffman, Facebook-Co-Gründer Dustin Moskovitz und OpenAI-Chef Sam Altman, der dort auch Chairman ist. Helion hat auch den ersten kommerziellen Deal ausgehandelt: Die Firma hat sich verpflichtet, ab 2028 pro Jahr mindestens 50 Megawatt Fusionsstrom an Microsoft für deren Rechenzentren zu liefern. «Wir würden diese Vereinbarung nicht treffen, wenn wir nicht optimistisch wären, dass der technische Fortschritt an Fahrt gewinnt», so Microsoft-Vize-Chairman Brad Smith bei der Vertragsunterzeichnung.
Zwei Drittel der Fusions-Start-ups sind in den USA angesiedelt, in Europa gibt es nur rund ein Dutzend. Sie müssen sich auch mit deutlich weniger Kapital zufrieden geben. Tokamak Energy hat 250 Millionen eingesammelt, die Münchner Marvel Fusion ist mit 100 Millionen die am besten finanzierte Firma der EU. Auch der Schweizer VC Klaus Hommels hat dort einen kleinen Betrag investiert im Vertrauen in den Unternehmer. Äussern will er sich dazu nicht. Im Umfeld des Münchner Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, das ebenfalls zwei Forschungsreaktoren betreibt, ist ein ganzer Start-up-Cluster entstanden. Und dann ist da noch China: Das Land investiert doppelt so viel wie Europa und die USA zusammen, doch wie weit man damit inzwischen gekommen ist, lässt sich von aussen nicht wirklich beurteilen.
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Die Schweiz hingegen ist nirgends: Gerade einmal ein Start-up gibt es mit dem Thema, Firefly Fusion in Genf. Doch die Firma von Justin Ball und Rustem Ospanov hat nicht viel mehr als eine Idee und eine Website: Offiziell ist sie noch nicht mal gegründet, geschweige denn hat sie bereits Geld eingesammelt. Dabei wäre die Schweiz in der Grundlagenforschung eigentlich stark: Seit den 60er Jahren beschäftigt man sich am Swiss Plasma Center (SPC) der EPFL intensiv mit dem Thema. «Wir betreiben einen der drei wichtigsten Tokamak-Reaktoren in Europa», sagt Ambrogio Fasoli, der das SPC bis letzten Monat leitete. 40 Plasmaschüsse pro Tag werden durchgeführt an vier Tagen die Woche, 200 Leute sind dort beschäftigt, jedes Jahr werden 50 Studenten ausgebildet. «Sie kommen aus der ganzen Welt», sagt Fasoli. Zum SPC gehört auch eine Abteilung am Paul Scherrer Institut in Villigen AG, die die für den Reaktor nötigen Elektromagnete weiterentwickelt. Zwei Start-ups haben dort Büros eröffnet: die deutsche Proxima Fusion und die französische Renaissance Fusion.
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Fasoli ist eine international respektierte Kapazität auf seinem Gebiet. Obwohl die Schweiz nicht mehr am EU-Programm Horizon teilnehmen darf, wurde er soeben zum Leiter des Europäischen Fusionskonsortiums berufen. Dessen wichtigstes Projekt Iter zeigt exemplarisch, woran die Branche krankt. Auf einem Gelände so gross wie 60 Fussballfelder entsteht in der französischen Provinz der weltgrösste Forschungsreaktor – eine Kooperation der EU mit den USA, Russland, China, Japan, Südkorea und Indien. Seit 2010 ist man am Bauen, Missmanagement, fehlerhafte Komponenten, aufwendige Reparaturarbeiten sowie die Covid-Pandemie sorgen für Mehrkosten von fünf Milliarden Euro zusätzlich zu den ursprünglich budgetierten 20 Milliarden. Vor allem aber ist man Jahre hinter dem Zeitplan. Es ist ein alter Spruch in der Branche: Bis zur kommerziellen Nutzung der Fusionsenergie dauert es noch 30 Jahre. Nur erzählt man sich den Spruch bereits seit Jahrzehnten. «Wir suchen nach dem Heiligen Gral. Das braucht viel Geld, Zeit und Wissen», erklärt Warrick Matthews, CEO von Tokamak Energy. «Es ist mit das Komplizierteste, was die Menschheit je unternommen hat», nennt es Fasoli.
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Dauerbaustelle: In Südfrankreich entsteht der weltgrösste Fusionsreaktor Iter.
PRDauerbaustelle: In Südfrankreich entsteht der weltgrösste Fusionsreaktor Iter.
PRDoch mit dem Durchbruch im Dezember 2022 scheint die Zeitschleife überwunden zu sein: «Es ist jetzt nicht mehr ein physikalisches, sondern ein technisches Problem: Jetzt geht es darum, ein Produkt zu entwickeln, das ist besser planbar», sagt Jochen Latz, Nuklear-Experte bei McKinsey. Durch Fortschritte in der Computersimulation entfällt viel Trial and Error, zudem sind durch Neuentwicklungen in der Magnettechnologie viel kleinere und damit günstigere Reaktoren möglich als Iter.
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Der erste kommerzielle Reaktor wird trotzdem Milliarden kosten. Danach dürfte sich die gleiche Entwicklung einstellen wie seit 30 Jahren bei den Windrädern: «Mit jeder Verdoppelung der Kapazität sinken die Kosten, bei der Windenergie waren es jeweils 17 Prozent», sagt Latz. Dazu sind aber noch einige Hürden zu nehmen: In Europa untersteht der Bau von Fusionsreaktoren denselben strengen Vorschriften wie jener von herkömmlichen Atomkraftwerken, obwohl die Risiken nicht vergleichbar sind mit der Kernspaltung. England und die USA haben deshalb Fusionsreaktoren aus der Regulierung entlassen, in der EU überlegt man sich den gleichen Schritt. Will man Kernfusion im grossen Stil ausrollen, wird es auch eine Zulieferindustrie brauchen für Magnete, Beschichtungen und Komponenten. Davon ist noch nichts zu sehen. Vor allem aber fehlen die Fachleute: «Man muss Tausende Spezialisten ausbilden, von den Ingenieuren bis zu den Atomphysikern. Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels nicht leicht», so Latz.
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Mehr Zeit und Geld braucht auch noch Tokamak Energy. Zwar soll die Firma mit ihren 250 Mitarbeitern ab nächstem Jahr Cashflow-positiv sein, dies durch den Verkauf ihrer Magnettechnologie an andere Fusionsfirmen, Chiphersteller oder Magnetbahnen. Doch die ersten nennenswerten Einnahmen aus Fusionsenergie erwartet man erst für 2037, was auch den Einschätzungen der meisten anderen Player entspricht. Den Zeitpunkt wird Hans-Peter Wild mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben: «Das ist eine Investition in eine Zukunftstechnologie, die mit meiner Lebenserwartung nichts zu tun hat», sagt er. Bis dahin sammelt die Firma noch mal Geld: 80 Millionen Dollar will man in Oxford aufbringen. Dies bei einer Bewertung von 330 Millionen für das ganze Unternehmen. Es war schon mal mehr. Doch weil die Bewertungen von Tech-Start-ups die letzten zwei Jahre weltweit massiv gesunken sind, muss auch Tokamak Energy eine Downround hinnehmen.
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Auch Wild wird noch einmal fünf Millionen einschiessen. «Das ist eine binäre Sache: Wenn es nicht klappt, ist die Investition wertlos», sagt er: «Wenn es klappt, wird die Firma Milliarden wert sein.» Und sein Nvidia-Investment klar in den Schatten stellen.
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